Prof. Dr. Enno Giele Klassische Sinologie

Klassik – so werden Zeiten und Kulturformen bezeichnet, die sich im Nachhinein als wegweisend und modellhaft erweisen, wie die klassische Philosophie oder Plastik in Griechenland oder die klassische Musik in Europa.

 In China ist dies die Zeit der Streitenden Staaten und das erste Kaiserreich der Qin- und Han-Dynastien vom 5. Jh. v. bis 2. Jh. n.u.Z. Dann entstanden nicht nur die „zeitlosen“ Ethiken und politischen Theorien des so genannten Konfuzianismus, des Daoismus, und des Legismus, sondern auch die reichsweit vereinheitlichten Standards für Schrift und Erziehung, Nachrichten- und Transportwesen, Zivilverwaltung und Militärdienst, Münzgeld, Handel, neue landwirtschaftliche Techniken und vieles andere mehr. China wurde zum ersten Mal eine Weltmacht und trat über die berühmten „Seidenrouten“ auch mit Zentralasien, den Ländern in Südost- und Südasien und indirekt mit Europa in Verbindung. 

Unsere Abteilung deckt aber in der Lehre auch die angrenzenden Zeiten der chinesischen Vormoderne ab, von der Steinzeit bis ins Mittelalter. Gerade auf dem Gebiet der chinesischen Archäologie werden seit einiger Zeit solch enormen Fortschritte erzielt, die auch die Narrative über die Ursprünge der chinesischen Kultur verändern und selbst in der heutigen Politik Auswirkungen haben, dass diese Entwicklungen unbedingt Bestandteil der Ausbildung von SinologInnEn sein müssen. Dies wird auch in Kursen zur Fachgeschichte reflektiert. 

Forschung

Unser Forschungsfokus liegt auf der älteren und mittelalterlichen Geschichte und der Vorgeschichte Chinas – verstanden als eine Ansammlung oder Reihe von Kulturen, Sprachgemeinschaften, Gesellschaften und Staaten – sowie auf den Verflechtungen dieser mit ihren Nachbarn in Asien. Methodisch bedienen wir uns dazu eines weiten Spektrums von philologischer und historischer Textanalyse, vergleichender Linguistik, archäologisch-materiellen Herangehensweisen, sowie institutionen-, sozial-, wirtschafts- und umweltwissenschaftlichen Fragestellungen. Thematisch gehören dazu beispielsweise die Materialität antiker Schriftträger, das System der Nachrichtenübermittlung im frühen Kaiserreich, die Einführung des Esels als Lasttier in Nordwestchina, iranische Lehnwörter im Chinesischen, die Grammatik des Klassischen Chinesisch, die Münzgeldwirtschaft der Qin oder die frühe Ausbreitung des chinesischen Reiches in den vom Monsunklima beherrschten Süden.

Studienschwerpunkte

In der Lehre werden unsere Seminare von unseren Forschungsthemen (s.o.) bestimmt, ergänzt um weitere Themen der Altchina-Forschung von allgemeinem Interesse wie z.B. Genomik, Geologie, Zeitvorstellungen, Migration, Mythologie, Farben, Sklaverei, Kartographie, digitale Hilfsmittel (KI, GIS, Online-Enzyklopädien). Hinzu kommen Sprachkurse (Klassisches Chinesisch) und Textlektürekurse zu überlieferten Quellentexten sowie Inschriften und Handschriften.  Ein regelmäßiges Angebot sind eine Einführung zur Geschichte Chinas und Überblicksvorlesungen zu Ostasien in der Weltgeschichte (bis 1850) und zu den Kulturellen Grundlagen Ostasiens. Diese werden zusammen mit KollegInnEn aus der Japanologie und der Kunstgeschichte Ostasiens gehalten. Schließlich werden auch häufig vergleichende oder theoriebildende Kurse gemeinsam mit KollegInnEn aus benachbarten Kulturwissenschaften oder der Archäologie (Vor- und Frühgeschichte, Klassische Archäologie, Vorderasiatische Altertumskunde, Ägyptologie, Alte Geschichte, Mediävistik, Buddhologie u.a.) angeboten.