Interview mit Dr. Wilfried Spaar am 12. Juli 2018, Teil 2

MM: Sie absolvierten Ihre Promotion an der Universität Bochum, für sie erhielten Sie auch 1980 den Preis für die herausragendste Dissertation. Wovon handelt sie, wer betreute Sie?

WS: Mein Betreuer war Bodo Wiethoff, den kennt eigentlich kaum noch jemand. Er ist bekannt geworden im Fach durch zwei Bände, die bei der wissenschaftlichen Buchgesellschaft publiziert worden sind: Grundzüge der älteren chinesischen Geschichte (1971) und Grundzüge der neueren chinesischen Geschichte (1977). Das Buch hat damals eingeschlagen wie eine Bombe, das war methodologisch der große Schrei und das hat mich dann auch interessiert. Daraufhin habe ich den theoretischen Teil meiner Dissertation auch danach ausgerichtet.

MM: Wie war der Titel und das Thema Ihrer Dissertation?

WS: ‘Politische Philosophie des Li Zhi [李贄] 1527-1602 und die politische Rezeption in der VR China.‘ Das war zu der Zeit eine ziemlich aktuelle Sache, es gab da diese Anti-Konfuzius-Proletarismus Kampagne, die immer wieder und immer neu aufkam, da war die Figur gegen Ende der Ming Zeit recht verfolgt und es gab viele Diskussionen um dieses Li Zhi. In den letzten Jahren sind auch immer wieder Dissertationen dazu erschienen.

MM: An der RUB begannen Sie auch Ihre Karriere als Universitätsmitarbeiter. Wie war es dort?

WS: Ach als Karriere, das ist Unsinn. Ich habe dort als Assistent angefangen, bei Wiethoff, und dann ging ich gleich nach Taipei.

MM: Wie lange waren Sie dann in Taipei?

WS: Fünf Jahre. Nach einem Jahr hab ich dort dann einen Job bekommen, an der Shida [Guoli Taiwan Shifan Daxue 國立臺灣師範大學], die haben mich dort zum Prof. gemacht. Zwar nicht für Chinesisch, aber für Sprachwissenschaft. Und das Schöne war dann, ich war dort zuständig für Deutsch, für die Ausbildung der Musiker, denn die Studierenden der Musikwissenschaften mussten dort Deutsch lernen sowie die Juristen, diese mussten ebenfalls Deutsch lernen. Das war ganz lustig. Nebenher war ich noch zuständig für Latein. Ich habe also auf Chinesisch Latein unterrichtet.
An der Shida bin ich auch erstmal geblieben, ich hatte meinen Job an der Shida was ganz schön war und hatte dadurch sozusagen ein ökonomisches Standbein wodurch ich nebenbei machen konnte was mir Spaß machte. Meistens mit dem Motorrad durchs Gebirge fahren oder irgendwelche Berge besteigen. Das war damals etwas schwierig, zu der Zeit als das Land ja offiziell noch unter Militärregierung stand, waren topographische Karten noch verboten. Natürlich gab es diese, aber an diese ist man nicht rangekommen. Wir Bergsteiger waren also angewiesen auf Zeichnungen, also handgezeichnete Karten, und mündliche Beschreibungen (in chinesischer Sprache). Das war manchmal ganz schön haarig. Außerdem – für mich als Staatsangestellter der Shida war das kein Problem – brauchte man jedes Mal wenn man ins Gebirge wollte ein sogenanntes „mountain permit“, also eine polizeiliche Erlaubnis, dass man berechtigt ist das Gebirge zu betreten. Nicht wegen der Gefahr, sondern wegen der militärischen Geheimnisse die dort lauern. Das kann man sich heute noch kaum vorstellen, aber man stieg dann also in den Bus oder setzt sich auf seine Karre und fährt runter nach Wulai
烏來, im Süden Taipeis, und dann war da ein Zaun und dort stand jemand mit Mütze, der keinen mehr durchgelassen hat. Außer man hatte eben einen „mountain permit“.

MM: Und den hatten Sie?

WS: Ja ja. Für mich war das einfach zu kriegen.

MM: Hat man da noch viele Ureinwohner gesehen?

WS: Das war noch eine andere Geschichte. Einige gewissenlose Geschäftsleute hatten natürlich
auch Interesse an diesen sogenannten ‚Ureinwohnern‘, aber für Menschenhandel und
Prostitution. Die haben also nur Frauen versucht wirklich zu klauen, für den
Menschenhandel, und das ist natürlich dann von der Polizei dort strengstens verfolgt
worden. Und das Interesse der Einheimischen in der „heishehui
黑社會, der ‚schwarzen Gesellschaft‘ [organisiertes Verbrechen] am Hochgebirge waren eben nicht
die Berge, sondern die Ureinwohner. Diese hatten einen besonderen Wert auf dem
Schwarzmarkt.

MM: Haben sie in Taipei dann auch Taiwanesisch gelernt?

WS: Nur ein bisschen, aber nicht systematisch.

MM: Ich hatte nämlich die Politik zur Verbreitung der Nationalsprache Guoyu 國語 dort angeschaut und die schienen ja schon ziemlich stark eine zeitlang versucht zu haben Standardchinesisch zu verbreiten…

WS: Es war halt offiziell. In den Schulen wurde Zhuyin Fuhao 注音符號 gelehrt und nicht Pinyin, Pinyin war eine zeitlang aus politischen Gründen sogar verboten. Ich hab das so ein bisschen mitbekommen aber eine richtig ernste Auseinandersetzung mit diesem Thema hat es nicht gegeben. Dann kam ja die Zeit in Taiwan wo man wichtigere Dinge zu tun hatte, wie der Umbau von einer Militärregierung zu einer demokratischen.

MM: Das haben sie da vor Ort mitbekommen?

WS: Das hab ich mitbekommen. Ich hatte dann in Taipei noch ein Angebot auf eine Feodor Lynen Professur in den USA bekommen, das hab ich dann gleich anschließend wahrgenommen. Ich bin dann also direkt von Taiwan in die USA; in den Mittelwesten nach Wisconsin. Das war dort eine staatliche Uni, mit recht gutem Ruf, die verschiedene Standorte in dem Bundesstaat hat. Der Hauptstandort ist Madison, und dort bin ich dann auch gewesen. Zwischendurch auch immer wieder in Chicago. Die University of Chicago ist eine andere Uni, die haben dort aber auch eine bekannte Sinologie und dort hab ich dann auch ein bisschen was gemacht.

MM: Und was haben sie dort gelehrt?

WS: Klassisches Chinesisch.

MM: University of Chicago, da hat doch der Linguist Lu Zhiwei 陆志韦 [1894-1970] auch seinen Doktor gemacht?

WS: Ja genau.

MM: Und dann? Dann waren sie erstmal in den USA...

WS: Genau, da hab ich noch geheiratet zwischendurch, in Taiwan und hatte einen Sohn. In den USA hab ich dann eine neue Stelle gesucht da die Lynen-Professur ausgelaufen ist. Und dann hat mich das Schicksal getroffen, und ich hab mich an verschiedenen Stellen beworben. Ich erinnere mich da noch an Gespräche mit Yale wo es hieß ‚ja wir würden dich ja ganz gerne nehmen, aber leider bist du erstens foreign und zweitens white und drittens auch noch male das geht überhaupt nicht. Wärst du ein Chinese oder eine Frau könntest du gleich bleiben.‘ Also als Mann, und weiß… man musste zu einer Minderheit gehören. Da durften die staatlichen Universitäten halt entweder gender-opportunities, also halt weibliche Angestellte oder eben Minderheiten einstellen. Chinesen galten als Minderheit, das war ganz praktisch für die Uni. Da war nichts zu machen. Dann bin ich zurück nach Deutschland, erstmal an meine alte Uni und da hab ich sofort einen Job gekriegt und das hab ich dann gemacht. Ich habe mich weiterhin umgeschaut und habe dann das Angebot bekommen von der Susanne Weigelin-Schwiedrzik, die ja heute in Wien ist. Diese hatte dann hier einen Job bekommen und gefragt ob ich nicht mitwill. Ich meinte ok gut, probieren wir das mal. Und so bin ich nach Heidelberg gekommen. Das war 1989/90 in dem Wintersemester, also schon fast 30 Jahre her und da bin ich dann geblieben.

MM: Zu unserem Glück!

 

Interview: Mariana Münning

Redaktion: Lydia Rachel

 

Die weiteren Teile des Interviews finden Sie hier: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4.

 

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Letzte Änderung: 08.12.2020
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