Bayern - Berlin - Baikalsee: Brecht - Braun - Boveri

Vor kurzem wurde der 125. Geburtstag von Brecht gefeiert, die anderen beiden waren zwei Jahre jünger, das bedeutet: sie waren Kinder des Kaiserreichs, Jugendliche in Kriegszeiten, Erwachsene in der Weimarer Republik. Der ältere Herr war aus Augsburg, der jüngere aus Ismaning, die Dame aus Würzburg; nach dem Krieg gingen sie alle nach Berlin.  Braun lebte vorübergehend mit Olga Benario in Neukölln, Brecht soll in Wilmersdorf gewohnt haben. Brecht (1898-1956) schrieb Gedichte und Theaterstücke, Otto Braun (1900-1974) schrieb für die kommunistische Presse, Margret Boveri (1900-1975) für "liberale" Blätter.

 

Braun

Braun wurde in den zwanziger Jahren in Berlin verhaftet, konnte entkommen und floh dann in die Sowjetunion. 1932 reiste er mit dem Zug über Irkutsk nach China, wo er sich zunächst in Harbin aufhielt. 

In seinem Buch schrieb er: "Im Frühjahr 1932 absolvierte ich die Moskauer Frunse-Militärakademie [...]. Nach knapp zwei Wochen saß ich [...] bereits im transsibirischen Expreß, der mich nach der Grenzstation Mandschuria [Manzhouli] brachte. (S.8) 

[Der Journalist Egon Erwin Kisch fuhr etwa zur gleichen Zeit von Moskau Richtung Osten. In dem untenstehenden Buch heißt es: "Kisch im Frühjahr 1932: von Moskau mit der Transsibirischen Eisenbahn. Wie damals hält sie weit hinter dem herrlichen Baikal auch im fernöstlichen Tschita." (S.132)]

Nach ein paar Monaten in Harbin zog Braun 1933 nach Shanghai. (Braun und Kisch, die offenbar beide falsche Pässe benutzten, trafen dort getrennt voneinander den Agenten Richard Sorge, der für den gleichen Geheimdienst arbeitete wie Braun; beide waren evtl. damals Geldboten. Brauns plötzliche Reise nach China könnte durch einen akuten Notfall verursacht worden sein, Benario ging nach Südamerika.) 

Danach reiste Braun in die "Chinesische Sowjetrepublik" in Jiangxi und war 1934 und 1935 Teilnehmer des Langen Marsches. 1939 konnte er von Nordwestchina wieder in die Sowjetunion zurückkehren und lebte dort bis in die fünfziger Jahre. Die letzten 15 Jahre seines Lebens verbrachte er in der DDR und veröffentlichte seine Memoiren. Bayern hat er wohl nicht mehr besucht.

 

Boveri

Boveri hatte vor ihrer Fernostreise schon viele Länder besucht und war sehr unabhängig und vielgereist. Sie wollte von Moskau über Japan in die USA reisen, war weder Flüchtling noch Touristin, hatte ein eigenes Abteil. Während der Fahrt schrieb sie an einem Buchmanuskript. 

In ihrem späteren autobiographischen Buch, das vor allem auf Interviews beruht, schrieb sie: "Es wurden uns die Pässe abgenommen. Im August 40, der Krieg war schon ausgebrochen." (S. 336) 

Nachts in Harbin angekommen sprach sie mit einem jungen Mitreisenden: "Er war Student der Sinologie und fuhr nach China. Wir beide brauchten eine Unterkunft. Der Sinologe war durch seinen Lehrer, einen Professor, den ich seinerzeit auch in dem HAPAG-Büro Unter den Linden in Verzweiflung gesehn  hatte - dem fehlte eins der Durchreisevisen, der war also nicht mitgekommen -, bestens instruiert." (S. 344)

Danach ging es über Mukden (Shenyang) und Korea nach Japan. Im September reiste sie dann mit dem Schiff Richtung USA. (S.349)

 

TK 189

 

 

In Japan traf sie  die Journalistin L. Abegg, die über R. Sorge redete, der dort als Journalist und Agent tätig war - mit NSDAP-Mitgliedschaft und echtem Pass. Im folgenden Jahr wurde er verhaftet und dann hingerichtet. Boveri schrieb später darüber. 

Abegg war deutsch-schweizerisch, Boveri kam aus einer deutsch-amerikanischen Familie; beide hatten erstaunlich viel Sympathie für die Nazis und die japanischen Militaristen. Abegg schwärmte auch für Chiang Kaishek. (Braun soll Waisenkind gewesen sein.)

 

Brecht

Brecht besuchte schon Mitte der dreißiger Jahre Moskau und sah dort Mei Lanfang, der ihn sehr beeindruckte; in dieser Zeit plante er auch sein Projekt über die Frau in SEZUAN. In dem Text-Buch (s.u.)  steht:

"20.4.41: Der GUTE MENSCH ist inzwischen mit Matrizen vervielfältigt und verschickt worden.

August: Brecht fragt Kurt Weill, ob er das in Finnland abgeschickte Exemplar des Stücks erhalten habe." (S. 158)  Da in Berlin bis 1933 die Chinesinnen (aus Sichuan) Cheng Qiying und Hu Lanqi gelebt hatten, ist es möglich, dass Brecht sie getroffen hatte. link

Als Boveri schon über den Pazifik fuhr, bemühten sich Brecht und seine Frauen (Weigel und Berlau) in Finnland um die nötigen Dokumente für eine Reise in die Vereinigten Staaten. Nach einem Aufenthalt in Moskau konnten sie mit dem Zug nach Wladiwostok reisen. Stern schrieb: "Endlich, am 13.Juni 1941 läuft die schwedische 'SS Anni Johnson' nach den USA aus." (S. 109) "Läuft am 21. Juli im kalifornischen San Pedro ein."(S. 110)

Nach 1949 verbrachte Brecht seine letzten Lebensjahre in der DDR, auch Braun, der zunächst noch in der Sowjetunion blieb, ging später in den Osten Deutschlands  und wohnte einige Jahre in Berlin Mitte; Boveri lebte im Westen und schrieb gelegentlich für die FAZ. Boveri und Braun schrieben Bücher, beide behandelten darin den Sowjetagenten Richard Sorge. 

Brechts Stücke wurden häufig aufgeführt. 

 
Literatur:
 
Boveri: Verzweigungen, Frankfurt, 1996.
Braun: Chinesische Aufzeichnungen, Berlin, 1973.
Brecht: Der gute Mensch von Sezuan, Text und Kommentar, Frankfurt, 2003.
Haupt/Wessel: Kisch war hier, Berlin, 1985/1988.
Stern: Männer lieben anders, Reinbek, 2002.
 
Dr. Thomas Kampen
Zuletzt bearbeite von:: Joost Brokke
Letzte Änderung: 22.12.2023
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