Newsletter Februar 2010 Nr. 41

INHALT

Sinologe und selbstständig

Sinologe - was dann? Eine Möglichkeit ist der Schritt in die Selbstständigkeit. Wie dieser zu gehen ist, erklärten vier Experten beim SHAN-Workshop zum Thema Existenzgründung. Mit dabei war Dr. Kai Blanck, Berater für Stundenten an der Universität Heidelberg. SHAN hat ihn interviewt.

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Erzählen Sie mal ... Lena Henningsen

Vermutlich gibt es niemanden am Institut für Sinologie, der Lena Henningsen nicht kennt - steht sie doch als Fachstudienberaterin ratlosen Studierenden zur Seite, und sie hat auch schon zahlreiche Kurse unterrichtet. Aber wie sie zur Sinologie gekommen ist, was sie während ihres ersten Chinaaufenthalts erlebt hat, und was ihre Highlights im Studium und als Dozentin waren, wissen wahrscheinlich die wenigsten.

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London, Paris, Heidelberg - Vertreter aus Yangzhou auf der Job- und Praktikumsbörse

Kaffee kochen und kopieren - aber bitte in China! SHAN unterstützt Studenten bei der Suche nach Praktikumsplätzen, die mehr bieten als die eben genannten Aufgaben. So auch am 18. und 19. Januar, als chinesische Verteter aus Wirtschaft und Verwaltung in Heidelberg die Stadt Yangzhou vorstellten. Welche Möglichkeiten fürJobs und Praktika sich hierbei ergaben, lesen Sie im Artikel.

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Agent - Berater - Übersetzer: Otto Brauns Aktivitäten in China, der Sowjetunion und der DDR

Vor 110 Jahren wurde Otto Braun in Bayern geboren, vor 75 Jahren befand er sich in China auf dem langen Marsch. Vor 40 Jahren begang er in der DDR seine Aufzeichnungen zu veröffentlichen - der Originaltitel hieß: "Von Schanghai bis Yänan".

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Existenzgründungsworkshop: Interview mit Kai Blanck

“Ich studiere Sinologie…” – “…und was willst du später mal werden?” Die uns allen bekannte Frage, für die meisten Studenten die Frage der Fragen. Die Option Selbstständigkeit ist für die meisten Studenten, wenn auch nicht direkt im Anschluss an das Studium, dann immerhin als späterer Karriereschritt, attraktiv. Am 16. Januar 2010 kamen vier Referenten im Institut für Sinologie zusammen, um einen Einblick in das Thema “Existenzgründung” zu geben.

Dr. Kai Blanck vom Gründungsmanagement der Uni Heidelberg machte den Anfang und klärte uns zunächst über die Anforderungen an Existenzgründer auf: “Es bedarf keines BWL-Studiums um Existenzgründer zu werden, viel wertvoller ist ein kreativer Kopf und ein Team das sich gegenseitig in seinen Kompetenzen ergänzt”. Nachdem Frau Petra Kuhn vom Hochschulteam der Agentur für Arbeit Unterstützungen für Hochschulabgänger bei Existenzgründungen dargelegt hatte, übernahm Günther Teichert, beratender Dipl.-Volkswirt/Existenzgründungsberater und führte uns durch alle Phasen und Überlegungen einer Existenzgründung: Rechtsformen, Steuer, Marketing etc. Abschließend referierte Volker Oberkircher, M.A., Inhaber der Firma Madhyam Consulting. “So wie Herr Teichert es beschrieben hat, ist es richtig. Aber bei mir lief alles anders”, erklärte Herr Oberkircher. Mit einer großen Offenheit erzählte er von seinen Erfahrungen als junger Existenzgründer, von seiner Strategie, von dem “Gewusst wie”. An dem Seminar aus der Reihe “Sinologie in den Beruf” nahmen 27 Studenten teil.

Dr. Kai Blanck studierte Forstwissenschaften mit den darin inbegriffenen Fächern BWL und VWL. In der Zeit von 2005 bis 2008 war er Gründungsmitglied und auch Geschäftsführer eines Unternehmens, das sich mit nachwachsenden Rohstoffen beschäftigte. Nachdem er von 2001 bis 2008 an der Universität Göttingen als Gründungsberater tätig war, wechselte er Anfang 2008 an die Universität Heidelberg, wo er unter anderem das Projekt semesterbooks.de betreut.


SHAN: Herr Blanck seit wann berät die Uni Heidelberg in Gründungsfragen?

Kai Blanck: Das Gründungsmanagement gibt es seit 2006. Zeitweise wurde es von UniTT (Technologietransfer) betreut. Seit 2004 verfügen wir über ein UniTT-Gründerzentrum. In Zusammenarbeit mit der Heidelberger Gewerbeimmobilien GmbH wurde es ermöglicht das Gründer das erste Jahr dort mietfreien Raum zur Verfügung gestellt bekommen können. Zur Zeit sind dort zwar alle Räume belegt, aber wenn Gründer zu uns kommen und Raumbedarf besteht dann versuchen wir geeignete Räume zu finden, zum Beispiel auch über den Technologiepark, zu dem ebenfalls eine Partnerschaft besteht.


In welcher Phase einer Gründung kommen die Gründer zu Ihnen?

Das ist ganz unterschiedlich. Manche kommen mit einer ganz ungenauen Idee und wollen sich nur erkundigen. Manche kommen, wenn sie eigentlich schon gegründet haben und Fördergelder oder dergleichen beantragt werden sollen. Der ideale Ablauf wäre folgendermaßen: Wir machen eine Informationsveranstaltung, wie zum Beispiel bei Ihnen im Institut für Sinologie, daraufhin kommen die Studenten auf eine Gründungsidee, sie entwickeln die Idee weiter und kommen dann zu mir und lassen sich beraten. Gemeinsam überlegen wir dann, welche Fördermaßnahmen es gibt, welche anderen Programme aus denen Geld beantragt werden kann, welche Gründerwettbewerbe in Frage kämen, wo es sich anbieten würde teilzunehmen. Dann wird ein Businessplan entwickelt und sich der Raumfrage angenommen. Und irgendwo dazwischen kommt die Gründung selbst. Aber in Realtität laufen die Sachen durcheinander ab, einige kommen zu Schulung, obwohl sie schon seit Jahren gegründet haben und andere bringen den Businessplan bereits fertig mit. Das ist ganz unterschiedlich. In manchen Fällen geht es auch darum geeignete Partner zu finden um das Gründerteam interdisziplinär aufzustellen. Speziell bei den Naturwissenschaftler, wo die Projekte oft von einer anderen Größenordnung sind, fehlt oft die kaufmännische Kompetenz, die wir dann nach Möglichkeit dort hineinzubringen versuchen.


Empfinden Sie die Heidelberger Studenten denn als sehr gründungsfreudig?

Das Interesse ist von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlich. Die Zahlen hängen aber auch sehr stark vom Arbeitsmarkt ab. Sie verlaufen meist gegenläufig zur Konjunktur. Auch jetzt wird wieder erwartet dass die Gründungszahlen hochgehen, weil unsere Absolventen Schwierigkeiten haben auf dem Arbeitsmarkt eine Stelle zu finden. Aber ob es tatsächlich wieder so sein wird, wie ich es vor 5 Jahren in Göttingen bereits erlebt habe, ist zu beobachten.


Welche Arten von Gründungen wiegen in Heidelberg vor?

Wir haben einen Schwerpunkt bei den LifeSciences: Medizin, Medizintechnik und alles was dazugehört. Weitere Gründungen kommen häufig aus der IT, wenn man alles rund um Software, Datenbanken etc. dazuzählt. Es ist allerdings nicht nur in Heidelberg, sondern auch an vielen anderen Universtitäten so, dass viele Gründungsideen gar nicht so sehr aus dem Studium kommen, sondern eher von dem, was man zu Hause als Hobby macht. Und da gibt es eben viele Leute, die sich mit Computern, Netzwerken, Software, Blogs und ähnlichem auseinandersetzen. Unsere letzte Gründung beispielsweise die semesterbooks.de haben aus eigener Betroffenheit die Idee gehabt eine Homepage für den Gebrauchtbuchhandel von Studentenliteratur aufzubauen, weil es Ihnen zu teuer war, all die Lehrbücher Semester zu Semester neu zu kaufen. Da war der eigene Bedarf der Anstoß zu Gründung, gar nicht so sehr das VWL-Studium.


Was passiert, wenn eine Gründung fehlschlägt?

Bestandteil der Vereinbarung mit der Heidelberg Gewerbeimmobilien GmbH ist, dass wir sehr kurze Kündigungsfristen haben. GründerInnen können von jetzt auf Ende des Monats aufhören, wenn sie merken, dass es wirklich dringend ist.


Passiert das oft?

Nein, bisher gibt es ganz wenige Abbrüche. Im Allgemeinen ist die Abbrecherquote in Deutschland zwar sehr hoch, aber bei den Gründungen aus der Hochschule ist sie wesentlich geringer. Sie liegt bei unter 10%. Gründe dafür sind natürlich, dass Studenten gelernt haben, sich in eine neue Materie einzuarbeiten und hoffentlich auch, dass ich sie entsprechend berate.


Kommt es manchmal vor, dass Studenten mit bestimmten Ideen zu Ihnen kommen und sie daraufhin von der Gründung abraten?

Direkt ablehnen werde ich die Ideen nicht. Es kommt aber vor, dass ich zum nächsten Beratungstermin bestimmte Aufgaben oder Anforderungen stelle, beispielsweise die schriftliche Fixierung der Idee auf einer Seite. Dabei stellt sich heraus, dass die Idee noch nicht ausgereift ist oder dass noch keine Angaben zum Markt oder den Wettbewerbern gemacht werden können, Wenn es da auf dem Weg zu einem schriftlichen Geschäftskonzept überhaupt nicht weitergeht, weil bestimmte Fragen nicht beantwortet werden können, dann hört die Beratung auf.


Welche sind die ersten wichtigsten Fragen, die ein Gründer beantworten sollte?

Die wichtigste Frage ist: Wer sind meine Kunden? Mann muss wissen was die Zielgruppe ist. Außerdem sollte man in der Lage sein das Gründungsprojekt einem Laien verständlich zu beschreiben. Viele Wissenschaftler sind so sehr in Ihrer Fachwelt eingebunden, dass sie Schwierigkeiten haben einem Außenstehenden verständlich klarzumachen, worum es in dem Geschäft geht. Wichtig ist das vor allem bei der Suche nach Geldgebern.

Sind die ersten Vorbereitungen gut gelaufen wird das Projekt dem Gründerverbund Heidelberg vorgestellt oder ich empfehle die Teilnahme an Gründerwettbewerben, die oftmals wesentlich zur Qualitätsverbesserung des Businessplans beitragen.


Wann und wo können die Studenten sich von Ihnen beraten lassen?

Ich vergebe Termine nach Vereinbarung entweder telefonisch unter 06221-543932 oder per E-Mail an kai.blanck@zuv.uni-heidelberg.de.


Vielen Dank für das Gespräch!


Das Interview führte Hanni Truong

 

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Erzählen Sie mal, Frau Henningsen!

 

Vermutlich gibt es niemanden am Institut für Sinologie, der Lena Henningsen nicht kennt – steht sie doch als Fachstudienberaterin ratlosen Studierenden zur Seite, und sie hat auch schon zahlreiche Kurse unterrichtet. Aber wie sie zur Sinologie gekommen ist, was sie während ihres ersten Chinaaufenthalts erlebt hat, und was ihre Highlights im Studium und als Dozentin waren, wissen wahrscheinlich die wenigsten. 

 

SHAN: Hallo Lena. Wie bist Du eigentlich zur Sinologie gekommen?

Lena Henningsen: Ich war ein klassischer orientierungsloser Abiturient – ich hatte eine diffuse Vorstellung, dass ich noch eine Sprache lernen wollte, konnte mich ansonsten nicht entscheiden zwischen Geschichte, Literatur, Politik und Philosophie. Da bot sich Sinologie doch sehr an – das Fach bietet eine Sprache, die in meiner Familie noch keiner kannte, und keine disziplinäre Festlegung. Ich habe dann in Berlin an der Humboldt-Uni angefangen und habe das Propädeutikum dazu genutzt, querbeet den restlichen Fächerkatalog auszuprobieren, ehe ich mich für die Nebenfächer Musikwissenschaften und Politologie entschied.

 

Wann warst Du das erste Mal in China und was waren Deine Eindrücke?

Das war 1998, nach dem Propädeutikum, ich bin mit einer Kommilitonin rüber gefahren. Was uns im Nachhinein aufgefallen war: Wir sind nach China gefahren, ohne eine bestimmte Erwartung zu haben, wie China wohl sein würde. Daher sind wir auf der einen Seite natürlich etwas blauäugig durchs Land gereist, auf der anderen Seite konnten wir, dadurch, dass wir keine Vorerwartungen hatten, alles auf uns zukommen lassen und wahrnehmen.

Unser einziges richtiges Handicap: irgendwie waren wir nicht bis zu der Lektion mit dem Essen gekommen. Am Anfang ging das Essenbestellen dann auch mehr mit Händen und Füßen. Wir haben natürlich nicht immer das serviert bekommen, was wir dachten, bestellt zu haben, aber lecker war es immer. Und wir hatten eine enorm steile Lernkurve.

In welcher Stadt warst Du zum Studium?

Nach der Zwischenprüfung war ich ein Jahr in Nanjing. Im Juli ist es dort zwar extrem heiß, aber Nanjing war eine tolle Stadt zum Studieren, denn auf der einen Seite gibt es dort zwar auch andere Ausländer,  aber es war relativ leicht aus dieser Ausländer-Ghettoisierung heraus zu kommen. Das ist etwas, was ich den Heidelbergern gerne mit auf den Weg gebe. Wenn man sich entscheidet, auf eigene Faust nach China zu gehen, sollte man sich fragen: „Will ich wirklich in eine ganz große Stadt oder will ich ‚nur‘ in eine Provinzhauptstadt gehen? Oder will ich vielleicht in eine ‚richtig kleine‘ Stadt?“ Das sind ja in China oft auch noch Millionen-Städte , aber man kann dort noch ganz andere Erfahrungen machen, denn für eine Reihe Leute ist man dort doch immer noch der erste Ausländer. Das ist etwas, was einem in Shanghai und Beijing heute nicht mehr so passiert. Eine Freundin von mir hat es das „Marsmännchensyndrom“ genannt: Sie kam dann nach Deutschland zurück und hat sich gewundert, dass sich auf einmal die Leute nicht mehr nach ihr umgedreht haben. Das kann einem natürlich auch auf die Nerven gehen, aber man erlebt eben ein ganz anderes China. Das würde ich mir überlegen, bevor ich nach China gehe, denn das sind Faktoren, die dieses Jahr ganz anders machen.

Ich würde mir auch im Vorfeld überlegen, was man unternehmen kann (oder will), um einer Ausländer-Ghettoisierung zu entgehen und chinesische Freunde zu finden. Deshalb würde ich auch versuchen, in China die Hobbys aus Deutschland weiterzumachen. So lernt man Leute kennen, die die eigenen Interessen teilen – mit denen man jenseits von Sprachaustausch einfach auf einer Wellenlänge ist.

Was war Dein bester Kurs, als Studentin und als Dozentin?

Gute Frage, mein bester Kurs als Studentin… Ich habe wahnsinnig viel gelernt in den Kursen von Andrea Janku, die eine unglaublich gute Lehrerin ist und jetzt in London an der SOAS unterrichtet. Zum einen ein Lektürekurs, zum anderen ein Rezensionskurs zur Sozialgeschichte der Qing-Zeit. In diesem Kurs war Andrea so wagemutig anzubieten, eine Vorabversion der Hausarbeit zu korrigieren. Das war für mich etwas ganz Neues. Normalerweise bekommt man ja die Hausarbeit ein halbes Jahr, nachdem man den Kurs gemacht hat, zurück. Man liest sich die Kommentare dann durch und denkt sich „ja fein, ja, ja …“ Aber bei diesen Kommentaren war ich gezwungen, mich damit auseinanderzusetzen, um das dann in der Endversion umzusetzen. Das sollte man didaktisch viel mehr nutzen. Manche Sachen sind natürlich Quatsch, die ein Dozent hinschreibt, ich nehme an, das gilt auch für Dinge, die ich den Studierenden in die Arbeiten hineinschreibe. Aber aus so einer Auseinandersetzung damit, kann man, wie ich finde, sehr viel lernen. Letztlich ist das auch ein erster Schritt hin zu einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung, denn dort geht es ja auch darum, sich mit den Argumenten und Gegenargumenten auseinanderzusetzen, die es zu einem Thema gibt.

Einen weiteren Super- Kurs habe ich bei Peter Hoffmann gemacht, als ich schon längst keine Scheine mehr brauchte. Das war ein Kurs zum literarischen Übersetzen, in dem wir taiwanesische, avantgardistische Gedichte übersetz haben, die später auch in einem Buch veröffentlicht wurden. Ich denke, das sind so die Highlights aus meinem Studium. Ich hoffe, dass ich nichts vergessen habe.

Und Dein bester Kurs als Dozentin?

Ich habe ja eine Reihe von Kursen angeboten, die kein gutes Preis-Leistungsverhältnis waren, was den Zeitaufwand für einen Schein angeht. Was mir sehr viel Spaß gemacht hat waren die Schnelllesekurse, die ich vor ein paar Jahren unterrichtet habe. Da ging es darum, in einer Woche so zwischen 40-60 Seiten chinesischen Text zu beackern. So einen Kurs zu besuchen ist natürlich nicht sinnvoll, wenn man schnell und ohne Widerstände durchs Studium gehen will. Aber es ist ein bisschen wie Marathon-Training: ist man erst einmal am Ziel, fühlt man sich unglaublich gut, und man wird ja in der Regel mit neuen Fähigkeiten belohnt – dass man von nun an mit einer gewissen Souveränität auch längere Texte angeht.

Aber das absolute Highlight war vor zwei Jahren für mich der Kurs zum literarischen Übersetzen. Ein bisschen habe ich mich da ‚inspirieren‘ lassen von dem Kurs von Peter Hoffmann. Das Ziel des Kurses war, die Texte so zu übersetzen, dass sie nachher richtig veröffentlicht werden konnten. Das auf der einen Seite ein Ansporn, auf der anderen Seite bedeutet das natürlich viel Arbeit – für alle Beteiligten.

Wir haben uns dann im Zweiwochenrhythmus für 4 Stunden getroffen und pro Sitzung zwischen 30 und 40 Seiten chinesischen Text besprochen. Jeder Text wurde während des Semesters zweimal diskutiert: erst eine Rohversion, die möglichst dicht am Original war; dann eine Version, die zwar noch gebunden war an den Originaltext, sich aber schon ein bisschen von diesem löste. Ziel für die Endversionen (also die Hausarbeiten, die dann nach dem Semester entstanden) war es, einen im Deutschen gut lesbaren Text zu machen, der von den Stilebenen dem Original gerecht wird, der aber auch ein deutsches Lesepublikum anspricht. Das war ein absolut gigantischer Kurs. Wir haben alle ziemlich hart gearbeitet, ich habe aber noch nie einen so kollegialen Kurs erlebt: die Studierenden haben ja nicht nur ihre Übersetzungen erstellt, sondern die Texte der Kollegen korrigiert und Verbesserungsvorschläge gemacht. Der Kurs hatte sehr starken Werkstattcharakter – weil es uns um ein gemeinsames Projekt, nämlich eine Buchveröffentlichung, ging. Leider  kann man solche Kurse nicht so häufig anbieten, einfach weil sie für den Dozenten dann doch noch geringfügig mehr Arbeit bedeuten als für die Studenten.

Mit welchen Themen beschäftigst Du Dich denn gerade im Cluster?

Wir haben gerade ein Projekt laufen, Rethinking Trends, das aus unserer Doktorandengruppe entstanden ist. Hier geht es darum, wie globale Trends wandern, wie sie sich dabei ändern – und wie sie möglicherweise die Gesellschaften ändern, in die sie auf ihren Reisen kommen. In meinem Teilprojekt geht es um Trends in der chinesischen Essenskultur – ich interessiere mich dafür, wie all die Essensketten wahrgenommen werden, die gerade in China „in“ sind: Warum gehen die Leute also zu Starbucks, und was bedeutet das für sie?

Bleibst Du uns erhalten als Dozentin?

Ja, ich hoffe doch sehr. Schon auch, weil es hier wirklich viele unglaublich nette, schlaue und motivierte Studierende gibt. Da macht das Unterrichten einfach Spaß. Ich denke, Kurse wie diesen Übersetzungskurs oder auch die Schnelllesekurse kann man nicht an jedem beliebigen Institut anbieten. Aber die Motivation und die Bereitschaft, sich für Dinge einzusetzen, beschränkt sich ja nicht nur auf den Unterricht, ich empfinde SHAN auch als etwas ganz Besonderes: nicht nur dass der Verein im Wesentlichen von den Studierenden getragen wird – auch die Idee dazu und ihre Umsetzung kam ja aus der Mitte der Studentenschaft.

Hattest Du früher einen anderen Traumberuf? Was wäre aus Dir geworden, wenn Du nicht Sinologin geworden wärest?

In der Grundschule war jedenfalls Pirat mein Traumberuf.

Deshalb wohl auch die Produktpiraterie als Forschungsgebiet?

Ja eigentlich passt das ganz gut – eine Art Seitenwechsel. Meine Freundin und ich hatten uns damals auch schon unseren Lieblingsbadesee als Revier ausgesucht. Der hat eine kleine Insel in der Mitte, das schien uns geeignet als Rückzugsgebiet. Wir hatten auch schon mal Konstruktionspläne für unser Boot gezeichnet, aber irgendwann hat sich das dann wohl verflüchtigt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Sylvia Schneider

 

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London, Paris, Heidelberg – Vertreter aus Yangzhou zu Besuch am Neckar

Am 18. und 19. Januar durfte sich Heidelberg über den Besuch einer Delegation aus Yangzhou freuen. Sechzehn Vertreter aus Wirtschaft und Verwaltung hatten sich auf den Weg nach Europa gemacht, um ihre Stadt zu größerer Bekanntheit zu bringen und ausländische Arbeitskräfte anzuwerben. Nach London und Paris kamen die Delegierten auch an den Neckar.

Yangzhou ist eine 4,5-Millionen-Stadt in der Provinz Jiangsu (6634 km2, BIP 15,8 Mrd. EUR). Sie ist in den vergangenen Jahren aufgeblüht, wirtschaftlich aber auch kulturell. Einst erlangte die Stadt Bedeutung und Bekanntheit durch ihre Lage am Kaiserkanal. Yangzhou war Drehscheibe für den Salzhandel und stieg so zu einer der wohlhabendsten Städte Chinas auf. Vom alten Glanz zeugt heute eine der am besten erhaltenen Altstädte Chinas, die als Weltkulturerbe anerkannt ist.

Nach ihrer Ankunft am 18. Januar lernten die Delegationsmitglieder zunächst die Heidelberger Altstadt kennen. Beim anschließenden Abendessen im “New Shanghai” nahmen auch Mitglieder des SHAN-Vorstandes teil. Es bot sich die Gelegenheit, in ungezwungener Atmosphäre mit den Gästen aus Yangzhou ins Gespräch zu kommen. Neben dem allgemeinen Austausch und Erzählungen über Europa und China wurde schließlich auch die Reisemotivation der Yangzhou-Vertreter angesprochen: das Anwerben hoch qualifizierter ausländischer Fachkräfte. Für SHAN war natürlich vor allem die Frage von Bedeutung, ob auch Geisteswissenschaftler zur Zielgruppe der Delegation aus Yangzhou gehören; ferner, ob neben Absolventen auch Studenten eine Chance haben, ein Praktikum zu machen.

Die Antwort war erfreulich positiv. Für Sinologen könnten sich unter Anderem Praktika in der Sprachlehre an einer von mehreren Universitäten Yangzhous oder für Übersetzungs- und Dolmetschtätigkeiten in den Unternehmen vor Ort ergeben. Forum für dieses Thema bildete die Jobbörse am folgenden Tag. Der Empfang am 19. Januar begann gegen 16 Uhr in den Räumen des Heidelberger Völkerkundemuseums. Das Publikum war zahlreich und bestand hauptsächlich aus deutschen und chinesischen Studierenden der Region; die Veranstaltung war außer in Heidelberg auch in Mannheim und Ludwigshafen bekannt gemacht worden.

Die Eröffnungsrede hielten Zheng Yao und Sabine Hieronymus (SHAN-Alumni-Team), die Organisatoren vor Ort (beide Mitglieder der China-Initiative Heidelberg e.V.). Sie brachten ihre Freude über den Besuch aus Yangzhou zum Ausdruck sowie die Hoffnung auf eine dauerhafte künftige Zusammenarbeit zwischen Yangzhou und der Stadt am Neckar. Dann trat WU Fang ans Mikrophon, Vizedirektorin des Personalbüros der Stadt Yangzhou. Frau WU bedankte sich herzlich für den Empfang in Heidelberg und lud alle Interessenten ein, Stellenangebote aus Yangzhou wahrzunehmen und die Stadt am Kaiserkanal zu besuchen.

Mit der Eröffnung des Buffets verteilten sich Delegationsmitglieder und Studierende auf die Räumlichkeiten und der Austausch wurde in vielen kleinen Gesprächsrunden fortgesetzt. Im Hintergrund zeigte eine Foto-Präsentation Bilder von Yangzhou und seinen neuen Industrie- und Technologiebezirken. Glasfassaden, Büroräume und Werkhallen mischten sich mit Impressionen vom Kaiserkanal und den Parkanlagen zu seinen Ufern. Vertreter örtlicher Betriebe sowie Mitglieder der Tourismusabteilung standen für Fragen bereit. Frau Wu und ihre Kollegen nahmen freundlich Bewerbungen auf und verteilten Kontaktformulare und Informationsmaterial an Interessierte.

Die Mitglieder von SHAN freuten sich erneut zu hören, dass die Stadt Yangzhou auch durchaus an deutschen Praktikanten Interesse habe und nicht nur für Ingenieure und Naturwissenschaftler, sondern auch für Studenten der Sinologie Stellen zu finden seien. Kandidaten können die entsprechenden Kontaktformulare ausfüllen und zusammen mit ihren Bewerbungen an die zuständigen Stellen in Yangzhou weiterleiten lassen.

Das Team Unternehmenskontakte ermutigt jeden Interessenten, sich zu bewerben und ist gern bei der Weiterleitung behilflich. Ein Praktikum in Yangzhou scheint sich schon allein zu lohnen, weil es die schöne Gelegenheit bietet, chinesische Normalität und das chinesische Arbeitsleben vor den Kulissen einer alten Kaiserstadt kennenzulernen.

Lena Hessel

 

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Agent – Berater – Übersetzer: Otto Brauns Aktivitäten in China, in der Sowjetunion und in der DDR

Vor 110 Jahren wurde Otto Braun in Bayern geboren, vor 75 Jahren befand er sich in China auf dem langen Marsch, vor 40 Jahren begann er in der DDR seine Aufzeichnungen zu veröffentlichen – der Originaltitel hieß: “Von Schanghai bis Jänan”.

Kommunist und Journalist

Nur wenige Monate vor sei­ner Ab­rei­se in das Sowjet­ge­biet von Jiang­xi traf der deutsche Kom­mu­nist Otto Braun im Frühjahr 1933 in Peking zum ersten Mal den amerikanischen Journa­listen Ed­gar Snow (1905-1972), kurz nach dem Langen Marsch begegneten sie sich wieder. Hätte Braun seine Beo­bach­tun­gen vor und während des Langen Marsches noch in den dreißi­ger Jah­ren ver­öf­fent­licht, dann wä­re er wohl welt­be­rühmt ge­wor­den. Der im Jahr 1900 in der Nähe von München geborene Braun war schließ­lich an den inner­partei­lichen Auseinandersetzungen der chi­nesischen KP und den Kämpfen der Roten Armee, die Snow nur aus Erzählungen kann­te, persönlich beteiligt gewesen. Wäh­rend Snows “Red Star over China” je­doch schon 1937 erschien und schnell ein Best­seller wurde, verfasste Braun nach sei­ner Rück­kehr aus China nur einen Rechen­schafts­bericht für seine Moskauer Arbeit­ge­ber, der über Jahrzehnte der Öf­fent­lich­keit vor­ent­hal­ten blieb. Während Snow noch meh­re­re Rei­sen nach China unternahm und da­rü­ber zahl­rei­che Bücher schrieb war Brauns Ab­schied 1939 endgültig. Er konnte sich, wie er im Epilog der “Chine­si­schen Auf­zeich­nungen” zugab, “lange Jahre hindurch nicht mehr mit der chi­ne­sischen Problematik befassen. Auch wurde mir nahegelegt, über Erlebnisse und Beo­bach­tun­gen in Chi­na Stillschwei­gen zu be­wah­ren. Dieses Schweige­gebot hielt ich strikt ein.”

Wie kam es nun noch 1973 – ein Jahr vor dem Tod des Autors – zur Veröffentli­chung der “Auf­zeich­nungen”? Hierzu und zur Aufhe­bung des “Schweige­gebots” macht Braun im Epi­log kei­ne genauen An­gaben, erwähnt je­doch wie er – genau ein Viertel­jahr­hundert nach seiner Ab­rei­se aus China – sein Schwei­gen brach: “Erst 1964, als die antisozia­listi­sche, anti­sowje­ti­sche Politik der maoisti­schen Füh­rungs­grup­pe aller Welt sichtbar war, trat ich mit einem Ar­ti­kel ‘In wessen Na­men spricht Mao Tse-tung?’, der im Zentral­or­gan der SED, ‘Neues Deutsch­land’, erschien, an die Öf­fent­lich­keit.” Hier wird deutlich, dass Braun, der in den fünf­zi­ger Jah­ren einer der erfahrensten Chinaexperten in der SED war, erst zu einer Zeit für seine Partei sprechen durfte, als die Be­zie­hun­gen zu den chinesischen Kom­munisten an einem Tief­punkt angelangt wa­ren.

Berater und Dolmetscher

Ein Schlüssel­erlebnis war sicherlich der Sechste Par­tei­tag der SED im Januar 1963 als die KP Chinas ausgerechnet durch Brauns früheren Dol­metscher Wu Xiu­quan (1908-1997) – inzwi­schen stellvertretender Leiter der Ab­tei­lung für In­ter­na­tio­na­le Ver­bin­dun­gen – ver­treten wurde. In seinen “Auf­zeich­nungen” schreibt Braun allerdings, dass er Wu Xiu­quan nur “von weitem” sah, offenbar kam es zwi­schen den beiden Männern, die sich seit 1933 kannten, zu keinem direkten Gespräch.

Mit dem Ausbruch der Kul­tur­re­vo­lu­tion, in der Wu Xiu­quan unter anderem wegen seiner Dol­metscher­tätig­keit in den dreißi­ger Jah­ren kri­ti­siert und abgesetzt wurde, wuchs das In­teres­se der SED-Führung an Braun, da die­ser nicht nur den Aufstieg Mao Ze­dongs mit­er­lebt hatte, son­dern auch dessen neuen Stell­vertreter Lin Biao und andere Parteiführer per­sönlich kann­te. Am 10. No­vem­ber 1966 führ­ten Her­mann Ma­tern und Her­mann Axen, die zu der Zeit dem Politbüro angehörten, ein längeres Gespräch mit Braun in dem schon zu Beginn eine direkte Ver­bin­dung zwi­schen dem Lan­gen Marsch und der Kul­tur­re­vo­lu­tion fest­ge­stellt wurde: “Die gegen­wär­ti­ge Politik der chinesi­schen Führer hat so­ziale und histo­ri­sche Ursachen, die bis in die 30er Jahre rei­chen.” Während Braun in den fünfziger Jah­ren für die Freund­schaft zwi­schen den chine­si­schen, sowje­ti­schen und deutschen Kom­mu­nisten eher eine Be­lastung war, galt er seit Mitte der sech­ziger Jah­re als ein China­experte, der in der Lage war, die von der SED- Führung mit Unver­ständ­nis (und Schrecken) beobachtete kultur­re­volu­tio­näre Ent­wick­lung Chinas und den “wahren Cha­rak­ter” des Maoismus zu er­klä­ren. Hier­mit erhöhte sich der Wert seiner – zu­nächst unge­druckten – Erinnerungen.

Zur intensiveren Erfor­schung der innerchinesischen Entwicklung und überzeugenderen Darstellung der Haltung der Sowjet­union und ihrer Verbündeten wurden mit der Spaltung des sozialistischen Lagers die wissen­schaft­lichen Kontakte verstärkt und in den ost­euro­päischen Haupt­städten wie­der­holt Konferen­zen zur China­for­schung durch­ge­führt. In einem Bericht über eine Kon­fe­renz, die im Januar 1969 in Berlin statt­fand, heißt es: “Großen Eindruck hin­ter­ließ ein qua­li­fi­zierter Vortrag des Genossen Otto Braun, der über seine Tätigkeit als Berater im Auf­tra­ge der KOMINTERN in den Jahren 1932 – 1939 in Chi­na berichtete. Die sowje­ti­schen Ge­nos­sen legten großen Wert da­rauf, daß Ge­nos­se Braun auf der Bera­tung spricht, weil er der einzige ausländi­sche Teil­nehmer am Lan­gen Marsch und Augen­zeu­ge der soge­nann­ten er­wei­ter­ten Po­lit­bü­ro­sitzung in Dsunyi  [Zunyi]  im Jah­re 1935 war, auf der Mao Tse-tung mit Un­ter­stützung von Lin Bjao die Macht in der KP China an sich riß.” Wichtig ist hierbei der Hin­weis darauf, dass das Interes­se an Braun bei den “sowjeti­schen Ge­nos­sen” am stärksten war, vor allem wenn in Betracht gezogen wird, dass wohl auch das er­wähn­te “Schweige­gebot” ein sowje­ti­sches war. Außerdem taucht in diesem Bericht der Be­griff “Reha­bi­li­tierung” auf, der in Brauns Buch später nicht erwähnt wird. Im Epilog steht die Behauptung, dass er in der Sowjet­union keinen Einschrän­kungen seiner “per­sönlichen Freiheit oder gar Repressalien un­ter­worfen” gewesen wäre. Dann folgt jedoch: “Trotzdem wirkten sich natürlich die von Mao Tse-tung gegen mich insze­nierte Hetze und ihre Folge­erschei­nun­gen auf mein ganzes weiteres Leben aus.” Auffällig ist im­mer­hin, dass der schon 1919 der KPD bei­ge­tre­te­ne Braun auch nach einem halben Jahr­hundert noch keine wichti­gen Ämter inne hatte; in den fünf­ziger Jahren war er vor allem als Über­setzer und Redakteur tätig gewesen.

Autor und Redner

Diese Konfe­renz und sein Vortrag “Über einige historische Ursachen der gegen­wärtigen Po­li­tik Mao Tse-tungs” hatten aller­dings für Braun wichtige Kon­se­quen­zen: noch 1969 wur­de er wis­sen­schaft­li­cher Mitarbeiter des In­sti­tuts für Gesell­schafts­wis­sen­schaf­ten beim ZK der SED und dazu aufge­fordert, sei­ne Erin­ne­run­gen nie­der­zu­schrei­ben. Im gleichen Jahr konn­te er in der Artikel­serie “Von Shang­hai bis Jänan” in der Zeitschrift “horizont” zum ersten Mal ei­nem breite­ren Publi­kum von seinen Erleb­nis­sen in China berichten. Schon die ersten Sätze ver­deut­lichen den zeitlichen Hintergrund und Brauns Einstellung: “Die Schüsse am Us­su­ri, dem fern­östli­chen Grenz­strom zwi­schen Chi­na und der So­wjet­union, sind ver­hallt. Die­se unge­heuerli­che sowjet-feind­liche Pro­vo­ka­tion hat die ganze Welt erregt. Die Im­pe­ria­li­sten, allen voran die Regie­rungen in Wa­shing­ton und Bonn reiben sich schaden­froh die Hän­de.”

In den folgen­den Jahren ent­stan­den dann die “Chi­nesi­schen Auf­zeich­nungen”, die 1973 im Dietz Verlag erschienen. Im Epilog des knapp vierhundertseitigen Werks erklärt der Autor noch einmal unmissverständlich: “Die Auf­zeich­nungen sind von mir als Waffe gedacht, die der Entlarvung der maoistischen Geschichts­fäl­scher und dem politisch-ideolo­gi­schen Kampf gegen den Maoismus dienen soll.” Eine weitere Bemerkung erklärt nicht nur viele Mängel seines Buches sondern auch einen der wich­tigsten Gründe für sein Scheitern in China: “Die Einstellung zur Sowjetunion habe ich zeit­lebens als Prüfstein für jeden Kom­munisten, ganz gleich welcher Nationali­tät und in wel­cher Si­tua­tion, betrachtet. Davon habe ich mich auch in Chi­na leiten lassen und die In­teres­sen des Sowjetvolkes, die sich in der Po­li­tik der Sowjet­regierung verkör­perten, so gut ich es verstand und vermochte, in völliger Iso­lie­rung und unter schwierigsten Ver­hält­nissen, stets verfochten.”

Die “Auf­zeich­nun­gen” waren trotz jahrzehn­te­lan­ger Verspätung relativ erfolgreich. Schon bald wur­den – wie vorher geplant – Übersetzungen in russischer und in an­deren osteuropäischen Sprachen ver­brei­tet. (1973 wur­den in Moskau auch die sogenannten “Wladimirow -Tage­bücher” ver­öf­fent­licht, die zeitlich an die “Auf­zeich­nun­gen” an­schlos­sen und ähnlichen Zwecken dienten; drei Jahre spä­ter brachte der Dietz Verlag die deutsche Übersetzung “Das Sondergebiet Chinas” he­raus). 1980 er­schien Brauns Werk auch auf Chinesisch, wurde jedoch zunächst nur einem kleinen Kreis von Spezia­listen zur Verfügung gestellt; Massen­auflagen wie bei den chi­ne­si­schen Aus­gaben von Snows Werken waren wohl nicht er­wünscht. Inzwischen sind jedoch Neu­auflagen und zahlreiche Aufsätze, sowie min­destens ein umfang­reiches Buch über Braun in China er­schienen. Nach heftiger Kri­tik in frühe­ren Jahren gibt es inzwischen auch posi­tive Äußerungen zu Braun, selbst Wu Xiu­quan veröffentlichte 1987 noch einige freund­lichere Bemerkungen über ihn. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Be­zie­hun­gen zwischen China und der DDR schon stark verbessert.

Amerikanische und sowjetische “Agenten”

Otto Braun starb 1974 und hat von dem Erfolg seines Buchs nicht mehr viel erlebt; nur wenige Jahre zu­vor war Ed­gar Snow gestorben, den Braun als “Ge­heim­agenten der USA” beschrieb, während er bei dessen Frau Helen Snow und bei Agnes Smed­ley “trotzkistische Neigungen” feststellte. Interessant sind jedoch einige Parallelen, denn Snow und Braun beka­men beide nach ihrer Rückkehr aus China Schwie­rig­keiten. In den fünfziger Jahren wurde Snow Opfer der chinesisch-amerikanischen Feindschaft, während Braun wegen der Freundschaft zwi­schen China, der Sowjetunion und der DDR zunächst zum Schweigen verurteilt war. Anfang der siebziger Jahre konnte Snow dann zur Ver­bes­serung der Bezie­hun­gen zwischen China und den USA bei­tragen, während Braun mit seinem Kampf gegen den Maoismus schließlich die offizielle Unterstützung der Führung der KPdSU und SED erlangte.

Dass Braun kurz vor seinem Tod die “Auf­zeich­nun­gen” veröffentlichte, bedeutete allerdings nicht, dass er das anfangs erwähnte Schweige­gebot nun vollkommen ignorierte – viele wichtige Details blieben weiterhin unerwähnt. Die wichtigsten Probleme sind hierbei: wer schickte ihn nach China und was waren seine Aufgaben? Inzwischen ist bekannt, dass er nicht von einer Kommunistischen Partei oder der Kommunistischen Internationale nach Ostasien geschickt wurde, sondern vom der sowjetischen Armee; es ging dabei um Spionage. Er traf in Shanghai unter anderem die Agenten Richard Sorge und Ruth Werner – darüber ist in seinem Buch nicht viel zu finden. Als Ruth Werner drei Jahre nach Brauns Tod ihr Buch “Sonjas Rapport” veröffentlichte, erwähnte sie, dass sie 1932 in Shanghai nicht nur Richard Sorge und Otto Braun traf, sondern auch Brauns Frau, die in seinem Buch ebenfalls fehlt.

Literatur:

Braun, Otto, “In wessen Na­men spricht Mao Tse-tung?” In: Neues Deutsch­land, 1964.
Braun, Otto, “Von Shanghai bis Jänan”. In: Horizont, 1969.
Braun, Otto, Chinesische Aufzeichnungen, Berlin, 1973.
Braun, Otto, Zhongguo Jishi (Chinesische Aufzeichnungen), Beijing, 1980.
Kampen, Thomas, “Deutsche und österreichische Kommunisten im revolutionären China (1925-1949)”. In: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 1997, 88-104.
Kampen, Thomas, “Western Books on Twentieth Century China in Chinese
Translation”. In: East-West Dialogue, Vol. V, No. 2, November 2000, 76-101.
Kampen, Thomas, “Die Langen Märsche vor 75 Jahren”. In: SHAN Newsletter Nr.40, Januar 2010, http://sinoalumni.wordpress.com/2010/01/15/die-langen-marsche-vor-75-jahren/.
Snow, Ed­gar, Red Star over China, London, 1937.
Werner, Ruth, Sonjas Rapport, Berlin, 1977.


Dr. Thomas Kampen

 

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Zuletzt bearbeitet von: AF
Letzte Änderung: 04.12.2014
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