Newsletter Februar 2016 Nr. 85

INHALT

Leben, Lernen und Lehren in Osteuropa und China - Arbeiten als Lektor der Robert Bosch Stiftung

Am 21. Januar durften wir wieder zwei Referenten begrüßen, die im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Sinologie in den Beruf“ Erfahrungen aus ihrem Berufsleben teilten. Sie berichteten von ihrer Teilnahme am Lektorenprogramm der Robert Bosch Stiftung.

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Old Chinese Phonology

Die Aussprache des Chinesischen hat sich über Jahrtausende verändert. William Baxter ist einer der führenden Experten auf dem Gebiet der altchinesischen Phonologie und hat Graduierten am 17. und 18. Oktober in Zürich die Gelegenheit gegeben, sich mit diesem faszinierenden Thema vertraut zu machen. Mariana Münning berichtet.

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Rezension: Lynch, 2015 China’s Futures - Wohin wird die Reise des aufgestiegenen Drachens gehen?

Daniel C. Lynch, assoziierter Professor der USC, sucht nach Chinas Zukunft. Nicht etwa in den Sternen, sondern auf der Basis wissenschaftlicher Zukunftstheorien beleuchtet der Autor in China’s Futures aus u.a. wirtschaftlicher, system-politischer, gesellschaftlicher Perspektive, welche möglichen Wege von der Chinesischen Elite debattiert werden. Diese verkürzte Buchrezension behandelt die ersten zwei Aspekte.

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Bù yǔ 不語, bù jiǎng 不讲- Worüber man nicht spricht - XXVI Jahrestagung der DVCS zu Gast an der RUB

Der Titel "Bù yǔ 不語, bù jiǎng 不讲 – Worüber man nicht spricht“ gab den thematischen Rahmen der Tagung für deutschssprachige ChinawissenschaftlerInnen an der Ruhr-Universität Bochum vor. Auch Heidelberger WissenschaftlerInnen bereicherten die Diskussionsplattform mit ihren Vorträgen.

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Young Scholar’s Forum - Und der Meister sprach, lernen, lernen und wieder lernen.

Zur akademischen Halloween-Schaubude wurde gerufen und drei aktive SHAN- Alumna aus Heidelberg folgten – Sie folgten den Spuren des „abtrünnigen“ Alumnus Sebastian Riebold in seine neue akademische Heimat.

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Ma und Xi in Singapur – Neunzig Jahre nach der Ersten Einheitsfront von KMT und KP Chinas

Der erste Beitrag von Thomas Kampen befasst sich mit der Vorgeschichte der Begegnung von Ma Yingjiu und Xi Jinping in Singapur und der Geschichte der Zusammenarbeit von Guomindang (KMT) und der Kommunistischen Partei Chinas.

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Mit dem Flugzeug von China nach Europa - vor 77 Jahren

Heutzutage sind Flüge zwischen China und Europa eine selbstverständliche, wenn auch oft kostspielige, Angelegenheit. In den politisch turbulenten 1930er Jahren war dies noch lange nicht der Fall. Die Erinnerungen von zwei deutschen Zeitzeugen sind das Thema des zweiten Beitrages von Thomas Kampen.

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Leben, Lernen und Lehren in Osteuropa und China - Arbeiten als Lektor der Robert Bosch Stiftung

Unter diesem Motto stellten Daniel Simon und Abhilash Nalpathamkalam im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Sinologie in den Beruf“ am Donnerstag, den 21.01.2016 das Lektorenprogramm der Robert Bosch Stiftung vor. „Das beste Stipendien-Programm der ganzen Welt“, so Daniel Simon. Der Vortrag wurde durch eine Reihe von Bildern unterstützt, sodass die Zuhörer sich ein umfassendes Bild über die Arbeit und das Leben als Lektor in einem anderen Land gewinnen konnten. „Sinologie in den Beruf“ wird in regelmäßigen Abständen von dem Alumni Verein des Institutes für Sinologie SHAN organisiert.

Daniel Simon ist nach seinem Magisterstudium der deutsch- und der englischsprachigen Literatur an der Uni Bamberg von 2014 bis 2015 als Stipendiat der Robert Bosch Stiftung an der Technischen Universität in Hohhot in der VR China gewesen. Nach seinem Aufenthalt hat er sich an der Universität Heidelberg in den Studiengang Chinesisch als Lehramt eingeschrieben.

Abhilash Nalpathamkalam ist nach seinem Studium in Heidelberg 2013 zunächst für ein Jahr in Kasachstan an der Deutsch-Kasachischen Universität und danach 2014 für ein Jahr in der VR China am Jinling College in Nanjing als Lektor tätig gewesen. Nach seiner Tätigkeit als Lektor der Robert Bosch Stiftung ist er nun als Lehrer für Deutsch als Fremdsprache in Deutschland tätig.

Was ist das Lektorenprogramm?
Das Lektorenprogramm der Robert Bosch Stiftung fördert jedes Jahr etwa 25 neue Stipendiaten, die an Hochschulen in Osteuropa und Asien Deutsch als Fremdsprache unterrichten und Bildungsprojekte durchführen. Es werden weltweit ständig neue Standorte eröffnet. Zu den Ländern, die seit Neustem ausgewählt werden können, gehören Korea, Thailand und Indonesien. Die Lektoren bringen sich aktiv in die Bildungsarbeit an ihrem Hochschulstandort ein, engagieren sich im Sinne der Völkerverständigung und entwickeln sich persönlich und fachlich weiter. Das Programmjahr wird durch ein umfangreiches Weiterbildungsangebot im Bildungs- und Projektmanagement sowie ein individuelles Coaching begleitet.

Was wären meine Aufgaben?
Als Lektor hätte man ganz viele unterschiedliche Aufgaben, wobei der Deutschunterricht die Hauptaufgabe darstellt. Neben dem Deutschunterricht könnten auch sogenannte Fachlektorate unterrichtet werden. Das wären beispielsweise Deutsche Geschichte oder Sozialkunde. Dies mache „viel Spaß“ und böte die Möglichkeit nicht nur die deutsche Sprache, sondern auch die deutsche Kultur weiterzugeben.  Zu den weiteren Aufgaben gehörten, neben dem regulären Unterricht, Netzwerke in den jeweiligen Städten, Universitäten und Konsulaten auf- und auszubauen. Es sei ein wichtiger Punkt und sehr erwünscht, stelle aber keine Pflicht dar. Zusätzliche Aufgaben wären Projektarbeiten, die man im Rahmen der Robert Bosch Stiftung organisiert und leitet, sowie außercurriculare Aktivitäten (Filmabend, Stammtisch, Feste am Lehrstuhl, Stipendienhilfe, Stipendienberatung, Theater AG) oder die Beratung von Studierenden und Kollegen. Ganz wichtig sei auch, dass man die Sprache und Kultur des Gastlandes kennenlerne, als „Kulturmittler“ fungiere und regelmäßig an den Weiterbildungen der Lektoren teilnehme.
Die Projektarbeit sei eine der interessanteren Aufgaben und beinhalte die Durchführung von mindestens einem großen Bildungsprojekt pro Lektoratsjahr. Das Thema der Projektarbeit muss schon bei der Bewerbung mit angegeben werden. Hierbei werden 75% der Kosten von Stiftung und 25% durch Drittmittel, die man anwerben muss, übernommen. Das Ziel ist die Mitgestaltung des Lebens an der Hochschule / der Stadt und das Reagieren auf Bedarf vor Ort. „Aber keine Angst“, denn man bekommt Hilfe und ein Coaching für die Projektarbeit. Daniel Simon hat mit seinem Stadt-Land-Projekt eine so gute Arbeit geleistet, dass daraus eine Wanderausstellung geworden ist, die zurzeit in China und Deutschland unterwegs ist. Während des Projektes haben seine chinesischen Deutschstudenten selbst Interviews geführt, ins Deutsche übersetzt und auf Plakate geschrieben. Ein Teil davon wird im Mai nach Heidelberg kommen und im Konfuzius-Institut ausgestellt werden. Daniel Simon wird dann ebenfalls einen Vortrag zu seinem Projekt halten. Das genaue Datum hierfür wird noch bekanntgegeben.

Welche Unterstützung bekomme ich?
1000 EUR Stipendium von der Robert Bosch Stiftung und ein Gehalt von der Uni für den Deutschunterricht, Krankenversicherung, Wohnung, Flugkosten, 1x Heimflug während des Jahres, Lehrbücher, Spracherwerb und auch Familienmitglieder (Familienzusammenführung) können mitgenommen und bezahlt werden. Man hätte sozusagen keine eigenen Kosten, da eigentlich „alles bezahlt wird“. Zusätzlich dazu werden auch Weiterbildungen in Form von trainingsbasierten Projektwerkstätten und DaF-Seminare, Unterstützung, Betreuung und Beratung während des Lektoratsjahres, regelmäßiges Feedback, Coachings oder Zwischentreffen veranstaltet und angeboten. Wenn es jemandem in dem 1. Lektoratsjahr so gut gefallen hat und er/sie noch ein weiteres Jahr anschließen möchte, kann er/sie sich für eine Anschlussförderung bewerben und dann ein 2. Jahr als Lektor arbeiten. Aber Vorsicht: nach maximal 2 Jahren ist Schluss und das Programm endet.

Voraussetzungen und nächste Bewerbungsfrist?
Wichtige Voraussetzungen sind: Flexibilität und Offenheit, Neugierde und Kreativität, fachliche und pädagogische Kompetenzen, Eigeninitiative und Mut, sowie Engagement für Projekte zur Völkerverständigung. Wenn ihr das alles mitbringt, mindestens einen BA-Abschluss habt, der noch nicht länger als 5 Jahre zurückliegt und noch unter 35 Jahren seid, dann könnt ihr euch für das Lektorenprogramm in Osteuropa und Asien der Robert Bosch Stiftung bewerben.


Nächste Bewerbungsfrist ist der 28.02.2016 für das Hochschuljahr 2016/17. Weitere Informationen können der Homepage der Robert Bosch Stiftung oder Facebook entnommen werden.


Wiebke Stoltz

 

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Old Chinese Phonology

The workshop “Linguistic approaches to premodern Chinese literature” lead by Professor William H. Baxter (University of Michigan, Ann Arbor) took place on October 17 and 18, 2015 at the University of Zurich, organized by Professor Wolfgang Behr, URPP Asia and Europe. In this unique event, William Baxter introduced 20 MA and PhD students and university teachers to his methods and findings in the reconstruction of Old Chinese.

In 2014, William H. Baxter published Old Chinese: A New Reconstruction together with Laurent Sagart (Oxford University Press). This book represents the state of the art of Chinese historical phonology and laid the basis for this workshop.
Baxter first presented the types of evidence that are used in the reconstruction of Old Chinese, that is the language before the establishment of the Qin 秦 Dynasty in 221 BCE. In the traditional approach, established by the Swedish Sinologist Bernhard Karlgren (1889-1978), the three most important clues about old Chinese are rhymes in ancient poetry, such as the “Book of Odes” Shijing 詩經, phonetic elements in the Chinese characters, and the reconstructed pronunciation of Middle Chinese. It is generally accepted that there is a systematic relationship between Middle and Old Chinese Middle Chinese refers to the language preserved in rhyme dictionaries as the Qieyun 切韻 from 601 CE.

In their new book, Old Chinese: A new Reconstruction, Baxter and Sagart present additional types of evidence. Among these are the modern Min 閩 dialects, assumed to have made a distinct development from other varieties of Chinese since the Han 漢 Dynasty (206 BCE – 220 CE), as well as non-Chinese languages that have preserved loanwords from Old Chinese. Other important sources of information are excavated texts that have preserved the script from before the standardization efforts of the Qin Dynasty. These pre-standardized characters provide more clues about the pronunciation, as the script was employed in a much more dynamic way at that time.
An important endeavor of Baxter and Sagart is to also reconstruct Old Chinese morphology. While Karlgren, again, has laid the basis for investigations into Old Chinese morphology with his theory of word families, Baxter and Sagart have been able to identify word roots as well as affixes in Old Chinese. These findings show clearly that the reconstruction of Old Chinese is not merely a phonological undertaking, but touches upon all aspects of language, including grammar. The following example will show how semantics, phonetics, morphology and paleography (the study of ancient writing) are intertwined.

 

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The participants of the workshop with William H. Baxter in the middle.

The reconstruction of the Old Chinese pronunciation of 設 shè (set up) demonstrates the diversity of evidence that needs to be considered. Its Middle Chinese reconstruction is syet. How do we now get to the Old Chinese pronunciation? Sometimes, two or several characters can have a xiesheng 諧聲 connection, that is when one is written with the other as phonetic element. For設 we do not have such a character, but luckily, the paleographer Qiu Xigui 裘錫圭 has noticed that shè was formerly often written with graphs (i.e. characters) that later developed into yì 埶 (to plant, Middle Chinese: ngjiejH). 埶 then again has a xiesheng connection with shì 勢 (circumstances, setting, Middle Chinese: syejH), as 勢 is 埶 with the element lì 力 added at the bottom. The three can therefore be reconstructed as:

埶 yì: *ŋet-s ‘to plant’
設 shè: *ŋ̊et ‘set up’
勢 shì: *ŋ̊et-s ‘circumstances, setting’ (Baxter/Sagart 2014, 29-30)

It is concluded that shì 勢 (*ŋ̊et-s) is the noun derived from shè 設 (*ŋ̊et) by adding the suffix -s. Findings as this shed new light on the Confucian classics that were difficult to translate. Baxter and Sagart use their findings about shè 設 to improve the hitherto frequently quoted translation of a phrase from the Han Fei zi: Nan shi by A. C. Graham from 1989:

吾 所 為 言 勢 者, 言 人 之 所 設 也
Wú suǒ wéi yán shì (*ŋ̊et-s) zhě, yán rén zhī suǒ shè (*ŋ̊et) yě.

Graham: “When I speak of the power-base it is of something instituted by man.”
Baxter/Sagart: ‘The setup (*ŋ̊et-s) of which I am speaking refers to what is set up (*ŋ̊et) by men.’ (Baxter/Sagart 2014, 30)
This example hopefully shows why investigations into the phonology and morphology of Old Chinese are not only fascinating, but also rewarding – and why sinologists might want to consider making them. This workshop was a rare and important occasion to obtain first-hand information on the methodologies of reconstruction of Old Chinese, a field in which only few scholars in the world have expertise. Baxter himself couldn't help but remark “what a treat it is to see so many people interested in Old Chinese phonology!”

 

Mariana Münning

 

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Rezension: Lynch, 2015 China’s Futures1 - Wohin wird die Reise des aufgestiegenen Drachens gehen?

Wohin wird die Reise des aufsteigenden Drachens gehen? Zieht es China gen Westen? Oder strebt er nach höheren Sphären der Wirtschaft? Führt Chinas Pfad zur unausweichlichen Demokratisierung oder zerfällt der Drache in eine pluralistische Netz-Gesellschaft? Bleibt am Ende die bloße Beständigkeit des parteilichen Bestandes?
China’s Futures ist ein Buch, in dem Daniel C. Lynch Zukunftsszenarien Chinas aus verschiedenen Perspektiven aufgreift und beschreibt. Die vier Hauptbetrachtungswinkel thematisieren den Stand der akademischen Debatte und die daraus ermittelten Pfade für die wirtschaftliche Entwicklung (Kapitel 2), die institutionelle Dimension der Politik, die Polity, und damit systemische Beständigkeit des Regimes (Kapitel 3), das Aufkommen einer neuen Gesellschaftlichkeit, die „network society“ (Kapitel 4, S.119) und die Interaktion mit der internationalen Weltgemeinschaft hinsichtlich ‚Chinas Aufstieg’ (Kapitel 5) und dem kulturellen Wettstreit mit dem Westen (Kapitel 6). Ein siebtes Kapitel fasst die Resultate gemäß den Einzelanalysen zusammen.   

Lynch widmet sich den ‚Chinesischen Zukünften’ mit dem Anspruch, bei der Analyse vorwiegend chinesische Quellen und parteiinterne Erzeugnisse (neibu Journals, S. xii) zu verwenden. Die Selektion des Untersuchungsmaterials erfolgt nach inhaltlichen Varianzkriterien, weniger nach Auswahl ermittelter einflussreicher Figuren. Das Textkorpus soll sich somit aus der Debatte erschließen und nicht nach einem „dead reckoning“  (that is, „guessing“)“ erschließen (S. xvi). Das Hauptaugenmerk liegt unweigerlich auf der umfangreichen und deskriptiven Darstellung der kontroversen Debatte und ihren Quellen. Die analytischen Schlüsse sind jeweils in Kürze zusammengefasst, gehen daher weniger in die Tiefe.

Vorangestellt wird der theoretische Hintergrund der Zukunftstheorien aus dem Rationalismus, der Geschichte sowie der Chaostheorie (Kapitel 1). Bereits im Vorwort verweist der Autor jedoch darauf, dass es keine zutreffenden Vorhersagen geben könne, denn „no matter how scientific a predictioneer’s model may appear to be, the future can never be known“ (S. viii). Zum einen gäbe es zu viele Faktoren und zum anderen wird menschliche Akteurschaft („human agency“) bzw. des Menschen freier Wille („free will“) intervenieren (S. viii).

Er baut eine Kontroverse aus zwei Theoretikern auf und bietet eine perspektivische Synthese. Der dominanten Lesart realistischer Analyse von Bueno de Mesquita (BDM) setzt er die konstruktivistische Lesung Alexander Wendts entgegen. Die Frage der Präferenzen bezeichnet Lynch in BDMs Position als „Achillesferse“ (Achilles heel, S. 6), da „Interessen bereits Identitäten voraussetzen“ (Interests presuppose identites, S. 6). Lynch votiert für den Mehrwert regionalwissenschaftlicher Analyse und begründet diesen durch den Einfluss der Akteursidentität. Lynch konstatiert: Bueno de Mesquita „helpfully (but unintentionally) illustrates the weakness inherent in forecasts that ignore, or incautiously impute, actor identity“ (S. 7).  

Für den Ansatz der geschichtswissenschaftlichen Lesung führt er David J. Staley an, der im Werk History and Future2  seine Zukunftstheorie aus der faktischen Geschichte und der rezipierten Geschichtsschreibung zu zwei Zukunftsaussichten ableitet, eine beschreibt das Spektrum aller möglichen Pfade, die als Substitute für die „abwesende“ –aber eintretende Zukunft (future1) steht (S. 10-11).  Als dritten Strang der Zukunftsforschung führt er die Chaostheorie nach Elliot und Kiel3  an (S.13). Dieser Theorie nach bestünde das generelle Problem einer Vorhersagbarkeit darin, dass alle angenommen Faktoren für den eingeschlagenen Weg akkurat bleiben müssten, das hieße „if even one significant assumption proves false, the acutal future could end up profoundly different from the predicted future“ (S. 15).

Das zweite Kapitel ist betitelt mit Economic Growth: marching into a middle income trap? Lynch untersucht die liberale Alternative und stellt das wirtschaftliche Wachstum in den Kontext demographischer Entwicklung. Dieses Kapitel beginnt er mit zwei (westlichen) Analysten:  Edward Steinfeld4  (2010), der für China den Wendepunkt 1990 ermittelte als die staatsgeführte Wirtschaft zu einer Marktbestimmten wurde (sprich von state-led to market-driven, S. 21), wird gegen Huang Yasheng5  kontrastiert. Huang ermittelte 2008 nach Lynchs Lesung genau das Gegenteil (S.21). Lynch konstatiert, dass beide in ihrer Perspektive Recht behalten sollten „Both are right“ (S. 22). Die folgende Analyse Chinesischer Ökonomen gibt Aufschluss über diese paradoxe Schlussfolgerung: Die neuen linken Ideen hatten unter der Hu-Jintao-Führung noch wenig Einfluss; die dominante Perspektive auf die Wirtschaft verfolgte weitestgehend die Liberalisierung und beschäftigte sich mit dem Wachstum sowie Problemanalysen zum Abfedern der negativen Folgen des Aufstiegs, so z.B. die Suche danach, die Investitionsblasen einzufangen (S. 27). Im Kontext der Bevölkerungsentwicklung stehen die wachsenden Ungleichheiten, so etwa ein Gini-Koeffizient von 0.5,  sprich dem Auseinanderdriften von Arm und Reich. Er signalisiert, dass der eingeschlagene Pfad vielleicht nicht mehr rapide zu wechseln sei, obgleich die Chinesischen Ökonomen diesen nicht für tragfähig erachten: „the current trajectory is unsustainable“ (S.25).

Steuert China auf eine Falle des mittleren Einkommens zu? Die middle income trap bezeichnet die volkswirtschaftliche Einkommensentwicklung, nach der die Durchschnittslöhne so hoch gestiegen sind, dass sie „zu teuer“ für eine weitere billige Produktion sind. Die im Titel aufgeworfene Frage nach der Gefahr einer middle income trap , wird in der deskriptiven Darstellung einer Chinese Academy of Social Siences (CASS) Studie aufgegriffen (S.39), jedoch weder in der Kapitelzusammenfassung (S. 67) noch in der schlussfolgernden Kapitelübersicht (241-242) direkt diskutiert, geschweige denn beantwortet.  Hingegen scheint das zweite Kapitel eher die Debatte um die Nachwehen der Globalen Finanzkrise (GFC) zu schildern.

Das dritte Kapitel: “The Leninist Political System confronts a pluralistitc Wealthy Society“ behandelt zu erwartende und mögliche Zukunftspfade für eine Veränderung des politischen Regimes. Im Zentrum steht die Frage nach der Möglichkeit oder vielmehr Wahrscheinlichkeit einer Demokratisierung im westlichen Sinne. Das Kapitel schließt damit an die Debatte der 90er und frühen 2000er Jahre an, ob im Zuge der wirtschaftlichen Öffnung Chinas eine Demokratisierung unausweichlich erscheine.  Er stützt sich auf akademische Wortführer wie Larry Diamond6, der von der „inevitable democratization“ (S.72) ausging und Andrew Nathan, der den ökonomischen Erfolg Chinas als Legitimationsgewinn für die Kommunistische Partei und damit ihrer Herrschaft und der Stärkung des Regierungssystems ermittelt (S. 69). Unter Rückgriff auf die chinesische Akademia thematisiert Lynch zunächst die Spannung zwischen Staat und Gesellschaft. Dabei verweist er auf ein selbst geführtes Interview, aus dem hervorging: „Contemporary China increasingly resembles the Qing Dynasty after 1900“ (S. 77). Auf Grundlage des 2009 erschienen „China’s Future Directions“7, ein autentifizierten Editoren Gruppe, schließt Lynch: „A world without multiple poles ... would be (1) chaotic and thus dangerous and not developing, (2) susceptibal to constant warfare and strife, and (3) bereft of morality and ethics. This is why China’s rise on the basis of rejecting „Western democracy“ and Western discourse hegemony is so important for the world’s future, not just China’s“ (S.82). Vor dem Hintergrund einer Demokratisierung Chinas, stellt Lynch vier (Zukunfts-)Modelle auf die Probe: „Reverse Sultanization“ eine Vorbereitung für eine genuine Demokratievorstlellung nach Xiao Gongqin (S. 83-89);  „The China Model“ nach den Vorstellungen des Pekinger Professors für Internationale Studien Pan Wei, der sich spöttisch gegen eine „democracy infatuation“ (S.97) seitens Chinas im Zuge der dritten Welle äußerte (S. 89-99); „Remnant Liberalism“ zieht die liberal-gewandten Literaten (S. 99-107), wie Yu Keping (Direktor des Forschungszentrums für vergleichende Politik und Wirtschaft), Han Yunchuan (Professor der Zentralen Partei Schule, Social Development Research Center) sowie Qin Xiao und Xu Yaotong. Während Yu eine klare positive Haltung zur Demokratisierung Chinas vertritt („democracy is a good thing“ , S.100), sieht Qin dies unter dem bestehenden „totalitären politischen System“ (S.104) kritischer. Xu schreibt zur innerparteilichen Demokratie und listet die 18 Rechte auf  (Eighteen Rights, s. 105-106), darunter das Recht auf Wissen, das Recht auf Meinungsäußerung hinsichtlich Entscheidungsfindung und das Recht auf Kritiknahme. Als eine vierte Variante führt Lynch „The Chongqing Model“ unter Berufung auf Autoren, wie Su Wei, Yang Fan und Liu Shiwei auf. Sie allesamt stehen ideologisch hinter Bo Xilai und fordern die Anerkennung des Chongqing Models für „(1) a local development model, (2) a model for solving widely recognized problems, and (3) a model for all of China’s transformation“ (S.108).

Das Kapitel 4 widmet sich den „neuen Grenzen“ und ermittelt nach der gleichen Struktur die möglichen Zukunftsoptionen der Chinesischen Regierung im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Transformation in eine „Network Society“.  Die Kapitel 5 und 6 handeln von den internationalen Interaktionen Chinas in Bezug auf den Aufstieg und die kulturelle Konfrontation mit  dem „Westen“. Die Kapitel 4, 5 und 6 werden in einem gesonderten Artikel gewürdigt.  

Lynch besticht durch die hervorragende Quellenarbeit und den Ansatz, Chinas Zukunft weitestgehend aus internen Quellen (neibu Journals) oder Analysen chinesischer Akademiker zu ermitteln. Es geht um die Zukunftsbilder, die vor dem Hintergrund eines (westlichen) Forschungsstandes durch die Innenperspektive chinesischer Autoren erschlossen werden. Das Buch bietet einen sehr guten Überblick über die elitäre und akademische Debattenlandschaft der theoretischen Ansätze.

In der Zusammenfassung der jeweiligen Kapitel sowie dem evaluierenden Fazit (Kapitel 7) lässt Lynch jedoch weitestgehend offen, mit welchem der zukunftstheoretischen Ansätze, aus Rationalismus, Geschichtswissenschaft oder Chaostheorie, er zu seiner Schlussfolgerung kommt. Der Autor verbleibt in der Szenarienbildung in den jeweiligen Sachfeldern und wägt diese kaum gegeneinander ab. Interferenzen und Wechselwirkungen aus neo-marxistischer Wirtschaft und reformfreudiger Politik oder einer sich der Kontrolle entziehenden Netzgesellschaft in Interaktion mit einer grenzüberschreitenden internationalen Gemeinschaft werden nicht umfangreich aufgegriffen (Kapitel 7, S. 247-254). Lynch reduziert die Interessenlage zur „Reduktion der Komplexität“ auf zwei dominante Linien. Der Zusammenschnitt aus ökonomischen Reformern und einem gegenläufigen konservativem Lager, die zuvor auch als „two camps“ (S. 118) bezeichnet wurden, sind – zwischen den Zeilen gelesen – die Fortführung des tradierten, oft als Klassenkampf bezeichneten Konfliktes zweier ideeller Faktionen, oder kurz gefasst: zwischen den konservativen Neo-Maoisten und neo-liberalen Pragmatisten. Selbst verweist der Autor Lynch auf die Kritik eines anonymen Buchrezensenten, Lynch zitiert den Vorschlag mit: „it would be reasonable to conclude that there are two fundamentally different, completely disjointed Chinas floating in the minds of PRC elites“ (S. 248).   

Zum Autor: Daniel C. Lynch ist ein Associate Professor für internationale Beziehungen an der Universität Southern California (USC) und geschäftsführendes Mitglied im Vorstand des affiliierten U.S.-China Institute. Er erhielt seinen PhD in der Fachrichtung Politische Wissenschaft  an der Universität Michigan. Sein Forschungsfokus liegt auf Innen- und Außenpolitik sowie Internationaler Beziehungen in China und Ostasien. Die Publikationen Rising China and Asian Democratization: Socialization to "Global Culture" in the Political Transformation of Thailand, China, and Taiwan (Stanford UP, 2006) und After the Propaganda State: Media, Politics, and "Thought Work" in Reformed China (Stanford UP, 1999) stammen aus seiner Feder.

 

Josie-Marie Perkuhn

 

[1] Daniel C. Lynch, China’s Futures: PRC Elites Debate Economics, Politics, and Foreign Policy (Stanford, California: Stanford University Press, 2015).  ZO/DS 779.4.L96 2015.
[2] Staley, David J. History and Future: Using Historical Thinking to Imagine the Future. Lanham, MD: Lexington Books, 2007.
[3] Kiel, L. Douglas, and Euel Elliot. Chaos Thory in the Social Sciences: Foundations and Applications (Ann Arbor: The University of Michigan Press, 1997.
[4] Steinfeld, Edward S. Playing Our Game: Why China’s Rise Doesn’t Threaten the West. Oxford and New York; Oxford UP, 2010.
[5] Huang Yasheng. Capitalism with Chinese Characteristics: Entrepreneurship and the State. Cambridge, UK, and New York: Cambridge UP, 2006.
[6] U.a. Diamond, Larry. „China and East Asian Democracy: The Coming Wave.“ Journal of Democracy 23(1), January 2012, S.5-13.
[7] Zhongguo Weilai Zouxiang Editorial Group (中国未来走向编写组), ed. Zhongguo Weilai  Zouxiang: Juji Gaoceng Juece yu Guojia Zhanlue Buju (中国未来走向:聚集高层决策与国家战略布局), 2009.

 

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Bù yǔ 不語, bù jiǎng 不讲- Worüber man nicht spricht - XXVI Jahrestagung der DVCS zu Gast an der RUB

Die Deutsche Vereinigung für Chinastudien e.V.  –  kurz DVCS – richtet jährlich im Herbst eine Tagung für deutschsprachige ChinawissenschaftlerInnen aus. Die 26. Tagung fand zum Titelthema "Bù yǔ 不語, bù jiǎng 不讲 – Worüber man nicht spricht“ an der Ruhr-Uni-Bochum (RUB) vom 6. - 7. November 2015 unter Gastgeberschaft von Prof. Dr. Roetz (Uni Bochum) und  Dr. Rüdiger Breuer (Uni Bochum) statt.  Die Jahrestagung des Vereins stellt eine wissenschaftliche Diskussionsplattform dar und bietet für NachwuchswissenschaftlerInnen der Chinastudien die Möglichkeit der Teilhabe. In diesem Jahr war es daher erstmalig möglich neben der Einreichung einzelner Papiere auch Poster zu den Dissertationsprojekten einzureichen. Die Promotionsvorhaben wurden unter wissenschaftlicher Leitung von Dr. Martin Hofmann (Uni Heidelberg) bzw. Prof. Dr. Christine Moll-Murata (Uni Bochum) diskutiert. Ein besonderes Aushängeschild der Jahrestagung ist das breitgefächerte Themenspektrum, das sich zeitlich von Altertum über Moderne bis Neuzeit streckt und fachliche Panels mit wissenschaftlichen Schwerpunkten zu Literatur, Sprache, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik bereitstellt.  Aus Heidelberg trugen folgende AkademikerInnen vor: Viatcheslav Vetrov elaborierte politische Korrektheit mit dem Titel: „Politically correct: Von philosophischen Entgleisungen zu einer gereinigten Philosophie“; Mariana Münning brach das Tabu und sprach frei über „Geplante Tabus – Politische Auslese von Sprache und Schrift“ und Josie-Marie Perkuhn geht auf Spurensuche das Verschwiegene zum Gegenstand der Forschung zu machen: „Hat hier jemand Faktion gesagt? –  Wie erforscht man stillstreitenden Konsens?“.  (Der Link zum Programm mit den jeweiligen Abstracts findet sich hier). Ausgewählte Beiträge fließen in die Jahressammelbände ein, die bei Harrassowitz veröffentlicht werden.

Die DVCS ist als ein gemeinnütziger Verein konstituiert (mehr). Im Rahmen der Jahrestagung rief die Vereinsspitze zur regulären Mitgliederversammlung auf. Der Verein  zählt in seinem 25jährigen Bestehen bereits über 200 Mitglieder. Im Frühjahr 1990 wurde der Verein an der Humboldt-Universität zu Berlin mit dem Fokus, die gemeinschaftliche Entwicklung der Chinastudien der damaligen DDR und BRD zu fördern, gegründet. Für die diesjährige Tagung war es eine ganz besondere Ehre, Vereinsmitglieder des Gründungsaktes begrüßen zu dürfen. Darunter auch eine wahre Pionierin der Sinologie, Frau Prof. Dr. Eva Müller.

Der Vereinsvorstand setzt sich aus 8 Mitgliedern inkl. Kassenwart zusammen und wird alle zwei Jahre neu gewählt. In diesem Jahr wurde Prof. Dr. Christian Soffel (Universität Trier) in seinem Amt als Vorsitzender bestätigt, ihm steht die stellvertretende Vorsitzende Dr. Maria Khayutina (Universität München, LMU) zur Seite. Die weiteren Posten wurden mit Prof. Dr. Roland Altenburger (Universität Würzburg, JMU) sowie Dr. Tania Becker von Falkenstein, Dr. Matthias Hahn, Dr. Martin Hofmann, Dr. Kerstin Storm sowie Dr. Rüdiger Breuer (Kassenwart) besetzt. (Eine Liste des Vorstandes findet sich hier)

Die Reichweite des Vereins für Chinastudien wurde sukzessive ausgedehnt und bezieht nun auch den deutschsprachigen Raum insgesamt ein. So ist das Angebot für ChinawissenschaftlerInnen aus Österreich und der Schweiz erweitert worden. Um dieses Signal zu verstärken wird die Jahrestagung 2017 am 27. und 28. Oktober in Wien stattfinden. Zuvor sind alle Interessierten gebeten sich den 12. und 13. November 2016 für die diesjährige Tagung zum Thema „Vom Wesen der Dinge: materielle Kultur Chinas“ vorzumerken.

 

Josie-Marie Perkuhn

 

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Young Scholar’s Forum - Und der Meister sprach, lernen, lernen und wieder lernen.

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Mariana Münning, Josie-Marie Perkuhn, Sebastian Riebold, Marina Rudyak (v. L.)

Vom 30. bis 31. Oktober 2015 tagte zum zweiten Mal das Young Scholars’ Forum an der Goethe-Universität Frankfurt, organisiert vom Konfuzius-Institut und der Sinologie in Kooperation mit dem Partnerinstitut an der Fudan Universität (mehr).

Insgesamt zwölf NachwuchswissenschaftlerInnen aus vier renommierten Universitäten erhielten die Gelegenheit, wissenschaftliche Artikel zu ihrem Forschungsgebiet über diverse Themen in unterschiedlichen historischen Kontexten vorzustellen. Ausdrückliches Anliegen war es dabei, nicht nur deutsch-chinesische DoktorandInnen zusammenzubringen, sondern auch den interdisziplinären Austausch über Themengebiete von Ideengeschichte über Medizin bis Sozialwissenschaft zu fördern.

Im Schwerpunktbereich ‘Literatur und Kultur‘ trug Mariana Münning zu dem Thema „Wei Jiangong on the Promotion of the National Language in Taiwan“ vor. Sebastian Riebold präsentierte zur historischen Ideengeschichte seinen Artikel „Dispensing with ‚Intellectual Gymnastics’“. Unter dem Paneltitel „New Approaches to Chinese Politics“ vertraten Marina Rudyak mit dem Vortrag „Becoming a ‚Donor‘: National Role Conception, Reform Dynamics and Learning in China’s Foreign Aid System“ sowie Josie-Marie Perkuhn mit dem Titel „Chinese Domestic Foreign Policy: The impact of political factions on China’s foreign policy roles“ ihre innovativen Promotionsvorhaben zur chinesischen Politik. Drei fachkundige ProfessorInnen – Prof. Dr. Amelung, Jun.-Prof. Dr. Yang und Prof. Dr. Pan – diskutierten die vorgetragenen Forschungsschwerpunkte, bevor die angeregte Debatte für die interessierten TeilnehmerInnen eröffnet wurde. Eingerahmt wurde die Veranstaltung mit dem öffentlichen Vortrag von Professor Michael Lackner (Universität Erlangen- Nürnberg) über „Views on Divination in Traditional and Modern China“ - ein Abriss der Geschichte chinesischer Vorhersagepraktiken; oder wie man es am Vorabend zu Halloween in der Norddeutschen Mundart nicht besser ausdrücken könnte: allens Spökenkiekerei, nee!“ 

 

Josie-Marie Perkuhn

 

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Ma und Xi in Singapur – Neunzig Jahre nach der Ersten Einheitsfront von KMT und KP Chinas

Am 7. November 2015, dem Jahrestag der Russischen Revolution, traf der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas Xi Jinping den Guomindang (Kuomintang)-Politiker Ma Yingjiu (Ma Ying-jeou).

1925

Vor neunzig Jahren starb der KMT-Gründer Sun Zhongshan (Sun Yatsen) – noch im gleichen Jahr wurde in Moskau die Sun Yatsen Universität (Zhongshan Daxue) gegründet. Dies war die Zeit der von Sun initiierten und von der Sowjetunion unterstützten Ersten Einheitsfront von KMT und KP Chinas. Im Herbst 1925 schickte Jiang Jieshi (Chiang Kai-shek) seinen Sohn Jiang Jingguo (Chiang Ching-kuo) nach Moskau auf die neu gegründete Universität. (Auch Deng Xiaoping studierte 1926 an derselben Universität.)

 

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1945

Vor siebzig Jahren trafen sich in der Kriegshauptstadt Chongqing (Chungking) Chiang Kai-shek und Mao Zedong, die sich schon in den zwanziger Jahren kennengelernt hatten. Die Verhandlungen führten zu keinem positiven Ergebnis.

 

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1975

Vor vierzig Jahren starb der alte Jiang, wenig später Mao (1976). In den folgenden Jahren waren Jiang Jingguo und Deng Xiaoping die einflussreichsten Politiker ihrer Parteien.

2005

Vor zehn Jahren besuchte KMT-Chef Lian Zhan (Lien Chan) die Volksrepublik China und traf KP-Chef Hu Jintao. Er hielt auch eine Rede an der Universität Beijing, wo seine Mutter studiert hatte.

Herkunft

Alle genannten Personen wurden auf dem „Festland“ geboren, Herr Ma in Jiulong (Kowloon), seine Familie stammt aus Hunan. Der Vater, der ebenfalls KMT-Funktionär war, wurde in der Nähe von Mao Zedongs Geburtsort geboren.

Lian Zhan wurde im Jahr des Xi’an Zwischenfalls (1936) in Xi’an geboren.

 

Dr. Thomas Kampen

 

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Mit dem Flugzeug von China nach Europa - vor 77 Jahren

In einer Zeit, als die Bahnreise von Westeuropa nach Ostasien mehrere Wochen und die Fahrt mit dem Schiff oft mehrere Monate dauerte, träumten viele vom Fliegen. Dies galt besonders Ende der dreißiger Jahre, als es manche Europäer in die Kriegshauptstadt Chongqing (Chungking) und andere in das kommunistische Yan’an (Yenan) verschlagen hatte.

1939 hatten Otto Braun (1900-1974) und Wolf Schenke (1914 -1989) die Gelegenheit, von China nach Europa zu fliegen. Braun war ein deutscher Kommunist, der von Yan’an nach Moskau reiste; Schenke ein Nazi auf dem Weg von Chongqing nach Berlin. Nach dem Xi’an-Zwischenfall im Dezember 1936 hatten sich die Beziehungen zwischen der KP Chinas, der Kuomintang (KMT) und der Sowjetunion langsam verbessert, wodurch ab Herbst 1937 Flüge zwischen Nordwestchina und Europa ermöglicht wurden. Im November 1937 flogen einige chinesische Kommunisten von Moskau über Xinjiang (Sinkiang) nach Yan’an.

Braun

Nl85 Artikel7a„An einem Sonntagmorgen im Spätsommer 1939, kurz vor Sonnenaufgang, weckte mich ein Bote des Zentralkomitees in meiner Wohnhöhle. Er übergab mir einen Zettel […]: ,Komm sofort zum Flugplatz, Du fliegst nach Moskau.‘   Weiter nichts.“

So beschrieb Otto Braun seine Abreise aus China „nach sechs Jahren Abgeschlossenheit von der Außenwelt“. Mit ihm reiste zwar nicht seine chinesische Gattin Li (die keine Einreisegenehmigung für die Sowjetunion besaß), dafür aber Zhou Enlai, der in Moskau medizinisch behandelt werden sollte. Zhou, der in den zwanziger Jahren in Berlin gelebt hatte, sprach etwas Deutsch und hatte zusammen mit Braun den ‚Langen Marsch‘ absolviert. Die Reise ging zunächst nach Lanzhou, dann über Hami, Urumqi, Alma Ata und Taschkent nach Moskau – allerdings nicht sehr schnell: „Die Reise dauerte an die drei Wochen, weil das wechselhafte Herbstwetter unterwegs fast überall zu einem kürzeren oder längeren Aufenthalt zwang.“

Allerdings wäre damals die Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn nicht einfacher gewesen, da japanische Truppen die Mandschurei besetzt hatten. Unangenehm war für Braun auch die Ankunft in der Sowjetunion, da er sich nun für politische und militärische Fehler rechtfertigen mußte. Er lebte später in der DDR und veröffentlichte dort seine  Aufzeichnungen.

Schenke

Nl85 Artikel7cSchenke startete wenige Monate später in Sichuan: „Über die grüne Gartenlandschaft von Szechuan ging der Flug zuerst nach der Provinzhauptstadt Chengtu, die etwa eine Flugstunde nordwestlich von Chungking liegt. Es war der 19. Dezember 1939, am Heiligabend mußte ich programmgemäß in Berlin sein“. Danach ging es auch nach Lanzhou, dann nach Hami. Nach längerem Aufenthalt ging es mit einem anderen Flugzeug nach Urumqi. „An den Wänden hingen chinesische Instruktionstafeln und Bilder von Sheng Shi-tsai, dem Gouverneur. Bilder von Chiang Kai-shek, wie man sie sonst in China überall findet, glänzten durch Abwesenheit.“ Am 1. Januar flog er nach Alma Ata. Dann ging es mit dem Zug weiter, da die Strecke „wegen der grimmigen Kälte nicht beflogen“ wurde. Nach einem Tag in Moskau folgte eine weitere Zugfahrt. „Am 11. Januar früh morgens endlich, 23 Tage nach meiner Abreise von Chungking, lief mein Zug auf dem Bahnhof Zoo in Berlin ein.“  

Für Schenke war das Reisen damit nicht beendet; er kehrte einige Monate später – wieder über Moskau und Chengdu – nach Chongqing zurück, verfasste hierüber aber keine genaue Beschreibung. Er lebte später in der Bundesrepublik und veröffentlichte mehrere Bücher.

Kurz nach der Veröffentlichung von Schenkes Buch schrieb der SPIEGEL:
„Jahrelang harrte Tschiang Kai-schek in Tschungking […] unter den oft pausenlosen Bombenangriffen der Japaner aus. Als im Herbst 1939 die deutschen Waffen sich in Polen bewährt hatten, bemühte er sich, Kriegsgerät in großem Umfang aus Deutschland zu bekommen. Als Gegengabe bot er Wolfram, dass das deutsche Rüstungsamt dringend für Stahllegierungen benötigte. Ribbentrop wollte nicht. Da flog der Vertreter des deutschen Nachrichtenbüros in Tschungking, Wolf Schenke, über die bisher geheimgehaltene Route Tschungking-Urumtschi-Alma Ata-Moskau nach Berlin. Er drang nicht bis Ribbentrop vor.“ (Der Spiegel vom 09.03. 1950)

 

Literatur:

Wolf Schenke: China im Sturm, Hamburg 1949.

Otto Braun: Chinesische Aufzeichnungen, Berlin 1973.

Thomas Kampen: Chinesen in Europa - Europäer in China: Journalisten, Spione, Studenten, Gossenberg, 2010.

 

Dr. Thomas Kampen

 

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Zuletzt bearbeitet von: AF
Letzte Änderung: 14.02.2016
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