Viel Tragik auf der Berlinale

Direkt zu Anfang sei gesagt: Wer dachte, man käme in die Berlinale eh nicht rein, sei ermutigt: Es ist durchaus möglich, Tickets im Internet oder an der Abendkasse zu kaufen. Vor allem in großen Sälen wie dem Friedrichstadtpalast gab es bei den chinesischen Filmen viele freie Plätze.

Wie Rafael Perkmezovic im Filmnewsletter der Bereichsbibliothek Ostasien (BOA) vom 17. Februar 2019 auf dem Mailverteiler ZO-INFO bereits berichtete, waren auf der diesjährigen Berlinale (7. bis 17. Februar 2019) einige Filme aus Ostasien zu sehen. Die Autorin dieses Artikels hat sich drei Filme aus China angesehen: „So Long my Son“, „Hero“ und „A Dog Barking at the Moon“.

Wang Xiaoshuais 王小帅 „So Long my Son“ (Di jiu tian chang 地久天长) wurde schon im Vorfeld hoch gehandelt und tatsächlich wurden Yong Mei 咏梅 und Wang Jingchun 王景春 beide mit Silbernen Bären für die beste Darstellerin bzw. den besten Darsteller ausgezeichnet.

Den Plot zusammenzufassen stellt eine gewisse Herausforderung dar, da der Film mit zahlreichen Rückblenden eine Erzählzeit von 30 Jahren überspannt. Im Jetzt lebt das Ehepaar Liu Yaojun 刘耀军 (Wang Jingchun) und Wang Liyun 王丽云 (Yong Mei) in einem kleinen Fischerort in Fujian mit einem schwierigen Teenagersohn, der sich für die Zuschauer bald als der Adoptivsohn entpuppt, da der eigene Sohn vor vielen Jahren beim Spielen am Stausee ertrank. Nach und nach kommen weitere Schicksalsschläge zutage, die fast alle mit der eng befreundeten Familie von Shen Yingming 沈英明 (Xu Cheng 徐程) und Li Haiyan 李海燕 (Ai Liya 艾丽娅), die auch einen Sohn haben, verquickt sind. Darunter die von Li Haiyan als Familienplanungsbeauftragten erzwungene Abtreibung von Wang Liyuns zweiten Kindes, das die Mutter unfruchtbar und es ihr somit unmöglich macht, ein weiteres Kind zu bekommen.

Die Thematik der Ein-Kind-Politik ist an sich nichts Neues, allerdings wurde bis jetzt selten im Detail thematisiert, welche drakonischen Maßnahmen durchgeführt werden müssen, um diese überhaupt realisieren zu können. Der Dokumentarfilm „Die unerwünschten Töchter – Frauenmangel in Asien“ von Antje Christ und Dorothe Dörholt, ausgestrahlt im WDR, zeigt genau dieses Drama mit gefährlichen Abtreibungen und Zwangssterilisationen in China und Indien.

Die Lage der Protagonisten in „So Long my Son“ scheint so ausweglos, dass man als Zuschauerin ein tragisches Ende erwartet, vielleicht gar Selbstmord. Die beiden Familien können jedoch am Totenbett der schwer erkrankten Li Haiyan ihren Frieden schließen. Es folgt, ganz in der Manier von „Leben!“ (Huozhe 活著, 1994) von Zhang Yimou 张艺谋, ein pragmatisches Happy End (inklusive der Picknick-Auf-Dem-Grab-Szene), bei dem der Adoptivsohn mit Freundin zurückkommt, um die Werkstatt des Vaters zu übernehmen.

Damit wären wir schon bei Zhang Yimou, der im Vorfeld für einige Schlagzeilen sorgte, da sein Film „One Second“ (Yi miaozhong 一秒钟) wenige Tage vor Beginn der Berlinale wegen technischer Schwierigkeiten in der Post-Produktion zurückgezogen wurde. Die deutsche Presse vermutete Zensur der chinesischen Regierung. Anstelle des neuen Filmes wurde auf der riesigen Leinwand im Friedrichstadtpalast ausgerechnet Zhangs Klassiker „Hero“ (Yingxiong 英雄) von 2002 gezeigt, der zwar einerseits den chinesischen Film auf die Weltbühne gehoben hat, anderseits aber auch recht gut erahnen lässt, wie regierungstreu Zhang Yimou doch eigentlich ist. Übrigens auch nicht zugelassen zur Berlinale: „Berlin I Love You“ von Ai Weiwei 艾未未.

NL97_5_A Dog BarkingEine echte Newcomer-Überraschung war „A Dog Barking at the Moon“ (Zaijian, Nanbing wanzhong 再见,南屏晚钟) von Xiang Zi 相梓. Trotz des – so die Regisseurin – „nicht vorhandenen“ Budgets fasziniert der Film durch sorgfältig orchestrierte Bilder und wie in „So Long my Son“ eine sich langsam entwickelnde, mit Rückschauen erzählte Geschichte. Nach und nach kommt heraus, dass die Ehe der Eltern der Hauptfigur nicht nur deshalb zerrüttet ist, weil der Vater Huang Tao 黄涛 (Wu Renyuan 吴任远) eigentlich Männer liebt, sondern auch, weil die Mutter Li Jiumei李久梅 (Naren Hua 娜仁花) ein Geheimnis aus ihrer Jugend hütet. Die schwangere Protagonistin und Tochter, Huang Xiaoyu 黄筱萸 (Gaowa Siqin 高娃斯琴 a.k.a. Nan Ji 南吉) ist mit ihrem ausländischen Ehemann zur Geburt des Babys zurück nach China gekommen. Sie bemerkt unter anderem, dass ihre Mutter sich einer dubiosen buddhistischen Sekte anschließt, die es vor allem auf das Geld der Anhänger abgesehen hat… Mindestens dieser Teil der Geschichte, so erzählte Xiang Zi im Anschluss an den Film, ist autobiografisch.

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Images: Courtesy of Acorn Studio

 

Autor: Li Ma

 

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Letzte Änderung: 16.04.2019
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