Auf den Spuren chinesischer Studierender in Deutschland in den 1920er und 30er Jahren – Exkursion in die Universitätsarchive Göttingen und Berlin im Juni 2023
Vom 5. Bis zum 9.6. reiste eine kleine Gruppe Heidelberger Sinologie-Studierender nach Göttingen und Berlin, um sich in den dortigen Universitätsarchiven speziell über chinesische Studierende in Deutschland in den 1920er und 30er Jahren und allgemein über Archive und die aktuelle Forschung zu informieren. Einige der TeilnehmerInnen hatten bereits das Universitätsarchiv in Heidelberg besucht. Dieser Text wurde auf der Basis der Exkursionsberichte von Olivia Wenzel und Thilo Scheidt von ChatGPT kreiert und von Mariana Münning redaktionell bearbeitet und mit Fotos ausgestattet.
Göttingen
Unsere Exkursion begann am Montag, den 5.6., am Heidelberger Hauptbahnhof, von dem aus wir zunächst nach Göttingen fuhren. In Göttingen begaben wir uns zum Universitätscampus, um einen Vortrag von Andreas Günter Weis zu hören. Herr Weis hatte uns bereits im Vorfeld mit vielen Informationen und Ratschlägen zur Recherchearbeit mit Archiven versorgt. Weiss ist Doktorand an der Universität Göttingen im Fachbereich Geschichte. Bei seiner Promotion über den Einfluss westlicher politischer Strömungen wie der Sozialdemokratie auf die Entwicklung der Republik und Volksrepublik China hat er bereits intensiv zu chinesischen Studierenden in Deutschland während der Republikzeit recherchiert. Dazu hat er bspw. schon Listen und Statistiken angefertigt und hatte genauere Informationen über die Anzahl der chinesischen Studierenden in verschiedenen deutschen Städten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. So stellte sich heraus, dass neben Berlin als Hauptstadt mit der Friedrich-Wilhelms-Universität als großer Massenuniversität auch Göttingen ein Zentrum der chinesischen Studierenden zu jener Zeit war. Der Zeitraum mit den meisten chinesischen Studierenden variiert allerdings je nach Universität. Darüber hinaus hat Weis einzelne Biographien und Ereignisse wie bspw. antikoloniale Aktionen einiger Göttinger Studierender näher untersucht.
In seinem Vortrag gab er uns auch wichtige Informationen für die Recherche im Archiv. Es stellte sich heraus, dass das Universitätsarchiv in Göttingen keine Studierendenakten im eigentlichen Sinne führt, sondern Informationen zu den Studierenden über die Abgangszeugnisse, die Matrikelbücher und Studienverzeichnisse der einzelnen Semester bereitstellt. Herr Weis wies uns darauf hin, dass bei der Betrachtung der Matrikelbücher genau hingeschaut werden sollte, da dort oft nur die Fakultät, nicht aber das genaue Studienfach, vermerkt ist. Auch die Geburtsdaten der Studierenden sollten mit Vorsicht betrachtet werden, da sie verschiedene Bedeutungen haben könnten. Zusätzlich gab Herr Weis uns den Tipp, dass bei den Akten derjenigen Studierenden, die in Göttingen promoviert haben, ein vollständiger Lebenslauf enthalten ist. Um Informationen über Promotionen von ChinesInnen nach Studiengebiet zwischen 1920 und 1960 zu erhalten, nannte er uns eine spezifische Quelle.
Ein weiterer hilfreicher Tipp kam nicht nur von Herrn Weis, sondern auch zwei Tage später in Berlin von Dr. Thomas Kampen: Chinesische Studierende reisten oft in Gruppen und in „Wellen“ nach Deutschland. Passagierlisten von Schiffen aus Shanghai können Auskunft darüber geben, wer mit wem gereist ist und sich möglicherweise schon kannte. Diese Passagierlisten sind in den Büchern der CATS-Bibliothek vorhanden und sind wichtig für spätere Netzwerkanalysen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt, den Herr Weis betonte, war die Untersuchung der Gründe, warum chinesische Studierende sich für ein Studium in Deutschland entschieden haben. Es galt zu ergründen, warum sie gerade Deutschland und bestimmte Universitäten wie die Universität XY gewählt haben. Er empfahl, die Hintergrundinformationen in den einzelnen Fällen herauszufinden. Dazu gehören beispielsweise das chinesische Bildungssystem ab 1920, individuelle Beweggründe und der gute Ruf der deutschen Universitäten.
Einen Tag später machten wir uns dann auf in das Universitätsarchiv Göttingen, durch das uns Herr Dr. Holger Berwinkel mit großer Geduld und vielen Erklärungen führte. Wenngleich das Archiv seit 1925 besteht, gab es Archivierung bereits seit 1773 in Göttingen. Während der Führung hat uns Herr Berwinkel das sog. Provenienzprinzip erklärt, das in vielen Archiven Grundsatz ist. Es besagt, dass die Bestandsbildung im Archiv nach der Herkunft der Archivalien erfolgt, d.h. 1 aktenführende Stelle = 1 Archivbestand. Es ist ein Bewertungs- Ordnungs-, Erschließungs- und Forschungsprinzip. Außerdem muss laut Herr Berwinkel bedacht werden, dass jede Provenienz mit einem administrativen Blick auf Gegenstände blickt. So hat ein Student verschiedene Felder, die durch den administrativen Blick betrachtet werden können, z.B. Herkunft, Ideen, Studium, Alltag, Umfeld und seine Person. Es muss einen Anlass geben und einen Akteur, der darüber schreibt, d.h. der Akteur berichtet nur über sein Aufgabenfeld (z.B. für Zulassungsvoraussetzung ist Kurator zuständig, er blickt deshalb auf das Feld „Alltag“).
Herr Berwinkel hat uns außerdem tiefere Einblicke in die Aufgaben eines Universitätsarchives gegeben, als es in Heidelberg der Fall war. Zu den Hauptaufgaben eines Uniarchives gehört die Übernahme von Akten, darauffolgend die Bearbeitung und eigentliche Archivierung um diese dann abschließend NutzerInnen wie uns zugänglich zu machen.
Abschließend hat uns Herr Berwinkel noch wichtige Tipps zur Vorbereitung der Archivarbeit gegeben, die im nachfolgenden aufgezählt sind:
- Literaturkenntnis schützt vor Neuentdeckungen!
- Das Rad nicht neu erfinden!
- Jedes Archiv ist ein Unikat
- Jedes Archivale ist ein Unikat
- Es hilft, Online-Informationen zu rezipieren und kontextualisieren
- Man muss Klarheit über das Material gewinnen
- Ganz wichtig für mich: Erwartungen richtig justieren!
- Rechercheaufenthalt richtig dimensionieren
- Erstnutzung: Zeitschätzung verdoppeln
Nach Herr Berwinkels Vortrag hatten einige von uns noch die Möglichkeit, ihre zuvor bestellten Archivalien einzusehen und zu dokumentieren. Das hat sich ein wenig wie eine Schatzsuche angefühlt und sehr viel Spaß gemacht! Einzig unsere knurrenden Mägen haben uns daran erinnert, auch mal eine Pause zu machen.
Berlin
Am 8.6. fuhren wir von Göttingen aus weiter nach Berlin. Dort besuchten wir zunächst die Staatsbibliothek in der Potsdamer Straße, wo uns Duncan Paterson eine Führung gab. Wir bekamen unter anderem auch den Betrieb hinter den Kulissen zu sehen, sowohl beim Katalogisieren als auch die Arbeit bei der Plattform CrossAsia. Die Führung endete mit dem Besuch der Ausstellung im Stabi Kulturwerk im alten Bibliotheksgebäude Unter den Linden.
Am nächsten Tag besuchten wir das Archiv der Humboldt-Universität in Berlin-Adlershof, wo Frau Dr. Aleksandra Pawliczek uns herzlich begrüßte. Im Gegensatz zu Göttingen hatten wir hier die Möglichkeit, auch nicht vorher bestellte, aber dennoch relevante Akten von chinesischen Studierenden einzusehen und zu dokumentieren. Wir erhielten einen Überblick sowohl über chinesische Studierende einiger Jahre während der Republikzeit an der Friedrich-Wilhelms-Universität (der Vorgängerin der HU), als auch über Chinesen, die sich am Studienhaus Kenntnisse der deutschen Sprache für ein späteres Studium aneigneten. Wichtig waren auch Frau Pawliczeks Hinweise für die weitere Benutzung des Archivs. Zusätzlich führten Frau Pawliczek, Frau Münning und Herr Kampen immer wieder fachliche Gespräche, die uns wie ein Podcast zum Thema erschienen. Obwohl wir weniger Zeit eingeplant hatten, verbrachten wir dort über zweieinhalb Stunden.
Frau Pawliczek betonte, wie auch Herr Berwinkel in Göttingen, dass ihre Hauptaufgabe zwar das Archivieren ist, sie jedoch immer bemüht sind, den Forschenden entgegenzukommen und Forschung zu ermöglichen. Nun gilt es, die gesammelten Informationen auszuwerten und die dokumentierten Materialien für unsere Forschung zu nutzen.
Einen feierlichen Abschluss fand die Exkursion beim SHAN-Tisch, dem Treffen mit anderen Heidelberger Ehemaligen und SHAN-Mitgliedern am Abend des 8.6.
Olivia Wenzel, Thilo Scheidt, ChatGPT, Dr. Mariana Münning
Die beiden folgenden Artikel in dieser Newsletter-Ausgabe schrieben zwei weitere Teilnehmer der Exkursion, Chen-Tong Hui und Zhixiang You, auf Basis der während der dort eingesehenen Akten und gewonnenen Erkenntnisse.