Eine(r) für alle: Filmkritik zu „My Country, My People” 《我和我的祖国》

Kinoabende sind auch in Zeiten von Netflix und Co. eine schöne Sache und so dachte ich mir, warum nicht am 17.11.2019 in Karlstorkino gehen. Dort fand nämlich über das Wochenende das Filmfest „70 Jahre VR China und die Beziehung zum Ausland“ statt. Ich entschied mich in die Vorstellung des pünktlich zu den Feierlichkeiten in der VR China erschienen Films ,,My People, My Country“ 《我和我的祖國》 zu gehen. Der Film wurde in China sehr gut aufgenommen, die Filmschauenden sollen zu Ende des Films von ihren Stühlen aufgesprungen sein und wild applaudiert haben. Mich beschäftigte der Grund, weshalb die Menschen in der VR China so begeistert von diesem Film waren und es sicher immer noch sind.

Dazu muss gesagt werden, dass es sich um keinen Film im eigentlichen Sinne handelt, der ,,Film“ besteht aus sieben Kurzgeschichten unterschiedlicher Regisseure, diese behandeln sieben besondere Ereignisse, die in den 70 Jahren der VR  China stattgefunden haben. Aber im Vordergrund stehen nicht die Ereignisse selbst, sondern die Menschen dahinter  –  also ,,der ganz normale Bürger“. Die Geschichten heißen „The Eve“ (前夜), ,,Passing by“ (相遇), ,,Champion“ (夺冠), ,,Going Home“ (回归), ,,Hello Beijing“ (北京你好), ,,One for all“ (白昼流星) und ,,The Guiding Star“ (护航). Ich verzichte darauf den Inhalt jeder einzelnen Kurzgeschichte genau wiederzugeben und beschränke mich im Wesentlichen auf meine Eindrücke, die ich mit jeder Kurzgeschichte in Verbindung bringen konnte.

Ein wesentliches Merkmal jeder Kurzgeschichte war die Omnipräsenz der Farbe rot, der Hauptfarbe der chinesischen Flagge und zugleich Farbe des Kommunismus. Gleich zu Anfang wird ihre Wichtigkeit überdeutlich. Während der melodramatische, nostalgische Soundtrack des Films erklingt, weht eine Rote Fahne im Wind. Diese Kombination aus gefühlvoller Musik und bekannten Symbolen sorgt für die richtige Mischung Verbundenheit und schafft somit eines der zentralen Leitmotive, das sich durch alle Kurzgeschichten zieht: „wir zusammen haben viel erreicht“. Das „zusammen“ wird dabei in jeder Folge aufs Neue zelebriert, denn in den Kurzgeschichten schafft es keine Hauptfigur ohne die Hilfe der Nebenfiguren seine für die VR China ,,bedeutende Tat” umzusetzen.

Sehr eindrücklich geschieht das in der ersten Kurzgeschichte ,,The Eve“, die die fast ausweglose Lage des Ingenieurs erzählt, der den automatischen Flaggenmast für die Proklamation der Volksrepublik konstruiert hat. Obwohl er alles genau berechnet und gedanklich durchgespielt hat, vermutet er, dass ein Fehler passieren wird. Deshalb baut er, da er nicht mehr auf den Platz des Himmlischen Friedens, auf dem das Ereignis stattfinden wird, darf, eine exakte Kopie nach. Es passiert tatsächlich eine unvorhersehbare Sache: die Kugel, die die Flagge ganz oben am Mast stoppen soll, ist aus einem zu schwachen Material. Die Lösung für das Problem ist logischerweise, eine Kugel aus einem stärkeren Material herstellen. Einziges Problem ist die Beschaffung des Materials, aber wir erinnern uns: Gemeinsam schafft man alles! So findet, nachdem in der gesamten Stadt ein Aufruf gestartet wurde, eine gewaltige Spendenaktion aller möglichen Materialen statt und der historische Moment wird gerettet.

Die Kurzgeschichten basieren mehr oder weniger alle auf dem Konzept, dass ein normaler Bürger der Gesellschaft etwas zu den bedeutenden Momenten der VR China beiträgt. Dabei lässt sich streiten, was genau „bedeutend” jetzt wirklich ist. Ob die erste Zündung einer Atombombe wirklich diesen Anforderungen gerecht wird, kann durchaus skeptisch gesehen werden. Des Weiteren kann skeptisch gesehen werden, was die große Leistung des einzelnen Bürgers in diesem Fall ist, das hat mich vor allem bei zwei Geschichten beschäftigt: bei ,,Passing By“ und ,,Champion“.  ,,Passing By“ handelt von der ersten erfolgreichen Zündung einer Atombombe in der VR China, dabei ist die besondere Leistung des Bürgers der dort im Vordergrund steht, dass er einen Supergau verhindert. Das ist in der Tat eine wirklich mutige und anerkennenswerte Sache. Das Problem ist, dass diese Tat eigentlich nicht im Vordergrund steht, sondern das Wiedersehen mit seinem Schwarm aus alten Tagen, die ihn auf einer Busfahrt wiedererkannt hat und ein Gespräch mit ihm beginnt, um sich davon zu überzeugen, dass er es wirklich ist. Doch er darf nichts sagen, denn er ist zu absoluter Geheimhaltung verpflichtet und so wird er, salopp ausgedrückt, nur vollgequasselt, da hätte ich mir mehr Plot und weniger Kitsch gewünscht.

Die andere Geschichte ,,Champion“ macht es nicht viel Besser, im ,,Vordergrund“ dieser Kurzgeschichte steht der Sieg der Chinesischen Frauen-Volleyball-Mannschaft bei den Weltmeisterschaften. In der Tat ein besonderes Ereignis, aber die Leistung des ,,normalen Bürgers“, bei dem es sich in diesem Fall um ein Kind handelt, ist es, die Antenne des Fernsehers in der richtigen Position zu halten, während er eigentlich seiner Jugendliebe, die nach Amerika mit ihrer Familie auswandert, ein Abschiedsgeschenk geben möchte. Also ich kann in dem Fall nur für mich selbst sprechen, aber es wäre mir egal gewesen, ob die anderen das Match hätten schauen wollen, meiner Jugendliebe ihr Geschenk zu geben wäre mir wichtiger gewesen.

Eine weitere problematische Sache des Films, die ich noch ansprechen möchte, ist das Frauenbild. Erstmal waren nicht vielen Frauen in den Hauptrollen vertreten und auch in ihrer Funktion als Nebenrolle erfüllten sie eher den Zweck eines negativen Gegenpols. So wandert die Jugendliebe in ,,Champion“ nach Amerika aus, in ,,Passing By“ quasselt sie ihren einstigen Schwarm über ihre Vergangenheit voll, in der Kurzgeschichte ,,The Guiding Star“ wird sie als hysterische Alte dargestellt, die eigentlich nur zu Recht entsetzt ist, dass die Hauptprotagonisten, die sie und ihr Mann vorher aufgenommen haben, sie bestohlen haben. Am problematischsten ist aber die Darstellung des Frauenbildes in der Kurzgeschichte ,,One for all“. Diese Episode handelt von einer Pilotin, die eine der besten Fliegerinnen der ganzen Staffel ist, aber trotzdem nicht zur Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking 2008 die Flugshow mitmachen darf, da sie als beste zur Absicherung gebraucht wird, falls etwas schief geht. Dieser Darstellung mangelt es schon an Logik. Noch schlimmer ist aber, dass die besagte Pilotin sich vor allem durch ,,männliche Züge“ auszeichnet. Sie hat kurze Haare, die Männer haben Angst vor ihr, und um sich zu beweisen, dass sie besser als jeder Mann ist, es länger als sie in der Zentrifuge aushält. Diese Geschichte transportierte für mich das Bild: Du musst dich wie ein Mann verhalten, um diesen Beruf zu bekommen, und dann spielst du trotzdem immer noch die zweite Geige als Frau.

Ich möchte nun ein abschließendes Fazit geben: Der Film „My Country, My People“ 《我和我的祖国》 überzeugt durch hohe Qualität und gute Schauspieler, diese können, aber nicht über die mittelmäßigen Storylines hinwegtäuschen und es wird bei den meisten Kurzfilmen einfach nicht darauf geachtet, dass das besondere Ereignis, das in der VR China stattgefunden hat auch mit einem zumindest vergleichbaren Beitrag eines Bürgers komplementiert wird. Zwar entsteht durch diese Diskrepanz eine Komik und Lachen ist durchaus gesund, aber das macht es umso schwieriger den Film ernst zu nehmen. Nicht zu vergessen ist dabei die ganze unnötige Propaganda, die meistens absolut nicht reinpasst. Ich glaube ich habe noch nie so oft die Farbe Rot und die chinesische Flagge gesehen. Für einen Propagandafilm mag es nicht verwunderlich erscheinen, aber es ist einfach zu viel des Guten.

TheHappyHuman

Zuletzt bearbeitet von:
Letzte Änderung: 05.03.2020
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