Ai Weiwei in Heidelberg

Der chinesische Konzeptkünstler Ai Weiwei war lang erwarteter Ehrengast auf der CATS-Eröffnung am 25. Juni 2019. Die ganze Woche war brüllend heiß und sonnig, und so war auch im Parade-Hörsaal, in dem nun keine Leichen mehr seziert aber Reden gehalten werden, das Klima kaum auszuhalten. Ai Weiwei absolvierte dort lustlos seine Fragerunde mit Perry Link, komischerweise brach dabei die Übertragung des Livestreams immer dann ab, wenn Ai sprach. Die geladene indische Künstlerin, Sheba Chhacchi, bemerkte im Anschluss amüsiert, dass sie sich ja nicht so sehr in langärmlige Schale werfen und schwitzen hätte müssen, wenn sie gewusst hätte, dass auch unter den Honoratioren einige ärmellos unterwegs gewesen waren.

Die Studierenden und das gemeine Volk verfolgten die Reden und die symbolische Schlüsselübergabe des CATS auf den „CATS Greens“ oder in verschiedenen Seminarräumen und klatschte Beifall, wenn jemand der nicht-sinologischen Rednerinnen und Redner den Namen des berühmten chinesischen Künstlers halbwegs richtig aussprechen konnte. Im Anschluss wurde es in Raum 212 im KJC dann brechend voll: Dort stellte Ai Weiwei sich einer Fragerunde der Studierenden, moderiert von Prof. Monica Juneja und ihrer Doktorandin Theresa Deichert, die im Rahmen des HCTS Graduate Programs for Transcultural Studies über die Reaktionen auf die Fukushima-Katastrophe in der zeitgenössischen Kunst forscht.

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Ai Weiwei machte gleich zu Beginn klar: „I like this much better than the speeches before“. Mancher mag Ai Weiwei in der Vergangenheit Abgehobenheit oder Arroganz vorgeworfen haben, aber bei den Studis war er präsent. Besonders freue er sich über die zahlreich erschienenen chinesischen Studierenden. Dies sei in den frühen 1980ern in der New Yorker Parsons School of Design anders gewesen. Theresa Deichert begann mit einer Frage zu seinem Fukushima-Projekt, in dem er in der strahlungsverseuchten Zone Bilder von sich und seiner Familie aufstellte. Ai freute sich über die Frage, denn er wolle nicht immer auf seine Rolle als Dissident und Kritiker der chinesischen Regierung reduziert werden. Jedoch gibt er zu, dass die chinesische Regierung ihn durch die Verfolgung überhaupt erst so berühmt gemacht hat. „I became famous because of you!“ sagte er zu einem Gefängniswärter in China, als der ihn fragte, warum er so berühmt sei.

Deutschland ist Ai Weiwei sehr dankbar für die Hilfe und die Kopf-OP. Allerdings brachte er einen massiven Kritikpunkt vor, den er mit der Frage illustrierte: „Who of you has seen my movie?“ Schweigen und ratlose Blicke im überfüllten Saal, kaum eine Hand ging hoch. Er meinte seinen Film Human Flow über die Flüchtlingsbewegungen auf der Welt, und diese spärlichen Reaktionen illustrierte bereits seinen Standpunkt. Er erklärte, dass ein so wohlhabendes Land wie Deutschland eine gewisse Verantwortung dem Rest der Weltbevölkerung gegenüber hat. Deshalb sollte Deutschland nicht nur den Flüchtenden helfen, sondern die Deutschen sollten auch über ihren eigenen Tellerrand hinaus schauen und sich mit dieser globalen Katastrophe überhaupt erstmal auseinandersetzen. Im Gegensatz zu anderen westlichen Ländern verschlössen die Deutschen regelrecht die Augen und auch deshalb hätte hier niemand seinen Film gesehen.

Ein Flüchtling ist für ihn, das stelle Ai Weiwei klar, in erster Linie ein Mensch. Damit implizierte er, dass die Deutschen diese Tatsache manchmal zu vergessen scheinen und die Geflüchteten in erster Linie als Kostenfaktor oder Problemquelle sehen. Ai Weiwei sieht sich selbst auch als vertrieben, und unter den vielen Fragen der anwesenden Studierenden spielte seine Flucht aus China daher auch eine große Rolle. Auf die Frage “What does home mean to you?” antwortete er, dass er eigentlich immer schon in gewisser Weise “displaced” war, da bereits sein Vater Ai Qing (siehe Artikel von Thomas Kampen) exiliert wurde. Eine Art Heimat findet Ai Weiwei im Internet.

Dort ist er auch aktiv und postet zum Beispiel viele Handyfotos auf Instagram. Bei seinem Besuch in Heidelberg drehte er die Konventionen um und machte sich vom Objekt der Beobachtung zum Beobachter. Als das Publikum fleißig Fotos mit den Handys machte, filmte er das Publikum und lud das kurze Video auf seinem Instagram-Profil hoch. Als im Anschluss an die Veranstaltung viele zu ihm nach vorne kamen, um mit ihm Selfies zu machen, nahm er den Fans die Handys aus der Hand und führte die Kamera selbst. So hat nun jede(r) einen echten Ai auf dem Handy.

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Foto: Dr. Aleksandrs Dmitrenko

Wer ihn nach Geheimtipps für künstlerische Inspiration fragte, wurde enttäuscht. Provokant war allerdings Ai Weiwei’s Aussage, dass er Marcel Duchamp inspirierender findet als Vincent van Gogh, also praktisch umgedrehte Urinale vor Sonnenblumen. Ebenso könnte man seine Aussage über seine Berliner Studierendenschaft als provokant auffassen: Sie seien faul gewesen. Er selbst habe dafür kein Verständnis, da er sich selbst als sehr wissbegierig in dem Alter beschreiben würde, dankbar, etwas lernen zu dürfen.

Ai Weiwei machte es recht deutlich, dass er nicht auf Regime-Kritik reduziert werden und sich im Umkehrschluss auch keinem System andienen möchte. Ebenso wenig möchte er sich von einer Firma instrumentalisieren lassen, deshalb verklagte er Volkswagen in Dänemark, die ungefragt und ohne Angabe des Urhebers seine Installation “Soleil Levant” (Kopenhagen 2017) als Hintergrundkulisse für eine Autowerbung benutzten.

Liu Dan

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Letzte Änderung: 25.10.2019
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