Rudolf G. Wagner

Während ich hier auf der Klimakonferenz in Madrid COP25 Delegierte aus allen Teilen der Welt an mir vorübereilen sehe, zu Side Events, in den Plenarsaal, in dem die große Weltpolitik spricht, oder zu zivilgesellschaftlichen Arbeitsgruppen, denke ich an einen besonderen Lehrer aus Heidelberg.

Rudolf G. Wagner habe ich als langhaariges Erstsemester vor 20 Jahren kennengelernt. Der Titel des ersten Proseminars, das ich bei ihm besuchte, hieß „Einführung in die chinesische Geschichte“. Rudolf Wagner kam nie nur einfach in den Seminarraum, er erschien. Meistens heiter und sehr präsent, obwohl damals schon offensichtlich war: der Mann hat viel zu tun. Er kam immer aus einem Telefonat mit Peking oder Berkeley, einer Sitzung mit der Univerwaltung oder zumindest einem Gedankengang, der oft seinen Anfang im chinesischen „Urschlamm“ nahm, wie er es nannte.

Wagner erschien im Raum, legte einen maximal DINA5 großen Zettel mit drei Stichworten auf den Tisch und legte los. Und wie! Meist begann er mit einer Anekdote oder einem zunächst völlig zusammenhangslos erscheinenden Detail aus einer Fachzeitschrift. Zum Ende der 90minütigen Tour d‘horizon hatte ich Details oft nicht recht verstanden, aber zumindest eine Lektion mitgenommen: in Zusammenhängen zu denken und mich nie mit der einfachsten Erklärung zufrieden zu geben.

Wagner trieb mich an, das Sprachstudium ernst zu nehmen und warf mir im Vorübergehen auf dem Institutsflur Fachbegriffe oder die Titel neu erschienener Bücher zu. Er schlief wenig, lachte viel, arbeitete noch mehr und das Institut erschien mir als sein zweites Zuhause. Sein Schreibtisch: legendär unsortiert. Zwischen Faxnachrichten, unveröffentlichten Manuskripten und nach weiter Welt riechenden Büchern wurde ich dort von ihm als Computer-Hiwi vereidigt. Für diesen hoheitlichen Akt brachte er für einen Moment das angemessene Mindestmaß an Ernst auf, um mir im Anschluss freudestrahlend und per kräftigem Händedruck zu dieser neuen Aufgabe zu gratulieren.

Wagner war ein Beispiel für einen außergewöhnlichen Lehrer, der es verstand, Studierende neugierig auf ihr Fach zu machen, der ihnen vermitteln konnte, wie wichtig es ist, sich dem Studium der Sinologie mit einer Portion Demut zu nähern, keine Angst vor dem Projekt Lebenslanges Lernen zu haben und dabei auch nicht den Kontakt zur Welt außerhalb der Unimauern zu verlieren.

Ich habe regelmäßig versucht, mich intellektuell mit ihm zu duellieren. Der Versuch war meist eine einseitige Angelegenheit. Ich fühlte mich jedoch nie als Verlierer, dafür zog ich zu viel Freude und Anregungen aus dem Sparring. Ich habe viel von ihm gelernt, so auch seinen Trick, unbemerkt mit den Zehen zu wackeln, um bei langweiligen Konferenz-Vorträgen nicht einzuschlafen. Den benutze ich heute noch.

Wagner lebte mir vor, wach zu bleiben, neugierig, und auf der Suche nach Zusammenhängen. Dem versuche ich auch hier auf der COP in Madrid nachzueifern und diskutiere auf Chinesisch mit Pekinger Kadern, bei denen es immer darauf ankommt, in komplexen System zu denken. Dass mir das manchmal gelingt, dazu hat Rudolf Wagner viel beigetragen. Dafür schulde ich ihm großen Dank.

Oliver Radtke

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Letzte Änderung: 17.12.2019
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