Newsletter März 2016 Nr. 86

INHALT

Die Journalistin Wang Xingjuan 王行娟

Thomas Kampen stellt in einem Beitrag die Journalistin und Frauenrechtlerin Wang Xingjuan vor, die erst nach ihrer Pensionierung in der Öffentlichkeit bekannt wurde.

>> Zum Artikel


Zhu Min – die einsame Tochter des Generals Zhu De

Ein weiterer Text behandelt die in Deutschland gezeugte, in Rußland geborene Tochter von Zhu De, Zhu Min, die während des Zweiten Weltkriegs in deutsche Gefangenschaft geriet.

>> Zum Artikel


Ungewöhnliche Ehen: Die Lan-Schwestern und ihre Männer

Spannend und undurchsichtig ist die Geschichte der Lan-Schwestern, die  in Beijing, Nanjing, Shanghai, Guilin, Xinjiang, Taiwan und Korea aktiv waren.

>> Zum Artikel


Tochter - Schwester - Mutter: drei Texte aus China

Schließlich werden noch einige kurze chinesische Texte über Frauen präsentiert.

>> Zum Artikel


Josie-Marie Perkuhn interviewt Astrid Lipinsky

Josie-Marie Perkuhn stellte fünf Fragen an die Expertin für Frauen und Recht in China, Dr. Astrid Lipinsky. Themen sind u.a. das Frauenschutzgesetz, häusliche Gewalt, Rechtsprechung und aktuelle Medien.

>> Zum Artikel


Geschlechtergleichstellung im Kontext der Rechtsreform

Dieser Artikel betrachtet die Gleichstellung der Frau von zwei Seiten: welche Rechtsnormen haben sich im Rechtsreformprozess der späten Qing-Zeit verändert und welche weiblichen Akteure haben sich für Frauen und ihre Rechte eingesetzt? Hierzu wird die historische Entwicklung der Rechtsnormen für Frauen im Positiven wie im Negativen nachgezeichnet; anschließend werden drei für den Diskurs der Gleichberechtigung bedeutsame weibliche Akteure vorgestellt.

>> Zum Artikel


Julia B. Mateer (Di Jiulie 狄就烈, 1837-1898) - Missionarin, Musikpädagogin

Julia B. Mateer (1837-1898) lebte als protestantische Missionarin in China. Zusammen mit ihrem Mann betrieb sie eine Jungenschule und verfasste eines der ersten Lehrbücher für Musik, in dem sie die Prinzipien der westlichen Musiklehre und Singpraxis auf chinesisch erklärte.

>> Zum Artikel


Die Journalistin Wang Xingjuan 王行娟

Vor knapp zehn Jahren erschien das Buch Duocai de heping (Colours of Peace) in Beijing. Darin befindet sich ein Kapitel von Wang Ping über Wang Xingjuan in dem steht, dass diese 1988 in den Ruhestand gegangen war. Genau in jenem Jahr hatte ich Wang Xingjuan in Beijing getroffen.

He Zizhen

In den frühen achtziger Jahren schrieb sie das Buch He Zizhen de lu über Mao Zedongs zweite Frau He Zizhen (1910-1984), das nach langen Kontroversen 1985 in kleiner Auflage neibu gedruckt wurde. Später folgte noch der Band Li Min, He Zizhen yu Mao Zedong (Li Min ist die Tochter von Mao und He).

Da die lebendige Journalistin weitaus gesprächiger war als die offiziellen Parteihistoriker, habe ich viel bei dem Gespräch gelernt. Sie erwähnte auch, dass der Widerstand gegen Veröffentlichungen über He Zizhen unter anderem von Deng Yingchao kam. Sie war die Witwe von Zhou Enlai, der in den dreißiger Jahren ein Gegner Maos war. Sie und andere wollten unbedingt verhindern, dass die damaligen Kontroversen öffentlich bekannt wurden.

Ein weiteres Problem von He war bis 1976, dass Jiang Qing die offizielle Frau Maos war und He nicht erwähnt werden sollte. Als Jiang Qing dann verhaftet wurde, begann ein Kult um Maos erste (früh ermordete) Frau Yang Kaihui, auch dabei sollte die zweite nicht erwähnt werden.

Allerdings hatte He Zizhen, die den Langen Marsch mitgemacht hatte, auch viele Freunde beim Militär; ihr älterer  Bruder war auch KP-Funktionär.

Wang Xingjuan

Wang Xingjuan wurde 1930 in Guangdong geboren und hatte als Tochter einer Nebenfrau in einer Großfamilie einen besonders schlechten Status; sie verließ ihre Familie und studierte in Nanjing. Ab 1951 arbeitete sie in Beijing bei der Jugendzeitung (Zhongguo qingnianbao), später in einem Verlag (Beijing chubanshe). In den achtziger Jahren schrieb sie für verschiedene Frauenzeitschriften und beschäftigte sich vor allem mit Problemen junger Mädchen.

In dem Vierteljahrhundert ihres Ruhestand wurde sie als „Founder of China's first women's NGO“ bekannt: Beijing Maple Women's Psychological Counseling Center. Im Jahre 2009 traf sie Hilary Clinton bei deren Chinareise. 2013 wurde sie “Most Influential Public Welfare Figure in China“.

 

Literatur:

He Zizhen de lu, Beijing, 1985.

Li Min, He Zizhen yu Mao Zedong, Beijing, 1993.

Duocai de heping (Colours of Peace),  Beijing, 2007.

 

NL86 Artikel1

Dr. Thomas Kampen

 

<< Zurück zum Inhaltsverzeichnis


Zhu Min – die einsame Tochter des Generals Zhu De

Zhu De (1886-1976) war Gründer der Roten Armee und später Oberkommandierender der Volksbefreiungsarmee (VBA). In den frühen zwanziger Jahren lebte er in Deutschland und wurde hier Mitglied der KP.

In Göttingen und Berlin lebte Zhu mit einer Chinesin zusammen, die 1925 schwanger wurde, im April 1926 eine Tochter bekam – und starb. Die Tochter Zhu Min wurde in Moskau geboren, da Zhu De wegen politischer Aktivitäten aus Deutschland ausgewiesen worden war. Das Kind wurde nach China gebracht und verbrachte einige Jahre bei Verwandten in der Provinz Sichuan.

Zhu De lebte (wie Mao Zedong) ab 1927 in der südchinesischen Provinz Jiangxi, wo die Rote Armee und die Chinesische Sowjetrepublik gegründet wurden. 1934 begann der Lange Marsch, ab 1937 war Yan’an (in Nordwestchina) das Zentrum der Kommunisten. 1929 hatte Zhu De Kang Keqing (1912-1992) geheiratet und lebte mit dieser bis zu seinem Tod zusammen. Kang stammte wie Maos zweite Frau He Zizhen aus der Provinz Jiangxi, beide kamen aus armen Familien.

Im Alter von 14 Jahren konnte Zhu Min nach Yan’an reisen und zum ersten Mal ihren Vater wiedersehen. Aber schon im folgenden Jahr wurde Zhu Min mit Maos Tochter Li Min zur Ausbildung in die Sowjetunion geschickt. Da die Verhältnisse in Yan’an sehr primitiv waren, galt es als besonderer Glücksfall, daß sie mit einem Militärflugzeug fliegen konnten und in ein Kinderheim in der Nähe von Minsk kamen. Dieses Gebiet wurde jedoch noch im gleichen Jahr von den Deutschen erobert und sie wurde festgenommen und nach Ostpreußen gebracht. Erst 1946 konnte sie nach Moskau zurückkehren, sie ging noch einige Jahre zur Schule und 1949 auf eine Hochschule.


Nl86 Artikel2a

1953 kehrte sie nach China zurück und sah ihren Vater wieder. Danach arbeitete sie in der Hauptstadt als Dozentin an einer Hochschule, 1986 ging sie in den Ruhestand. In den folgenden Jahren veröffentlichte sie einige Bücher und Aufsätze über ihren Vater und ihr eigenes Leben.

Auch Zhu Min erreichte ein hohes Alter – sie starb im April 2009.

 

Nl86 Artikel2b

Nl86 Artikel2c

Literatur:

Agnes Smedley: The Great Road – The Life and Times of Chu Teh, New York, 1956.

Agnes Smedley: Der große Weg, Berlin, 1958.

Zhu De nianpu, Beijjing, 2006.

 

Dr. Thomas Kampen

 

<< Zurück zum Inhaltsverzeichnis


Ungewöhnliche Ehen: Die Lan-Schwestern und ihre Männer

Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wuchsen in Nordchina drei Mädchen der Familie Lan auf, die eigentlich aus der südöstlichen Provinz Fujian stammte. Alle drei bekamen eine gute Ausbildung, was auf modern denkende Eltern schließen lässt; alle drei lernten Englisch und sie interessierten sich für Literatur, Theater und Film. Allerdings ist über die Familie nicht viel mehr bekannt und auch über die Mädchen weiß man nicht viel.

Die Regisseurin

Genaue Daten gibt es nur von der jüngsten – Fuxin: sie wurde 1917 geboren  und starb 1984. Sie hatte in Nanjing eine Theaterschule besucht und floh nach den japanischen Angriffen 1937 mit vielen anderen in die Südprovinzen Guangxi und Guizhou. Dort traf sie viele Künstler und Intellektuelle aus Shanghai, die schon ihre älteste Schwester kannten.

Nach der Gründung der Volksrepublik arbeitete sie in Beijing, Changchun und Korea. Sie war vor allem Regisseurin und Übersetzerin und wird in verschiedenen biographischen Nachschlagewerken erwähnt. Ihr Mann war der Autor Yan Gong (1914-2000).

Die Funkerin

Die etwa zehn Jahre ältere mittlere Schwester Fuzeng war geheimdienstlich tätig und hat ihre Herkunft lange verschleiert. Sie war etwa fünfzig Jahre lang mit einem Mann verheiratet, der abwechselnd die Familiennamen Chen, Liu und Zhang benutzte. (Daher bekamen auch ihre beiden Kinder unterschiedliche Familiennamen.) Sie hatten sich in den zwanziger Jahren während des Studiums in Nordchina kennen gelernt. Der Mann ging dann nach Südchina, später nach Shanghai und holte die Frau nach. Er wurde – vermutlich durch Vermittlung durch die amerikanische Journalistin Agnes Smedley – Mitglied von Richard Sorges Spionagering. Da Sorge kein Chinesisch konnte, war das fließend Englisch sprechende Paar für ihn sehr nützlich, die Frau wurde später zur Funkerin ausgebildet. Der Mann suchte sich aus seinem Freundeskreis drei Assistenten – da alle neu in Shanghai waren, hatten die lokalen Sicherheitsorgane keine Informationen über sie. Ende 1932 mußte Sorge die Stadt verlassen, da er von Verhaftung bedroht war. Die Chinesen arbeiteten nun für seine Nachfolger, die aus Osteuropa stammten. Einer von ihnen wurde 1935 verhaftet, später ausgewiesen. Die meisten Chinesen konnten fliehen, einige wurden jedoch verhaftet und hingerichtet.

Das Ehepaar, das nun den Familiennamen Chen benutzte wurde nach der Flucht in die Sowjetunion auf einen neuen Posten nach Xinjiang (Sinkiang) geschickt. Dort herrschte ein lokaler Machthaber namens Sheng Shicai, der vorübergehend mit der Sowjetunion zusammenarbeitete und dafür sowjetische Unterstützung bekam. Nach ein paar Jahren änderte er jedoch seine Haltung und paktierte mit Chiang Kai-shek; dies war offenbar eine Folge der Schwächung der Sowjetunion durch den deutschen Angriff. Die Kommunisten mußten nun fliehen, das Paar war erfolgreich und ging mit den beiden Kindern wieder in die Sowjetunion. Andere wurden – wie ein Bruder Mao Zedongs – getötet oder verhaftet. Das Paar reiste dann über Sibirien nach Nordchina, der Mann ging später in die kommunistische Zentrale Yan’an, die Frau wurde von den Japanern vorübergehend inhaftiert. Die Kinder hatten sie in einem sowjetischen Kinderheim gelassen – die ganze Familie war dann erst in den fünfziger Jahren wieder vereint.

Beide Ehepartner arbeiteten wohl nach 1949 für den Geheimdienst; sie starb 1979, ihr Mann 1995. Er hat in seinen letzten Lebensjahren einige autobiographische Texte veröffentlicht, die vermutlich auf früheren Berichten für seine Arbeitgeber beruhten. Hierin berichtete er auch ausführlich über seine Zusammenarbeit mit Richard Sorge. Die beiden 1928 und 1931 geborenen „Kinder“ leben vielleicht noch.

Die Schauspielerin

Die älteste der drei Schwestern wurde schon in ihrer Jugendzeit berühmt, sie sang, spielte Theater und soll ungewöhnlich hübsch gewesen sein. Sie hieß Fuqing, wurde aber als Schauspielerin Lan Lan bekannt. Sie hatte eine Vorliebe für ernste Rollen und spielte schon früh Mütter, Schwiegermütter und Königinnen. Sie soll 1928 ihr Studium an der Yanjing Universität abgeschlossen haben. Zu dieser Zeit druckte eine Illustrierte ein Bild von ihr auf der Titelseite. Sie war in den dreißiger Jahren mit dem Drehbuchschreiber und Journalisten Sun Shiyi verheiratet und bildete Schauspieler aus. Die bekannteste  Schülerin war die spätere Frau Mao Zedongs – Jiang Qing, die sich bis zu ihrer Hochzeit Lan Ping nannte, da ihre Lehrerin Lan hieß. Alle drei lebten in den mittleren dreißiger Jahren in Shanghai, wo Sun beim Film arbeitete. Er schrieb das Drehbuch für den bekannten Film Xin Nüxing / New Women (1934). Der Film behandelte einen Selbstmord, die Hauptdarstellerin war Ruan Lingyu, die 1935 auch Selbstmord beging; Sun und Lan nahmen an ihrem Begräbnis teil.

 

世界儿女(1941年,张翼,石挥,蓝兰主演)

 

Nl86 Artikel3b

Beide Ehepartner waren jedoch damals schon für den Spionagering von Richard Sorge tätig. Beide Schwestern und beide Ehemänner hatten das Glück die gefährlichen Jahre in Shanghai unbeschadet zu überstehen. Ob die jüngste Schwester auch in Spionageaktivitäten verwickelt war, ist nicht bekannt.

 

Literatur:

Chen Yin und Zhang Lan: Zwei chinesische Kinder in Xinjiang und in der Sowjetunion

Komplizierte Familienverhältnisse: Mao Zedongs Söhne, Schwiegertöchter und die geheimnisvolle Schwägerin

Zhang Fang und seine Memoiren : Richard Sorges chinesischer Assistent berichtet

 

Dr. Thomas Kampen

 

<< Zurück zum Inhaltsverzeichnis


Tochter - Schwester - Mutter: drei Texte aus China

Roman aus den zwanziger Jahren

1. Kapitel

Frau Li hatte sich immer mehr in Hitze geredet. Nun rannen ihr gar ein paar Zornestränen über die gepuderten Wangen. Dieser lästige Verwandtenbesuch! Alle Laune war ihr verdorben! Wie hatte sie sich auf das heutige Hotelsouper mit anschließendem Theaterbesuch gefreut! Eben schickte sie sich mit ihrem Mann zum Ausgehen an, da war ihr der "große, alte Herr" aus der Chinesenstadt gemeldet worden.

Zwar war es ihr leiblicher Vater, aber sie wollte nun einmal mit ihrer verarmten Verwandtschaft nichts mehr zu tun haben. Seit ihr Mann den hochbezahlten Sekretärposten in der ausländischen Bank erhalten hatte und aus der dumpfen Enge der Chinesenstadt hierher in die geräumige Weite des Settlements, in das hübsche Heim im Hong kew Viertel übergesiedelt war, hatte sich für sie eine Trennungsmauer zwischen dem Heute und Gestern aufgetan, hoch und fest wie der alte Stadtwall, der ehemals die Chinesenstadt vom internationalen Niederlassungsgebiet schied. Nein, sie wollte nicht mehr an das enge, ärmliche Milieu erinnert sein, in dem sie aufgewachsen war.

 

Nl86 Artikel4a

(aus: Hai shang shuo mong jen, Fräulein Tschang - Ein chinesisches Mädchen von heute, Berlin, 1931.)

 

Nl86 Artikel4b

Anmerkung :

Der Autor mit dem Familiennamen Zhu war relativ unbekannt; er war an mehreren Theater- und Filmproduktionen beteiligt. Das Buch erschien zunächst als Fortsetzungsroman in einer Shanghaier Zeitung.

 

Film aus den dreißiger Jahren

Die revolutionäre Bewegung in China hat die Kinobesucher für den modernen Gesellschaftsfilm reif gemacht. Einen durchschlagenden Erfolg hatte der 1933 gedrehte Film Zwei Schwestern, in dem die begabte Butterfly Wu eine Doppelrolle spielt. Ein Waffenschmuggler, der zwei Töchter in kindlichem Alter hat, verkauft seine schönere Tochter an einen reichen Mann, der sie zu seiner Konkubine macht. Nachdem der Vater das Geld eingesteckt hat, verlässt er seine mittellose Frau und überlässt sie ihrem Schicksal mit ihrem anderen Kinde. Nach Jahren wird die arme Tochter, die mittlerweile einen armen Mann geheiratet hat, Magd bei ihrer im Wohlstand lebenden schönen Schwester, ohne dass die beiden sich als Schwestern erkennen. Die gemütlose Mätresse des reichen Mannes misshandelt ihre Magd in der schrecklichsten Weise. Als der Ehemann der armen Magd erkrankt, bestiehlt sie ihre Herrin, um Arzneien kaufen zu können. Sie wird erwischt und kommt vor den Richter. Der Zufall will es, dass der Richter niemand anderes ist als ihr Vater, wobei Vater und Tochter, nachdem seit ihrer Trennung mehrere Jahre verstrichen waren, sich nicht erkennen. Aber als die arme Mutter, die vom Richter verurteilte Tochter im Gefängnis besucht, kommt alles heraus, Vater und reiche Schwester erkennen, was sie der armen angetan haben . . . Alles schluchzte im Zuschauerraum.   

(aus: A.J. Storfer, „Chinesische Filme“, in Gelbe Post, 1939.)

 

Nl86 Artikel4c

Anmerkung:

Butterfly Wu  war die bekannte Schauspielerin Hu Die. Der Film hieß Zimeihua (1933), Regisseur war Zheng Zhengqiu.

 

Nl86 Artikel4d

Erzählung aus den achtziger Jahren

Vor sieben Jahren hatte Yude die Kaderschule verlassen können, sieben Jahre war das schon her. Man hatte ihr eine Stelle als Kunstlehrerin an einer Schule zugewiesen, und auch ihr Sohn Chenchen kam vom Internat in einem Vorort wieder in die Stadt zurück. Mutter und Sohn waren gern heimgekehrt. Aber als sie jetzt das Licht anmachte, erschien Yude ihr Zuhause doch recht trostlos: die Wirklichkeit bestand aus einem Bett und zwei Bänken. Was damals verkauft werden konnte, war verkauft worden. Als Chen Yan seine Arbeit verloren hatte, waren einige weniger wichtige Dinge wie Frisiertisch und Bücherschrank verkauft worden. Nach Chen Yans Tod aber wurden auch die notwendigen Dinge wie Tisch und Geschirrschrank verkauft. Und jetzt? Von ihrem Monatslohn von 60 Yuan mußten auch Chenchens Großmutter in der Nähe von Yangzhou und ihre eigene verwitwete Mutter in Shaoxing versorgt werden. Yude machte sich Sorgen, ihr Sohn hingegen saß gutgelaunt auf dem Bettrand, plapperte, ließ die Beine baumeln. Selbst wenn sie noch ärmer gewesen wären, das Kind hätte sich wohlgefühlt. Die Freude des Sohnes verdrängte die ängstlichen Gedanken der Mutter und machte den Abend freundlich, die häusliche Stimmung zufrieden.

Am folgenden Morgen ging Yude mit ihrem Sohn, der stolz die neue Schultasche auf dem Rücken trug, zu der ihm zugeteilten Schule. Ihr Weg führte an einer gut ausgestatteten Schwerpunkt-Grundschule vorbei, bis sie einige Straßen weiter die private Grundschule betraten. Als Yude das für Chenchen auszufüllende Anmeldeformular in der Hand hielt, begriff sie, warum ihr Kind nicht auf der Schwerpunkt-Grundschule eingeschult werden konnte und auch später keine Schwerpunkt-Hauptschule oder Universität würde besuchen können, selbst eine verantwortungsvolle Arbeit würde er niemals bekommen. Die Entscheidung war vom politischen Verhalten seines Vaters Chen Yan diktiert worden; der Vater, ein für die Behörden aktiver Konterrevolutionär, der aus Angst vor seiner Verurteilung Selbstmord begangen hatte, hing als riesige Wolke über dem Kind und hüllte es ein, erbarmungslos

 

Nl86 Artikel4e

(aus: Ru Zhijuan, „Treiben“, in Die Horen 138, 1985. Übersetzt von Thomas Kampen.) 

 

Anmerkung:

Ru war eine der bekanntesten Autorinnen der Volksrepublik China, ihre Tochter ist die Schriftstellerin Wang Anyi.

 

zusammengestellt und kommentiert von Dr. Thomas Kampen

 

<< Zurück zum Inhaltsverzeichnis


Josie-Marie Perkuhn interviewt Astrid Lipinsky

 

Nl86 Artikel5a

Dr. Astrid Lipinsky ist Universitätsassistentin an der Universität Wien. Sie ist nicht nur Fachfrau für Sinologie, sondern auch für Recht. Sie beschäftigt sich vor allem mit den Rechten von Frauen in der chinesischen Gesetzgebung. Auf ihrer Webseite www.Sinojus-feminae.eu sind viele ihrer Schriften über Frauen und Recht in China, Hongkong und Taiwan zu finden. Auf der XXVI. Jahrestagung der Deutschen Vereinigung für China-Studien e.V. (DVCS) in Bochum referierte Astrid Lipinsky über das ”Tabuthema häusliche Gewalt”. Per E-Mail beantwortete sie nun Josie-Marie Perkuhn fünf Fragen.

 

  1. Wie hat sich das Strafrecht und seine Auslegung zum Thema häuslicher Gewalt in China verändert?

In China und international wurde ein eigenes Gesetz gegen häusliche Gewalt verlangt. Untersuchungen seit der Vierten Weltfrauenkonferenz 1995, als der Chinesische Frauenverband noch behauptete, häusliche Gewalt sei ein Phänomen des westlichen Kapitalismus, weshalb es in China keine gebe, haben gezeigt, dass eine von vier Chinesinnen in ihrer Ehe verbale oder physische Gewalt, Vergewaltigung sowie Aushungern und Einsperren erlebt.

Erstmals aufgenommen wurde die häusliche Gewalt dann als Scheidungsgrund (§ 32) und als Begründung einer Entschädigungsforderung bei Scheidung im neuen Ehegesetz von 2001 §§ 45 – 47 (Quelle). 2001 kam damit überhaupt erstmals der Begriff der häuslichen Gewalt im chinesischen Gesetz auf. Eine Definition des Begriffes erfolgte aber nicht. Vielmehr stand häusliche Gewalt in einer Aufzählungsreihe mit Bigamie, Ehebruch und böswilligem Verlassen. Alle unterstanden der Generalklausel, dass zunächst mehrere Schlichtungsversuche zu erfolgen hätten. Während der Andauer der Schlichtung war die Frau ungeschützt weiterer Gewalt ausgesetzt.

Auch in die neue Version des Frauenrechtsschutzgesetzes 父女權益保障法 von 2005 wurde in Art. 46 ein Verbot häuslicher Gewalt aufgenommen und um die Verpflichtung des Staates und aller seiner Organe, sie zu verhindern, ergänzt. Insofern greift Art. 46 erstmals die Rolle und Verantwortung des Staates auf, die im Umgang mit häuslicher Gewalt als einer eben nicht privaten und rein innerfamiliären Straftat, wie im Gesetz von 2015 festgeschrieben, an zentraler Stelle steht. Der Chinesische Frauenverband har erfolglos verlangt, dass das Gesetz gegen häusliche Gewalt in den Fünfjahresplan für Gesetzgebung 2008–2013 aufgenommen wird. Es gab aber kontinuierlich entsprechende Versuche. Unter anderem wurden Juristinnen aus Taiwan eingeladen, wo der Domestic Violence Prevention Act 1998 beschlossen wurde und in Kraft trat.

Der Volltext des Gesetzes der Volksrepublik China gegen häusliche Gewalt 中华人民共和国反家庭暴力法 findet sich hier. Das Gesetz wurde nach mehreren, jeweils zur Kommentierung öffentlich freigegebenen Entwürfen am 27.12.2015 verabschiedet, trat aber erst am 01.03.2016 in Kraft. Trotz der mehrjährigen Vorbereitung ist das Gesetz bei Chinas Richtern nicht bekannt. Dies zeigen die ersten Versuche von Frauen, eine Schutzverordnung zu erhalten, wie das Gesetz sie vorschreibt. Das Gericht muss eine „protection order“ binnen 72 Stunden erlassen, während die gemeinsam damit verlangte Scheidung durchschnittlich 3 Monate dauert. Die Schutzverordnung kann für maximal 6 Monate erlassen werden; je nachdem ist eine Verlängerung möglich. Der Schutz umfasst Wegweise-, Annäherungs- und Betretungsverbote für den Täter. Wie die Fälle zeigen, ist dieser gerichtlich garantierte Schutz das Hauptanliegen betroffener Frauen. Das Gesetz macht Gerichte, die Polizei, den Frauenverband und soziale Organisationen mitverantwortlich für die Verfolgung häuslicher Gewalt. Das Beispiel Taiwan hat aber gezeigt, dass es jahrzehntelange Trainings braucht, um die Polizei für häusliche Gewalt zu sensibilisieren.

 

  1. Was lässt sich dazu am Beispiel des Falles Li Yan zeigen?

Am Fall Li Yan sieht man sehr schön die Zwickmühle, in die politische Vorgaben und die öffentliche Meinung in China die Gerichte bringen. Die internationale Öffentlichkeit sah bei Li Yan Notwehr und verlangte einen Freispruch. Die Angehörigen ihres Mannes und viele in China sahen sie des Mordes an ihrem Mann schuldig und verlangten die Todesstrafe. Die Gewalt des Mannes in der Ehe betrachten sie nicht als strafwürdig. Das Gericht hat den Hauptauftrag, die öffentliche Ruhe zu gewährleisten. Deshalb war ein Freispruch undenkbar, und selbst die Todesstrafe auf Aufschub führte im Gericht zu gewalttätigen Protesten der Angehörigen des Toten.

 

Nl86 Artikel5b

Abbildung: Li Yan

Li Yan war monatelang von ihrem Mann auf schwerste Art und Weise misshandelt worden. Bei den Behörden reagierte niemand auf ihre Hilfegesuche. Sie erschlug ihn schließlich in einer Verzweiflungstat und versuchte zunächst, die Leiche zu beseitigen. Über sie wurde die Todesstrafe auf Aufschub verhängt.

 

  1. In Anlehnung an den Fall Dong Shanshan ist 2015 (endlich) ein Gesetzesentwurf erfolgt, demnach der Polizei mehr Verantwortung zukommt. Wie sind Ihre Einschätzungen?

Man sieht in Taiwan, wo es auch Untersuchungen dazu gibt, und am chinesischen Alltag, dass die Veränderung der Einstellung der Polizei und ihrer Praxis viele Investitionen in Polizeitraining und eine lange Übergangszeit braucht. Es müsste sicher gestellt werden, dass ab sofort der Umgang mit häuslicher Gewalt Pflichtteil der Polizeiausbildung ist. In China ist die breite öffentliche Meinung GEGEN ein polizeiliches Eingreifen ein weiterer Hinderungsgrund.

Nl86 Artikel5c
Abbildung: Dong Shanshan

Dong Shanshan starb an den Misshandlungen ihres Ehemanns. Auch sie hatte zuvor bei der Polizei um Hilfe gerufen, doch man wollte sich nicht in die Angelegenheiten zwischen Eheleuten einmischen.

 

  1. Welchen Einfluss und Erfolg hatte die 2002 ausgestrahlte TV-Serie „Mit Fremden sprich man nicht  不要和陌生人说话”?

Großen. Allerdings reicht eine einmalige Ausstrahlung nicht. Die Aussendung müsste jährlich, etwa anlässlich der “16 Tage gegen Gewalt an Frauen”, wiederholt werden. Es sollte auch eine DVD geben. Bisher habe ich davon nichts gesehen.

Nl86 Artikel5d

Abbildung: Mit Fremden spricht man nicht

Die Fernsehserie “Mit Fremden spricht man nicht 不要和陌生人说话” thematisiert das Tabuthema häusliche Gewalt.

 

  1. Während Ihres Vortrags auf der Jahrestagung der DVCS notierte ich mir die zusammenfassende Formel: Recht vor Frauen vor Gericht; Hat sich die Situation des Frauen-Rechts- vor Gericht überhaupt verbessert?

Da ist die Frage welche Frauenrechte und welche Prioritäten. China hat ja das Frauenrechtsschutzgesetz im Quasi-Verfassungsrang, aber mir ist kein Gerichtsverfahren bekannt, wo auf seiner Grundlage geklagt wurde. Das wäre wie bei der chinesischen Verfassung, die ja auch nicht direkt eingeklagt werden kann.

 

Bildungsrechte: Ob und welche frau hat, entscheidet die Familie.

Berufsrechte: Spielen in der Praxis keine Rolle.

Rechte in der Familie: Gelten nach wie vor als Familienangelegenheit. Eine Frau, die vor Gericht geht, gilt als schlechte Frau. Ist sie Zweit- oder Drittfrau und klagt auf einen Erbteil, wird sie verlieren (es gibt Beispielfälle), weil ihre Beziehung für das Gericht nicht nur nicht legitim, sondern auch moralisch falsch ist.

 

<< Zurück zum Inhaltsverzeichnis


Geschlechtergleichstellung im Kontext der Rechtsreform

Geschlechtergleichstellung im Kontext der Rechtsreform1

Inwieweit hat sich die rechtliche Stellung der Frau gemäß dem Rechtsentwurf in der späten Qing-Zeit verändert?

In der Übergangszeit von der Qing- Dynastie (1644-1911) zur Republik (1912a-1949) hat sich hinsichtlich der gesellschaftlichen Stellung der Frau ein bedeutender Wandel vollzogen. Während Frauen zuvor eine subordinierte Position in der Gesellschaft einnahmen und selbst rechtlich die Rolle eines „passiven Agenten“ ausfüllten2, traten Frauen nun zunehmend als gleichberechtigte Agenten in Erscheinung. Drei Aspekte stechen heraus: der Zugang zu Bildung, der Zugang zu finanzieller Sicherheit und die rechtliche Verankerung ihrer Gleichstellung. Mit dem ausgehenden 19. Jahrhundert wurden bereits vielerorts Frauenschulen eröffnet3, im Rahmen des industriellen Wachstums übernahmen Frauen erstmals als Arbeiterinnen außerhalb der familiären Produktion eine Rolle und damit eine ökonomische Position im Markt ein4. Sie erlangten graduell die Möglichkeit zu finanzieller sowie sozialer Unabhängigkeit.

Weniger an die Frage des Eigentums, denn an die Frage der Schuld angelehnt, ist die damit einhergehende Abschaffung der familiären Kollektivverantwortung, die bis auf die Han-Zeit (206 v. Chr.- 220 n. Chr.) zurückgeführt werden kann.5 Der Wandel vom Status des rechtlichen Objekts zum Subjekt, bzw. von einem passiven zu einem aktiven Agenten vor Gericht gehört zu den europäischen Rechtsstaatlichkeitsnormen, die seit dem ausgehenden 17.Jh. debattiert wurden. Im chinesischen Kontext sollte dies neben der Abschaffung der Statusgesellschaft bedeuten, dass Frauen selbst als Agentinnen vor dem Gericht auftreten würden können. In Auseinandersetzung mit westlichen Rechtsnormen flossen also Ansätze der individuellen Gleichstellung in die Rechtsnormen ein.

Aus der kontroversen Rechtsdebatte der Qing-Nationalversammlung 1911 um neuen Strafgesetz über die revidierten Unzuchtsbestimmungen zwischen der Baipiao dang 白票黨 („Partei der Weißen Stimmzettel“), die eine Dekriminalisierung von außerehelichem Geschlechtsverkehr für Frauen unter moralistischen Gesichtspunkten zu verhindern suchte und der Lanpiao dang 藍票黨 („Partei der Blauen Stimmzettel“), die eben eine solche Dekriminalisierung aus pragmatischen Gründen unterstützte6, schlussfolgert Yeung, dass weder die Emanzipation der Frau noch die Begünstigung ihrer Rechte intendiert war. Yeung schreibt: „the reformers certainly did not intend to promote the autonomy of women or women´s rights.”7 Die Rechtsreformen zu Beginn des 20. Jahrhunderts standen vielmehr im Zusammenhang mit der chinesischen Selbststärkungskampagne und der Abschaffung extraterritorialer Rechte der westlichen Mächte, Elemente der Geschlechtergleichstellung sind daher eher als un-intendiertes Resultat zu betrachten.

Der Qing-Code und rechtliche Stellung der Frau8

Die früheste Version des Qing-Codes wurde bereits 1646 unter dem ersten Mandschu-Kaiser verfasst und bis 1740 zum Da Qing lüli erweitert.9 Ein Rechtstext ist nicht statisch und unterliegt grundsätzlich dem soziologischen, politischen sowie ökonomischen Wandel einer Gesellschaft, der sich in Form von Gesetzesänderungen und -ergänzungen oder gar Abschaffungen auf den Gesetzestext auswirkt. So auch im Falle des Qing-Codes, welcher durch eine Vielzahl von Substatuten, li 例, zu dem (Haupt-)Gesetzestext, 律, – wie sich aus dem Namen „Da Qing lüli“ ableiten lässt – gemäß den sozialen Gegebenheiten angepasst10 wurde.11

Die rechtliche Stellung der Frau kann stark schematisch mit zwei Wesensmerkmalen charakterisiert werden: zum einen durch die Anbindung der Frau zum patriarchalischen Familienoberhaupt als entweder Tochter oder Ehefrau und zum anderen durch den Status eines „Sachgegenstandes“.12

Aus Ersterem resultiert, dass Frauen prinzipiell keine Möglichkeit eingeräumt wurde, vor Gericht als Agentin zu erscheinen, weder als Anklagende noch als Zeugin. Auch räumte das vorherrschende Gesetz Frauen prinzipiell kein „Individualrecht“ auf freie Entscheidung beispielsweise hinsichtlich der Eheschließung ein und folglich gab es für sie auch kein Recht auf Scheidung. Dies bedeutete jedoch nicht, dass sie dem Gesetz nicht unterstellt gewesen wären. Ebenso wenig hatten sie das „Recht“ auf Erlangung oder Besitz von Eigentum und unter dem Gesichtspunkt der patriarchalischen Erbfolge, waren sie nicht erbberechtigt.

Der Vergleich mit einem Sachgegenstand resultiert neben der Betrachtung gesetzlicher Bestimmungen aus Huangs Analyse einzelner Strafrechtsfälle, aus denen hervorgeht, dass Frauen rechtlich als Objekt einer Handlung gesehen wurden, nicht aber als Subjekt13. „The law even implicitly equated those [abducted] women with things taken by theft or robbery,“14. Der Aspekt der „Versachlichung” lässt sich auf Straffälle bezüglich Entführungen, Zwangsehen, Verkauf sowie „Versklavung“ und Zwang zur Prostitution übertragen.

Gesetze sind nicht frei von Veränderung und so sieht Huang die „großen Erfolge“ der rechtlichen Verbesserung hinsichtlich der Stellung der Frau in den Substatuten, demnach ihnen in dreierlei Fällen eine „Wahl zur Weigerung“ eingeräumt wurde: sich als Frau gegen Vergewaltigung, als Witwe gegen Wiederverheiratung und als Ehefrau gegen den Verkauf auszusprechen15. Weniger als Verbesserung der rechtlichen Stellung, denn als Verschlechterung, ist das Urteil gemäß dem Grundsatz des zheng fenghua正風化, also dem Anpassen an gesellschaftliche Gebräuche, zu bewerten, demnach ein Ehemann seine Frau aufgrund existentieller Armut verkaufen durfte, ohne dafür strafrechtliche Folgen16 zu erleiden.17 Trotz einer Vielzahl von hinzugefügten Substatuten und einem hinreichend legitimierenden Wandel der sozio-ökonomischen Stellung der Frau verblieb ihre Stellung gegenüber dem Mann untergeordnet.

Die Rechtsreform

Eine Revisionskommission wurde eröffnet, die den Rechtsreformprozess auf im Ausland ausgebildete Experten gestützt vorantreiben sollte. Gemäß einer Throneingabe von Zhang Zhidong张之洞 (1837-1909) und Liu Kunyi劉坤一 (1830-1902) 1901 wurde eine Kommission zur Rechtsreform und Rechtsrevision des erweiterten Qing-Codes unter Führung Shen Jiabens沈家本 (1840-1913) eingesetzt18. Als erstes Ergebnis wurde 1906 das Prozessrecht für Straf- und Zivilfälle (Xingshi Minshi Susong fa形式民事訴訟法) präsentiert, welches auch wegen seiner Gegenläufigkeit zu konfuzianischen Werten und dem Antrieb zur Geschlechtergleichstellung zuvor von Zhang Zhidong selbst kritisiert worden war19. Weder Prozessrecht noch spätere Entwürfe zum Zivil- und Strafrecht (1907) konnten in ihrer Gesamtheit vor dem Fall der Dynastie (1911) implementiert werden. Jedoch kam es zu tatsächlichen Änderungen durch Vorschriften, die sich auch auf die Geschlechtergleichheit auswirkten. Mit dem Entwurf des Neuen Strafrechts intendierten die Reformer absolute Straffreiheit für freiwilligen Geschlechtsverkehr unverheirateter Frauen und Witwen. Nicht nur, dass damit Frauen implizit die Möglichkeit eines freien Willens zugeschrieben worden wäre, es hätte auch die Zuständigkeit vom Strafrecht zum Zivilrecht übertragen. Wie Zhang Zhidong zuvor das Prozessrecht aufgrund der Unvereinbarkeit mit konfuzianischen Grundwerten abgelehnt hatte, wurde das Neue Strafrecht von Moralisten wie Lao Naixuan 勞乃宣 (1843-1920), der auch der oben erwähnten Baipiao dang angehörte, kritisiert. Sie befürworteten die Einbettung moralischer Prinzipien in den Rechtstext und lehnten gleichsam die intendierte Trennung von „Sozialem Übel“ und Verbrechen gemäß der Auseinandersetzung mit Grundsätzen des Naturrechts20 ab.21 Das Ergebnis der durchaus kontroversen Diskussion brachte im Rahmen der Übergangs-vorschriften 1909 die Wiederaufnahme illegitimen Geschlechtsverkehrs hervor.22 Es lässt sich also festhalten, dass an die Diskussion über eine formale Zugehörigkeit zum Straf- oder Zivilrecht auch inhaltliche Aspekte verknüpft waren. Im dargestellten Beispiel führte dies jedoch wider der Intention der Rechtsreformer nicht zu einer verbesserten Stellung der Frau, sondern es rief gerade das Gegenteil hervor. Es ist ferner davon auszugehen, dass „female sexual behavior […] [became] even more heavily guarded , a matter of public interest, and thus subject to state and family control“23. Wie bereits ausgeführt wurde, lag die rechtliche Verbesserung in der Weigerung zur Vergewaltigung, zur Wiederverheiratung und zum Verkauf. Der Verkauf einer Ehebrecherin an einen anderen Mann unter Aufsicht eines Magistraten wurde durch den Qing-Code als Strafmaß festgesetzt, wobei der Erlös konfisziert wurde. Mit der Modernisierungsbestrebung wurde erst 1908 der „Zwangsverkauf“ aus dem Gesetzestext gestrichen.24

Gab es weibliche Akteure und inwieweit haben sie sich für eine gesetzliche Fixierung der Geschlechtergleichstellung eingesetzt?

Das Forschungsfeld der Geschlechtergleichstellung hat nicht zuletzt durch das Aufkommen durchgreifender Frauenbewegungen seit Beginn des 20. Jahrhunderts an Bedeutung gewonnen und ist stets erweitert worden. Bei der Recherche zu dieser Arbeit bin ich jedoch kaum auf haltbare Quellen gestoßen, die auf eine weibliche Beteiligung am frühen Rechtsreformprozess hinweisen. Auch der Hinweis von Christopher Lucas in „Women of China“, dass die Kaiserinwitwe Cixi 慈禧太后das Ministerium für Rechtsreformen eingerichtet habe, um die Position der Frauen zu stärken, lässt sich nicht halten. Lucas schreibt: „[…] as early as 1906, the Dowager-Empress [Cixi] decreed a Law Revision Bureau, chiefly to improve woman´s station,“25 . Zwar ist es nicht abstreitbar, dass auf ihr Anweisen hin sowohl Reformkommission als auch Ministerium eingerichtet worden sind, eine intentionale Begründung zu Gunsten der Frauen, bleibt m. E. spekulativ. Dass es jedoch engagierte Frauen gab, die sich im Zuge der sozio-ökonomischen Veränderungen organisierten und damit eine sozial-politische Frauenbewegung initiierten, ist nach dem Stand der Forschung belegt.26 Welche weiblichen Akteure gab es, die sich sowohl mit der gesellschaftlich-rechtlichen Geschlechtergleichstellung befassten als auch direkt oder indirekt Einfluss auf die chinesische Gesellschaft nahmen oder hätten nehmen können?

Wie bereits angeführt, gab es neben der Kaiserinnenwitwe Cixi keine weiblichen Akteure, die am Reformprozess beteiligt waren. Eine inhaltliche Beteiligung Cixis ist weder hinreichend dokumentiert noch wahrscheinlich. In der Zeitspanne waren jedoch Frauen aktiv, drei von ihnen sollen hier vorgestellt werden. Diese drei stehen exemplarisch für den sozialen Wandel und zeigen mit ihrer Selbststärkung die Verbesserung der Frauenrolle in der Gesellschaft: Shimoda Utako 下田 歌子(1854-1936), die zu Beginn des 20 Jahrhunderts bis nach Shanghai wirkte, und als Japanerin für den transnationalen Austausch und für die Verbreitung von Geschlechter-gleichheit steht; Qiu Jin 秋瑾 (1875-1907), die sowohl für ihre Stellung gegenüber der Geschlechtergleichberechtigung als auch für ihren politisch-revolutionären Kampf hingerichtet wurde und als Märtyrerin in die Geschichte Chinas einging und He Zhen 何震 (1884-?), die durch die Veröffentlichung der progressiven Zeitung „Tianyi bao“ 天義報 (Zeitung für Naturrecht) für die rechtliche Gleichstellung von Frauen eintrat. Kurzum eine Japanerin, die Chinesen ausbildete, eine Chinesin, die nach Japan ging und als Revolutionärin zurückkehrte und eine Chinesin, die nach Japan floh und dort blieb.

Shimoda Utako下田 歌子

Wie der Name schon verrät, war Shimoda Utako Japanerin. Sie wurde 1854 im heutigen Ena geboren und ist bis heute berühmt für ihren poetischen Beitrag zu den japanischen Meiji-Reformen (1868). Sie postulierte den Zusammenhang von weiblicher Selbstdefinition und Selbststärkung durch Bildung und verknüpfte damit den weiblichen Beitrag am Nationalismus. Ihr Werk und Wirken konzentrierte sich nach der Jahrhundertwende vor allem auf die Etablierung von Frauenschulen. Wie also kann Shimoda Utako, eine Japanerin, symbolisch für den sozialen Wandel in der chinesischen Geschlechterfrage stehen? Shimoda Utako fokussierte die Stärkung der gesamt-asiatischen Sphäre. Eine pan-asiatische Region als politisches Gegengewicht zum Westen hinge jedoch von einem gestärkten China ab und dieses sei (nur) über einen durch gebildete Frauen vorangetriebenen Nationalismus realisierbar.27 Wenn ihr Frauenbild maßgeblich geprägt war durch die traditionellen Tugenden einer „guten Ehefrau“ und „weisen Mutter“28, so war ihr Einfluss auf die weibliche chinesische Jugend ihrer Zeit immens. Ihr Einfluss zeigte sich einerseits durch ein staatlich begrüßtes Austauschprogramm für junge Chinesinnen, die bei ihr in Japan geschult wurden und andererseits durch die federführende Gründung29 der Gesellschaft für Erneuerung - Zuoxin She 作新社- 1901 in Shanghai30. Zu den Veröffentlichungen der Gesellschaft gehörten Schulbücher nach westlichem Vorbild31 sowie die Zeitung „Dalu 大陸” (“Festlandchina”). Auch Cixi wurde auf Shimoda Utako aufmerksam und hoffte darauf, dass „Shimoda im Sommerpalast außerhalb Pekings eine Frauenschule einrichten würde,“32. Inwieweit diese Bekundung Cixis dahingehend ausgelegt werden kann, dass sie die rechtliche Stellung der Frauen verbessern wollte (s. Lukas, 1965), bleibt jedoch weiterhin fragwürdig. Halten wir fest, Shimoda wirkte direkt auf die Etablierung von Frauenschulen ein, als Lehrerin wirkte sie direkt auf die chinesische Austauschstudentinnen ein und über diese Studentinnen und ihre Veröffentlichungen wirkte sie indirekt auf das Bewusstsein der Zeit ein, um die gesellschaftliche weniger rechtliche Rolle der Frauen zu stärken.

Qiu Jin秋瑾

Qiu Jin wurde 1875 in Xiamen (früher Amoy) in der Provinz Fujian, wo ihr Großvater Qiu Jiahe 秋嘉禾das Amt des Stadtpräfekten bekleidete, als zweites Kind in eine chinesisch konventionelle Beamtenfamilie geboren. Ursprünglich stammte ihre Familie aus Shaoxing, wohin sie nach dem Tod ihres Großvaters sowie Vaters mit ihrer Familie zurückkehrte. Durch ihre Mutter und den Hauslehrer des größeren Bruders erhielt sie eine klassische Ausbildung, die ihr ein hohes Maß an Bildung zukommen ließ.33 Mit ihrem traditionell verheirateten Ehemann zog sie in die Hauptstadt nach Peking und schloss Freundschaft mit gleich gesinnten Frauen. Darunter war auch Wu Zhiying 吴芝瑛, der sie in einem Gespräch sagte: „Die Frauen müssen etwas lernen, um unabhängig zu werden. Sie dürfen sich nicht immer in allen Dingen an die Männer klammern,“ 34. Gemäß dieser Aussage trennte sie sich von ihrem Mann und beschloss für ein Austauschstudium nach Japan zu reisen, wo sie u. a. auf Shimoda Utako traf 35 und als Hauptverantwortungsträgerin einer Organisation san he hui 三合會, einer Geheimgesellschaft aus vorwiegend revolutionären Studenten, aber auch Sun Yat-sen (Sun Yixian孫逸仙) – beitritt. Nach ihrer Rückkehr 1906 schließt sie sich der Nationalbewegung in China an, lehrt in verschiedenen Mädchen- und Frauenschulen und soll sich später in Shanghai bei der Herstellung von Sprengkörpern verletzt haben36. Vor ihrer Verhaftung hielt sie sich in der Militärakademie „Da Tong“大通 in Hangzhou auf und wurde am 17. Juli 1907 nach Vernehmungen in Shaoxing exekutiert. Die semi-biographische Erzählung, die im Deutschen unter dem Titel „Die Steine des Vogels Jingwei“ von Cathrine Gipoulon bekannt geworden ist, war in China zwar bis 1958 quasi unbekannt, untermauert jedoch in vielerlei Hinsicht ihre Einstellung zur Geschlechtergleich-berechtigung sowie die Chance ihrer Realisierung mittels der nationalistischen Bewegung. Auch Qiu Jin sieht Bildung als Grundlage für eine gleichberechtigte Stellung in der Gesellschaft. Die Forderung nach rechtlicher Gleichstellung lässt sich jedoch nur aus ihrer Erzählung ableiten. So widmete sie ein Kapitel „Frauen, die große Pläne haben und für die Sache der Gerechtigkeit kämpfen“ und ein weiteres „Wie Huang Jingxiong durch das Land zieht, um den Gedanken vom Recht auf Freiheit zu verbreiten37. Während ersteres Kapitel primär ein Beitrag gegen die traditionellen Eheschließungen darstellt und die – aus mangelnder Bildung – schlechte mütterliche Erziehung ihren Kindern gegenüber thematisiert, zielt Letzteres auf die ökonomisch-finanzielle Unabhängigkeit von Frauen im Zuge der Industrialisierung ab. In beiden Kapiteln wird die Forderung nach einer rechtlichen Anerkennung deutlich. Wie auch Shimoda Utako und noch folgende He Zhen suchten die weiblichen Akteure in der auflebenden Presselandschaft ihr Sprachrohr. So unternahm Qiu Jin mit der Veröffentlichung einer chinesischen Frauenzeitung Zhongguo Nübao 中國女報den Versuch, eine Grundlage für die Frauenvereinigung sowie ihrer Bildung zu schaffen.38 Auf die Rolle der Presse und den Einfluss der Akteure werde ich im dritten Kapitel näher eingehen. Halten wir fest, dass Qiu Jin eine gebildete Chinesin war, die sich sowohl schriftlich gegen die ungleiche Position der Frauen ausdrückte als auch durch die Trennung von ihrem Ehemann und die revolutionären Aktivitäten gegen bestehende Konventionen und ungleichen Rechte für die Gleichberechtigung der Frauen aussprach.

He Zhen何震

Auch He Zhen ist vor allem durch ihre Veröffentlichungen zur Geschlechtergleichstellung berühmt geworden. Sie gilt als eine der radikalsten weiblichen Vertreterinnen ihrer Zeit und wird nicht zuletzt aufgrund ihrer Ausbildung unter Cai Yuanpei 蔡元培 (1868-1940), in dessen Schule Aiguo Nüxiao愛國女校 (Patriotische Frauenschule) „weibliche Anarchisten“ trainiert werden sollten, zu dem Anarcho-Feminismus gezählt.39 So wichtig ihre Rolle auch sein mochte, nähere Erkenntnisse über ihre Biographie hat die Forschung mangels Quellen der letzten zwanzig Jahre nicht hervorgebracht. Feststeht, dass sie 1884 in Yizheng in der Provinz Jiangzu unter dem Namen He Ban 何班geboren wurde und den Höflichkeitsnamen Zhijian 志劍 trug. 1904 heiratete sie Liu Shipei 劉師培 (1884-1919), einen berühmten klassischen Gelehrten der Hanxue-Texttradition. Liu hatte sich bereits 1903 gegen die mandschurische Herrschaft ausgesprochen und gleichsam selbst als Anarchisten bezeichnet.40 Mit ihm zusammen floh sie 1907 noch vor der Verhaftung Qiu Jins nach Tokio, wo sie gemeinsam die Tianyi Bao herausgaben. Auch He Zhen arbeitete bis 1919 als Tutorin, bis ihr Mann starb und sie angeblich in ihrer Trauer als Nonne bis zu ihrem eigenen Tod ins Kloster ging.41 Zwar wurde die Zeitung für Naturrecht in Japan veröffentlicht, behielt jedoch China als zentrales Thema und chinesische Studentinnen als Adressaten. Bereits mit der zweiten Ausgabe änderte sich ihr Titel zu Shehui zhuyi jiangxi hui 社會主義講習會(Gesellschaft für Studium und Sozialismus), wodurch der Fokus weniger auf die Frauenrechte an sich fiel, denn auf die Forderung nach einem sozialistischen Gesellschaftssystem. In ihren Beiträgen konzentrierte He Zhen sich weder auf Themen, wie die Abschaffung des „Füßebindens“ oder beschränkte sich auf die Ausbildung von Frauen noch suchte sie Lösungen im bestehenden Regierungssystem durch beispielsweise Forderungen an die Rechtsreform, sondern proklamierte die Abschaffung der Regierung insgesamt und damit implizit die Geschlechtergleichstellung. „He Zhen takes the elimination of government as the only guarantee of absolute sexual equality“42. Zu den frühen, veröffentlichten Artikeln gehörte neben “Nüzi Xuanbu Shu” 女子宣布書 (Erklärung der Frauen) und „Nüzi Jiefang Wenti” 女子解放問題 (Probleme bei der Frauenbefreiung)“ auch “Nüzi Fuchou Lun” 女子復仇論 (Zur Rache der Frau). Xia gibt den Wortlaut He Zhens wie folgt wieder: „Once government is no longer, then all men are equal and all women are equal, and men and women are equal [...]”43. Mit dieser Forderung ging sie noch einen Schritt weiter als ihre Zeitgenossinnen und distanzierte sich von ihren Mitstreiterinnen. Inwieweit die radikalen Schriften in ihrer Heimat China Verbreitung fanden, bleibt unklar. Es ist jedoch zu vermuten, dass sie den gleichen Weg über die Schule Shimoda Utakos fanden. Halten wir fest, He Zhen ist mit ihren Forderungen nach rechtlicher Gleichstellung durch Abschaffung des gesamten Regierungssystems am radikalsten, über ihren Einfluss ist jedoch am wenigsten bekannt.

Es ließen sich noch weitere Beispiele von Frauen mit revolutionärem Geist anfügen, ich möchte mich jedoch auf diese drei Beispiel beschränken. Aufgezeigt habe ich den großen transnationalen Einfluss Japans, der sowohl für die innovativen Entwürfe der Rechtsreform prägend war als auch für die Ausbildung eines Frauenbildes im Wandel. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass allen drei vorgestellten Frauen eine hohe Bildung, eine Tätigkeit als Tutorin, ein gesteigertes Interesse am Nationalismus, eine neue Weltvorstellung, die in Auseinandersetzung mit dem Westen vorwiegend über Japan transportiert wurde, sowie die Nutzung der Presse als Multiplikationsorgan gemeinsam ist. In den vorgestellten Fällen wurden die radikalen Ideen über spezielle Frauenzeitungen und -zeitschriften verbreitet, die Thematik der Geschlechtergleichstellung wäre wohl kaum ohne den Einfluss in die Tagespresse verbreitet worden.

 

Literaturangaben

     Cai He/Wu Xiaoping, 2006: Social Change and Occupational Gender Inequality, in: Chinese Sociology and Anthropology, 23:4,37-53.
     Cheng, Joseph Kai Huan, 1976: Chinese Law in Transition. The Late Ch’ing Law Reform, 1901-1911, Brown University.  
     Cheng, Weikun, 2000: Going Public Through Education: Female Reformers and Girls` Schools in Late Qing Beijing, in: Late Imperial China, 21:1, 107-144.
     Gates, Hill, 1989, The Commoditization of Chinese Women, in: Signs, 14,4: Commom Grounds and Crossroads: Race, Ethnicity, and Class in Women´s Lives, 799-832.
     Gipoulon, Catherine: 1977: Die Steine des Vogels Jingwei – Qiu Jin: Revolutionärin im China des 19.Jhs.,München.
     Huang, Philip C.C, 2001: Code, Custom, and Legal Practice in China, California.
     Ho Clara Wing-chung (Hrsg), 1998: Biographical Dictionary of Chinese Woman: the Qin Period, 1644-1911, Bd.2, von Lee, Lily Xiao                 Hong/Stefanowska,A.D (Hrsg.) assisted by Sue Wiles: Biographical Dictionary of Chinese Woman, Armonk, New York.
     Hobbes, Thomas, 1651: Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, hrsg. und eingeleitet von Iring Fetscher, übers. Von Walter Euchner, Berlin, 1966.
     Jiang Weitang 姜緯堂/Liu Ningyuan 劉寧元, 1990: 北京婦女報刊考Beijing funü baokan kao, 1905–1949 (Textual Research on Women’s Journals and Newspapers in Beijing, 1905–1949). Beijing.
     Judge, Joan, 2001: Talent, Virtue, and the Nation: Chinese Nationalisms and Female Subjectivities in the Early Twentieth Century, in: The American Historical Review, 106:3, 765-803.
     Kazuko, Ono, 1989: Chinese Woman in a Century of Revolution, 1850-1950, Stanford, California.
     Locke, John: 1989: Zwei Abhandlungen über die Regierung. Herausgegeben und eingeleitet von Walter Euchner. Übersetzt von Hans Jörn Hoffmann, 4. Auflage, Frankfurt (a.M.) S.227, §44.
     Lucas, Christopher, 1965: Women of China, Hong Kong.
     MacLachlan, Sarah, 2008: zuoxinshebian作新社編(1902), in: Baishan heishuilu 白山黑水錄,entnommen: http://bbs.gxsd.com.cn/archiver/?tid-110383.html [20.10.2008].
     Meijer, Marinus Johan, 1991: Murder and Adultery in Late Imperial China – Study of Law and Morality, Leiden, New York, Kobenhavn, Köln.
     Shaoxing Government, 1999: Qiu Jin, entnommen: http://www.shaoxing.gov.cn/en/0307/10350.htm [01.11.2008] Shenbao 申報, 1881: Funü Wu Qingyi Jiao Guanmei Shuo婦女勿輕易交官媒說 (Darüber, das Frauen offiziellen Matronen (guanmei) nicht leichthin ausgeliefert werden), 2794, 13.2.1881.
-1881: Lun Funü Guan Mai論婦女官賣 (Über den offiziellen Verkauf von Frauen), 2851, 11.4.1881.
Shuntian Shibao順天時報, 1906: Xulun Nüzi Jiaoyu Yiding Zongzhi 續論女子教育宜定宗旨(Fortsetzung über die angestrebten Ziele der Frauenbildungsbewegung), 1264 15.5.1906.
-1907: Nüxue Cishanhui Dafang Huahe“ 女學慈善會大放花盒 (Die philantrophische Gesellschaft für Frauenbildung bewundert ihr Feuerwerk), 1561, 13. 4.1907.
-1907: Ji Riben Nüzi Jiaoyu Fada記日本女子教育發達 (Notiz über die Entwicklung der japanischen Frauenbildungsbewegung) 1561, 13. 4.1907.
     Speth, Rudolf 2003: John Locke, in: Massing,Peter/ Breit, Gotthard (Hrsg.) Demokratie-Theorien, Von der Antike bis zur Gegenwart, Bonn, 99-105.
     Sui, Bobby, 1982: Woman of China: Imperialism and woman´s resistance 1900-1949, London.
     Tan, Carol G.S, 2005: Hurry no man´s cattle – British Rule and suicide in China, in: The Journal of Legal History, 26:3, 279-304.
     Wagner, Rudolf G., 2008: “Woman In Shenbaoguan Publications”, 1872-90, in: Qian Naixu/Fong, Grace,S./Smith, Richard J.: Different Worlds of Discourse –Transformation of Gender and Genre in Late Qing and Early Republican China, Boston,227-256.
     Wilkinson, Endymion, 2000: Chinese History- A Manual, Revised and Enlarged, Cambridge, London.
     Wright, Mary Clabaugh, 1968: China in Revolution: The First Phase 1900-1913, edited and with an introduction by Mary Clabaugh Wright, New Haven, London.
     Xia Xiaohong, 2008: Tianyi Bao And He Zhen´s Views On “Women´s Revolution, in: Qian Naixu/Fong, Grace,S./Smith, Richard J.: Different Worlds of Discourse – Transformation of Gender and Genre in Late Qing and Early Republican China, Boston, 293-314.
     Yeung, Alison Sau-Chu, 2003: Moral Teachings and Legal Principles, in: Modern China, 29:3, 297-328.
     Zarrow, Peter, 1988: He Zhen and Anarcho-Feminism in China, in: The Journal of Asian Studies, 47:4, 796-818.

 

1 Dieser Artikel basiert auf einer Hausarbeit im Seminar „Rechtstradition von der Qing zur Republik“, eingereicht bei Michael Lüdke im Sommersemsester 2008. Der vorliegende Artikel ist stark gekürzt und stützt sich auf dem akademischen Stand von 2008. Neuere Erkenntnisse sind nicht beachtet.

2 Huang, Philip C.C, 2001: Code, Custom, and Legal Practice in China, California, S. 155.

3 Vgl. Cheng, Weikun, 2000: Going Public Through Education: Female Reformers and Girls`

Schools in Late Qing Beijing, in: Late Imperial China, 21:1, 107-144.

4 Vgl. Gates, Hill, 1989, The Commoditization of Chinese Women, in: Signs, 14,4: Commom

Grounds and Crossroads: Race, Ethnicity, and Class in Women´s Lives, 799-832.

5 Cheng, Joseph Kai Huan, 1976: Chinese Law in Transition. The Late Ch’ing Law

Reform, 1901-1911, Brown University, S. 135.

6 Hier gilt es noch einmal zu unterstreichen, dass die Argumente für die Dekriminalisierung keineswegs auf einer besonderen Berücksichtigung von Frauenrechten fußten.Yeung, Alison Sau-Chu, 2003: Moral Teachings and Legal Principles, in: Modern China, 29:3, 297-328, S.303.

7 Yeung 2003, S.304.

8 Informationen dieses und folgender Abschnitte basieren auf dem Nachfolgewerk zu „Civil Justice in China“ (1996) „Code, Custom, and Legal Practice in China“(2001) von Philip C.C. Huang. Diese zwei Bände stellen derzeit die umfassendste sowie jüngste englischsprachige Arbeit zu den Rechtsreformprozessen in der Übergangszeit von Qing zur Republik dar. Im Rahmen dieser Seminararbeit sind die Ausführungen zu Gunsten der Arbeitslänge stark vereinfacht.

9 Wilkinson, Endymion, 2000: Chinese History- A Manual, Revised and Enlarged, Cambridge, London, S.547.

10 Die Ergänzung von Substaten gemäß dem gesellschaftlichen Wandel wird mit zheng fenghua 正風化 bezeichnet, dem “Richten gemäß den gesellschaftlichen Gebräuchen”.

11 Vgl. Mejer, Marinus Johan, 1991: Murder and Adultery in Late Imperial China – Study of Law

and Morality, Leiden, New York, Kobenhavn, Köln, S. IX.

12 Huang, 2001

13 Der Charakter der Versachlichung steht im Zusammenhang mit dem chinesischen Begriff he 和 „von etwas betroffen sein“ und impliziert den Objektcharakter im Gegensatz zu einer aktiven Agentenschaft, dem Subjektcharakter.

14 Huang 2001: 159

15 An dieser Stelle muss einer Frau der Kommentar erlaubt sein, dass hinsichtlich der bedeutenden ökonomischen Stellung (vgl. Gates, 1989), dem zunehmenden – wenn auch bescheidenen – Bildungsgrad (vgl. Cheng, 2000) und dem wichtigen Beitrag am chinesischen Nationalismus (vgl. Judge, 2001) es als Frechheit anzusehen ist, daraus den Begriff eines Agenten abzuleiten. „[… it would be wrong to hold that she wielded no agency at all,” (Huang, 2001:166)].

16 Gemäß dem erweiterten Qing-Code stand der Verkauf der Ehefrau zwecks (Wieder-)Verheiratung oder Verkauf in den Stand einer Konkubine (als maixiu maixiu 買休賣休bezeichnet) unter Strafe, ebenso strafbar galt der Verkauf einer Frau in die Prostitution (bezeichnet als maichang 賣娼, Huang, 2001:157), jedoch nicht, wenn es als Strafe verhängt wurde.

17 Huang 2001:157

18 Zwar wurde die Kommission bereits 1902 einberufen und 1903 ein Ministerium für Recht (fabu 法部, Yeung, 2003:298) bzw. (falü guan 法律馆, vgl. Cheng, 1976:122) eingerichtet, jedoch begann die inhaltliche Arbeit erst 1904 (vgl. Cheng, 1976).

19 Huang 2001: 32f.

20 Die Grundlage für diese naturrechtliche Unterscheidung gegenüber dem Rechtspositivismus ist auf Thomas Hobbes zurückzuführen, jedoch verläuft der Argumentationsstrang entgegengesetzt. Nach Hobbes können moralische Grundwerte zur Schaffung von Gesetzen herangezogen werden, Zuwiderhandlungen gegen nicht verfasste Gesetzte verbleiben bei der moralischen Verurteilung. „Denn da in diesem Falle kein anderes Gesetz als das der Natur bleibt, ist keine Anklage möglich, so ist dies Sünde, aber kein Verbrechen,“ (Hobbes, 1651:224).

21 Yeung, Alison Sau-Chu, 2003: Moral Teachings and Legal Principles, in: Modern China,

29:3, 297-328, S. 307.

22 Es heißt: „[T]he Interim Provisions reintroduced criminal punishment for illicit sex involving an unmarried woman, stipulating a maximum penalty or either a fith-degree confinement […] or a fine of 100 yuan.” (Yeung, 2003:302).

23 Yeung, 2003, S. 320.

24 Mejer, 1991, S. 48.

25 Lucas, Christopher, 1965: Women of China, Hong Kong, S.45.

26Gipoulon, 1977; Sui, 1982; Kazuko, 1989, Cai/Wu, 2006

27 Judge, Joan, 2001: Talent, Virtue, and the Nation: Chinese Nationalisms and Female

Subjectivities in the Early Twentieth Century, in: The American Historical Review, 106:3, 765-803.

 

28 Genau dieses traditionelle Frauenbild brachte ihr Anerkennung bei Reformern wie Zhang Zhidong ein, der neben seinem Beitrag zum Rechtsreformprozess auch das erste offizielle Dokument zur Etablierung von Mädchen- und Frauenschulen verfasste (Judge, 2001:777).

29 An der Gesellschaftsgründung waren vor allem ihre chinesischen Studentinnen beteiligt, darunter Ji Yihui, Qian Fengbao (780); Qiu Jin (1875-1907), He Xiangning (1872-1972), (Judge, 2001:773).

30 Judge, 2001:S. 773.

31 Sarah MacLachlan veröffentlichte im Diskussionsforum von Guoxue shudian, dass: „Die Veröffentlichungen größtenteils westliche Schulbuchsammlungen waren.“ Die Herausgeber verfolgten damit ihre eigene Agenda, nämlich: „die Aufrüttlung der Staatsbürger […] um einen Nationalstaat zu gründen“ und beruft sich auf einen Artikel „Baishan heishuilu“ 白山黑水錄, der 1902 von der Gesellschaft veröffentlich worden sein soll. (MacLachlan,2008, zuoxinshebian 作新社編http://bbs.gxsd.com.cn/archiver/?tid-110383.html [20.10.2008]).

32 Judge, 2001:S. 778.

 

33Gipoulon, Catherine: 1977: Die Steine des Vogels Jingwei – Qiu Jin: Revolutionärin im

China des 19.Jhs.,München.

34Gipoulon, 1977:124

35Judge, 2001

36Gipoulon, 1977

37Gipoulon, 1977: 24 f.

38Gipoulon, 1977:190

39Zarrow, Peter, 1988: He Zhen and Anarcho-Feminism in China, in: The Journal of Asian Studies, 47:4, 796-818.

40Zarrow, 1988: 799.

41Xia Xiaohong, 2008: Tianyi Bao And He Zhen´s Views On “Women´s Revolution, in: Qian Naixu/Fong, Grace,S./Smith,

Richard J.: Different Worlds of Discourse – Transformation of Gender and Genre in Late Qing and Early Republican

China, Boston, 293-314, 295.

42Xia, 2008: 306.

43Xia, 2008:307

 

<< Zurück zum Inhaltsverzeichnis


Julia B. Mateer (Di Jiulie 狄就烈, 1837-1898) - Missionarin, Musikpädagogin

 

Nl86 Artikel7a

Abbildung 1: Julia Ann Brown Mateer, ca. 1864.

Julia Ann Brown wurde 1837 in Ohio in eine Presbyterianische Familie geboren. Sie erhielt zwar nie eine musikwissenschaftliche Ausbildung, in ihrer Gemeinde jedoch kam dem Singen eine wichtige Rolle zu, und sie sang aktiv im Chor. Direkt nach ihrer Heirat mit Rev. Calvin W. Mateer im Jahr 1862 wurden die beiden von der American Presbyterian Missions (North) nach China entsandt. Calvin Mateer würde dort das Chinesisch-Lehrbuch A Course of Mandarin Lessons Based on Idiom verfassen (siehe Abbildung 2).

 

Nl86 Artikel7b

Abbildung 2: Calvin Mateers A Course of Mandarin Lessons (1898) enthält eine Tabelle, die die Aussprache mehrerer Dialekte vergleicht.

1864 erreichten sie Dengzhou 登州, das heute Penglai 蓬莱 heisst, in Shandong. Noch im selben Jahr gründen die beiden eine Jungenschule namens Dengzhou mengyang xuetang 登州蒙养學堂, die stetig weiter wuchs und sich in das Dengzhou College weiter entwickelte. Julia Mateer wird von Gong Hong-yu in seinem Artikel “Protestant Missionaries and School Music Education in Late Qing China“ (Chime 18-19, 2010, https://www.academia.edu/10939611/Protestant_Missionaries_and_School_Music_Education_in_Late_Qing_China_-_The_Case_of_Julia_B._Mateer) als liebevolle Mutterfigur beschrieben.

Singen und Musiktheorie wurden ein wichtiger Teil des Unterrichts an der Schule. Julia Mateer verfasste zu diesem Zweck eines der ersten Musik-Lehrbücher für chinesische Schulkinder: Xiguo yuefa qimeng 西國樂法啓蒙 (Einführung in die westliche Musik, siehe Abbildung 3), das 1872 in Shanghai gedruckt wurde. Sie überarbeitete das Buch noch einmal 6 Jahre vor ihrem Tod, im Jahr 1892, und publizierte es unter dem Titel Shengshi pu 聖詩譜 (Anthologie der heiligen Hymnen). Auf Englisch nannte Julia Mateer es Principles of Vocal Music and Tune Book.

 

Nl86 Artikel7c
 

Abbildung 3: Eine Seite aus Julia Mateers Xiguo yuefa qimeng.

Das Buch besteht aus einer Einführung in die Musiktheorie sowie aus Noten und Lied-Texten. Die Einführung erklärt Begriffe wie Rhythmus und Melodie. Es folgen unterschiedliche Gesangsübungen, und über 360 bekannte Kirchenlieder. Als Sprache wählte Julia Mateer Mandarin (guanhua 官話). Im Vergleich zu Texten der Jesuiten war das theologische Vokabular viel einfacher, denn die Zielgruppe waren ja Schulkinder.

Francois Picard argumentiert in seinem Artikel “Synthetic or Hybrid?”, dass das im Xiguo yuefa qimeng enthaltene Tonrepertoire sowohl auf westlicher als auch chinesischer Tradition beruht. Dieser Artikel wird im Laufe des Jahres vom Ostasien-Institut e.V. im Konferenzband The Strange Sound veröffentlicht werden. Herausgeber sind die drei Heidelberger Josie-Marie Perkuhn, Johannes Sturm und Mariana Münning.

Von Julia Mateers Sohn Robert McCheyne Mateer ist außerdem das Buch Character Building in China. The Life-Story of Julia Brown Mateer erschienen. Nach Julia Mateers Tod heiratete Calvin Matter erneut. Seine zweite Frau Ada Haven Mateer schrieb unter anderem das Chinesisch-Lehrbuch New Terms for New Ideas. A Study of the Chinese Newspaper.

 

<< Zurück zum Inhaltsverzeichnis


Zuletzt bearbeitet von: AF
Letzte Änderung: 23.03.2016
zum Seitenanfang/up