Bericht der Exkursion nach Berlin mit dem Kurs „Sinologie in der Praxis“

„Sinologie in der Praxis“ heißt der Kurs, der dieses Wintersemester 2023/24 von Frau Dr. Rudyak vom Institut für Sinologie angeboten wurde. Sie hat sich und uns Studierenden dabei mehrere anspruchsvolle Ziele gesetzt, nämlich nicht nur unsere Fähigkeiten in der modernen Chinaforschung weiter an verschiedenen modernen Themen zu schärfen, sondern auch, diese Fähigkeiten bei einer abschließenden Exkursion in Berlin einem Fachpublikum der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) vorzustellen. Mit Hilfe von Nadine Godehardt (SWP) haben wir die Themen vom jüngsten Kabinettumbau über die Global Civilization Initiative (GCI) bis hin zum Dissens in morderner Science Fiction Literatur über das Semester hinweg recherchiert und erarbeitet.

 

Dienstag – SWP & Konrad Adenauer Haus

Am 29. Januar führen die meisten von uns im Flixtrain nach Berlin. Trotz des Bahnstreiks an diesem Tag kamen mir fast ohne Verspätung und ohne Umstiege nach Berlin, wo wir den Abend in einem koreanischen Restaurant gemeinsam ausklingen ließen.

Am darauffolgen Dienstagmorgen hielten wir die lang vorbereiteten Vorträge. Die SWP selbst ist größtenteils in Regionalwissenschaften aufgeteilt, beschäftigt sich aber auch mit überregionalen oder innenpolitischen Themen wie Sicherheitspolitik und berät je nach Anfrage die Bundesregierung oder deutsche Firmen.

Die Vorträge wurden mit Interesse angehört und wie Frau Godehardt uns später mitteilte, war man sich in der SWP einig, dass dieses Format bei der SWP in Zukunft öfter stattfinden soll.

Nachdem wir uns in einem chinesischen Restaurant gekräftigt hatten, liefen wir zu unserem nächsten Termin bei der Konrad Adenauer Stiftung (KAS), wo wir den dortigen China-Referenten und Taiwan-Experten Dr. David Merkele sowie den Chefedakteur des „China Table“, Finn Mayer-Kuckuck trafen. Er wiederrum ist ausgebildeter Japanologe mit jahrelanger Erfahrung als Journalist für das Handelsblatt in China. Beide berichteten von der Schwierigkeit ihrer Arbeit in und mit China während der Pandemiejahre oder aufgrund des teilweise vagen Anti-Spionagegesetzes. Aufgrund ihrer Parteinähe hat die KAS auch als Nicht-Regierungsorganisation es in China schwer. Wo früher auch Themensetzung und Dialogforen wie der Rechtsstaatsdialog möglich waren, beschränkt sich die Bandbreite der Stiftungsarbeit immer mehr auf Begabtenförderung. Auch die Möglichkeiten für Journalisten sei inzwischen so schwierig, dass es kaum einen Unterschied mache, ob man aus China oder aus Deutschland über China recherchiert oder berichtet, so Herr Mayer-Kuckuck.

 

Mittwoch – Chinesische Botschaft, David Baumgart, BMAS & GMF

Der Mittwoch begann mit einem Termin in der chinesischen Botschaft, wo wir den Chefgesandten der politischen Abteilung Herr Sun trafen. Er hielt uns eine kleine Standpauke über die Wahrnehmung der Volksrepublik in Deutschland als Rivalen und wie das neue Lieferkettengesetz der Handelsvolumen zwischen unseren Ländern stark beinträchtige. Er ergänzte, dass es bereits seit 52 Jahren gute freundschaftliche Beziehungen zwischen beiden Ländern gab und monierte die Erwartung des Westens „Wandel durch Handel“ zu erzeugen, die er auf die USA zurückführte.

Nach dieser kleinen Ansprache bot er uns allerdings einen offenen Dialog an und wir fanden Gelegenheit, Fragen zu stellen und konstruktive Kritik zu äußern. Wir beklagten, dass Chinesischsprachkurse in Deutschland oft teuer sein oder, dass der Zugang zu chinesischen Universitäten auch vor den Pandemiejahren erschwert war. Dieser Dialog war für uns besonders spannend, weil der Gesandte sich strikt an die Begriffe der marxistischen Ideologie hielt, die wir in vorigen Semestern zu analysieren und verstehen gelernt hatten. Beispielsweise sagte er, dass wir das „wahre Bild des Sozialismus mit chinesischen Eigenschaften“ in Deutschland gesehen wissen will. Daraufhin entgegneten wir, dass wir uns ebenfalls dafür einsetzen wollten, das „wahre Bild Chinas in Deutschland“ aufzuzeigen. Als Herr Sun in diesem Zusammenhang das Wort „Medienkontrolle“ äußerte, korrigierte er sich sogleich. Insgesamt war das ein enorm spannender Einblick in die unsichtbaren Kommunikationsregeln auf dem diplomatischen Parkett!

Gegenüber der Botschaft gibt es (natürlich) ein chinesisches Restaurant, wo wir David Baumgart trafen. Er arbeitet als Lobbyist für Xiaomi – den chinesischen Smartphonehersteller – und erzählte uns von seinem Werdegang im japanischen Parlament, bei Ali Baba und seiner Lobbyarbeit im Europaparlament, von wo er europäische wirtschaftspolitische Standards an den Firmensitz in Peking übermittelt. Er erzählte uns beispielsweise den Preisschwankungen bei Standard Essenziellen Patenten (SEP’s), wie sie für 5G Mobilfunk nötig sind oder wie die Einführung eines einheitlichen USB-C Ladekabels beinahe zum Verbot der Software für schnelles Laden von Batterien geführt hat. Es war äußerst spannend zu sehen, wie die üblicherweise negativ konnotierte Lobbyarbeit hier zur Verbesserung der Gesetzgebung in der EU geführt hat und wie wichtig und weitverbreitet alle möglichen Normen für den Verbraucherschutz sind.

Der dritte Termin des Tages war im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), wo wir den dortigen Chinareferenten Kevin Schabiner trafen. Er erzählte uns, wie er als Jurist über Kung Fu Interesse an China entwickelte und dass er an der neuen Chinastrategie der Bundesregierung mitgearbeitet hätte. Da das BMAS eher innenpolitisch relevante Themen bearbeitet, war er auch maßgeblich am Lieferkettengesetz beteiligt und betreut chinesische Firmen zu den Themen Rentenversicherung und Arbeitsschutz in Deutschland. Darüberhinaus stellt das kleine Ressort – mit dem subsumierten Namen „Ostasienabteilung“ – meist Informationen für Abgeordnete in Deutschland oder dem Europaparlament bereit. Herr Schabiner war am Tag zuvor schon bei unseren Vorträgen unter den Zuhörern und freute sich sehr über die nächste Generation von Sinologen in der Hauptstadt.

Zum Abschluss des Abends trafen wir Frau Dr. Mareike Ohlberg, eine Heidelberger Sinologie Alumna und ebenfalls Zuhörerin unserer Vorträge. Sie forscht inzwischen beim German Marshall Fund, einer Stiftung und Nachfolgeorganisation des Marshall-Plans zu digitalen China Themen wie Desinformation oder Social Media. Sie konzentriert sich dabei auf den indo-pazifischen Raum als auch auf Kampagnen der KPCh in Europa und war zuvor beim Mercator-Institut tätig. Den offenen Dialog über ihre Arbeit, Erfahrungen unsere Vorträge und das Thema Chinakompetenz haben wir sehr genossen. Sie bestätigte unseren Eindruck, dass moderne Sinologie ein unglaublich gefragtes und dünn besetztes Fach ist mit den Worten „Ich kenne keine arbeitslosen Sinologen“.

 

Donnerstag – verschiedene Bundestagsabgeordnete

Dieser und ähnlich ermunternde Kommentare durchzogen auch den Donnerstag, an dem wir hintereinander fünf Bundestagsabgeordnete trafen.

Im Paul-Löbe Haus trafen wir zunächst auf Alexander Föhr (CDU), der im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung einen Sitz innehat. Er fragte uns über unseren Zugang zur und Werdegang in der Sinologie aus und freute sich sichtlich über unsere Begeisterung für das Fach, zumal er auch selber in Heidelberg zur Schule gegangen ist und hier seine Karriere begonnen hat.

Im Anschluss trafen trafen wir Frau Gyde Jensen (FDP) im Reichstag, den man vom Paul-Löbe Haus aus in unterirdischen Gängen unterhalb der Spree erreichen kann. Frau Jensen ist Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Man konnte ihr sofort die Nachdrücklichkeit ansehen, mit der sie das Thema Menschenrechte im Kontext China vertrat. Umso beeindruckender war daher auch ihr Verständnis für die chinesischen Diplomaten, die Standpauken wie die vom Vortag ebenso unermüdlich vorbringen und ertragen müssen wie wir. Zu unserer großen Freude plant Frau Jensen auch selbst eine Reise nach Taiwan, sorgt sich aber um eine mögliche Wiederwahl von Donald Trump als US-Präsident.

Denselben unterirdischen Tunnel nahmen wir auch zurück zu unserem Termin mit Metin Hakverdi (SPD). Sein Spezialgebiet sind die deutsch-amerikanischen Beziehungen und in unserem recht informellen Austausch sprachen wir über eine sehr breite und theoretische Themenauswahl. So diskutierten wir etwa den Grad an Unterstützung, den China im Ukrainekonflikt Russland zukommen lässt und welche Parameter wohl zum derzeitigen Stand geführt haben könnten. Es war höchst interessant, die Demografie Chinas mit der Kriegsbereitschaft der Regierung zu verknüpfen, denn sowohl die Ein-Kind-Politik als auch die 躺平 (tang3ping2, „Flach liegen“)-Bewegung könnten als Hindernisse bei der Mobilisierung von Soldaten gesehen werden.

Der vorletzte Termin des Tages war bei Frau Isabel Cademartori, der verkehrspolitischen Sprecherin der SPD angesetzt. Aufgrund ihrer Herkunft als einzige Latina im Bundestag mit Wahlkreis in Mannheim war sie zu einer großen Fülle von Themen informiert. Wir sprachen über chinesische Investitionen in Lateinamerika auf Regierungs- und lokaler Ebene, oder über die Schwierigkeiten der deutschen Autoindustrie. Besonders interessant war ihr Gedanke, dass die Subvention chinesischer E-Autos und die darauffolgende Marktverschiebung zu Chinas Gunsten in Deutschland zu Konflikten zwischen den Vorhaben eines umweltfreundlicheren Verkehrs und dem Lieferkettengesetz führt.

Zum Abschluss des Tages trafen wir Nils Schmid, den außenpolitischen Sprecher der SPD. Leider hatte er gegen Ende des Tages nicht mehr viel Zeit für uns, darum unterhielten wir uns über den Bedarf an Chinakompetenz, die sogenannte Wolfskriegerdiplomatie und über Wertschätzung unseres Faches. Als erfahrenen außenpolitischen Verhandler konnten wir ihn erst vom Handlungsbedarf in dieser Richtung überzeugen, als wir erzählten, dass der Bundesnachrichtendienst Stellenausschreibungen für Sinologen mit Masterabschluss und Auslandserfahrung mit Entgeldstufe 11 (statt wie für Masterniveau üblich E13) ausschreibt.

 

Am darauffolgenden Freitag wollten wir ursprünglich in den C-Space, in dem einige chinesische Exilanten ihre Kunst ausstellen, aber der Termin entfiel. Wir fuhren daher am Freitag mit gestärkter Zuversicht zurück nach Heidelberg. Die Sinologie, die wir als Mauerblümchenfach kennengelernt hatten, ist in Deutschlands Hauptstadt aber auch in der Lokalpolitik äußerst gefragt und relevanter denn je. Anders als manch andere Geisteswissenschaft bieten uns die harte Heidelberger Sprachschule und ein Forschungsbereich mit gesellschaftlichem Bezug geradezu traumhafte Arbeitsbedingungen.

Für diese ungewöhnlichen Chance(n), die interessanten Einblicke und die tatkräftige Unterstützung  bedanken wir uns bei Frau Dr. Rudyak, vom Institut für Sinologie, Frau Dr. Godehardt von der SWP, dem Alumni Verein SHAN e.V. sowie der Fachschaft der Sinologie und vielen weiteren!

Martin W. Schubotz

 

Exkursion Berlin 1

Exkursion Berlin 2
Kuppelinneres über dem Plenarsaal des Reichtstagsgebäudes
Frontansicht der chinesischen Botschaft in Berlin (Winkel leider unschön)
Exkursion Berlin 4
Mit dem Chefgesandten der politischen Abteilung der Chinesischen Botschaft Herr Sun 1

 

Exkursion Berlin 5
Mit dem Chefgesandten der politischen Abteilung der Chinesischen Botschaft Herr Sun 2
Exkursion Berlin 6
Mit Alexander Föhr (CDU) im Paul-Löbe Haus 1
Mit Alexander Föhr (CDU) im Paul-Löbe Haus 2
Zuletzt bearbeite von:: Joost Brokke
Letzte Änderung: 28.02.2024
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