Czollek - Schwarcz - Spaniermann: Flüchtlinge in Shanghai und ihre Rückkehr nach Europa

Nur wenige, die sich für Czollek, Schwarcz und Spaniermann interessieren, würden als erstes das Buch "Ensemblespiel des Lebens" lesen. Und noch weniger Interessierte würden beim Autorennamen Dreifuß an Shanghai denken. Immerhin scheint es eins von nicht mehr als drei Büchern zu sein in dem alle oben genannten Namen erwähnt werden.

Aber wer interessiert sich schon für Czollek, Schwarcz und Spaniermann? Und warum könnten sie relevant sein?

 

Das Buch ist auch ein Beispiel für ein Werk das mehr Nachteile und Schwächen als Vorteile hat. Der Autor, der sich Theatermann nannte, liebte die Show, neigte zu Eigenlob und hatte oft ungenaue Erinnerungen an seine vielen Erlebnisse. Ausserdem ist der Band 1985 in der DDR erschienen und musste den damaligen Zensur- und Propagandavorstellungen entsprechen. 

[Überraschend in einem DDR-Buch ist - vor allem für Heidelberger - auf S. 9 der Satz "Klaus Staeck, der in der Bundesrepublik lebende großartige Karikaturist, schrieb einmal: 'Vor allem sollte man nicht so schwer schreiben, lieber leicht, unkompliziert, locker'."]

 

Man kann allerdings nur lesen was es gibt.

Es gab in der DDR keine fünf Bücher, die sich mit dem Shanghai-Exil beschäftigten, und die BRD hatte bis 1990 auch nicht viel darüber zu bieten.

 

Der Lösung der Rätsel und der Erreichung der Ziele kommen wir näher, wenn wir mit dem Autor auf S.148 in Venedig aus dem D-Zug steigen: "Die ersten Menschen, die mir auf der Schiffstrepppe entgegen kamen, waren der mir aus Dachau und Buchenwald her bekannte Mediziner Doktor Fritz Spaniermann und seine Frau." 

Aus einem Adreßbuch ist ersichtlich, daß der Arzt seine Praxis in Wien gehabt hatte.

 

Auf S.165 taucht dann - im Fernen Osten - ein weiterer Herr auf: "Etliche Wochen nach mir traf Walter Czollek [...]  in Shanghai ein. Er wohnte längere Zeit zunächst bei mir." Dies deutet darauf hin, daß sich beide schon gut kannten und dann noch besser kennen lernten. Präzise Zeitangaben gibt es in dem Buch nur selten; der Autor selbst wird als "Angehöriger des Jahrgangs 1902" bezeichnet. Dies hat vermutlich sein Berliner Buchverlag so formuliert.

 

Auf S.170 werden einige Theateraktivitäten im neuen Wohnort beschrieben und nun taucht eine EVA auf: "Unsere letzte Vorstellung 'Sturm im Wasserglas' von Bruno Frank, war dank einer ausgezeichneten Besetzung ein Riesenerfolg. In den Hauptrollen spielten [...] Eva Schwarcz und Marion Lisner."

 

Auf S.198 wird ein Dokument von Czollek zitiert, dessen Authenzität nie bestätigt werden konnte. Hier steht: "Ankunft am 17.VI. 1939 in Schanghai." (Wenn das korrekt ist, war Dreifuß vermutlich im Mai gefahren.) 

Das bedeutet: Die Neuankömmlinge konnten den ersten heißen Shanghaisommer erleben und erfuhren dort vom Kriegsausbruch in Europa; der Krieg zwischen Japan und China hatte schon vorher begonnen.

  

Auch das Kriegsende erlebten die Flüchtlinge meist in Shanghai. Nur die Schauspielerin Eva Schwarcz hatte vorher die Gelegenheit gehabt, mit ihrem Mann nach Australien weiterzureisen. (Zu dieser Gruppe gehörte auch Dr. Storfer

 

Über die Rückreise heisst es auf S.210:

"Mit mir zurück kam Marianne. Sie war die Frau, die ich vor Jahren auf der Schiffstreppe in Venedig kennengelernt hatte. Ihre Ehe war gleich so vielen Emigrantenehen während der Shanghai-Zeit in die Brüche gegangen." [Dieser Aspekt taucht in der Exilliteratur nur selten auf.]

 

 

Auf der folgenden Seite steht dann: 

"Grenzüberfahrt: Walter Czollek sprach einige eindrucksvolle Worte." 

Das würde bedeuten, daß beide Herren auf dem gleichen Schiff und dann - von Italien nach Berlin - im gleichen Zug reisten. (Es war wohl ein Güterzug.)

 

Das Schiff hatte Shanghai im Juli 1947 verlassen, der Zug kam in Berlin im August an. link

 

Hier noch einige zusätzliche biographische Daten aus anderen Quellen:

 

In der DDR wurde der KPD/SED-Funktionär und Geheimdienstmann Czollek Verlagsleiter von VOLK UND WELT, Frau Spaniermann wurde dort Cheflektorin und benutzte vorübergehend einen Doppelnamen. In manchen Quellen steht auch: Dr Marianne Spaniermann, in anderen Dr. Marianne Dreifuss.

Schwarcz (geb. Baruch) arbeitete zunächst beim DDR-Radio, war aber bald so frustriert, daß sie in den Westen ging; sie starb bald darauf in Freiburg. 

Dreifuß blieb beim Theater, trennte sich aber von seiner Frau und heiratete noch einmal.

 

Am Schluß soll noch die Herkunft der Personen erwähnt werden. Czollek (1907-1972) und Schwarcz (1919-1966) kamen aus Berlin, "Marianne" (1900-197?) aus Breslau und der Autor (1902-1993) des Buches war Schwabe - aus dem heutigen Baden-Württemberg. So waren sie alle am Ende ihres Lebens von ihrer "Heimat" entfernt: Breslau lag in Polen, Stuttgart in der BRD, die Ostberlinerin Eva lebte im Westen und der Charlottenburger Czollek starb im Osten. Diese Fälle zeigen, daß "Rückkehr von Flüchtlingen" eine ungenaue Formulierung ist. 

 

PS

Es gibt eine Webseite mit einem Grabstein von Dr Friedrich Spaniermann (1899-1954); es ist aber nicht belegbar, dass es der obengenannte Fritz ist.

 

Dr. Thomas Kampen

 

 

TK 191
Eva


 

Zuletzt bearbeite von:: Joost Brokke
Letzte Änderung: 26.12.2023
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