Würdigung von Günther Debon auf einer virtuellen Gedenkfeier zu seinem 100sten Geburtstag am 13.5.2021

Liebe Frau Debon, liebe Familie Debon,

liebe Kollegen und Freunde, liebe Mitfeiernde an den Bildschirmen,

 

Heute vor 100 Jahren wurde Günther Debon in München geboren. Daran und an sein Werk und seine Stellung in der deutschen Sinologie und speziell an diesem Institut wollen wir heute erinnern.

 

Mein Name ist Enno Giele. Ich bin Professor für Klassische Sinologie an der Universität Heidelberg und damit sozusagen Enkel-Nachfolger des Geehrten, der den damals noch einzigen Lehrstuhl für Sinologie hier von 1968 bis 1986 inne hatte. Obwohl Professor Debon nach seiner Emeritierung noch fast zwanzig Jahre langen Lebens und Schaffens vergönnt waren, bevor er 2005 in Neckargemünd verschied, habe ich ihn leider niemals persönlich kennengelernt und kann mich auch nicht zu seinen Enkel-Schülern zählen. Dennoch erinnere ich mich noch gut an die Hochachtung, die nicht nur Professor Reinhard Emmerich, einer meiner sinologischen Ziehväter, Günther Debons Sprachkunst zollte, sondern empfinde diese auch immer wieder aufs Neue, wenn ich seine Übersetzungen zu Rate ziehe.

 

Dies scheint nicht nur mir so zu gehen. So ist sein Name unter den zitierten Übersetzern nicht nur in einbändigen deutschsprachigen Darstellungen chinesischer Literatur und Lyrik der mit Abstand meistgenannte – etwa bereits in dem Sammelband Lyrik des Ostens von 1965, in Helwig Schmidt-Glintzers Geschichte der chinesischen Literatur von 1990 oder in der 2004 von Reinhard Emmerich herausgegebenen Chinesischen Literaturgeschichte – sondern auch im ersten Band der 10-bändigen Geschichte der chinesischen Literatur, ab 2002 herausgegeben von unserem heutigen Festredner, den ich in Kürze noch vorstellen werde. Über deren ersten Band, Die chinesische Dichtkunst, heißt es in einer ausgiebigen Rezension von Helga Scherner: „Kubin geht von einer philologisch genauen Analyse einzelner Gedichte aus. Dabei fußt er auf vorhandenen Übertragungen, vor allem von Günther Debon […].“ (Quelle)

 

Doch erinnern wir kurz der Anfänge. Mit seinem Geburtsjahrgang 1921 gehörte Günther Debon zu den bedauernswerten deutschen Jungen, die gleich nach ihrem Abitur mit 18 Jahren von der Schule in den 1939 gerade beginnenden Krieg zogen bzw. ziehen mussten. Über seine persönlich ganz sicher prägenden Kriegseinsätze und -erlebnisse weiß ich nichts zu berichten, bekannt ist aber die trotz allem für unser Fach glückliche Fügung, dass er ab 1944 in der englischen Kriegsgefangenschaft den etliche Jahre älteren Fachmann und späteren Kölner Professor für ostasiatische Kunstgeschichte, Werner Speiser, kennenlernte und von ihm die erste Unterweisung in chinesischer Schrift und Sprache erfuhr. Dies spornte den jungen Debon offenbar so sehr an, dass er nach seiner Entlassung 1948 in München nicht nur Sinologie, sondern auch Japanologie sowie Mandschurisch und Sanskrit studierte und im ersten Fach in der heute unvorstellbaren Zeit von nur fünf Jahren seit Studienbeginn, also 1953, promovierte. Vermutlich spielte auch seine Bekanntschaft mit Werner Speiser eine Rolle, als er im Anschluss in Köln ein Lektorat, dann 1959 die Habilitation und schließlich 1964 einen Lehrstuhl in Sinologie (damals den zweiten neben Walter Fuchs) erlangte. Das

Zentrum seiner wissenschaftlichen Karriere sollte sich dann jedoch vier Jahre später nach Heidelberg verlagern, wo er – wie erwähnt – 1968 den damals einzigen sinologischen Lehrstuhl von Wolfgang Bauer übernahm und ihn erst 1986 an meinen Vorgänger, Rudolf G. Wagner, übergab. Während Wagner sehr bald schon andere sinologische professorale Kollegen zur Seite gestellt bzw. berufen bekam, repräsentierte Debon in seiner Zeit als Professor alleine die Heidelberger Sinologie. Zwar war drei Jahre vor ihm bereits Dietrich Seckel auf den Lehrstuhl für Ostasiatische Kunstgeschichte berufen worden, doch war dieser eher ein Spezialist für Japan als für China. Erst 1976 kam mit Lothar Ledderose dann ein China-Spezialist auf diesen kunstgeschichtlichen Lehrstuhl.

 

Solch eine Konstellation war typisch für die Zeit. Nicht nur hatte die Kriegszeit eine furchtbare Bresche in die akademische Landschaft Deutschlands geschlagen, durch Verluste von Menschenleben und Emigration für einen Braindrain gesorgt und einige der verbliebenen deutschen Lehrstuhlinhaber desavouriert, auch vor dem Krieg schon hatten bis auf die großen Städte Hamburg, Berlin, Leipzig und Frankfurt die Universitäten kaum sinologische Lehrstühle eingerichtet, sieht man einmal von eher kurzlebigen Engagements von Friedrich A. Krause in Heidelberg und Arthur von Rosthorn in Wien in den 1920er Jahren ab. Der steigende Wohlstand, vielleicht auch die steigende Frequenz, mit der in den 1950er und 1960er Jahren von den umwälzenden Entwicklungen in China in den Nachrichten berichtet wurde, endgültig aber sicher die Umwandlung der deutschen Universität zur Massenuniversität im Rahmen der studentischen Bewegung ab 1968 trugen dann aber dazu bei, dass auch in den kleineren Universitätsstädten Deutschlands die sinologischen Lehrstühle aus dem Boden schossen, nachdem schon 1948 in München und Leipzig, 1950 in Frankfurt sowie 1954 und 1956 in Berlin Lehrstühle eingerichtet (München) bzw. wiederbesetzt (Leipzig, Frankfurt und Berlin) worden waren, so:

1957 in Bonn,

1960 in Köln und Tübingen,

1962 in Heidelberg und Münster,

1962, 1965 und 1968 gleich mehrere in Bochum,

1965 in Würzburg und

1967 in Erlangen.

Göttingen, wo der belastete Hans Otto Stange bis in die Nachkriegszeit lehrte, wurde nach kurzem Hiatus 1972 wiederbesetzt, Wien 1973.

 

Gleichzeitig bedeutete die politische Großwetterlage mit der von 1965 bis 1975 in der Volksrepublik wütenden Kulturrevolution aber auch, dass die China-Versteher der westlichen Welt, also auch Westdeutschlands, nun praktisch von direkter Ansicht und Austausch mit dem Objekt ihres Interesses ausgeschlossen waren. Das betraf nicht nur den Austausch von Meinungen, Reisen und persönliche Gespräche, sondern natürlich auch den Ankauf von Büchern und Forschungs- und Lehrmaterialien aus China, den Aufbau von Bibliotheken und vieles andere mehr. Unter diesen Umständen verwundert es kaum, dass sich die meisten Lehrstuhlinhaber in erster Linie auf die Erforschung von Gebieten, wie etwa der schöngeistigen Literatur oder alten Geschichte oder Philologie zurückzogen und dies auch für den Rest Ihrer Karriere beibehielten. So berechtigt der Aufbruch in das „neue China“ und die Einforderung neuer Inhalte ab den späten 1970er und dann 1980er Jahren auch waren, so ist doch zu bedauern, dass diese Phase der Philologie, Literatur und Geschichte für lange Zeit den Ruch des Veralteten anheftete, den sie gar nicht verdient haben. Erst in jüngerer Zeit pendelt sich da wieder ein Gleichgewicht ein.

 

Günther Debon hat diese Phase in Heidelberg speziell mit seiner großen Gabe der sprachlichen Sensibilität geprägt, die uns nicht nur eine Fülle exzellenter Übersetzungen ins Deutsche beschert hat, sondern auch auf äußerst genauer philologischer Analyse der chinesischen Originaltexte beruhte. Darauf wird im Folgenden sicher unser Gastredner, Professor Wolfgang Kubin, noch eingehen, dem ich nicht vorgreifen möchte. Doch sei mir gestattet, darauf hinzuweisen, dass Debon dabei nicht nur auf dem Feld der Lyrik brillierte, sondern beispielsweise auch eine der meines Erachtens besten deutschen Übersetzungen des Daodejing oder Laozi in einem kleinen, aber sehr feinen Reclam-Heftchen vorgelegt und meisterhaft eingeleitet hat. Dieser Text ist zwar im Original auch über weite Strecken gereimt und von aphoristischer Natur, was das ursprüngliche Interesse Debons geweckt haben mag. Aber dadurch, dass es hier so viele alternative Übersetzungen und Behandlungen zum Vergleich gibt, sticht die Qualität der Debonschen Arbeit besonders hervor. Das fängt gleich beim ersten Satz an. Darüber schreibt Debon in der ersten Endnote:

 

„Die traditionelle Übersetzung […]: ‚Der Weg, den man weisen kann, ist nicht der ewige Weg‘ o.ä., läßt sich grammatisch nicht halten.“

 

Womit er zweifelsohne Recht hat, denn die nähere Bestimmung (unweisbar) eines Substantivs (Weg) muss im Chinesischen voranstehen, was es aber im Original nicht tut. Man mag darüber streiten, was die dichterische bzw. schriftstellerische Freiheit in China durfte, oder ob Debons eigene Lösung

 

„Könnten wir weisen den Weg, es wäre kein ewiger Weg.“

 

an der generellen Stoßrichtung der Aussage viel ändert, aber als chinakundlicher Philologe kommt man doch nicht umhin, eine gewisse Erleichterung zu verspüren, dass hier jemand offenbar ein so scharfes Gespür für Nuancen besaß, dass man die Schönheit und teilweise Genialität seiner deutschen Sprache genießen kann, ohne sich ständig Sorgen machen zu müssen, dass dem Original mehr Gewalt angetan wurde als nötig.

 

Vieles wäre noch zu sagen zu Günther Debons germanistischen Neigungen, denen sich er vor allem nach seiner Emeritierung auch öffentlich widmete, oder zu seinen faszinierenden Bemerkungen zum Einfluss chinesischer Kultur auf die europäische, etwa die von Ludwig XV. persönlich durchgeführte Feldbestellung im Frühjahr 1756, die eine direkte Kopie chinesischer Kaiserpraxis war; oder zu seinen Schülern, zu denen beispielsweise die namhaften Professoren und Kollegen wie Siegfried Englert (Hochschule Ludwigshafen, nachmalig Staatssekretär in Mainz), Roderich Ptak (LMU), Lothar Ledderose und Volker Klöpsch (Köln) gehören. Aber nun will ich gerne Berufeneren das Feld überlassen. Ich wünsche Ihnen allen eine gute Erbauung und denen, die Günther Debon persönlich kannten, schöne Erinnerungen.

 

von Enno Giele

Zuletzt bearbeitet von: Joost Brokke
Letzte Änderung: 29.06.2022
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