Interview mit Alexej Apelganz, Nanjing

Lieber Alexej, vielen Dank, dass Du Dich zu diesem Interview bereit erklärt hast. Kannst Du uns zur Einleitung etwas über Dich erzählen? Insbesondere: Seit wann und wo genau bist Du in China?

Ich bin seit August 2019 in China. Die meiste Zeit über bin ich in Nanjing an der Universität und lerne Chinesisch. Als ich hergekommen bin, hatte ich das Konfuzius-Instituts Stipendium und sollte eigentlich für ein Jahr bleiben. Es wird ja empfohlen, dass man während des Bachelorstudiums einen Auslandsaufenthalt haben sollte.

Dann aber gab es den Ausbruch in Wuhan. Letztes Jahr habe ich dann entschieden, doch noch ein Jahr hierzubleiben, weil ich das Gefühl hatte, in Deutschland wird es ähnlich ablaufen wie hier letztes Jahr. Wir hier in Nanjing haben aber seit letztes Jahr Juni/Juli quasi keine Beschränkungen und Probleme mehr.

Alexej Apelganz
Alexej Apelganz in China.

Ab wann habt ihr in Nanjing etwas von der Situation in Wuhan mitbekommen?

Die Sache ist, ich war Anfang Januar im Norden Chinas Reisen. In der zweiten Januarwoche gab es langsam immer mehr Nachrichten über Probleme in Wuhan, dass da Leute erkrankt sind. Als ich zurück in Nanjing war hatte man dort immer noch keine Probleme. Auf den Straßen hat man auch nichts von der Situation mitbekommen.

So zwei Wochen später, etwa um den 27. oder 28. Januar herum, gab es keine Masken mehr, man konnte sie nirgendwo kaufen. An einen Tag erinnere ich mich noch: Es hieß von unseren Lehrern an der Uni, dass es um die Ecke eine Apotheke gäbe, die wohl Masken hätte. Am nächsten Morgen um 10 Uhr könne man hingehen und jede Person kann sich fünf Stück kaufen. Ja, wir sind dann um 9:50 Uhr dort hingegangen. Da gab es erstmal eine Riesenschlange, etwa 150 Meter. Wir sind eine halbe Stunde lang angestanden bis es hieß, Masken seien ausverkauft. Ich denke da haben wir dann schon mitbekommen, dass es ein Problem gibt, wenn man schon keine Masken mehr kaufen kann.

Wie habt ihr das anfangs wahrgenommen und wie hat euch das dort beeinflusst?

Anfangs dachten wir, es würde bald vorübergehen, es wird nicht so schlimm sein und man wird es schon unter Kontrolle bringen. Aber wir hatten dann doch Respekt davor, sind auch weniger rausgegangen. Wir sind nicht an Orte mit vielen Menschen gegangen und haben Ansammlungen gemieden. Auch in Restaurants sind wir nicht mehr Essen gegangen. Es war auch gerade so die Zeit über das chinesische Neujahr, in der Leute reisen.

So richtig beeinflusst hat es uns eher psychisch, weil man nicht wusste, was denn jetzt los ist. Zu der Zeit sind dann auch immer mehr Austauschstudenten in ihre Länder zurückgekehrt. Einige sind auch nach Südostasien mit dem Gedanken, sie verlassen China vorerst und kommen dann in einem Monat wieder, wenn alles wieder besser ist.

Anfang 2020 konntest du noch eine Reise nach Japan machen. Nach deiner Rückkehr musstest du dann in die Quarantäne. Kannst du uns ein wenig darüber erzählen?

Ich war ab dem 1. Februar in Japan, weil mein Kommilitone aus Japan dorthin zurückgehen wollte. Da bin ich dann mitgegangen, um auch ein bisschen Japan zu erleben. Ein Hintergedanke war auch, dass es vielleicht gar nicht so schlecht wäre, nicht in China zu sein für diese Zeit. Eigentlich hat man auch da schon am Flughafen gemerkt, dass beispielsweise die Temperatur öfters gemessen wurde und man musste eine Schutzmaske tragen, den gesamten Flug über.

Als ich am 23. Februar zurückgekommen bin, war die Situation anders. Es gab Kontrollen überall, die Straßen waren gesperrt, man konnte Wohnbezirke nicht betreten, wenn man keine spezielle Karte hatte um zu zeigen, dass man da wohnt. Ich hatte das Problem, dass ich nachts angekommen bin, quasi schon vor dem Wohnheim stand, aber die Straße nicht betreten durfte, weil ich keinen Zettel hatte. Dann hieß es: „Ja, da musst Du erst einmal zum Unikrankenhaus, die checken Dich durch und geben Dir einen Zettel. Dann kannst Du wieder zurück.“ Auf dem Weg zum Unikrankenhaus gab es das selbe Problem mit den gesperrten Straßen. Für eine Strecke von einem Kilometer habe ich damals eine Stunde gebraucht, weil man mit den Leuten reden musste, dass sie einen durchlassen. Es gab zwar eine App, die man benutzen konnte um sich zu registrieren, aber zu der Zeit wurden ausländische Studierende nicht miteinbezogen. Man musste bei der App seine Ausweisnummer eingeben. Eine chinesische Ausweisnummer hat nur Zahlen und unser Reisepass halt auch Buchstaben, dadurch ging das nicht.

Danach gab es die Quarantäne im Wohnheim. Ich hatte damals ein ganzes Stockwerk für mich allein. Problematisch war bloß, dass sich von der Uni niemand verantwortlich gefühlt hat, mir etwa Essen hinzustellen oder etwas zu Trinken zu geben. Ich wurde auch nicht besonders überwacht. Der einzige Grund, warum ich heute noch lebe, ist wohl mein damaliger Mitbewohner. Während der Quarantäne hatte ich ein Zimmer für mich allein, aber er war immer noch im Wohnheim. Er hat mir dann Essen im Supermarkt gekauft, wenn er am Tag zwei Stunden raus durfte, um Sachen einzukaufen. So habe ich zwei Wochen überlebt.

Ein gutes Beispiel für die nicht besonders gute Überwachung ist, dass sie zwar wollten, dass ich jeden Tag zweimal im Aufzug in den ersten Stock runtergehe und aufschreibe, welche Temperatur ich habe. Aber andere Studierende sind auch dort und benutzen den selben Aufzug. Ich konnte auch ohne Probleme Waimai (Essen zum mitnehmen/liefern) bestellen. Einmal hat sogar der Wachmann gemeint, ich solle selbst rausgehen und es holen.

Einlasskontrolle an der Universität Nanjing.
Einlasskontrolle an der Universität Nanjing.

Wie ist das Unisemester danach abgelaufen? Hat sich euer Campusleben stark verändert? Und wie sah es außerhalb der Uni aus (digitale Tools zur Kontaktverfolgung etc.)?

Wir hatten in diesem Semester Onlineunterricht, was natürlich ein bisschen problematisch ist, wenn man zu zweit in einem Zimmer wohnt. Wir hatten zur selben Zeit Unterricht und dann auch noch in unterschiedlichen Niveaus. Ja, man stört sich etwas. Deshalb haben wir über eine Woche gekämpft, dass man uns ein zweites Zimmer öffnet, zumindest für vier Stunden, damit einer von uns dort Unterricht haben kann. Das war dann okay.

Allerdings ist es ein bisschen schlecht für die Psyche, wenn man zu zweit in diesen 20qm 20 Stunden zusammen verbringt. Wenn wir Unterricht hatten ist einer von uns für vier Stunden rausgegangen. Während dieser Zeit durften wir außerdem mittlerweile drei Stunden am Tag rausgehen. Dann konnte man drei Stunden für sich haben, ohne dass einer einem im Nacken sitzt. Wenn man irgendwo hingehen wollte, musste man unten seinen Namen in eine Liste eintragen. Falls man länger als zwei Stunden draußen war, wurde man angerufen, dass man langsam zurückkommen sollte.

Zur Kontaktverfolgung benutzen wir bis heute diverse Alipay und WeChat Applikationen mit denen über deine Handynummer nachverfolgt wird, ob du die Stadt oder die Provinz verlassen hast. Es gibt da zwei unterschiedliche Codes. Einer funktioniert mit deiner Handynummer und geht über den Provider. Die schauen dann, ob du die Stadt verlassen hast. Wenn nicht, hast du einen grünen Code. Wenn du sie verlässt wird er gelb oder rot, abhängig von den Regionen, die man besucht hat. Der zweite Code ist von dir selbst abhängig, man gibt die Informationen selbst ein. Es werden einfach nur deine Alipay-Daten überprüft, also ob du Alipay außerhalb der Stadt verwendet hast.

Seit du drüben bist ist die Pandemie auch in Europa angekommen und die Situation hier war zeitweise sehr schlecht. Hast du eine Veränderung im Verhalten der Leute dir gegenüber spüren können? Wie wird die europäische Lage dort diskutiert?

Das Verhalten gegenüber mir habe ich letztes Jahr im April bereits gespürt, also nach der Quarantäne. Die Leute haben einen gemieden und haben die Maske hochgezogen, wenn man vorbeigelaufen ist. Das Problem war, dass die Medien hier immer von neuen importierten Fällen berichtet haben. Dabei berichteten sie nicht, dass diese importierten Fälle eigentlich chinesische Austauschstudenten oder andere chinesische Staatsbürger waren, die nach China zurückkehrten. Die Grenze in China ist seit letztes Jahr im März für Ausländer eigentlich dicht, als Studierender kommt man überhaupt nicht ins Land. Einige Arbeitskräfte konnten zwar einreisen, allerdings hatte das nichts mit den importierten Fällen zu tun.

Ich dachte eigentlich, dass das mit dem Verhalten besser werden würde. Allerdings wissen die Leute nicht, dass die Grenze dicht ist. Ich habe auch mehrere Leute gefragt: „Weißt Du eigentlich, dass die Grenze dicht ist? Ausländer können gar nicht reinkommen.“ - „Oh, echt? Das wusste ich gar nicht...“ hörte man dann als Antwort.

Dieses Jahr hatte ich auch schon einige Erlebnisse. Das krasseste war im Februar. Ich war mit ein paar Freunden in einem KTV. Dann hieß es, jemand hätte die Polizei gerufen und wir sollten besser gehen. Das war dann auch nicht sonderlich erfreulich.

Zur Lage in Europa: Wenn die Leute mich hier fragen, wo ich herkomme und ich mit Deutschland antworte, denken sie die Situation in Deutschland ist ziemlich gut, also die ganze Zeit über. Auch wenn es die letzten Monate in Deutschland, was ich so in den Nachrichten mitbekommen habe, richtig schlecht war und man wieder in den Lockdown ging, die Leute hier wussten davon nichts. Sie denken immer noch es sind nur Italien, das Vereinte Königreich und Spanien die sehr hart betroffen sind. Normale Leute schauen jetzt nicht besonders auf einzelne Länder, höchstens auf die besonders betroffenen. Deutschland scheint in den chinesischen Medien da nicht dazu zu zählen.

Impfzentrum in einer Turnhalle in Nanjing
Impfzentrum in einer Turnhalle in Nanjing.

Wie läuft die Impfkampagne in China? Bist du schon geimpft oder hast du es noch vor?

Verimpft werden chinesische Impfstoffe, scheinbar abhängig von der Stadt und dem Bezirk unterschiedliche. Es scheint so, als würden viele Menschen sich impfen lassen. Ich kann immer wieder lange Schlangen sehen, wie Leute auf eine Impfung warten. Ich persönlich habe mich aber noch nicht impfen lassen, weil ich noch meine Bedenken habe. Aber ich denke in den nächsten paar Monaten werden die Impfstoffe noch verbessert und auch noch ein paar andere zugelassen. Dann würde ich mir das nochmal überlegen.

Die Impfkampagne ist wie ich finde sehr interessant. Ich habe ein paar Plakate gesehen, dass man etwa einen kostenlosen Haarschnitt bekommt, wenn man sich impfen lässt. Oder einen Zehnerpack Eier. Von der Uni aus wurden wir letzten Monat bereits gefragt. Die Unis haben alle Studierenden gefragt, ob sie die Impfung wollen. Dann kann man sich selbst aussuchen, ob man sie möchte oder nicht. Ich habe gejobbt und dort wurde es mir auch angeboten. Die Impfung ist für alle umsonst, auch für Ausländer.

Ich hab schon gesehen, dass eine zusätzliche App beziehungsweise Funktion bei der Alipay App hinzukommt, die Deinen Standort ortet. Wenn man eine Impfung bekommt, wird es auch dort angezeigt, mit Datum und Impfstoff. Ich vermute in der nächsten Zeit wird es nötig werden, geimpft zu sein, wenn man beispielsweise innerhalb Chinas reisen möchte. Dann wird man wohl vorzeigen müssen, dass man die Impfung hat.

Impfen für Eier
Dieses Plakat wirbt damit, dass jeder, der sich impfen lässt, eine Packung Eier geschenkt bekommt.

Wie ist das Leben in Nanjing mittlerweile?

Kontaktverfolgung gibt es immer noch. Im Bus und in der U-Bahn muss man Masken tragen, eigentlich auch in einem Didi (Chinesische Ridesharing App). Wenn man dort einsteigt kommt eine Roboterstimme: „Bitte tragen Sie Ihre Maske.“ Aber immer weniger Leute tun das wenn sie einsteigen, auch die Fahrer selbst tragen keine Maske. In Bus und Bahn ist das strenger, auch am Bahnhof. Sonst ist eigentlich alles beim Alten. KTV, Schwimmbäder, Bars, Clubs, Restaurants, Musikfestivals und so weiter, alles wir zu vor. Keine Probleme, als wär nichts gewesen. Nur haben jetzt mehr Leute eine Maske dabei.

Und naja, die Kontaktverfolgung. Du weißt sicher auch, dass man in China mit oder ohne diese App immer weiß wo Du bist. Also macht das jetzt keinen großen Unterschied.

Noch eine Frage zum Abschluss: Wie lange hast du vor, noch in China zu bleiben?

Ich habe heute meine Bewerbung für ein Bachelorstudium in Advertising an der Universität Nanjing eingeschickt und habe vor, hier einen kompletten Bachelor zu machen. Wenn ich jetzt wieder nach Deutschland zurückkehre wird das nächste Semester auch wieder online sein, denke ich. Es ist auch nicht klar, ob man dann einen Job findet, wenn man seinen Abschluss hat. Vor allem mit Sinologie sollte man schon etwas mit China zu tun haben und da die Grenze immer noch zu ist und es schwierig ist, nach China zu kommen, ist die Situation nicht so günstig. Deshalb mache ich hier noch einmal vier Jahre einen Bachelor und gehe dann zurück nach Deutschland. Was in Deutschland sehr gut ist, ist dass man seine Leistungspunkte auch nach vier Jahren wieder benutzen kann und so kann ich noch meinen Bachelor in Sinologie abschließen. Dann habe ich einen Bachelor in China und einen in Deutschland. Ich denke, das unterstützt sich auch gegenseitig: Sinologie und einige Jahre in China. So kann man einige Dinge viel besser verstehen.

Dann wünsche ich Dir viel Glück bei der Bewerbung und bedanke mich für dieses spannende Interview!

Das Interview führte Rafael Pekmezovic am 28. Mai 2021.

 

Zuletzt bearbeitet von: Mariana Münning
Letzte Änderung: 05.05.2022
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