"Das kommt dabei heraus, wenn man das Herz aus der Liebe herausnimmt" - Erinnerungen an das erste Chinesisch-Propädeutikum 1989/90 mit Wilfried Spaar

Herr Spaar machte gleich am ersten Tag des Propädeutikums klar: Wer es bis hier geschafft hat und dieses Sprachprogramm erfolgreich besteht, gehört zum harten Kern – vielleicht fiel sogar das Wort Elite. Viele von uns fühlten sich in den darauffolgenden Monaten zurückversetzt in die Schulzeit: Von Montag bis Freitag hatten wir jeden Vormittag vier Stunden Sprachunterricht, pendelten zwischen dem Sprachlabor in der Plöck und den Unterrichtsräumen in der Sandgasse, nachmittags lernten wir zuhause weiter. Mittwochnachmittags hörten wir die Einführung in die Sinologie bei Wilfried Spaar.

Das ist wie gesagt mehr als 30 Jahre her und entsprechend verblasst sind unsere Erinnerungen. Aber Herrn Spaar haben wir damals doch als eine solche Autorität und vielleicht auch etwas kurios liebenswerten Menschen kennen gelernt, dass wir uns bis heute gern an ihn erinnern. Nur wenige haben ihn nach unserem Abschluss 1996/1997 noch einmal gesehen. Und doch fiel uns nun, als wir von seinem Tod hörten, vieles wieder ein:

Äußerlich wirkte er uneitel, fast ein wenig zerrupft. Im Gespräch neigte er zu Ironie, mitunter auch Zynismus. Er war launisch, aber wenn er gut drauf war, ließ er uns sein unverwechselbares Lachen, eher ein Glucksen, hören.

Als er eines Morgens mit deutlich gestutzter Lockenpracht zum Unterricht erschien, erwähnte er beiläufig, dass er ja grundsätzlich nur - und dies schon seit Jahren - zu einem Friseur in Lhasa gehe. Im Laufe der Monate, ließ er uns an manch ungewöhnlichem Erlebnis teilhaben. So berichtete er eines Tages von einer Fahrt durch Südchina in einem randvoll mit Bonbons gefüllten VW-Bulli. Auf dieser Fahrt verteilte der damals frisch verheiratete Herr Spaar gewissermaßen an alle Südchinesen Hochzeitssüßigkeiten. Denn von einem ausländischen Bräutigam versprach man sich natürlich besondere Großzügigkeit. Wieso er sich das leisten konnte? Nun, als Student hatte er einen der einträglichsten Studentenjobs ergattert, den man in Taiwan bekommen konnte: er war (lange vor Heidi Klum) Model für Unterwäsche!

Doch zurück zu den Niederungen des Sprachstudiums. Gemeinsam mit Herrn Spaar und Heidi Brexendorff kämpften wir uns während des ersten Studienjahres durch drei grüne Bände Practical Chinese Reader. Eine Kommilitonin aus dem hohen Norden fragte er mal: „Frau Ehler, höre ich da einen leichten Zungenschlag? Sind sie aus Taiwan?" Bei seinen Erklärungen machte Herr Spaar stets deutlich, dass er nichts von halben Sachen hielt. Als es um den „Zaoshu“ in Guo Moruos Garten ging, erklärte er: „Der zaoshu - gemeinhin als Dattelbaum übersetzt, ist doch in Wirklichkeit ein Brustbeerenbaum. Datteln wachsen auf Palmen, und Palmen sind keine Bäume, sondern Gräser.“ Und „wan“ bedeute nicht nur spielen, wie er bemerkte, ohne rot zu werden. Wenn Heidi Brexendorff „wo guo“ als „unser Land“ übersetzte, musste er schmunzeln. Er könne sich gut vorstellen, dass das für sie „unser Land“ sei.

Im Propädeutikum lernten wir Kurzzeichen, aber gelegentlich machte Herr Spaar klar, was er davon hielt: „Das kommt dabei heraus, wenn man das Herz aus der Liebe rausnimmt.“ Auch aus seiner Verachtung für das große rote Wörterbuch aus der Volksrepublik machte er keinen Hehl. Das konnte im Vergleich mit dem einzig wahren Lin Yutang Dictionary natürlich nicht bestehen. Herr Spaar, der nicht nur Wörterbücher sammelte, sah sich dennoch mitunter genötigt, sich von manchem einst geschätzten Werk zu trennen. In dem Einführungskurs in die Sinologie, in dem er uns zahlreiche wertvolle Buchtipps gab, berichtete er von „orgiastischen Erlebnissen am Papiercontainer“, als er seine Revolutionsliteratur entsorgte.

Während unseres Grundstudiums bot Herr Spaar einen Computerkurs für Sinologiestudierende an. (Wir befanden uns zu diesem Zeitpunkt noch im Diskettenzeitalter!) Wie um Himmelswillen sollte man Schriftzeichen in einen Fließtext integrieren? Herr Spaar hatte sich längst auch in diese Welt eingefuchst und wusste Rat. Was war es für ein Glücksgefühl, als der Nadeldrucker schließlich auf Endlos-Druckerpapier mit Seitenlochmuster blasse chinesische Schrift- und nicht mehr nur Sonderzeichen ausspuckte!

Die Art und Weise, wie Herr Spaar das Propädeutikum und spätere Kurse zu seiner Sache machte, wie er unterrichtete, uns damit zum Lernen anregte und anstachelte, hat unseren Studienanfang und damit auch weiteren -verlauf maßgeblich geprägt. Wir wollen es nicht verklären: das erste Jahr war ein ziemlicher Ritt. Aber gerade die Stunden bei ihm bestachen durch seinen Intellekt, sein großes Wissen – aber eben auch durch seinen ganz eigenen Witz.  

 

Kerstin Lohse-Friedrich, Berlin

Birgit Maillefaud (geb. Petersen), Genf

Dr. Michael Meyer, Singapur,

Dr. Saskia Mohr-Sobkowiak, Stuttgart

(Februar 2021)

Zuletzt bearbeitet von:
Letzte Änderung: 24.02.2021
zum Seitenanfang/up