Interview mit Anne Labitzky - Teil 2

 

NL 105 Labitzky

Wie kamen Sie nach Ihrem Studium der Sinologie zur Bibliothekars-Ausbildung?

Nach meinem Aufenthalt in Peking habe ich damals schon als Hiwine in der Bibliothek gearbeitet. Bei Prof. Debon war das immer so, dass man sich hocharbeiten musste. Man musste beweisen, dass man zuverlässig war.

Das heißt, ich durfte erst nur Aufsicht machen. Dann hat er jemanden gebraucht, der katalogisiert. Da habe ich dann katalogisiert. Und die nächste Stufe auf der Leiter war dann, dass ich Sprachlaborunterricht geben durfte. Dann durfte ich Anfängerunterricht geben, also nicht mehr im Sprachlabor, sondern richtigen Unterricht. Das waren auch große Gruppen. Das war in der Zeit, in der viel los war. Also kurz vor Tian’anmen 天安门. Dann habe ich, kurz bevor ich dann weggezogen bin, noch ein Semester Lu Xun 鲁迅-Texte gelesen. Das war also die höchste Stufe, in die ich es geschafft habe.

Und da haben Sie festgestellt, dass das Bibliothekswesen das Richtige für Sie ist?

Naja ich war damals verheiratet. Dann kam meine Tochter auf die Welt. Wir sind nach Würzburg umgezogen und da hab‘ ich aber dann auch wieder angefangen, zu unterrichten.

In Würzburg (Sprachlabor) und in Marburg (Anfängerunterricht) – Putonghua 普通话.

Nach meiner Trennung von meinem Mann beziehungsweise nach der Scheidung habe ich eine EDV-Ausbildung gemacht. Ja, ich bin Beraterin für EDV und Telekommunikation (lacht). Meine Schwester war damals bei einer Computerfirma und sie sagte, wenn du beruflich irgendwas werden willst, musst du Computer-Kenntnisse haben. Dann habe ich diesen Kurs gemacht. Und hab mich dann beworben, beworben, beworben. Und saß aber immer noch zu Hause. Und dann hatte eine Freundin die Idee, ich sollte doch mal hier anfragen, ob ich in der Bibliothek arbeiten könnte (ohne Bezahlung) und so bin ich dann wieder reingekommen. Der damalige Bibliothekar hat mir gezeigt, wie das mit Allegro geht. Das war sein Allegro, mit dem wir dann später noch gearbeitet haben. Zwei Mal die Woche fünf Stunden war ich dann in der Akademiestraße, morgens, während meine Tochter in der Schule war. Die Tatsache, dass ich hier in der Bibliothek gearbeitet habe, hat mir dann den Weg für die Stelle in Bochum geebnet.

Ich bin von Heidelberg nach Würzburg, von Würzburg nach Heidelberg, von Heidelberg nach Bochum und Bochum nach Heidelberg gezogen.
Meine Mutter hat damals, als ich mich von meinem Mann getrennt habe, in Heidelberg gewohnt. Und es war immer das Ziel, dass ich „zurück in den Beruf“ komme – kann man so eigentlich gar nicht sagen, obwohl ich nach dem Peking-Aufenthalt immer gearbeitet hab, aber ich habe immer als Studentin irgendwie gearbeitet oder hatte Lehraufträge. Aber einen festen Job hatte ich nicht. Als ich die Ausbildung zur EDV-Beraterin, die ging 13 Monate, gemacht habe, da hat sich zum Beispiel meine Mutter um meine Tochter gekümmert. Sie war ja dann schon Schulkind. Dann habe ich mich 93 auf die Stelle in Bochum beworben. Die habe ich dann auch bekommen.

Dann war ich in Bochum mit einer halben Stelle. Da habe ich per Fernstudium an der Humboldt-Universität zu Berlin zwei Jahre berufsbegleitend die Ausbildung zur Bibliothekarin gemacht. Voraussetzung war, dass man neun Jahre Berufserfahrung hatte. Die hatte ich beim ersten Mal nicht. Deshalb habe ich mich dann ein zweites Mal beworben, und da hat das dann geklappt.

Wann sind Sie dann wieder zurück nach Heidelberg gekommen?

Mai 2003. Ich war die Nachfolgerin von Hanno Lecher. Damals gab es das ZO noch nicht. Das wurde erst 2005 gegründet. Hanno Lecher war erst nach Taiwan gegangen und dann hatte er die Stelle in Leiden. Aufgrund meiner Ausbildung, durch das Bibliotheksstudium, hatte ich ja einen Magister, aber der Magister in Bibliothekswissenschaft wurde per Gesetz dem Staatsexamen (wie bei Richtern, Lehrern, …) gleichgestellt.
Damals als ich herkam, gab es die Sinologie und die Japanologie, die war damals ganz neu. Prof. Schamoni war schon da. Professoren an der Sinologie waren Prof. Wagner natürlich. Prof. Weigelin-Schwiedrzik war gerade gegangen und Prof. Barend ter Haar auch. Neu gekommen sind Prof. Mittler und Prof. Müller-Saini und die vierte Neue im Bunde war Isolde Schroh, sie hat auch in dem Jahr angefangen. Also wir waren vier neue Leute.

Was sind die hauptsächlichen Aufgaben als Bibliothekarin?

Wenn man die offizielle Definition nimmt, dann ist es „Zugang zu Information“. Darauf läuft es hinaus. Wie diese Information dann aussieht, das ist ganz unterschiedlich. Das können Bücher, Zeitschriften, Zeitungen etc. sein. Das Ganze kann online oder in Hardware vorliegen. Der ganze Verwaltungsaufwand, der dahintersteckt, kommt dann noch hinzu. Und was wir auch machen, Hanno Lecher vor allen Dingen, ist Einführung in die Bibliothek, in die Benutzung von Hilfsmitteln, … Fortbildung für Leser, das gehört also auch dazu. Das ist so das Knappste, wie ich das zusammenfassen kann (lacht).

Wie würden Sie sagen, hat sich die Arbeit speziell in der sinologischen Bibliothek verändert. Haben sich die Schwerpunkte in der Anschaffung geändert, in der Zeit, in der Sie da waren – zum einen thematisch, zum anderen vielleicht auch die Form der Medien?

Der Schwerpunkt hängt immer mit den Leuten zusammen, die unterrichten und forschen.

Das Geld, mit dem wir Bücher kaufen, gehört dem Institut, aber wir Bibliothekare sind Mitglieder der UB. Das heißt, die Professoren und andere wissenschaftliche Mitarbeiter entscheiden grundsätzlich, was angeschafft wird.

Wie sehen Sie die Digitalisierung – insbesondere vor dem Hintergrund wie Sie damals Chinesisch gelernt haben und wie das die Studierenden heute tun; auch im Hinblick auf das Bibliothekswesen?

Ich find das schon eine spannende Geschichte. Gerade diese Online-Wörterbücher sind ja toll, wenn man sich nicht darauf verlässt, dass man da drin alles findet. Das war vielleicht der Vorteil unserer Ausbildung: wir haben gelernt, hartnäckig zu sein. Selbst wenn wir in den obskursten Dingern nachgeguckt haben. Das war sicherlich ein Vorteil.

Wir hatten auch das Propädeutikum noch nicht. Von daher gesehen, war das mit der Sprachausbildung auch immer etwas schwierig. Ich hatte nur Wenyanwen und sechs Stunden Umgangschinesisch und nochmal sechs Stunden Sprachlabor. Aber das war nicht zu vergleichen mit dem Propädeutikum. Trotz meines Aufenthalts in Peking – gut das ist jetzt auch schon sehr lange her und ich war seitdem nur noch einmal in Taiwan – habe ich nicht so das Gefühl, dass ich so richtig Chinesisch kann. Sie können mir einen Wenyanwen 文言文-Text aus der Song-Zeit vorlegen – mit dem komm ich zurecht. Aber mit dem modernen Chinesisch, ja ich kann mich verständlich machen, aber so vertraut wie Sie das sind, bin ich nicht.

In Bezug auf die Digitalisierung noch: Wenn Sie zum Beispiel an CrossAsia denken, es ist nicht so festgeschrieben. Sie könnten in manchen Datenbanken einen Text finden und eine Woche später ist der nicht mehr da. Er ist entweder ganz weg oder an eine andere Stelle gewandert. Das gilt grundsätzlich im Internet. Da darf man seinen gesunden Menschenverstand nicht ausschalten. Das sind dann andere Anforderungen, die an die Studierenden gestellt werden – in Bezug auf die Informationsbeschaffung.

Ich weiß noch als ich meinen Magister angemeldet hab (lacht) – es gab noch kein Prüfungsamt, ich musste also zum Dekanat – da sagte die Dekanatssekretärin: „Aber Sie haben doch schon angefangen, oder?“ Da sagte ich: „Ja ich bin fertig.“ (lacht) Sie wusste, wie schwierig das ist. Sechs Wochen, ein viertel Jahr auf ein Buch zu warten, das war normal. Wenn man dann drauf angewiesen war und es wurde eng, weil die Frist für den Magister ablief, kam man schon ins Schwitzen. Also man tat wirklich gut daran, schon frühzeitig möglichst weit zu sein.

Welche Erfahrungen und Erlebnisse als Bibliothekarin sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Anknüpfend an das, was wir eben besprochen haben: als das Taiwan-Erdbeben 1999 war, da war der Zugang auch zum Beispiel zu den chinesischen Quellen aus dem Festland schwierig. Dann haben einige Leute sich drauf verlassen und kamen dann kurz vor der Magisterprüfung auf einmal an ihre Sachen nicht mehr dran.

Meine Tochter hat Erlebnisse, dass sie Leute mit einer Sahnetorte aus der Bibliothek rausfischt oder Pizzalieferanten abfängt (lacht), aber sowas gab es bei uns Gott sei Dank nicht.

In der Bibliothek in Bochum hatten wir einen Raben. Der hat alles zusammengestohlen, was es in den vier Bibliotheken zu Kalligraphie gab. Das war schlimm. Da hatten wir sehr wenig Geld, Nordrhein-Westfalen ist ja ein armes Bundesland, das hat wirklich richtig reingehauen. Es ist auch generell sehr frustrierend, wenn Literatur verschwindet. Wir geben uns große Mühe und es gibt ja heutzutage keinen Grund mehr, zu stehlen. Früher hätte ich das noch verstanden, wo die Literaturbeschaffung schwierig war, man nicht direkt beim Lieferanten kaufen konnte oder über Amazon oder wie auch immer. Da hätte ich es noch verstanden, aber heutzutage kommt man leichter an die Sachen ran. Und da ärgert es mich. Das ist auch sehr unsozial.

Sie haben den Umzug von der Akademiestraße ins CATS mitgestaltet.

Nein, ich habe ihn nicht mitgestaltet, sondern miterlebt. Ich muss auch ehrlich sagen, ich habe mich da ganz bewusst rausgehalten. Es war ja absehbar, dass ich nur noch bis zum Juni diesen Jahres hier arbeiten würde und die ganzen Entscheidungen, die da getroffen werden mussten, die hätte ich nicht mehr mittragen müssen. Insofern habe ich mir eine andere Rolle ausgesucht, nämlich sozusagen das Backbone, also habe ich versucht, Bestellungen weiter durchzuführen. Dann gab es ein Problem, weil wir zweimal neue Software hatten und dann mussten wir über 10.000 Datensätze korrigieren. Da habe ich also schwerpunktmäßig mitgemacht. Aber am Umzug war ich immer nur mit so kleinen Geschichten beteiligt.

Apropos Datensätze korrigieren, mit welchem Katalogisierungssystem haben Sie denn am liebsten gearbeitet und mit welchem weniger gern?

(lacht) Ich kenne nur zwei. Ich habe während des Bibliothekspraktikums einmal mit Aleph gearbeitet, aber das ist schon so lange her, und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich kenne das.

Nein, also ich kenne nur Allegro und Pica. Am liebsten habe ich natürlich mit Allegro gearbeitet. Das war schnell und bequem. Wenn man sich mal rein gefunden hatte, hat es einem viele Möglichkeiten geboten. Der Nachteil war natürlich, dass es nicht Unicode-fähig war. Wir hatten nur chinesische Langzeichen. Wir hatten damals auch noch Wade Giles als Umschrift. Das haben wir mit der Migration dann alles umgestellt. Und es war sozusagen „Stand alone“, denn es waren nur unsere Bestände drin. Während wir jetzt nicht nur die Bestände der Universität Heidelberg haben, sondern auch anderer Institute, wie zum Beispiel Tübingen, Karlsruhe, Mannheim. Von daher gesehen ist es für die Leser natürlich schöner, wenn sie dann damit arbeiten können, denn dann müssen sie nicht bei uns suchen, dann noch woanders und vielleicht noch in einem dritten Katalog.

Von dem, wie man arbeiten konnte, war Allegro besser und schneller. Es hatte aber auch immer wieder seine Tücken. Wenn Autoren denselben Namen in Pinyin hatten und deshalb dann als eine Person zusammengefasst wurden. Das hat man jetzt immer noch. Wir bemühen uns sehr – vor allem Gesche Schröder, die das jetzt weitermacht – möglichst viel über einen Verfasser zu sammeln. Das Problem ist dann, wenn sich noch eine andere Bibliothek dranhängt, und die nicht genau gucken. Da hatte ich zum Beispiel einen Literaten, der hundert Jahre nach seinem Tod zu Nanotechnologie gearbeitet hat. Wohl kaum möglich, oder? Das passiert, wenn die Leute nicht genau arbeiten. Manchmal haben wir auch nur ganz schwammige Informationen. Aber alle Informationen, die wir versuchen einzubringen, versuchen wir auch zu verifizieren. Da sollten sich die lieben Kollegen dann auch dranhalten. Das ist immer so ein bisschen schwierig.

Haben Sie Tipps für Sinologen?

Fangen wir anders an, ich lese gerade ein ganz tolles Buch. „Tambora und das Jahr ohne Sommer: Wie ein Vulkan die Welt in die Krise stürzte“ – Tambora war ein Vulkan, der 1816 in Indonesien ausgebrochen ist. Der beeinflusste das Klima weltweit. Verfasser des Buches ist Wolfgang Behringer. Er ist Professor für moderne Geschichte an der Universität des Saarlandes, also kein Sinologe. Im Buch gibt es einen kurzen Abschnitt zu China, vielleicht gerade einmal zwei Seiten oder so. Das fände ich ein spannendes Thema: Auswirkungen früherer und heutiger Klimaveränderungen auf die chinesische Geschichte und Gesellschaft. Da gibt es auch viele Quellen, gerade wenn man im klassischen Bereich arbeitet, gibt es viel Material dazu – die ganzen Difangzhi 地方志 (Lokalchroniken), die Yulince 鱼鳞册 (Fischschuppenregister), … 

Ein weiterer Lesetipp wäre „Der Krieg am Ende der Welt“ von dem späteren peruanischen Ministerpräsidenten geschrieben – Mario Vargas Llosa.

Haben Sie ein liebstes Nachschlagewerk?

Das Peiwen Yunfu 佩文韵府 und Lin Yutangs 林语堂 Chinese-English Dictionary of Modern Usage.

Welche sinologische oder ostasiatische Bibliothek sollte man unbedingt einmal besucht haben? Mal abgesehen von unserer ;)

(wie aus der Pistole geschossen) Harvard.

Ich denke die StaBi ist sicherlich auch sehr interessant, aber da kommt man nicht in die Magazine rein. Da muss man ausheben lassen.
In Harvard ist es glaube ich so ähnlich wie hier bei uns, nämlich dass man in die Stacks reinkommt und da wird’s dann ja eigentlich spannend.
Leiden ist auch sehr sehenswert. Die haben schöne Altbestände, wie z. B. den van Gulik-Nachlass. Das lohnt sich auch. Aber dazu fragen Sie besser Hanno Lecher. Ich war nur zwei oder drei Mal dort zu Besuch.

Apropos selbst vor den Regalen stehen, haben Sie auch ein liebstes Ordnungssystem für die Medien?

Library of Congress Classification (LoC)

Harvard hat sein eigenes System gehabt, aber in den 1990ern dann umgestellt. Leiden zum Beispiel war noch nach dem alten Harvard-System aufgestellt – ob sie das inzwischen geändert haben, weiß ich nicht.

Aber es ist immer besser, so etwas wie die LoC-Classification zu haben, weil das dann von Fachpersonal weitergepflegt wird. Das ist ja immer das Problem: man kann sein eigenes haben wie die Japanologie oder wie das IKO. Das ist dann ganz stark an die Bedürfnisse des Instituts angepasst. Aber wenn sich dann der Professor verabschiedet oder wenn ein neues Fachgebiet dazukommt, dann geht alles wieder von vorne los. Es [LoC] ist international. Wir versuchen immer, Gäste von außen willkommen zu heißen. Wenn sie sich mit LoC-Classification auskennen, dann wissen sie genau, wo sie was zu suchen haben. Das heißt nicht, dass wir die Sachen wirklich an der gleichen Stelle abstellen, aber das System ist ihnen vertraut und sie können weitersuchen.

Und das obwohl Sie aus der Sicht einer Bibliothekarin sprechen und einige Räumungsaktionen mitgemacht haben.

(lacht) Das hat nicht mit der Klassifikation, also mit der Aufstellung, zu tun. In Bochum zog das Arabicum aus. Es ist mit dem Russicum zusammengelegt worden. Wir haben dann den Platz vom Arabicum dazubekommen und dann mussten wir auch auseinanderziehen und umräumen – mit einer ganz anderen Systematik. Also das hat nicht so viel damit zu tun. Das war auch interessant: drei Bibliotheken, drei verschiedene Systeme (lacht). Und fünf verschiedene Schriftsysteme: Chinesisch, Koreanisch, Japanisch und Arabisch und im Russicum Russisch. Das war spannend.

In Vorbereitung auf das heutige Interview habe ich herausgefunden, dass sie als Übersetzerin an„Das große Chinakochbuch“ beteiligt waren. Kochen Sie denn selbst gerne Chinesisch?

(lacht) Nee, absolut nicht.

Wie kam es dann dazu?

(lacht) Qundai guanxi 裙带关系. Ein Cousin von mir war Lektor. Das war eine ganz spannende Erfahrung. Er wollte aus Kostengründen nicht so viele Bilder einbauen, natürlich als Illustration schon, aber manchmal wäre dann eine halbe Seite frei geblieben oder so. Da hat er von mir Chengyus 成语 bekommen.

Es war für mich sehr aufschlussreich, dass die meisten chinesischen Chengyu, die mit dem Essen zusammenhängen, nicht positiv waren. Etwa wie „Käse schließt den Magen“ oder sowas. Sondern eher Ermahnung, dass man vorsichtig im Umgang mit Essen sein soll. Dass man nicht so angeben soll. „Er fuhr vierspännig auf“ oder sowas ist ja eigentlich nichts Positives in dem Sinn, sondern das spiegelt schon auch wider, dass die Leute arm waren und es viele Hungersnöte gab. Das war mir vorher nicht so klar gewesen. Ich hatte da meine liebe Mühe, die entsprechende Anzahl positiver Chengyus zu finden.

Ne, ich koch‘ überhaupt nicht gerne (lacht).

Vermissen Sie schon das Berufsleben und die Bibliothek? Was begleitet Sie weiterhin aus dem Berufsleben?

Ich vermisse die Bibliothek. Ich vermisse vor allen Dingen die Kollegen. Ich vermisse auch ein bisschen die Arbeit. Was ich nicht vermisse, ist den Stress. Meine Kollegen fehlen mir schon sehr. Aber ich finde es auch wichtig, erst einmal einen klaren Schnitt zu machen. Wenn dann so eine gewisse Zeit vorbei ist, finde ich es völlig okay, dass man sich dann wieder öfter trifft.

Und mir fehlen meine Datensätze. (lacht) Ich habe gern katalogisiert. Ich habe in Bochum das Allegro eingeführt. Vorher haben wir wirklich noch mit der Schreibmaschine und Matrizen gearbeitet. Ich fand es dann unheimlich spannend, zu sehen wie immer mehr Informationen hinzukamen, wie das Bild immer vollständiger wurde.

Hier in Heidelberg haben wir mit Library of Congress Subject headings verschlagwortet, also die inhaltliche Erschließung mit dem amerikanischen System gemacht. Und in Bochum haben wir das mit RSWK gemacht – Regeln für den wissenschaftlichen Schlagwortkatalog, also mit dem deutschen System. Das war auch schön, wenn zum Beispiel jemand was zu Musikinstrumenten brauchte. Dann konnte ich das eingeben und ihm sagen, da und da steht ein Wörterbuch, da haben wir Musikinstrumente drin. Das finde ich dann spannend.

Hier in dem neuen System haben wir die sogenannten Normsätze, also für Personen und Körperschaften und sowas. Wenn man dann zum Beispiel so ein neues Feld wie die Archäologie hier in Heidelberg hat – ist natürlich ein altes Feld, aber wir hatten ja wenig zur chinesischen Archäologie – dann trifft man auf einmal immer wieder auf die gleichen Wissenschaftler, deren Bücher man anschafft. Das finde ich schön, weil das Bild so vollständig wird. Das gefällt mir wirklich. Das hat mir Spaß gemacht.

Was für Pläne haben Sie jetzt?

Ich möchte gerne – aber das ist auch eine Frage, was jetzt durch Corona alles möglich ist – Gitarre spielen lernen. Ich habe als Kind nur Blockflöte gelernt, aber nie richtig. Und ich würde gerne Portugiesisch – also brasilianisches Portugiesisch – lernen. Ich würde mich gern mit Bossa Nova beschäftigen. Das finde ich eine ganz tolle Musik. Das war so 48, 50 bis Mitte der 60er Jahre. Wenn Sie so wollen, eine autochthone brasilianische Musik, das ist so schön. (summt)

Vielen Dank, das war’s auch schon – das heißt nächstes Mal interviewen wir Sie dann auf Portugiesisch.

(lacht) Ja, oder auch nicht. Mal abwarten…

Dieses Interview führte Giulia Merker am 10. September 2020. Anregungen für Themen und Fragen gaben außerdem Till Linsenmair, Mariana Münning und Fabienne Wallenwein.

Wir danken Frau Labitzky für ihre Bereitschaft zum Interview und wünschen ihr alles Gute!

Zuletzt bearbeitet von:
Letzte Änderung: 29.11.2020
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