"Gott der Barbaren", ein Roman von Stephan Thome (Buchrezension)

"Kein Lächeln zeigte sich auf seiner Miene, aus jeder Geste sprach das Fehlen von Sitten und Anstand, so als hätte sich ein Wolf als Mensch verkleidet."

Der historische Roman "Gott der Barbaren" von Stephan Thome, erstveröffentlicht am 10. September 2018 im Suhrkamp Verlag, spielt Mitte des 19. Jahrhunderts in dem von Kriegen, Rebellion und Konflikt geplagten China der Qing-Dynastie. Der Roman lässt diese für China traumatische Zeit aus mehreren Erzählperspektiven wiederauferstehen. Am Ende stehen mehrere Fragen: Für welche Werte lohnt es sich zu kämpfen, wie gelingen interkulturelle Dialoge und was können wir von der Vergangenheit lernen?

Der Roman weist eine Vielzahl von Figuren auf, die wichtigsten davon sind: Phillip Johann Neukamp, ein junger Abenteurer und Missionar der Basler Missionsgesellschaft, durch die Suche nach dem "Sinn seines Lebens"  nach China verschlagen, wo er dann in die Wirren der Rebellion und des Krieges hineingezogen wird, Zeng Guofan 曾國藩, der Oberbefehlshaber der Hunan-Armee, der mit Missachtung und Bestürzung den Zerfall der Traditionen sowie das Eindringen der Ausländer in China verfolgt und sich mit wachsender militärischer Stärke und Wichtigkeit dem Misstrauen des Kaiserlichen Hofes ausgesetzt sieht, als letztes bekommen wir durch Lord Elgin, mit Vornamen James Bruce genannt, dem Earl of Elgin and Kincardin, Sonderbotschafter der britischen Krone im zweiten Opiumkrieg, die Sichtweise und Gedanken des britischen Empire sowie die emotionalen und privaten Abgründe des Lords mit. Allen drei Protagonisten ist gemein, dass sie sich den politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Dimensionen ausgesetzt sehen und emotional unfähig sind, sie wirklich tiefgründig zu verarbeiten.

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Der Roman entfaltet dabei durch die vielen Figuren auf 719 Seiten ein Bild des durch die Kriege mit dem britischen Empire sowie der Taiping-Rebellion gebeutelten Chinas. Dieser chaotischen Zeit wird auch die  Erzählstruktur des Romans gerecht, der Roman wechselt permanent zwischen verschiedenen Figuren und Schauplätzen  hin und her: Erst befindet man sich auf dem Schiff des britischen Sonderbotschafters und ein paar Kapitel weiter ist er zurück in seiner Residenz und um zwei Jahre gealtert, dazwischen durchquert Phillip mit dem amerikanischen Abenteurer Alonzo Potters China, um nach Nanjing zu gelangen, so das es schwierig ist, beim Lesen den Überblick über die Figuren sowie deren Entwicklung und die Zeit zu behalten. Auch der Sprachstil ändert sich, je nach dem wer und vom wem gerade erzählt wird. Damit gibt der Roman einen guten Überblick über die verschiedenen Perspektiven der einzelnen Akteure sowie der politischen und gesellschaftlichen Situation in dieser turbulenten Zeit. Des weiteren wird mit Grausamkeiten im Roman nicht gespart und die graphische Erzählweise ist nichts für jedermann, verleiht dem ganzen aber Authentizität, Krieg ist eben keine schöne Sache und ohne Blutvergießen auch nicht zu bewerkstelligen. Auch das Aufeinandertreffen der Kulturen spiegelt den Geist dieser Zeit wieder, China, das sich als Mittelpunkt der Welt betrachtet, sieht sich von "Barbaren" gedemütigt, die aus ihrer Sicht keinen Anstand und Moral besitzen, wie das obige Zitat von Zeng Guofan (Seite 471)  zeigt. Dabei schenken sich beide Seiten nichts, auch die Briten wollen sich nicht mit der Kultur des Landes, in das sie eingefallen sind, richtig auseinandersetzen. Sie empfinden es als rückständig, gottlos und treten die Traditionen mit Füßen.

Der Roman lässt durch seine Detailfülle und den permanenten Wechsel der Figuren aber leider eine schlüssige Handlung vermissen, verliert sich in viele Feinheiten und wird mit fortschreitender Handlung immer episodischer; der rote Faden, der am Anfang des Romans durchaus erkennbar ist, verliert sich. Auch findet keine nachvollziehbare Entwicklung der Figuren statt, da das ständige Wechseln der Figuren im Roman und der Schauplätze dies nicht zulässt. Des weiteren ist er für eine Leserschaft, die sich nicht mit China und der Taiping-Rebellion auskennt viel zu verwirrend, da manches ohne Vorwissen einfach nicht nachzuvollziehen ist und damit das Verständnis der Handlung und den Schauplätzen noch schwieriger wird.

Stephan Thomes Roman "Gott der Barbaren" hat mir durchaus gefallen, da es durch seine detaillierten Beschreibungen ein gutes Bild von China Mitte des 19. Jahrhunderts zeichnet. Die fehlende Schlüssigkeit der Handlung macht sich aber am Ende des Buches bemerkbar, denn sobald man aus dem Buch auftaucht, fühlt man sich, als hätte man eine Serie ohne Pause geschaut, nur um sich dann zu fragen, wie es zu diesem Ende kommen konnte.

TheHappyHuman

 

Stephan Thome: Gott der Barbaren.

Gebunden. 719 Seiten. Suhrkamp (2018).

ISBN: 978-3-518-47025-1

25,00 €

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Letzte Änderung: 01.10.2020
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