Medien, Bilder, der SWR und die Propagandaabteilung

Die unsägliche Peinlichkeit der SWR-Doku "Wuhan – Chronik eines Ausbruchs" ist eine drastische Blamage für die Presse. Ohne Not verlassen sich Journalisten eines freien, öffentlichen Fernsehsenders auf Bilder der Propagandaabteilung, und lassen diese sogar als Berater mitwirken? Haben uns nicht erst kürzlich mutige chinesische "Bürgerjournalisten" gezeigt, wie weit die Informationen vor Ort von denen der offiziellen chinesischen Medien abweichen und wie wenig wir ohne freie Berichterstattung wissen?!

Zugegebenermaßen sind brauchbare Bilder aus China Mangelware. Schöne Landschaften und glückliche Menschen sind leicht zu finden, gestochen scharf, meist bei Sonnenschein und blauem Himmel – in aller Regel Inszenierungen, unterstützt von Photoshop, und gern bereitgestellt von der Propagandaabteilung der Regierung. Bei Bildmaterial, das für Nachrichten oder Dokumentationen einsetzbar ist, wird es dagegen schnell schwierig. Ganz schwierig angesichts der Tatsache, dass wir von unseren Medien anschauliche und v.a. ansprechende Bebilderung erwarten, und es hinnehmen, dass unsere Medien langst routinemäßig auf Bilddateien zugreifen, auch wenn die Bilder dann mit den Inhalten kaum mehr als einen vage thematischen Zusammenhang haben. In Nachrichten über China ist daher schon seit Jahren der Einsatz der Bilder aus den VR-Medien üblich. Dies stößt unangenehm auf, wenn man China auch nur etwas besser kennt. Leicht erkennbar, auch für Leute, die weder chinesische Nachrichten schauen, noch Zeitungen lesen, z.B. am blauen Himmel. Der Fehlgriff des SWR ist ein Auswuchs jener gängigen Praxis, und deshalb einen Kommentar wert.

Zum Thema Epidemie in Wuhan ist Bild- und Filmmaterial in der Tat rar. Drei Bürgerjournalisten haben Ende Januar bis Anfang Februar direkt, ungefiltert, und nicht immer journalistisch professionell per Handyaufnahme aus Wuhan berichtet. Fang Bin 方斌, ein Modedesigner aus Wuhan, verschwand am 9 Februar. Chen Qiushi 陈秋实 (* 1985), ein Anwalt und Aktivist, reiste zur Berichterstattung nach Wuhan und erreichte die Stadt noch am 23. Januar und ist seit dem 6. Februar verschwunden. Li Zehua 李泽华 (*1995), Journalist, der seine Stellung beim Fernsehen kündigte, um nach Wuhan zu reisen, wurde vom 26. Februar bis 22. April festgehalten. In einem Video vom 22. April meldete er sich zurück aus seiner Heimatstadt Pingxiang in Jiangxi, vom Stil gesehen her aber wurde dies offensichtlich nur mit offizieller Genehmigung gedreht.[1]

Die Handyvideos enthalten gelegentlich drastische, aber wackelige Bilder, wie z.B. die Aufnahmen von überfüllten Krankenhauskorridoren und Leichensäcken von Fang Bin, die auch hier in den Nachrichten gezeigt wurden. Sonstige Bilder sind mehrheitlich nichtssagende Aufnahmen von leeren Straßen. Daneben gibt es einige Interviews mit "normalen" Bürgern, einige sogar in englischer Sprache. Allerdings sind manche z.B. bei dem koreanischen Youtube-Sender Asian Boss – nicht unbedingt dort, wo Medienschaffende, deren Erfahrung mit Ostasien und Diktaturen begrenzt ist, suchen.

Substantiellere Quellen, wie die drei verfügbaren Tagebücher, schriftliche Interviews und wissenschaftliche Papers, sind bilderlos. Das Problem liegt mithin in der Aufbereitung der Informationen, sowie möglicherweise in den Recherchetechniken. Die gefühlte Notwendigkeit, Informationen mit ansprechenden Bildern – möglichst sogar mit bewegten Bildern – zu transportieren, verengt journalistische Möglichkeiten in bedenklicher Weise.

Konkret gesagt: Wenn wir glauben, Inhalte ohne Bilder nicht mehr vermitteln zu können, liefern wir uns entweder denjenigen aus, die die Möglichkeiten haben, die Bilder zu liefern, oder wir müssen auf nicht bebilderte Inhalte verzichten. Wuhan während des Lockdowns ist eine Extremsituation eines totalitären Moments. Aber Ähnliches gilt für den "Normalzustand" in allen Weltregionen und Konzernen, in denen totalitäre Regime herrschen, die die manipulative Macht der Propaganda – d.h. bei jeder Art von Inhalten! – bewusst nutzen.

Li Wenliang, der Augenarzt aus Wuhan, der aus Versehen Whistleblower wurde und wenig später an Corona erkrankte: Am 30. Januar gab er ein Interview aus der Isolierstation, in dem Glauben, er sei langsam auf dem Weg der Besserung. Sein Fazit aus der Sicht eines unpolitischen Menschen, der zum ersten Mal von der Disziplinarabteilung und der Polizei unter Druck gesetzt worden war: "Ich glaube, in einer gesunden Gesellschaft sollte es nicht nur eine Stimme geben; mit zu viel Einsatz staatlicher Macht zur Einmischung bin ich nicht einverstanden." (我觉得一个健康的社会不该只有一种声音,不同意利用公权力过分干预。) In den ersten Februartagen verschlechterte sich sein Zustand und er verstarb am 7. Februar.

Die, die wir im Genuss einer freien Presse sind: Bitte zuhören. Mehrstimmigkeit und journalistische Recherche können wichtiger sein als gute Bilder.

 

[1] Für eine gute Zusammenfassung mit zahlreichen Links, siehe: http://chinaheritage.net/journal/the-heart-of-the-one-grows-ever-more-arrogant-and-proud/

Zuletzt bearbeitet von:
Letzte Änderung: 31.07.2020
zum Seitenanfang/up