Künstler, Dichter und Studenten zwischen Beida 北大, Yiheyuan 颐和园 und Yuanmingyuan 圆明园

Bis zum Ersten Weltkrieg waren die chinesischen Bildungs- und Kultureinrichtungen in der Innenstadt konzentriert. 1919 wurde dann die amerikanische Yen-ching University (Yanjing Daxue 燕京大学) im nordwestlichen Bezirk Haidian 海淀 gegründet. Ein Teil des Geländes war der Südzipfel des alten Yuanmingyuan und wurde Yanyuan 燕园 genannt, dort befindet sich auch der in China berühmte (namenlose) See Weiminghu 未名湖 mit einem Wasserturm, der einer Pagode ähnelt.

An dieser Universität unterrichteten in den dreißiger Jahren unter anderem die Journalisten Edgar und Helen Foster Snow. Zu den Studierenden gehörten die Studentenbewegungsaktivistin Lu Cui und der spätere Diplomat Huang Hua, der damals Edgar Snow als Dolmetscher diente und so Mao Zedong traf.

Nach der Gründung der Volksrepublik China wurde die amerikanische Universität geschlossen und die Beijing Daxue 北京大学 zog von der Innenstadt in das großzügige Gelände am Stadtrand. Die Straße zwischen Beida und Yuanmingyuan war jahrzehntelang die Grenze zwischen bebautem Stadtgebiet und den Grünanlagen und Feldern des Nordwestens. Östlich davon lag die Qinghua Universität 清华大学, im Westen der Sommerpalast (Yiheyuan).

Für die Lehrenden und Studierenden der großen Universitäten war die grüne Lage traumhaft, nur der Weg ins Stadtzentrum war weit. Außerdem waren in den frühen Jahren der VR China die Straßen noch nicht asphaltiert, sodaß im Frühjahr die Sandstürme sehr unangenehm waren – vor allem für Radfahrer.

In dem Gebiet zwischen den Universitäten, Gärten und Parks gab es neben Feldern und kleineren Dörfern auch noch einige für politisch Interessierte wichtige Einrichtungen wie die Zentrale Parteihochschule, das Zentrale Parteiarchiv, das Grab des KP-Gründers Li Dazhao und einige geheime Einrichtungen, die absichtlich falsche Türschilder hatten.

Für Ausländer gab es von der Beida zum Yiheyuan und zum weiter westlich liegenden Xiangshan 香山  nur eine Straße. Man durfte nirgendwo abbiegen, alle Nebenstraßen waren abgeriegelt und mit mehrsprachigen Warnschildern versehen, die vor allem die Berliner an ihre eigene Mauer erinnerten. Meine damaligen Versuche mit dem Rad einige unauffällige Nebenwege zu erkunden, sind immer an grün uniformierten Herren gescheitert, großen Ärger gab‘s aber nicht. (In einigen dieser unzugänglichen Gebiete waren die Truppen, die die Hauptstadt im Krisenfall verteidigen sollten.)

In den späten siebziger Jahren war die Stimmung recht entspannt und viele chinesische Künstler, Dichter und Intellektuelle schätzten die Erholungsgebiete im Nordwesten. Besonders beliebt war der Yuanmingyuan bei einigen Schriftstellern, die für die Zeitschrift Jintian 今天 schrieben und bei Künstlern der Sterne-Gruppe (Xingxing 星星). Sie rezitierten Gedichte, zeigten kleinere Kunstwerke und feierten Partys. Nach einer Weile tauchten dort auch ausländische Studenten und interessierte Diplomaten auf; bald darauf heiratete ein französischer Diplomat eine chinesische Künstlerin, was damals noch ungewöhnlich war.

Anfang der achtziger Jahre beschlossen einige der Künstler und Dichter in den angrenzenden Dörfern Häuser oder Zimmer zu mieten, da es in der Innenstadt zu teuer war. Hierzu gehörten Personen, die aus anderen Provinzen kamen und eigentlich nicht in Beijing wohnen durften. Außerdem gab es Graduierte der vielen Hochschulen der Hauptstadt, die keine Lust hatten, die ihnen angebotenen Stellen zu übernehmen. Einige Graduierte besaßen zwar noch Aufenthaltsgenehmigungen für einige Jahre, hatten jedoch kein Einkommen. Daher waren die großen Universitäten besonders beliebt bei denen, die in der Mensa essen oder in Wohnheimen duschen wollten. Außerdem konnten Bibliotheken und Buchläden besucht werden. Daher gab es engen Kontakt zwischen Studierenden und den Gästen, oft vor allem mit denen, die aus der gleichen Provinz kamen. (So konnte man sich auch leicht die bei manchen Gelegenheiten nötigen Studentenausweise leihen.) Im Notfall konnte man so auch kleine Krankenhäuser oder Ambulanzen besuchen.

Zum wichtigsten Wohnort der Künstlerszene wurde das Gebiet Fuyuanmen 福缘门 genau zwischen Beida und Yuanmingyuan, nicht weit von einer Bushaltestelle Richtung Yiheyuan. Eine der ersten bekannten Dichter dort war Hei Dachun 黑大春, später zog auch Zhang Dali 张大力 dorthin.

Richtig berühmt wurde der Ort in den neunziger Jahren als eine neue Generation von Künstlern dort residierte: Fang Lijun 方力均, Yang Shaobin 杨少斌, Yue Minjun 岳敏君 und Zhang Xiaogang 张晓刚.
 
Das Bemühen der Stadtverwaltung den Yuanmingyuan weiter touristisch zu erschließen und alternative Angebote für die Künstler im Nordosten der Stadt führten zur Abwanderung dieser Gruppe.
 
Dr. Thomas Kampen

Nl 102 07 1
 

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Letzte Änderung: 06.04.2020
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