Taiwans Maßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus

Ein Virus befällt die Weltbevölkerung. Während das Coronavirus SARS-CoV-2 Europa mit weiter steigenden Infektionszahlen den Atem raubt, weist Taiwan mit gerade einmal 252 (Stand 26.03.2020, 8 Uhr) angegebenen Infizierten eine verhältnismäßig geringe Ansteckungsquote auf. Zuständiges Fachpersonal führt den Erfolg auf die strikte Befolgung eines wirksamen Infektionsschutzprotokolls zurück sowie die umfänglichen und rasch ergriffenen Maßnahmen. Die Insel setzt auf Abschottung. Politisch beschränkt Taiwans Seuchenschutzzentrum (Central Epidemic Command Center, CECC) den Zugang für ausländische Staatsangehörige. Medizinisch schicken Schnelltestverfahren Erkrankte in rasche Quarantäne.

Die Metropole Taipei ist mit über 2,5 Mio. zwar nicht das bevölkerungsstärkste asiatische Ballungsgebiet, doch bei einer Bevölkerungsdichte von knapp 10.000 Einwohnern pro Quadratkilometer, was im Vergleich zu Hamburg einer viermal höheren Bevölkerungsdichte entspricht, erscheinen Maßnahmen der sozialen Distanzwahrung aber dennoch als nahezu unmöglich. So setzt Taiwans Regierung auf Eindämmung durch Abschottung.

Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem SARS-Ausbruch 2002/2003, versetzte die Bekanntgabe des neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 Taiwans Regierung in Alarmbereitschaft. Dieses Coronavirus befällt ebenfalls die Atemwege und die durch ihn ausgelöste Krankheit wird nach dem vermuteten Ausbruchsort auch als „Wuhan-Lungenkrankheit“ (Wuhan Feiyan) bezeichnet. Die Wissenschaftsgemeinschaft nimmt an, dass zunächst infizierte Wildtiere, wie etwa das chinesische Schuppentier oder Fledermäuse, als Wirt für Sars-CoV-2 dienten, bevor es auf den Menschen übersprang. Die Krankheitsverläufe weisen ein breites Spektrum auf, das von einer leichten Erkältung bis zu schweren Symptomen reicht. Unbehandelt kann es zu  Lungenentzündungen oder Nierenversagen mit Todesfolge führen. Betroffene mit Vorerkrankungen zählen zu den besonders stark gefährden Risikogruppen.

Gegenüber dem bekannten SARS-Virus, das sich von Südchina aus auch über den globalen Flugverkehr ausbreiten konnte, wird das aktuelle Virus aufgrund seiner Fähigkeit in den oberen Atemwegen zu replizieren als aggressiver eingestuft. Die langen Inkubationszeiten und unentdeckten Ansteckungsherde symptomfreier Infizierter, erschweren Schutzmaßnahmen, die eine Ausbreitung eindämmen sollen.

Vor 17 Jahren hatte die SARS-Krise der Inselbevölkerung einen hohen Preis abverlangt, führte jedoch auch zur Verbesserung der Seuchenschutzvorschriften. Zu diesen gehörten z.B. die Errichtung eines zentralen Seuchenschutzzentrums (Taiwan Center for Disease Control)  und die Erstellung klarer Handlungsprotokolle für sowohl medizinisches Fachpersonal als auch Beschäftigte im transnationalen Verkehrswesen. Gerade die gesellschaftliche Akzeptanz des weitverbreiteten Tragens von Atemschutzmasken stellt eine wichtige Säule in der Seuchenschutzkette dar und begünstigt aktuell, eine schnelle Ausbreitung zu verhindern.

Taiwans reguläres Infektionsschutzprotokoll erweist sich als effektiv gegen das neuartige SARS-CoV-2. Als Ende Januar eine Frau Mitte 50 aus der Provinz Wuhan mit Symptomen zurückkehrte, wie Fieber, Husten und Rachenschmerzen, begleitete das Flughafenpersonal sie direkt in das eigens dafür eingerichtete Zentrum für Seuchenschutz in Quarantäne. Sie gilt als der erste bestätigte Fall von SARS-CoV-2 in Taiwan. Dieses Zentrum ist in engem Kontakt mit dem internationalen Flughafen Taoyuan (TPE) und dem behandelnden Erstaufnahme Krankenhaus General Taoyuan Hospital in dem gleichnamigen Verwaltungsbezirk, welches essentielle Schnittstelle des Infektionsschutzprotokolls gegen eine unkontrollierte Ausbreitung ist. Der Verwaltungsbezirk Taoyuan grenzt direkt an die Metropole Taipei. Das strikte Vorgehen zu Beginn und ein engmaschiges Versorgungssystem sind verantwortlich für die relativ niedrigen Infektionszahlen auch zwei Monate nach Bekanntgabe des ersten infizierten Patienten (Taiwan berichtet 216 infizierte, 2 Todesfälle und 29 Genesene, Stand: 25.03.2020).

Aus Gründen des Seuchenschutzes wurden jedoch auch zwei einschneidende Maßnahmen beschlossen. Zum einen wurden binnen weniger Wochen Reisedaten auf dem Chip der nationalen Gesundheitskarte hinterlegt. Zum anderen wurden nicht nur drastische Einreise- sondern auch Ausreisebeschränkungen ausgerufen. Beide Maßnahmen stehen im Widerspruch zum liberal-demokratischen und rechtsstaatlichen Selbstverständnis Taiwans und werden daher auch in der Bevölkerung stark diskutiert.

Bereits im Februar wurde in Taiwan die technologische Nutzung der nationalen Gesundheitskarten erweitert. Obgleich es anfänglich noch technische Hürden zu bewältigen gab, sah die politische aktive Dr. Tsai vom Taoyuan Krankenhaus1 gute Chancen für eine schnelle Implementierung. Neben der persönlichen Identifikationskarte, vergleichbar mit dem Personalausweis, hat jeder Bürger eine elektronische Gesundheitskarte (National Health Identifikation, NHI) ähnlich der Krankenkassenkarte in Deutschland. Über diese Karte werden nun die Reisedaten gespeichert, um sie mit der nationalen Datenbank für Epidemie-Prävention abzugleichen. Das ist politisch nicht unkritisch. Das standardisierte Erheben von Reisedaten wurde 2005 als verfassungswidrig bezeichnet. Eine Verbindung mit der nationalen Identifikationskarte wurde abgelehnt.

Über diese Gesundheitskarte wird zudem die Abgabe der weit verbreiteten Atemschutzmasken reguliert, um etwaigen Hamsterkäufen entgegen zu wirken. Jede/r hat Anspruch auf zwei Masken in der Woche zu einem Preis von umgerechnet 15-20Cents (5 NTS/Stück) für eine Schutzmaske.
Ähnlich der grenzschließenden Maßnahmen in Europa, reagiert auch Präsidentin Tsai Ing-wen umgehend mit Abschottungsmaßnamen zum Schutz der Inselbevölkerung. Als eine erste Vorsichtsmaßnahme wurden Flüge ausgesetzt und Einreisehäfen weitestgehend abschlossen. Betroffen waren u.a. die Wasserwege über die vorgelagerten Kleininseln Kinmen, Matsu und Penghu. Während dieses Vorgehen auf weite gesellschaftliche Akzeptanz gestoßen ist, erregt eine aktuelle Anordnung des zuständigen Gesundheitsministers Chen Shih-Chung die Gemüter. Am 24. März 2020 gab es eine schriftliche Ausführung an alle Mitglieder des medizinischen Personals einer bereits im Februar getätigten Ankündigung, nach der dem medizinischen Fachpersonal besondere Ausreisesperren auferlegt werden. Ausgelöst wurde diese Streitfrage Informanten zur Folge durch den Sohn eines Entscheidungsträgers des Seuchenschutzzentrum, der am National Taiwan Universitätskrankenhauses beschäftigt ist (NTUH).

Obgleich Taiwan relativ niedrige Infektionsraten aufweist, bereitet sich auch hier das medizinische Personal auf einen baldigen Anstieg der Infektionszahlen vor. Eine Infektionsquelle identifiziert Dr. Tsai in den Rückkehrern. Die Mehrheit der Fälle in Taiwan seien auf infizierte Auslandsreisende zurück zuführen. Viele Studierende seien in den letzten Wochen aus den USA oder Europa zurückgekehrt, auch weil Schulen und Universitäten kurzfristig geschlossen wurden. Aber auch die Teilnahme an den anstehenden traditionellen Feiertagen, wie das anstehende Grabreinigungsfest am 4. April, wird voraussichtlich zum Anstieg beigetragen. Der Höhepunkt wird gegenwärtig für Ende April vermutet, das heißt laut Dr. Tsai, wenn die Infektionen geballt auftreten (clustered infections) oder die Neuinfektionsrate unter Kontrolle ist.

Bisher habe Taiwans Schutzprotokoll ein umfassendes Testverfahren vorausgesetzt und dazu auf Schnelltestkits gesetzt. Gegenwärtig wird allerdings diskutiert, ob ein „vollumfängliches Screening“ bereits am Flughafen bzw. den Hafenanlagen notwendig ist. Auch hier seien die Kapazitäten begrenzt. Zusätzlich sollen auch alternative Maßnahmen beachtet werden. Dazu gehört z.B. die Aufteilung in Teams,, um neben den Sonderbelastungen auch die medizinischen Routineaufgaben zu bewältigen. Sie wechseln wöchentlich und verringern so das Risiko einer team-übergreifenden Infektion. Symptomatische Patienten mit z.B. Fieber, werden direkt am Eingang getrennt, um auch andere Patienten zu schützen. Auch wurden Vorschläge eingebracht, den Infektionsschutz durch eine Verbesserung der internetbasierten Kommunikation zwischen Kommunen und medizinischen Einrichtungen zu verbessern.

Über die medizinische Herausforderung hinaus, stellen sich für Taiwans Regierung auch politische Herausforderungen. So erweist sich für Taiwans Regierung die politische Verwicklung der ‚cross-straits’ Beziehungen als herausfordernd. Der Schlüssel liege nach Präsidentin Tsai in der „vollständigen Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft beider Seiten“ (CEEC-Press Konferenz). Jedoch gab es auch Besorgnisbekundungen als z.B. die ersten gecharterten Rückholflüge auf der Insel eintrafen. Hier hatte es Verwirrungen über die Rückreisenden gegeben. Drei von 247 Evakuierten standen nicht auf der Prioritätenliste, von denen eine Person auf das Sars-Cov-2 positiv getestet wurde. Dies hinterließ den Eindruck, dass die Kommunikationswege nicht so effektiv seien, wie behauptet wurde.

In den ersten vier Wochen nach Bekanntgabe des Ausbruchs, tauschte Festlandchina über 30 Mal Informationen mit Taiwan aus. Allerdings kritisiert das medizinische Personal die oftmals „undurchsichtigen Informationen“, die von ihren Kooperationsinstituten aus China geliefert werden. Diese Annahme wird noch durch den Umgang mit dem Arzt Li Wenliang verstärkt. Li hatte die neuartige Krankheit bereits im Dezember entdeckt, jedoch wurden seine Versuche, frühzeitig vor der Gefahr eines Ausbruchs zu warnen, marginalisiert. Sowohl bei der taiwanesischen Bevölkerung löste dieses Vorgehen erneute Vertrauensverlust gegenüber Pekings Bereitschaft zur internationalen Normenbefolgung zum Pandemieverhütung aus als auch bei internationalen Partnern innerhalb der WHO.

Für Taiwans Ärzte stellt sich die konkrete Frage, ob Peking seine Kontrolle über wichtige Datensätze für die eigene Propaganda missbraucht. So erklärte der Arzt Laurence Chung gegenüber der South China Morning Post, dass Taiwan stärker betroffen sein könne als nur durch eine inkorrekte Zuordnung der Daten.  Allerdings blieben die Ausführungen eher vage.

Taiwans Regierung monierte die Datenaufbereitung der WHO und kritisierte, unter dem Begriff „Großchina“ subsummiert worden zu sein. Die Hoheit über die eigenen Daten stellt für die im Januar mit einer klaren Mehrheit bestätigte Präsidentin Tsai ein Politikum dar. Die Regierung der DPP verfolgt schon seit längerem die ordentliche Mitgliedschaft in der Weltgesundheitsversammlung, (World Health Assembly, WHA).
Taiwan hat zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Mitgliedsstatus und wurde in der Folge auch nicht an den ersten Krisensitzungen zur Pandemiekontrolle eingeladen. Vor Tsais Amtsantritt wurde Taiwans Regierung ein Beobachterstatus gewährt, der laut Präsidentin Tsai auf Druck Pekings entzogen wurde. Hintergründig für diese Sachlage ist die politische Frage, ob Taiwan das „Ein-China-Prinzip“ akzeptiert. Zwar wurde in Teilen auf Taiwan vehemente Kritik eingegangen und eine gesonderte Zählung unter der Angabe „Taipei und Umland“ (Taipei and environs) vorgenommen. Die Antwort kam von dem Festlandchinesen Li Song, der diese Anschuldigung als faule Ausrede zu entlarven meinte. Es würde keine „Spaltung“ gegenüber der Globalen Infektionsschutzmaßnahmen geben, stattdessen sei es lediglich ein Versuch Taiwans der WHO beizutreten.

Auch im Zuge der politischen Spannungen stehen Gesundheit und Bevölkerungsschutz an erster Stelle. Taiwans Regierung arbeitet Hand in Hand mit den zuständigen Verwaltungseinrichtungen bei der Erstellung unpopulärer Maßnahmen und ihrer Umsetzung. Bisher scheint die Insel dem Kampf gegen das neuartige Coronavirus gewappnet zu sein.

 

Eingereicht am 1.4.2020.

Dr. Josie-Marie Perkuhn

Fußnoten:

1 Dr. Tsai Zijun ist ausgebildete Allgemeinmedizinerin und zudem politisch für die Ärztegewerkschaft zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern tätig.

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Letzte Änderung: 07.04.2020
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