Meine Erinnerungen an Rudolf Wagner

Meine erste Begegnung mit Professor Wagner war im Propädeutikum des Wintersemesters 2001/02, „Einführung in die Sinologie“. Er stellte sich vor mit den Worten: „Ich bin hier der Hausmeister. Wenn Sie ein Problem haben, klopfen Sie einfach an meine Tür. Entweder ich sage ‚Kommen Sie rein!‘, oder ich sagen ‚Kommen Sie dann und dann später!‘“ Und genauso war es. Ich klopfte sehr viele Male an seine Tür: „Herr Wagner, ich hätte da mal eine kurze Frage…“ Meistens wurde ich reingebeten, manchmal gebeten, später vorbeizuschauen. Kam man rein, wurde man eingeladen Platz zu nehmen, bekam einen Apfel, und zum Ende der Konversation konnte es passieren, dass man sein Büro als ein anderer Mensch verließ, als der, der man reingekommen war. Ich verließ sein Büro immer mit Tausenden neuer Gedanken und Ideen. Von ihm lernte ich über esoterische Kommunikation in chinesischer Politik, wie man mit Bürokratien umgeht („Make a crisis!“), immer nach dem Gegentext Ausschau zu halten, dass in China die wirklich relevanten Informationen fernab des Zentrums zu finden sind („Go to the margin and follow every lead!“), großzügig mit dem eigenen Wissen zu sein, und – einfach immer das tun, was man selber für richtig hält. Selbst als ich nach meinem Magisterabschluss erst einmal für fünf Jahre zum Arbeiten nach China ging, klopfte ich, wann immer ich auf Heimatbesuch kam, immer noch an seine Tür – nunmehr im Karl-Jaspers-Center und nicht mehr in der Akademiestraße. Und wenn er zufällig da war, öffnete sich die Tür mit einem herzlichen „Ach, kommen Sie rein!“, und man bekam ein Stück Apfel und ganz viel Wissen.

Es ist immer noch schwer vorzustellen, dass es keine Chats mehr in seinem Büro geben wird, keine Emails mit Dingen, von denen er dachte, dass sie für die eigene Forschung nützlich wären, inspirierte Ausbrüche über Bücher, die er kürzlich gelesen hatet, wie das geheime Leben der Bäume („You are not going to believe it!“), und so viel mehr. Ich bin ihn dankbar nicht nur für das, was mich heute als Sinologin ausmacht, sondern auch für all die Ideen, die meine Sicht auf das Leben überhaupt mitgeprägt haben.  

Vor einigen Jahren hatte ich die Gelegenheit, ihn für ein Oral History of Eminent Sinolists Projekt der National Taiwan University zu interviewen. Herausgekommen sind an die 14 Stunden aufgezeichnetes Material über ein faszinierendes Leben. Das Transcript finden sich hier: http://www.china-studies.taipei/comm2/Rudolf%20G.%20Wagner.pdf.

Er hat uns echt viel zu früh verlassen. Safe travels to wherever you may go next!

Marina Rudyak

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Letzte Änderung: 17.12.2019
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