Our Brave New World –  Nachdenken über Menschenrechte in Asien und Europa

Die Heinrich Böll-Stiftung hat den ersten Open Space-Workshop ausgerichtet, um eine Debatte über die Zukunft von Menschenrechten anzuregen. Dazu haben sich 32 TeilnehmerInnen aus 22 Ländern in einem kleinen Brandenburger Dorf drei Tage lang intensiv ausgetauscht.

Wir sitzen im Bus irgendwo in Brandenburg und fahren in den Sonnenuntergang. Vor uns liegen zweieinhalb Tage, die wir mit Fragen, Antworten und Diskussionen zur Zukunft von Menschenrechten in Asien und Europa füllen sollen. Als wir erfahren, dass es vor Ort kein Internet gibt, geht ein Aufstöhnen durch den Bus. Rückblickend hat es dabei geholfen eine Blase zu formen, in der wir uns abgeschieden von der Außenwelt noch mehr aufeinander einlassen.

Our Brave New World
Foto: Fabian Heppe

„Our brave new world“ ist das Motto des Workshops: Unsere Weltordnung hat sich von einer bipolaren zu einer multipolaren verändert, aufstrebende Globalmächte wie China vertreten andere kulturelle und moralische Normen und regen Debatten über unser Verständnis von möglichen gemeinsamen Werten an. Hier einen Dialog anzuregen, vor allem innerhalb der jüngeren Generation, ist das Ziel dieses Zusammentreffens.

Open Space
Foto: Julia Behrens

Zum Auftakt hören wir Kurzvorträge von Expertinnen aus unterschiedlichen Bereichen von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zum Thema Menschenrechte. Der Nachmittag im Berliner Hauptquartier der Heinrich Böll-Stiftung soll Impulse liefern und Stoff für die Gespräche, die folgen. Katja Kinzelbach, Associate Director vom Global Public Policy Institute, plädiert etwa in ihrem Impulsvortrag dafür, Menschenrechte eher als soziales Konstrukt zu sehen und weniger als „legal entitlement“. Die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen, die vor siebzig Jahren verabschiedet wurde, hat international verankert, was schon lange zuvor in vielen Ländern soziale, gesellschaftliche und gesetzliche Norm war. Ohne Demokratie kann es keinen nachhaltigen Frieden und umfassenden Menschenrechtsschutz geben, argumentiert sie. Deshalb bedeute Menschenrechtsschutz auch immer Demokratieförderung.

Unter den Teilnehmenden sind Leute, die ihre eigenen NGOs gegründet haben, ihre jeweiligen Regierungen beraten und sich weltweit für Vernetzung und interkulturelles Verständnis einsetzen. Andere suchen noch ihren Weg, zwischen Studienabschlüssen, (un-)bezahlten Praktika und verschiedenen möglichen Lebensentwürfen. Trotz der extremen Vielfalt an Nationalitäten, kulturellen Hintergründen und Sprachen haben wir keine Probleme miteinander ins Gespräch zu kommen und uns zu verständigen. Unsere politischen Überzeugungen, unsere Werte und Weltanschauungen ähneln einander oft stark und relativieren kulturelle Unterschiede. In so einem Konferenzkontext als weiße Deutsche in der absoluten Minderheit zu sein, ist (leider) dennoch eine ungewohnte Erfahrung, die bereichert.

Als der Bus hält, ist es schon dämmrig. Das Haus ist alt, die Fassade kunstvoll bemalt, die Treppen knarren, es gibt keine Heizung, nur Kohleöfen. Wir teilen uns die Schlafzimmer und Bäder, wir kochen zusammen und spülen ab. Dieser Rahmen schafft eine engere Art des Miteinander. Unsere Sessions finden manchmal unter einem der alten Kastanienbäume im Innenhof, manchmal auf dem Steg am See oder überhaupt im Gehen statt. Die goldene Herbstsonne wärmt währenddessen.

Nach dem Konzept von Open Space zu arbeiten, bedeutet, dass es zwar eine grobe zeitliche Struktur gibt, aber keine inhaltliche Tagesordnung. Die erstellen wir am ersten Vormittag selbst. Einige von uns sind erst skeptisch, ob das denn klappen kann, mit so wenig Vorgaben. Dann positiv überrascht. Selten habe ich so fokussiert und angeregt über verschiedene Facetten eines Themenkomplexes diskutiert. Eine Handvoll Regeln begleiten uns in den „offenen Raum“: „Whoever comes is the right people.“ “It begins when it begins, it’s over, when it’s over.” Und: “Be prepared to be surprised.”  Die zentralen Gedanken von Ökofeminismus, Menschenrechte 4.0 angesichts von Robotik und künstlicher Intelligenz, die Rolle von Medien in Menschenrechtsfragen, die Beziehung von Wirtschaftswachstum und Menschenrechten oder das bedingungslose Grundeinkommen als potentielles Menschenrecht sind nur einige der Themen, die wir in den paar Tagen besprechen. Vor allem nach den Workshops am ersten Tag sind viele von uns frustriert, nicht wegen dem Gesprächsniveau oder der Art des Meinungsaustauschs, sondern weil ein Gefühl der Ohnmacht bleibt. Es gäbe so viel zu tun, so viele globale Baustellen.

Immer wieder geht es auch um Menschenrechte in autoritären Regimen, um die Situation zu visualisieren entwickeln wir in einem Workshop das „fringe-Modell“. Es versucht die Dynamik von gesellschaftlichen Gruppen mit verschiedenen Bedürfnissen in autoritären Systemen und der internationalen Gemeinschaft zu verdeutlichen. Vor allem geht es darum, die Kommunikation und das gegenseitige Verständnis zwischen einer marginalisierten Randgruppe („fringe“), die sich in ihren Rechten eingeschränkt fühlt und der größeren Gesellschaft, die die Lebensrealität innerhalb des autoritären Regimes anders erlebt, zu stärken.

Open Space 2
Foto: Julia Behrens

Im letzten Block geht es darum, konkrete Maßnahmen und Schritte zu planen und in die Wege zu leiten. Wir versuchen bereits vorhandene Initiativen und Ressourcen, auch innerhalb unserer Runde, zu bündeln und zusammenzuführen, wo sinnvoll. Nachhaltige Kommunikationsstrukturen und Vernetzung für die Akteure der verschiedenen Ebenen zu schaffen, steht dabei immer wieder im Vordergrund. Die richtige Mischung aus Idealismus und Pragmatismus zu finden, auch.

In unserer Abschiedsrunde nehmen wir uns vor in Kontakt zu bleiben. Und hier fühlt sich das gar nicht nach einer leeren Phrase an. Schon eine Woche nach dem Workshop finden zwei lokale Treffen in Berlin und Bonn statt, es wird zu Konferenzen, Vorträgen und anderen Veranstaltungen eingeladen. Die Fäden, die wir in den paar Tagen geknüpft haben, werden weitergesponnen.

Autorin: Dorina Marlen Heller

 

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Letzte Änderung: 30.01.2019
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