Newsletter Februar 2012 Nr. 60

INHALT

Alle Wege führen zu Konfuzius

Das Konfuzius-Institut hatte Wolfgang Kubin nach Heidelberg eingeladen um die Aktualität des frühen konfuzianischen Denkens zu veranschaulichen und sein neues Buch "Konfuzius Gespräche" vorzustellen. Jason Franz berichtet hier für SHAN von seinen Eindrücken von Kubins Vortrag.

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Sinologie vor 35 Jahren: Ein Vorlesungsverzeichnis vom WS 1976/77

Das Jahr 1976 gehörte zu den dramatischsten in der Geschichte der Volksrepublik China. Die Ereignisse wurden auch in der deutschen Sinologie heiß diskutiert. Wer würde nun den weiteren Kurs der Volksrepublik bestimmen: die Linken oder die pragmatische Fraktion der Wirtschaftsreformer um Deng Xiaoping?

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Zhouzhuang: Das alternative "Venedig des Ostens"?

Pünktlich zum allgemeinen Reisefieber während der vorlesungsfreien Zeit gibt Fabienne Wallenwein in diesem Newsletter Tipps für ein wenig bekanntes Ziel. Das Stadtbild von Zhouzhuang (周庄镇) prägen Flusslandschaften und traditionelle Bauten, wobei die Atmosphäre noch wenig vom Tourismus bestimmt ist. 

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Sprachkolumne: 剩女  -  Left over Ladies

Vor einigen Wochen wurde in China das Frühlingsfest gefeiert. Doch nicht alle freuten sich auf das Wiedersehen mit der Familie, viel leckeres Essen und die Tage im Kreis der Lieben. Denn allzu neugierige Verwandte stellen unter Umständen gerne und viele Fragen über Zukunftspläne und - wünsche. Besonders gefürchtet:"有对象了吗?"   

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Von der Frankfurter Schule zur Pekinger Akademie 

Du Renzhi und Liu Shimu studierten in Deutschland und Österreich, u.a. bei den Philosophen auf der Frankfurter Schule. Nach der Gründung der Volksrepublik China stiegen die Freunde zu führenden Akademikern. Doch die spannendste Periode in beiden Biographien ist die Phase der Spionageaktivitäten im Kreis Richard Sorges.

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Wolfgang Kubin über Konfuzius

Am 16. Februar lud der laut Wikipedia zu den "wichtigsten Sinologen in Deutschland" zählende Theologe und Philosoph Wolfgang Kubin im Heidelberger Konfuzius-Institut zum "Philosophieren mit Konfuzius" ein. Dabei strebte er gemäß seiner akademischen Selbstverortung nicht nur eine philosophische, sondern auch eine religiöse Tiefe an.

Unter dem Hinweis, dass sich das Selbst dem eigenen Blick entzieht und sich immer nur mittelbar über den Anderen offenbart, ließ sich für Kubin auch das Denken des Konfuzius nicht aus sich selbst, sondern nur über den Umweg begreifen. Doch Umwege gibt es ja bekanntlich viele – ungeachtet ihrer Länge führen sie alle irgendwann nach Rom (oder zu Konfuzius) und daher auch (letztendlich) nicht in die falsche Richtung.

Kubin führt seinen Umweg über die deutsche Philosophie, mit der allein sich nach seiner Überzeugung das Denken des Konfuzius begreifen lasse – ob man nun Chinese, Franzose oder Deutscher ist. Als Lichter auf seinen verschlungenen Pfaden dienen ihm dabei neben Hegel auch die wenigen anderen, hellen Köpfe, die sich in seine strahlende, zu allen Zeiten so schmal verlaufende Linie der „zum Denken Befähigten“ einreihen und leider nur so selten das geistige Dunkel der Sinologen zu durchdringen vermögen („Sinologen können nicht denken!“).

Zu den großen Geistern zählt Kubin  François Jullien (Éloge de la fadeur, A partir de la pensée et de l’esthétique de la Chine, 1991) und Otto Friedrich Bollnow (Vom Geist des Übens, 1978), in deren Werken die Kerngedanken des Konfuzius so „grandios“ wieder in Erscheinung treten:

 

(1.) die Ästhetik der Leere und die Betonung des Noch-nicht-Gestalt-gewordenen, das, „im Gegensatz zu Lady Gaga“ und ihren täglich wechselnden Outfits“, seine ganze Potentialität noch in sich trägt. Mit Hegel gesprochen, es geht um das Für-sich-sein, nicht um das An-sich sein. „Der chinesische Geist entzieht sich dem Bereich des Sichtbaren“ sagt Kubin und weist dabei auf die großflächigen Leerbereiche in den Malereien der Song-Zeit hin – oder auch auf die zu deutenden, „stillen Sprüche“ zwischen den Zeilen des Konfuzius.

(2.) Die grundlegende Bedeutung des Übens. Kubin begreift ebenjenes einerseits im Sinne des Prinzips von „lernen, üben, Freude machen“ (學而時習之不亦悅乎), das uns als „Geschöpfe der Wiederholung“ durch gegenseitiges Nachahmen und Nachsprechen zu Menschen und Mitmenschen macht. Andererseits betont er aber auch seine Einbettung in den Zusammenhang von „Übung – Gelehrsamkeit – Ehrfurcht“ (Übung als Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart). Kubin stellt so die Verbindung zur Ahnenverehrung, und damit zur Religion, her. Möglicherweise unter Bezugnahme auf die zuvor erläuterte „Leere“ (hier müssen jetzt die stillen Sprüche im Vortrag Kubins gedeutet werden), interpretiert er dabei auch die von Konfuzius geforderte Distanz zu den Göttern („von den Göttern sollst du dich fernhalten“) als eine Ehrfürchtige, die das Heilige markiert. Sie drückt also gerade die Verehrung und nicht die Abkehr von der Religion aus. Kubin – der Bekehrte – geht also mit dem K-Trend, den er – der beständig gegen Ströme schwimmende Fisch – zunächst als wider die Moderne (oder als Flucht aus derselben) markiert und „übt“ sich, Demut zelebrierend („Wenn ich mit dreien zusammen bin, dann ist unter ihnen mein Lehrer“ 三人行必有吾師) in den bekanntesten Zitaten des Konfuzius.

Kubin vermittelt seine Gedanken zu Konfuzius in der ihm eigenen, so erheiternd-provokanten Weise – mal spricht er die Worte rau wie Sandpapier, mal belegt er sie mit der Weltenmüdigkeit des Zu-viel-wissenden. Kubin gestaltet seinen Vortrag mit so erfrischender Endzeitstimmung („Hat man am Morgen das Dao gefunden, kann es angehen, am Abend zu sterben“: 朝聞道夕死可矣), dass man sich seiner Gedanken und seiner Anwesenheit in Heidelberg einfach erfreuen muss. Selbst wenn man Ansichten vertritt, denen Kubin mit seinen absoluten Aussagen keinerlei Geltung einräumt.

 

Jason Franz, Odila Schröder

 

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Sinologie vor 35 Jahren: Ein Vorlesungsverzeichnis vom WS 1976/77

Das Jahr 1976 gehörte zu den dramatischsten in der Geschichte der Volksrepublik China. In den ersten neun Monaten des Jahres starben die drei bekanntesten Politiker der KP: Zhou Enlai, Zhu De und schließlich Mao Zedong. Im Frühjahr folgte dem Tian'anmen-Zwischenfall die Absetzung Deng Xiaopings. Im Sommer schockierte das schwere Erdbeben von Tangshan, das auch in Tianjin und Beijing großen Schaden anrichtetete, das ganze Land. Nach dem Tod Maos wurde die sogenannte "Viererbande" verhaftet, der auch Maos Witwe Jiang Qing angehörte. Der neue „starke“ Mann - Hua Guofeng - war relativ unbekannt.

 

Die Lücke in der modernen Sinologie wird geschlossen 

In Europa wurden diese Entwicklungen genau beobachtet und natürlich spielten sie auch in der Sinologie eine große Rolle. Allerdings gab es in Deutschland nicht viele Institute, die sich mit dem modernen China befassten; zu den wenigen gehörte das Ostasiatische Seminar (OAS) an der Freien Universität Berlin. Der Lehrstuhlinhaber Bodo Wiethoff absolvierte in diesem Winter sein letztes Semester - Im Frühjahr wechselte er an die Ruhr-Uni Bochum; 1977 gehörte er auch zu der ersten Professorengruppe die die VR China bereiste ( Sinologieprofessoren in China – Eine bemerkenswerte Reise vor über dreißig Jahren). Danach bliebe der Lehrstuhl etwa sechs Jahre leer - der Nachfolger Erling von Mende kam erst in den achtziger Jahren. Das bedeutete, dass in diesen Jahren der Unterricht vor allem von Assistenten abgehalten wurde, die meist modern orientiert waren, bzw. sich nach klassischen Anfängen umorientierten. Zu diesen gehörten Wolfgang Kubin und Rudolf Wagner, die sich dann in Berlin habilitierten und später im Westen Deutschlands Professoren wurden. Weitere Dozenten dieser Zeit waren Gerd Will, heute SWP/Berlin und der beeindruckende Gastprofessor Wolfram Eberhard aus Berkeley; dieser hatte vor 1933 mit K.A. Wittfogel bei Otto Franke in Berlin studiert.

 

Verbindungen Berlin - Heidelberg

In den frühen siebziger Jahren war auch Lothar Ledderose in Berlin, wurde aber schon 1976 Professor in Heidelberg ("Als Heidelberger Wissenschaftler in China: je länger, je lieber"): er war Nachfolger von Dietrich Seckel, der aus Berlin stammte (Der erste Professor für Ostasiatische Kunstgeschichte: Dietrich Seckel (1910-2007)). Dies zeigt, dass zwischen Berlin und Heidelberg enge Kontakte bestanden, auch der spätere Japanologieprofessor Wolfgang Seifert war vorübergehend am OAS.

Der Oktober 1976 in dem das Semester begann war also der Monat des Sturzes der "Viererbande" und des Aufstiegs Hua Guofengs, in den folgenden Monaten und Jahren folgte dann das Comeback von Chen Yun und Deng Xiaoping. Dies sorgte zusammen mit den übrigen Veränderungen dieser Zeit für genügend Gesprächsstoff innerhalb und außerhalb der Lehrveranstaltungen. Der Streit eskaliert häufig, was sowohl an der Universität wie auch bei Parteien und Freundschaftsgesellschaften (und deren Publikationen) deutlich wurde.

Schon die Besuche des Kanzlers Schmidt und des bayrischen Ministerpräsidenten Strauss (die noch Mao trafen) hatten zu vielen Kontroversen geführt, der Aufstieg Hua Guofengs und dessen bald folgende Europareise stifteten weitere Verwirrung, vor allem seine wirtschaftsfreundliche Politik irritierte viele Linke.

 

Themen des Wintersemesters 1976/77

Die offiziellen Lehrveranstaltungen des Winters waren natürlich schon im Frühjahr geplant worden, das gedruckte Vorlesungsverzeichnis spiegelt daher nicht den aktuellen Diskussionsstand wieder, zeigt aber welche Themen damals im Vordergrund standen.

Der Professor bot eins seiner Lieblingsthemen an „Einführung in das Studium der chinesischen Geschichte (Allgemeine Einführung in die methodologischen Probleme der transsozietären Erforschung der chinesischen Geschichte)“; daneben machte er einen Sprachkurs „Chinesische Dokumentensprache“, sowie einen „Orientierungskurs“.

Interesse an Wirtschaftsthemen gab es damals schon, so wurde ein Seminar „Zur politischen Ökonomie der Volksrepublik China“ und eine Übung „Wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung Chinas“ angeboten.

Viele Veranstaltungen hatten recht umständliche Titel wie „Sozialimperialismus: Die internationale Literatur zur politischen Ökonomie und zu den Außenbeziehungen der Sowjetunion seit 1962“  und „Zum Klassencharakter der Sozialwissenschaften: Die Auseinandersetzung zur Frage der Abschaffung oder Restauration der Sozialwissenschaften im Sozialistischen Lager“; außerdem „Die Durchsetzung der marxistischen Pädagogik in China: Die Debatte über allseitige Erziehung und über die Lehrmethode ‚Anregen zum selbstständigen Denken‘.“ Und „Studentenbewegung im Kapitalismus und Sozialismus am Beispiel China und Japans“. Im klassischen Bereich gab es immerhin „Laozi und Wang Bi“, es wurden aber sonst keine klassischen Sprachkurse angeboten; mit Erling von Mende und seinen Assistenten wurden diese später wieder eingeführt.

Im japanologischen Bereich gab es u.a. eine Übung „Bürgerinitiativen in der BRD und Japan“,  sowie: „Theorie und Geschichte asiatischer Bauernbewegungen“. Dazu kamen mehrere Veranstaltungen im Bereich Kultur, der in der Sinologie – bis zur Ankunft Kubins -  nur schwach vertreten war.

Da zur gleichen Wissenschaftlichen Einrichtung auch die Ethnologie gehörte, gab es auch noch eine Vorlesung über „Die Völker Ost-, Zentral und Nordasiens“ sowie eine Übung „Völker und Kulturen Asiens: Sibirien“ (von einem Museumsangestellten).

Daneben gab es zahlreiche Sprachkurse für Chinesisch, Japanisch, Koreanisch und Vietnamesisch, obwohl diese Fach damals gar nicht existierte.

Weitere Veranstaltungen der Politologie und Soziologie können hier nicht aufgeführt werden.

 

Quelle:

Freie Universität Berlin, FB 11 Philosophie und Sozialwissenschaften: Kommentiertes Vorlesungsverzeichnis, WS 1976/77, S. 45-47.

 

 

Dr. Thomas Kampen

 

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Zhouzhuang (周庄)- das alternative „Venedig des Ostens“?

Die ersten Reisen nach China gelten meist den großen Metropolen: Beijing und Shanghai an erster Stelle. Wer mehr Zeit hat, fährt von Shanghai aus ein Stück weiter ins Landesinnere, nach Hangzhou, um den Westsee (Xihu 西湖) zu sehen und nach Suzhou, weil es wegen der die Stadt durchziehenden Wasserstraßen das „Venedig des Ostens“ genannt wird. Es ist weniger bekannt, dass es südlich des Yangtse noch eine Reihe weiterer Städte gibt, die mindestens genauso beeindruckende Flusslandschaften und traditionelle Bauten zu bieten haben, wobei die Atmosphäre noch etwas weniger vom Tourismus bestimmt ist. Eine davon ist Zhouzhuang (周庄镇).

Zhouzhuang gehört zur Stadt Kunshan (昆山) in der Provinz Jiangsu (江苏) und ist eine repräsentative „Wassersiedlung“, wie es viele im äußeren Grenzgebiet von Shanghai und dem Gebiet südlich des Unterlaufs des Yangtse (江南) gibt. So wie sie heute besteht, wurde die Siedlung im Jahr 1086 gegründet, existierte allerdings schon seit der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen (770-476 v. Chr.), damals noch unter dem Namen Zhenfengli (贞丰里). Der heutige Name Zhouzhuang entstand im Gedenken an Zhou Digong (周迪功), einen zur Zeit der Nördlichen Song-Dynastie dort ansässigen Buddhisten, der eine sehr großzügige Spende zur Restaurierung des Quanfu-Tempels (全福讲寺) gegeben hatte. Als Zeichen der Dankbarkeit wurde daraufhin die Stadt nach ihm benannt.

Das Stadtbild ist geprägt von Flüssen und Wasserstraßen, über die die charakteristischen Steinbrücken führen. Wie ein Großteil der traditionellen Gebäude stammen sie aus der Ming- (1368-1644) und Qing-Zeit (1644-1911). Die berühmtesten Steinbrücken und gleichzeitig das Wahrzeichen von Zhouzhuang sind die Twin Bridges (Shuangqiao, 双桥). Sie wurden in der Ming-Dynastie errichtet und sind im rechten Winkel zueinander gebaut, wobei die Shide-Brücke (世德桥) von Westen nach Osten verläuft und einen runden Steinbogen über das Wasser spannt, während die angrenzende Yongan-Brücke (永安桥) auf der Nord-Süd-Achse liegt und einen aus Steinbalken errichteten rechteckigen Brückenbogen besitzt. Da die Twin Bridges in ihrer Erscheinung an traditionelle chinesische Schlüssel erinnern, werden sie im Volksmund auch „Schlüsselbrücken“ genannt. Eine Reihe weiterer Steinbrücken, wie die Fu'an-Brücke (富安桥) beispielsweise, führen über die Wasserstraßen, die von kleinen Holzbooten in schaukelnden Bewegungen befahren werden.

 

Zhouzhuang ist abgesehen von seiner pittoresken Schönheit dafür bekannt, dass hier in der Zeit des Übergangs von der Yuan- zur Ming-Dynastie der reichste Mann im Gebiet südlich des Unterlaufs des Yangtse gewohnt hat: ein gewisser Shen Wansan (沈万三). Die Familie Shen, die ursprünglich aus Nanxun (南浔) stammte, floh vor einer Seuche, die durch eine Überschwemmung ausgelöst worden war, nach Zhouzhuang. Doch die Mutter und zwei Söhne fielen der Seuche zum Opfer.

Der dritte Sohn, Shen Fu (沈富), verhalf der Familie zum Wohlstand, indem er nach einem Besuch der Stadt Suzhou in die Erzeugung von Körnerfrüchten und Seidenwürmern einstieg. Nach dem Aufstieg zum Großindustriellen änderte er seinen Namen in Shen Wansan. Das ehemalige Anwesen der Familie Shen ist heute zu einer Touristenattraktion geworden und im Hof der Anlage wurde zum Gedenken an Shen Wansan eine riesige goldfarbene Statue desselben errichtet.

Außerdem gibt es eine Reihe von Spezialitäten in Zhouzhuang, die ihren Namen von diesem großen Gönner erhalten haben, zum Beispiel Wansan Cake (万三糕) oder auch die Wansan Schweinekeulen (万三蹄). Die Kuchen wurden traditionellerweise von einem Teehausbesitzer in Zhouzhuang aus Klebreis hergestellt. Heute werden sie in vielen verschiedenen Sorten, also auch mit Sesam, Erdnüssen, etc. hergestellt und in bunten Folien verpackt, um besonders für Touristen attraktiv zu werden.

Was die Schweinekeulen betrifft, so wird erzählt, dass Kaiser Zhu Yuanzhang (朱元璋) einmal Gast bei Shen Wansan war. Bei diesem Besuch wurden auch Schweinekeulen als Teil des Festmahls aufgetischt. Um Shen Wansan zu testen, soll der Kaiser ihn zunächst gebeten haben eine Keule zu teilen. Da das Wort für Schwein (Zhu, 猪) jedoch homophon zum Namen des Kaisers ist, konnte dieser die Keule nicht mit dem Messer teilen, da dies als Zeichen für den Mord am Kaiser hätte gedeutet werden können und damit für ihn selbst die Todesstrafe bedeutet hätte. Shen Wansan kam dabei auf die Idee, einen dünnen Knochen aus der Keule zu ziehen und diese einfach mit dem scharfen Knochen zu teilen. Nachdem er diese Aufgabe gemeistert hatte, soll der Kaiser weiterhin gefragt haben, wie man die Speise nenne. Da Shen Wansan auch in diesem Fall nicht das Wort „Schwein“ verwenden konnte, antwortete er, man nenne sie „Wansanti“ (万三蹄) und so soll sich der Name der Spezialität etabliert haben.

Sowohl den Kuchen, als auch den Schweinekeulen wird nachgesagt, dass Shen Wansan diese Spezialitäten in großen Mengen bei Festessen mit der Familie oder mit Geschäftspartnern geordert haben soll. Die Schweinekeulen stehen daher für das Zusammenkommen und werden heute in Zhouzhuang besonders bei Hochzeiten und zu anderen Feierlichkeiten bestellt. Aber sie sind längst zum Verkaufsschlager geworden, sodass sich im Zentrum ein Laden neben den anderen drängt. Dort bekommt man die Keulen gleich in Metallfolie verpackt und verschweißt, um sie länger haltbar zu machen und den Zuhause gebliebenen Angehörigen mitbringen zu können.

Obwohl also der Tourismus langsam auch in Zhouzhuang angekommen ist, bietet diese Stadt mit ihrer über neunhundert Jahre langen Geschichte und einem großen kulturellen Angebot besonders für chinesisch Sprechende eine Alternative zu den vielbesuchten Metropolen. Außerdem gibt es in der Stadt sehr motivierte Rikschafahrer, die gerne auch nicht so besuchte Orte vorstellen und begeistert über die Erzählungen um ihre Stadt berichten. Wer diesen Ort besuchen möchte, sollte allerdings mehr als einen Tag einplanen, da die Beleuchtung der Wasserstraßen bei Nacht besonders sehenswert ist.

 

Fabienne Wallenwein

 

Quellen:

http://zhouzhuang.com

http://www.travelchinaguide.com/attraction/jiangsu/suzhou/zhouzhuang.htm

 

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剩女: Left Over Ladies

Unter den Wendungen, die wir bisher in diesem Kolumne diskutiert haben, ist 剩女 wahrscheinlich die bekannteste. Von Kindern bis Großeltern, fast alle Altersgruppen verstehen, was damit gemeint ist. Außerdem kommt diese Wendung nicht nur im Alltagsgespräch vor, sondern auch in der gesellschaftlichen Diskussionen und in den chinesischen Medien.

"剩女", the Left Over Ladies: von der englischen Übersetzung können Sie vielleicht schon den Sinn dieses Wortes erraten. Am Anfang war die Wendung nur eine Kreation der Medien und steht für eine Gruppe von Frauen, die hauptsächlich durch  drei „S“ gekennzeichnet sind: Single, Seventy und "Stuck". Der größte Teil der Gruppe wurde allerdings in den 70er Jahren geboren, also sind die Damen inzwischen eher in ihren Vierzigern. Im Allgemeinen haben die 剩女 noch andere Gemeinsamkeiten: Sie sehen meist gut aus, haben eine gute Ausbildung genossen und deswegen auch eine gute Arbeitsstelle. Ihr Einkommen ist ausreichend, um ihnen ein gutes Leben in den großen Städten zu garantieren. Eigentlich wären die Damen gute Partien. Aber sie bleiben dennoch unverheiratet.

Seit Jahren gibt es unaufhörlich Diskussionen über dieses Phänomen. Der Überschuss an Männern in China ist auffallend.  Aber der Unterschied zwischen Stadt und Land macht das Ungleichgewicht schwer lösbar. Die Mehrheit der 剩女 wohnt in großen Städten wie Peking und Shanghai, während der Großteil der unverheirateten Männer auf dem Land lebt. Aufgrund der traditionellen Familienvorstellungen in der chinesischen Kultur ist eine Ehe zwischen den beiden Gruppen kaum vorstellbar.

Aus Tradition neigen chinesische Männer dazu jüngere Frauen zu heiraten. Aber wie alt ist noch jung? Nach einer Umfrage sind Frauen über 28 Jahren für Männer schon „alt“ , aber Männer erst nach 35 für Frauen. Jetzt können Sie sich vielleicht schon vorstellen, dass der Heiratsmarkt für manche Frauen ein Kampfplatz  geworden ist; natürlich auch für ihre Eltern.
Im letzten Monat wurde in China das Frühlingsfest gefeiert. Das vorher glücklichste Fest für alle Chinesen ist jetzt fast zum Alptraum für die 剩女 geworden. Wenn Sie auch chinesische Freudinnen haben, die älter als 23 sind, kennen sie sicher klassische Frage von den Verwandten und Nachbaren nur allzu gut: "有对象了吗?" (Hast du schon einen Partner?)

例:你得赶紧找个对象,否则就要被剩下了!
Du solltest so schnell wie möglich einen Partner finden, sonst wirst du übrig bleiben!

要是你对于对象的要求还是这么高,那就只能当剩女了。
Falls deine Standards für einen Partner immer so hoch bleiben, kannst du nur eine alte Jungfer werden.

就算我真的成了剩女,还可以去参加"非诚勿扰"!
Wenn ich wirklich eine alte Jungfer werde, kann ich mich zumindest noch für „非诚勿扰 - If You Are the One“ anmelden ("If You Are the One": ist die populärste Dating Show in China).

 

He Xiangling

 

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Von der Frankfurter Schule zur Pekinger Akademie

Anfang der dreißiger Jahre studierten zwei junge Chinesen in Deutschland und Österreich, die später in China für Richard Sorges Spionagering arbeiteten und nach der Gründung der Volksrepublik China führende Akademiker wurden.

 

Du Renzhi (1905-1988) 

Du (siehe Foto links) stammte aus der nordchinesischen Provinz Shanxi, studierte zunächst in Shanghai, wurde 1927 KP-Mitglied, lernte zu dieser Zeit Lu Xun (Vgl. SHAN-NL Nr. 52, Mai 2011) kennen und ging 1928 zum Studium nach Deutschland; nach Aufenthalten in Berlin, Göttingen und Freiburg traf er 1932 in Frankfurt ein. Im Sommer 1932 reiste Du (mit einigen anderen Chinesen) für ein paar Tage nach Amsterdam und nahm an einem von Willi Münzenberg (KPD) organisierten Antikriegskongress teil. 

 

Liu Simu (1904-1985)

Liu (siehe Foto rechts) stammte aus der südchinesischen Provinz Guangdong, lernte schon als Jugendlicher Englisch und hatte literarische Interessen; er lernte schon früh die Schriftsteller Liang Zongdai, Lu Xun und Mao Dun kennen. Er studierte in Guangdong zusammen mit Liao Mengxing, der Tochter des KMT-Politikers Liao Zhongkai (und Schwester von Liao Chengzhi); nach der Ermordung des Vaters (1925) lebten die beiden (schon erwachsenen) Kinder mit ihrer Mutter in Deutschland (Vgl. SHAN-NL Nr. 42, März 2010).

Liu besuchte 1926-27 die Sowjetunion, auf der Rückfahrt mit der Bahn reiste er zusammen mit Gu Shuxing, der Frau von Chen Hansheng – beide hatten vorher in Berlin gelebt. Liu arbeitete dann mehrere Jahre in Shanghai und Beijing; in dieser Zeit besuchte er wiederholt Lu Xun und dessen aus Guangdong stammende Frau. (Du Renzhi und Liu Simu tauchen beide in Lu Xuns Tagebüchern auf.)

Liu ging 1932 nach Deutschland; nach einigen Monaten in Berlin liess er sich in Frankfurt nieder; in dieser Zeit traf er u.a. den Studenten Wang Bingnan (der spätere Mann von Anna Wang) und Hu Lanqi, die mit (Sun Yatsens Witwe) Song Qingling und Liao Chengzhi befreundet war (SHAN-NL Nr. 53, Juni 2011).

 

Station in Deutschland 

Du Renzhi und Liu Simu sahen in Frankfurt Max Horkheimer (1895-1973), Karl Mannheim (1893-1947) und K. A. Wittfogel (1896-1988) und hörten einige Vorlesungen. Ein reguläres Studium war in Frankfurt jedoch wegen der Flucht mehrerer Mitglieder des Instituts für Sozialforschung (1933) nicht mehr möglich. Du kehrte schon im Herbst des Jahres in seine Heimat zurück, Liu ging zunächst nach Österreich, war jedoch Ende 1933 auch wieder in China. Du arbeitete nun im Untergrund in der Provinz Shanxi, die ab 1937 zwischen dem japanisch besetzten Hebei und der kommunistischen Hauptstadt Yan’an lag und daher große strategische Bedeutung hatte.

 

Kommunistische Agenten

In Shanghai traf Liu Simu wieder Gu Shuxing, die mit ihrem Mann für Richard Sorges Spionagering arbeitete und mit Agnes Smedley und Ruth Werner befreundet war – Sorge selbst war zu dieser Zeit schon in Japan (Vgl. SHAN-NL Nr. 42, März 2010). Da Liu in den zwanziger Jahren Mitglied der Kuomintang (KMT) gewesen und nicht der KP beigetreten war, eignete er sich gut für die Agententätigkeit und wurde ebenfalls angeworben. Mit Hilfe von alten KMT-Freunden bekam Liu 1934 eine Stelle in der neuen Hauptstadt Nanjing. Gleichzeitig wurde ihm in Shanghai der Nachfolger Richard Sorges vorgestellt. Dieser neue Spionagechef wurde allerdings 1935 verhaftet und da Liu ihn kannte, war er nun selbst bedroht. 

Liu floh nach Shanxi zu Du Renzhi, der bei dem Warlord Yan Xishan arbeitete (und noch nicht enttarnt worden war). Da ihm jedoch KMT-Agenten folgten ging Liu dann zunächst nach Shandong und floh 1936 nach Japan. Im Juli 1937 kehrte er – kurz nach dem Kriegsausbruch in Beijing – nach Shanghai zurück. (In Japan hatte er vorübergehend als Übersetzer gearbeitet und dabei neben politischen Texten auch Goethe übersetzt; in China veröffentlichte er dann ein Buch über Japan, schon vorher hatte er über Europa geschrieben.) Wegen der Eskalation der Kriegshandlungen floh Liu bald nach Hongkong, wo er vor allem als Journalist arbeitete. Die Kriegsjahre verbrachte er dann teilweise im Landesinnern und teilweise in Südostasien, 1945 war er wieder in Hongkong. 

 

Karrieren in der Volksrepublik

Nach der Gründung der Volksrepublik arbeitete Liu als Journalist und Wissenschaftler in Shanghai, später wurde er Professor an der Akademie für Sozialwissenschaften in Beijing (Weltgeschichte); er galt als Europa- und Japanexperte. Liu wurde erst 1957 KP-Mitglied und daneben Mitglied des Nationalen Volkskongresses und der Politischen Konsultativkonferenz. Liu Simu starb im Februar 1985. Das Leben von Du Renzhi war – oberflächlich gesehen – weit weniger dramatisch, aber nicht weniger gefährlich; er verbrachte viele Jahre in seiner Heimatprovinz Shanxi. Lange Zeit arbeite er unentdeckt als kommunistischer Agent. Nach 1949 war er sowohl in der Provinzregierung als auch als Universitätsprofessor tätig. Er übersetzte und schrieb eigene Bücher. Auch Du arbeitete später an der Akademie für Sozialwissenschaften in Beijing (Philosophie). Er starb 1988.

 

Später Ruhm

Bis in die frühen achtziger Jahre war über die internationalen Abenteuer von Du Renzhi und Liu Simu kaum etwas bekannt. Sie veröffentlichten zwar verschiedene Bücher aber keine ausführlichen Memoiren.  Erst in ihren letzten Lebensjahren publizierten sie einige Artikel und gaben Interviews. Nach Lius Tod schrieb Du auch einen Nachruf über seinen Freund. Bemerkenswert waren bei beiden Herren die vielfältigen Aktivitäten als Journalisten, Übersetzer, Wissenschaftler, Agenten und Politikberater; umso erstaunlicher ist es, daß beide nicht berühmter wurden.

Einige Mitglieder des Spionagerings lebten noch länger. Zhang Fang, Richard Sorges engster Mitarbeiter, starb 1995 (Vgl. SHAN-NL Nr. 46, September 2010). Chen Hansheng und Zhang Wenqiu, die als Sekretärin gearbeitet hatte, erlebten sogar noch die Jahrhundertwende, beide veröffentlichten Memoiren (Vgl. SHAN-NL Nr. 24, Juli 2008).

 

 

Literatur:

 

Werke von Du Renzhi (Auswahl):

Minzu geming zhanzheng de zhanlüe wenti, 1939

Kongzi lunyu xin tixi, 1948.

Xiandai xifang zhuming zhexuejia shuping, 1980.

 

Werke von Liu Simu (Auswahl):

Ouyou manyi, 1935.

(Übersetzung:)  Goethe: Aus meinem Leben / Gede zizhuan, 1936-37.

Yinghua he meiyu, 1940.

Zhanhou Riben wenti, 1948.

Zenyang xuexi guoji shishi, 1951.

Yeju ji, 1984.

 

Chen Rongfu: Dangdai Zhongguo shehuikexue xuezhe da cidian, Hangzhou, 1990.

Chen Yutang: Zhongguo jinxiandai renwu minghao da cidian, Hangzhou, 1993.

 

Thomas Kampen: "Chinese Communists in Austria and Germany and their later activities in China", in: Asian and African Studies, 2007, XI.

 

Dr. Thomas Kampen

 

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Zuletzt bearbeitet von: AF
Letzte Änderung: 04.12.2014
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