Newsletter Juli 2011 Nr. 54

INHALT

Das Fremde und das Eigene - Über den Chinatag an der Universität Heidelberg

Im Rahmen ihres 625-jährigen Jubiläums veranstaltete die Universität Heidelberg am Freitag, den 15. Juli, einen Chinatag. Im Fokus dieses Tages standen bei allen Veranstaltungen die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern aus Deutschland und China.

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Literaturgespräch: Uwe Kräuters "Grenzüberschreitungen"

Am 28. Juni hatte die zentrale Ehemaligen-Initiative der Ruperto Carola, Heidelberg Alumni International (HAI), zu einem Literaturgespräch mit Uwe Kräuter eingeladen. Dabei las er aus seinem autobiografischen Werk „Grenzüberschreitungen – 36 Jahre in China“. Lena Hessel und Helen Hübner von SHAN e.V. moderierten die Veranstaltung. 

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China vor 25 Jahren: Liu Binyan und die Kampagne gegen "bürgerliche Liberalisierung"

Vor einem Vierteljahrhundert begann in China die Kampagne gegen die „bürgerliche Liberalisierung“, die in den Jahren 1986 und 1987 das chinesische Kulturleben dominierte. In deren Zentrum stand der stellvertretende Vorsitzende des Chinesischen Schriftstellerverbands Liu Binyan..

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Sprachkolumne:  Folge 3

囧 tauchte zum ersten Mal etwa im Jahr 2008 im Internet auf. Das Schriftzeichen ähnelt dem menschlichen Gesicht und versucht man selbst einmal eine ähnliche Mimik versteht man sofort die Gefühle, die das Wort zum Ausdruck bringt. Probieren Sie es aus!   

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Das Fremde und das Eigene - Über den Chinatag der Universität Heidelberg

Im Rahmen ihres 625-jährigen Jubiläums veranstaltete die Universität Heidelberg am Freitag, den 15. Juli einen Chinatag. Im Fokus dieses Tages standen bei allen Veranstaltungen die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern aus Deutschland und China, aber auch die Unterschiede und Gemeinsamkeiten, die sich aus der interkulturellen Arbeit ergeben.

Begonnen wurde mit einem deutsch-chinesischen Doktoranden-Symposium, bei dem Promovierende aus unterschiedlichen Disziplinen die Ergebnisse ihrer Forschungen vorstellten. Die Ansprache und Begrüßung des Rektors, Professor Dr. Bernhard Eitel, thematisierte die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und China in der Forschung. Demnach leisten die chinesischen Doktoranden einen besonderen Beitrag „zu dem speziellen Geist Heidelbergs“. 

Unter der Moderation von Professor Dr. Michael Kirschfink, Partnerschaftsbeauftragter der Universität Wuhan und Leiter desInstituts für Immunologie der Universität Heidelberg, bekamen die Zuhörer zum Teil sehr spannende Vorträge geboten. Die Mehrzahl der Präsentationen behandelte medizinische Bereiche. Beispielsweise wurde über Organabstoßung bei Transplantationen, Brustkrebsfaktoren in China und Deutschland, Herzversagen und Depression geforscht und auch hier wurden die Unterschiede zwischen den Entwicklungen in Deutschland und China aufgezeigt. Auch Doktoranden vom Alfred-Weber-Institut waren mit Themen wie Energieeffizienz chinesischer Gebäude oder der Entwicklung der Creative Industries am Beispiel Shanghais vertreten. 

 Quelle: Prof. Wang Houwei

Daneben bekamen die Zuhörer einen Einblick in die Arbeiten von Promovierenden der Theologie und Politikwissenschaft, die unter anderem über die Rezeption Dostojewskis bei Karl Barth und Edward Thurneysen referierten.                                  

Neben den Vorträgen gaben auch Poster Auskunft über die verschiedenen Arbeiten. Diese befinden sich nun im Eingangsbereich der Neuen Universität zur Anschauung. Im Anschluss an die Präsentationen gelang es der interkulturellen Trainerin Lena Haubold, M. A., eine Diskussion über die Missverständnisse und Schwierigkeiten in der Kommunikation beider Kulturen, die sich bei der gemeinsamen Arbeit ergeben können, zu entfachen. „In the end, were all the same. I can see, if a German is sad or happy, we have the same emotions“, war das Fazit einer jungen Nachwuchswissenschaftlerin und mit diesem Gedanken begab man sich zu Kaffee und Gebäck.

Am Nachmittag fand die Podiumsdiskussion „Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) – Sinnvolle Ergänzung der modernen Medizin oder Mythos?“ im Hörsaal 13 der Neuen Universität statt. Die Gästeliste klang vielversprechend: Diskussionsleiter Dr. Lothar Bauerochse vom Hessischen Rundfunk, Professor Dr. Johannes Greten (u. a. Präsident der Deutschen Gesellschaft für TCM (DGTCM), Professor für Chinesische Medizin als Angewandte Neurophysiologie der Universität Porto, Leiter des Instituts für Chinesische Medizin Heidelberg), Dr. Du Xudian (Praxis für TCM und Akupunktur, Darmstadt), Dr. Mercedes Riegel (Naturheilpraxis, Forschungszentrum für TCM, Oftersheim), Professor Dr. Chen Zhuo (Klinik für vergleichende westliche Medizin und TCM, Tongji Hospital Wuhan/VR China) und Professor Dr. Volker Scheid (University of Westminster, London).

Das Hauptaugenmerk der Vorträge lag auf der Integration der TCM in die moderne westliche Medizin. Nach zwei einführenden Vorträgen über die Vorgehensweisen und Methoden der TCM von Prof. Chen und Dr. Du, brachte  Prof. Scheid mit dem Vortrag „Lost in Translation – Über die (Un-)Möglichkeit, TCM in moderne Gesundheitssysteme zu übertragen“ die Thematik sehr humorvoll und spannend auf den Punkt.

Die Fragen, die zu klären die nachfolgende Diskussion bemüht war, gingen von „Was ist eigentlich die wahre TCM?“, „Welche Bevölkerungsgruppen befassen sich damit?“ über „Wann genau erscheint eine Behandlung sinnvoll?“ zu „Welche Stärken hat die TCM gegenüber der Schulmedizin?“. Die Antworten unterschieden sich: TCM als Lückenfüller; als „letzte Möglichkeit“ für eine austherapierte, konservative, gebildete und wohlhabende Patientenklientel und eben nicht - wie  Prof. Greten es formulierte - „die lila Latzhosenträgerin körnerkauend aus der Weststadt“.

Wie weit die Meinungen auch immer auseinandergingen, eines war letztendlich sicher: TCM allein ist nur die halbe Miete. Dieses Eingeständnis fiel keinem der Referenten schwer. Allerdings wurde für ein größeres Vertrauen in die TCM seitens der Schulmedizin und die Einsicht, dass die Kombination beider Methoden für viele Patienten letztlich am heilsamsten wäre, gekämpft. „Wir können nicht alles, aber durch die Kombination können wir viel“, schloss Dr. Du seinen Vortrag, bei dem er die Notwendigkeit einer Verbindung beider Methoden hervorhob.

Um 19:30 Uhr fanden sich ca. 250 Gäste in der Alten Aula zusammen, um einem  klassischen Konzert zu lauschen. Professor Dr. Barbara Mittlers Einführungsvortrag „Von fremden Ländern und Menschen – Transkulturalität in der Musik“ stellte erneut „das Fremde“, die kulturellen Unterschiede und Gemeinsamkeiten, in den Mittelpunkt. Gibt es also Transkulturalität in der Musik? Wird ein Werk von Robert Schumann oder Franz Schubert zwangsläufig anders interpretiert, weil die Interpreten aus einem anderen kulturellen Hintergrund stammen? Sind die Stücke ohne Hintergrundwissen alle gleich anzuhören und ist Musik eine Universalsprache? Die Zuhörer waren dazu angehalten, die eventuellen Unterschiede selbst zu hören, denn auf die Fragen gab es „Jas“ und „Neins“.  Man war gespannt.

Die Alte Aula mit ihrer außergewöhnlichen Atmosphäre war der richtige Ort. Es lagen Ruhe und Zeitlosigkeit im Raum, man sah geschlossene Augen und Gänsehaut auf den Armen der Sitznachbarn, hörte weder Handys noch Räuspern und war völlig ungestört.

 

Die Musikerinnen aus China und Taiwan, die allesamt seit einigen Jahren in Deutschland studieren oder arbeiten, verzauberten die Gäste mit ihrer Leidenschaft und Hingabe und spielten sich auf höchstem Niveau durch Schubert, Schumann und Kreisler. Auch chinesische und taiwanesische Komponisten fanden ihren Platz im Programm, wie Yang Bao-Zhi, dessen Interesse der Einbindung westlicher Streichinstrumente in die chinesische traditionelle Musik gilt, der junge Shen Yi-Wen oder Hung Tun-Yuan, der sein Studium der Komposition dieses Jahr an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main erfolgreich abschloss.

 

Quelle: Nan Hai

Klavier, Querflöte, Mezzosopran, Cello, Violine und Viola. Hörte man also das Chinesische oder das Europäische heraus? Zumindest bildete man sich das als musikalischer Laie ein. Aber da war auch eine Grauzone, wie Fritz Kreislers „Tambourin Chinois“ oder Pierre-Octave Ferrouds „Jade“, bei denen man sich der Einstufung nicht mehr sicher sein konnte.

Wie Prof. Mittler in ihrem Vortrag betonte, verkörperten die Musiker das Leitmotiv des Chinatages in sich selbst. „Das Fremde“ und „das Eigene“, die Unterschiede, die Gemeinsamkeiten, all das wurde durch die perfekte Inszenierung und die besondere Atmosphäre eher in den Hintergrund gerückt und man erwischte sich dabei, wie man nicht mehr nach Antworten suchte, sondern mit leerem Kopf die musikalischen Bilder an sich vorüberziehen ließ.

Im Anschluss an das Konzert waren die Zuhörer in die Bel Étage zu original chinesischen Speisen eingeladen, zubereitet von Köchen der Shanghai Jiaotong University. Beim gemeinsamen Genießen  der Dim Sum konnten die Gäste den diesjährigen Chinatag Revue passieren lassen, sich über den wertvollen Einblick in die wissenschaftliche Zusammenarbeit beider Kulturen austauschen und letztlich feststellen, dass „das Fremde“ und „das Eigene“ so verschieden vielleicht gar nicht sind.

Nur so können die Unterschiede zu einer Bereicherung der interkulturellen Arbeit werden. Hierzu gab der diesjährige Chinatag einen gelungenen Anstoß. Der von Dr. Dietlind Wünsche (Akademisches Auslandsamt) und Prof. Michael Kirschfink (Medizinische Fakultät) organisierte Chinatag, wurde vom Konfuzius-Institut an der Universität Heidelberg, dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg sowie dem Exzellenzcluster “Asien und Europa im globalen Kontext“ unterstützt.

 

Linda Mazur

 

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Literaturgespräch: Uwe Kräuters "Grenzüberschreitungen"

 

Am 28. Juni hatte die zentrale Ehemaligen-Initiative der Ruperto Carola, Heidelberg Alumni International (HAI), zu einem Literaturgespräch mit Uwe Kräuter eingeladen. Zum Anlass der Jubiläumstage der Universität waren aus aller Welt Alumni der Universität nach Heidelberg gekommen. Im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe zur Festwoche des 625-Jahre-Jubiläums der Universität las Uwe Kräuter aus seinem autobiografischen Werk „Grenzüberschreitungen – 36 Jahre in China“. Zahlreiche Alumni, aber auch Studierende und Freunde sowie Bekanntes Kräuters kamen in die Neue Aula. Lena Hessel und Helen Hübner von SHAN e.V. moderierten die Veranstaltung.  

Uwe Kräuter wurde 1945 in Hitzacker (Elbe) geboren. Er wuchs in der Nähe Heidelbergs auf, wo er auch aufs Gymnasium ging. 1968 begann er sein Studium an der Universität Heidelberg in den Fächern Soziologie, Ethnologie und Psychologie. 

 

Uwe Kräuter nahm an den Studentendemonstrationen jener Jahre teil und engagierte sich in den Protesten gegen den Vietnamkrieg. Die Demonstration, die schließlich für seinen weiteren Lebensweg entscheidend war, fand 1970 statt, als Robert McNamara, zu diesem Zeitpunkt Verteidigungsminister der USA, nach Heidelberg kam. Uwe Kräuter wurde wegen seines Verhaltens dabei angeklagt und verurteilt. Gemeinsam mit weiteren Verurteilten ging er in Berufung und zog später weiter bis in nach Karlsruhe vors Bundesverfassungsgericht. 

Parallel zu diesen Ereignissen erhielt Uwe Kräuter 1973 das Angebot nach Peking zu kommen und dort für den Verlag für fremdsprachige Literatur zu arbeiten. Dort lebt er bis heute und wurde somit über einen Zeitraum von dreieinhalb Jahrzehnten Zeuge der Umbrüche in China. Seine Erlebnisse schilderte er ausführlich im Interview mit SHAN e.V., das wir im nächsten Newsletter veröffentlichen werden.   

Uwe Kräuter las in sieben Szenen Auszüge aus seiner Autobiographie. Dabei ging es um seine ersten Tage als Ausländer in Peking, auf Schritt und Tritt begleitet von neugierigen Blicken, um das Einleben in der chinesischen Gesellschaft und sein mit Mühe errungenes Bleiberecht. Das Publikum erfuhr von Kulturprojekten wie dem Theaterstück „Das Teehaus“, von den Hürden, die Uwe Kräuter und seine Frau Shen Danping 沈丹萍 überwinden mussten, um als chinesisch-deutsches Ehepaar akzeptiert zu werden, und von den wirtschaftlichen Veränderungen, die Besuchern Chinas heute die Sprache verschlagen. Anschließend beantwortete der Autor die zahlreichen Fragen des Publikums zur Entwicklung der wirtschaftlichen und politischen Situation Chinas sowie zu den deutsch-chinesischen Beziehungen. 

 

Lena Hessel, Helen Hübner

 

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China vor 25 Jahren: Liu Binyan und die Kampagne gegen „bürgerliche Liberalisierung“

 

Vor einem Vierteljahrhundert begann in China die Kampagne gegen die „bürgerliche Liberalisierung“, die in den Jahren 1986 und 1987 das chinesische Kulturleben dominierte.

Am 24. Januar 1987 wurde der stellvertretende Vorsitzende des Chinesischen Schriftstellerverbands Liu Binyan – 30 Jahre nachdem er in der „Anti-Rechts Kampagne“ von 1957 zum „extremen Rechten“ erklärt worden war – erneut wegen „Verstößen gegen die Parteistatuten“ und Propagierung von „bürgerlicher Liberalisierung“ aus der KP Chinas ausgeschlossen. (s. Beijing Review, 9.2.1987) Der bekannte Autor und Journalist gehörte zusammen mit dem Literaturkritiker Wang Ruowang und dem Astrophysiker Fang Lizhi zu den ersten Opfern der Machtkämpfe an der Parteispitze, die auch zur Entlassung des Generalsekretärs Hu Yaobang am 16. Januar geführt hatten. Wenig später wurde auch der relativ liberale Verantwortliche für Propaganda im ZK der KPCh, Zhu Houze, der erst 1985 den Hauptaktivisten der Kampagne gegen „geistige Verschmutzung“ vom Winter 1983/84 Deng Liqun abgelöst hatte, zum Rücktritt gezwungen.

Es war deswegen auch kein Zufall, daß Deng Xiaopings scharfe Rede über die „Vier grundlegenden Prinzipien“ vom 30.3.1979, die damals die „Demokratiebewegung“ beendet hatte, und die Rede vom 2. Plenum des 12. Zentralkomitees vom 11.10.1983, die die Kampagne gegen „geistige Verschmutzung“ eingeleitet hatte (Beijing Rundschau, 18.10.1983), in den Zeitungen noch einmal abgedruckt wurden. Deng Xiaoping hatte Liu Binyan wiederholt kritisiert.

Liu Binyan wurde 1925 im Nordosten Chinas geboren, in einem Interview sagte er 1982: „Ich stamme aus der Familie eines Eisenbahnangestellten, mein Vater war Dolmetscher für die Ostchinesische Eisenbahn. Während der Zeit des Ersten Weltkrieges war er als chinesischer Gastarbeiter nach Rußland gegangen, sieben Jahre blieb er dort und kehrte 1921 zurück.“ (die horen Nr. 138, S. 162) Er war in den vierziger Jahren im Untergrund tätig und trat 1944 der KPCh bei.  1951 wurde er Redakteur der Zhongguo qingnianbao und stieg zum hohen Kader im Jugendverband auf, dessen 1. Sekretär in den fünfziger Jahren Hu Yaobang gewesen war. Liu Binyan unterstützte begeistert Mao Zedongs „Hundert Blumen Bewegung“ und veröffentlichte 1956 die beiden kritischen Reportagen „Interne Nachrichten“ (Ben bao neibu xiaoxi)  und „Brückenbau“ (Zai qiaoliang gongdi shang), die wie Wang Mengs „Neuling in der Organisationsabteilung“ großes Aufsehen erregten. Im folgenden Jahr wurde er wegen dieser und anderer Reportagen zum „Rechten Element“ erklärt und aus der Partei ausgeschlossen; gleichzeitig verlor er seinen Arbeitsplatz bei der Jugendzeitung.

Anfang 1979 wurde Liu Binyan – wie viele andere Intellektuelle – rehabilitiert, bekam eine Stelle bei der Renmin Ribao (Volkszeitung) und setzte seine schriftstellerische Arbeit fort. Schon seine erste längere Reportage „Unter Menschen und Dämonen“ (Ren yao zhi jian) gehörte zu den umstrittensten Veröffentlichungen des Jahres 1979. Auch in den folgenden Jahren provozierten seine Berichte und Reportagen, die in der Renmin Ribao und in verschiedenen Zeitschriften erschienen, häufig Kontroversen, da Liu Binyan wiederholt die schlechte Behandlung der Intellektuellen durch die Partei und ihre Kader kritisierte. So ist es nicht verwunderlich, daß Liu Binyan gerade von Parteikadern häufig angegriffen wurde, während Studenten und Intellektuelle ihn unterstützten. Auf dem 4. Kongreß des Chinesischen Schriftstellerverbands im Winter 1984/85 wurde sehr deutlich, daß auch die anderen Schriftsteller ihn unterstützten: bei den Wahlen für den Vorstand des Verbands erhielt er – nach Ba Jin – die zweitgrößte Anzahl von Stimmen und wurde so stellvertretender Vorsitzender. (Renmin Ribao, 6.1.1985)

Aber schon nach wenigen Wochen ging diese liberale Phase zu Ende; Hu Yaobang sprach in seiner Rede vom 8.2.1985 wieder von den Gefahren der „geistigen Verschmutzung“ und auch Deng Liqun wurde wieder aktiv. Bei der Veröffentlichung von Liu Binyans Reportage „Die zweite Form von Loyalität“ (Di er zhong zhongcheng) gab es eine große Auseinandersetzung: die neue Zeitschrift Kaituo, in der der Text erschienen war, wurde nach der ersten Nummer zunächst eingestellt, eine Fortsetzung der Reportage, die schon gedruckt war, erschien nicht mehr. Im Februar 1985 hatte die in Shanghai erscheinende Wenhui yuekan damit begonnen, Liu Binyans „Tagebuch“ (Wo de riji) abzudrucken, mußte aber dann aus politischen Gründen im Juni die Serie einstellen.

In dieser Zeit wurde Liu Binyan immer häufiger von verschiedenen Seiten angegriffen. Die Renmin Ribao veröffentlichte monatelang keine Artikel ihres berühmten Journalisten und die Genehmigung für eine Auslandsreise wurde ihm lange verweigert. Liu wurde nun von verschiedenen wichtigen Politikern – wie Deng Xiaoping – direkt kritisiert. Im Herbst 1986 verteidigte Liu sich noch einmal in einem detaillierten Bericht gegen die Kritik an seinen Werken. Im November machte er sich dann jedoch wieder einmal mit seinen scharfen Bemerkungen während einer Literaturkonferenz in Shanghai unbeliebt. Im Dezember wurde er schließlich mit Studentenunruhen in Verbindung gebracht. Nach dem Sturz Hu Yaobangs gab es dann für ihn keine Rettung mehr. Die begeisterte Unterstützung durch viele chinesische Intellektuelle und vor allem auch durch Hongkonger Zeitschriften, die viele seiner Werke nachdruckten und in ihm das „loyalste Mitglied der Kommunistischen Partei“ sahen, haben Liu wohl eher geschadet als genützt.

Liu Binyan ging 1988 (mit seiner Frau Zhu Hong) ins Ausland und starb im Alter von achtzig Jahren (2005) in den Vereinigten Staaten. Zhu Hong hat einige seiner Werke ins Englische übersetzt. Deutsche Übersetzungen seiner frühen Texte sind schon in den sechziger und siebziger Jahren veröffentlicht worden. 

 

Werke von Liu Binyan:

„Brückenbau“, in: A. Donath (Hg.), China erzählt, Frankfurt, 1964.

„Unter Menschen und Dämonen“, in R. G. Wagner (Hg.): Literatur und Politik in der VR China, Frankfurt, 1983.

Liu Binyan baogao wenxue xuan, Chengdu, 1980.

People or monsters, Bloomington, 1983.

A higher kind of loyalty, New York, 1990.

China’s Crisis, China’s Hope, Cambridge (Mass.), 1990.

 

 

Dr. Thomas Kampen

 

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Sprachkolumne: 囧 - jiǒng

 

Beispiel: 德语版的《还珠格格》真的好囧啊……

        Die deutsche Version von 《还珠格格》 ist wirklich 囧...*

 

Erstaunt Sie dieses Beispiel? Ist das Zeichen am Satzende ein Wort? Oder ist es eine Grafik? 

Das kann kein Schriftzeichen sein. Und doch, trotz aller Zweifel, ist das wirklich keine Grafik, sondern ein Schriftzeichen, das dem menschlichen Gesicht sehr ähnlich sieht. 

囧 tauchte zum ersten Mal etwa im Jahr 2008 im Internet auf. Denn das Schriftzeichen  ähnelt dem menschlichen Gesicht und die Aussprache jiǒng ist die gleiche wie die für 窘 (jiǒng, peinlich, 窘迫jiǒngpò, Peinlichkeit); daher versteht man sofort die Gefühle, die das Wort zum Ausdruck bringt. Sie können eine solche Mimik auch selbst einmal probieren und dabei versuchen, Ihre eigenen Gefühle zu erfassen. Trotz der kulturellen Unterschiede würden Sie wahrscheinlich auch Gefühle wie Peinlichkeit, Verlegenheit, Unbeholfenheit, Erstaunen, Hohn oder eine Reaktion auf eine Störung oder eine Dummheit verspüren. Dieses Schriftzeichen ist genau aus diesem Grund ein populäres ideographisches Emoticon im Internet und viele junge Leute benutzen es auch gerne im Alltag mit einfachen kurzen Ausdrucken wie "囧……", "好囧啊……", "囧死了……" als Kommentar. 

Eigentlich existiert dieses Schriftzeichen schon in der sogenannten Orakelknochenschrift. Die Bedeutung von 囧in der alten chinesischen Sprache ist „Helligkeit“. Doch Jugendliche benutzen das Wort heute spielerisch, wohingegen es früher als ein Zeichen für Glück gebraucht wurde. In der modernen chinesischen Sprache ist 囧 schon nicht mehr zu finden. 

 

He Xiangling

 

 

*还珠格格:Princess Pearl, eine Fernsehserie adaptiert von Chiung Yaos Liebesroman mit dem gleichen Titel, hat bis heute die höchste Zuschauerzahlen aller Fernsehserien in der Geschichte des chinesischen Fernsehens. Die Qualität der Serie wird hier nicht beurteilt. Wenn Sie Interesse daran haben, finden Sie bestimmt Auszüge auf englisch oder auf deutsch im Internet. Dann können Sie wahrscheinlich noch genauer verstehen, was 囧 bedeutet.

 

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Zuletzt bearbeitet von: AF
Letzte Änderung: 04.12.2014
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