Newsletter April 2011 Nr. 51

INHALT

Wann sehen wir Ai Weiwei wieder?

"Ich teile heute meine Gedanken mit Ihnen zum Fall Ai Weiwei. Bei diesem Beitrag habe ich mich bewusst für die persönliche Form entschieden, denn ich möchte keine Zusammenfassung der bereits vielfach berichteten Umstände von Ai Weiweis Festnahme und Vorgeschichte geben. Vielmehr kann ich nur Fragen aufwerfen - Fragen, die sich vielleicht viele von uns stellen.

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China im April - vor 35 Jahren

Der entscheidende Tag für den Beginn der Demokratiebewegung war der 14. November 1978 als das Parteikomitee der Stadt Beijing die Volksbewegung vom 5. April 1976 (Tiananmen-Zwischenfall) „rehabilitierte“. Die Rehabilitierung weckte bei vielen Jugendlichen und Intellektuellen die Hoffnung auf eine allgemeine Liberalisierung in China.  

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Konfuzius: Ein Bild, das nicht zur Ruhe kommt

Nach einer langen Phase ist wieder Bewegung in eine "alte" Diskussion gekommen. Könnte eine über „das Urgestein der chinesischen Philosophie“ klar definierte kulturelle Identität in Zeiten des massiven sozialen Umbruchs nicht vielleicht doch von Nutzen sein?

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Ein Jahr Konfuzius-Institut in Heidelberg

Die feierliche Eröffnung des Konfuzius-Instituts Heidelberg, über die wir im SHAN-Newsletter berichtete, liegt nun schon ein Jahr zurück. SHAN nutzt diesen Zeitpunkt für einen kurzen Rückblick und einen Ausblick über kommende Veranstaltungen im Konfuzius-Institut. 

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Das ist die Schatzinsel

Grummelig? Nicht die Spur! In dieser Ausgabe ihrer Kolumne von Taiwan räumt Viktoria Dümer mit diesem Vorurteil auf. Nach bald einem Jahr mit kleinen und einigen größeren  Alltags-)Abenteuer steht fest: Taiwan, das ist die Schatzinsel. Punkt.  

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Eine fotografische Reise durch 100 Jahre Republik China

Unter dem Titel „Unsere Spuren zurückverfolgen - Eine fotografische Reise durch 100 Jahre Republik China“ (細數走過的腳步 - 建國一百年影像展) sollte im Regierungspräsidium Karlsruhe die Entwicklung Taiwans hin zu einer wohlhabenden Demokratie aus allen Blickwinkeln der Gesellschaft gezeigt werden.  

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Wann sehen wir Ai Weiwei wieder?

 

Liebe Leser des SHAN-Newsletters,


ich teile heute meine Gedanken mit Ihnen zum Fall Ai Weiwei. Bei diesem Beitrag habe ich mich bewusst für die persönliche Form entschieden, denn ich möchte keine Zusammenfassung der bereits vielfach berichteten Umstände von Ai Weiweis Festnahme und Vorgeschichte geben. Vielmehr kann ich nur Fragen aufwerfen - Fragen, die sich vielleicht viele von uns stellen. 


Ai Weiwei ist ein chinesischer Künstler, mit dem ich mich sehr intensiv beschäftigt habe. Als ich ihm 2007 und seiner Gruppe auf der Documenta 12 begegnete, war ich begeistert von seinem - für mich neuen – Kunstbegriff. Ai Weiwei wollte Soziales zur Kunst zu machen. Dies war auch der Grund, weshalb ich mich entschied meine Magisterarbeit über ihn zu schreiben. Dabei habe ich versucht den politischen und gesellschaftlichen Dimensionen seines Handelns zunächst auszuklammern und habe mich statt dessen darum bemüht die Basis seines Kunstbegriffs zu verstehen.
Seit der Beschäftigung mit Ai Weiweis Kunst und seinem Schicksal der letzten Jahre ist in mir ein großer Zwiespalt entstanden, der mich daran hindert, eine politische Meinung zu formulieren. Ebenso wie Ai Weiwei liebe ich China und seine Leute, verstehe aber das Handeln der Regierung in einigen Punkten nicht immer. Als Sinologin ist es aber auch nicht in meinem Sinne den rhetorischen Knüppel zu ziehen. Fachjournalisten haben es da doch leichter, da ihre kritische, oft negative Meinung in westlichen Tageszeitungen oft begrüßt wird. Sie spüren aber auch gelegentlich die Konsequenzen. Tilman Spengler, der dieses Jahr wegen seiner Laudatio auf Liu Xiaobo Ende 2010 nicht nach Beijing einreisen durfte, ist ein junges Beispiel für solche Konsequenzen. Was ich also nun tun werde, sind Fragen aufwerfen, mehr nicht.


Weshalb fürchten wir uns?
Dass Ai Weiwei nur zwei Tage nach Eröffnung der von Deutschen Museen mitorganisierten Ausstellung „Die Kunst der Aufklärung“ in Beijing am örtlichen Flughafen verhaftet wurde, passte niemandem ins Konzept. Seither sei er das von vielen eher „ungewollte“ Thema in Diskussionsveranstaltungen rund um die enorme Ausstellung im Nationalmuseum am Tiananmen- Platz. Es wirkt ironisch, dass die Ausstellung die Kunst der Aufklärungsperiode zeigt, denn nun können lokale Kreative tatsächlich mit dem „freien“ westlichen Kunstvertretern in Kontakt treten. Aber kann von Freiheit wirklich die Rede sein? Dass die Ausstellung trotz der Umstände nicht unterbrochen wurde, kann ich niemandem verübeln. Sie hat schließlich viel Zeit und Geld verschlungen und erfüllt einen enorm wichtigen Zweck für diejenigen, die sich tatsächlich mit dieser Kunstepoche auseinandersetzen wollen. Gleichzeitig verbindet sie China und Deutschland. Automatisch setzt das Thema der Aufklärung nun auch einen klaren Bezug zur Gegenwart.
Eventuell bedenklich ist aber die Angst den Fall Ai Weiwei tatsächlich anzugehen und Stellung zu beziehen. So geht es nicht nur den Veranstaltern, Kuratoren und Mitarbeitern von „Die Kunst der Aufklärung.“ Auch Guy Ullens verschob eine geplante Ausstellung von Ai Weiweis Kunst im Ullens Center for Contemporary Arts von März 2011 auf Oktober 2011, und war auch bei der Auswahl der Exponate noch kritischer als üblich. Der Grund ist eindeutig: Niemand, der mit China arbeitet möchte Kopf und Kragen riskieren. Man bekennt sich natürlich zu Ai Weiweis Kunst und manchmal auch zu seiner Bedeutung innerhalb der Gegenwartskunst, bleibt aber politisch eher im neutralen Feld. In erster Linie bangt man um künftige Erfolge kultur(-wirtschaftlicher) Arbeit. Und Kunst ist ein kulturverbindendes Feld, kein separierendes. Sie ist in unserer heutigen Welt nichtmehr nur die Sache in einem kleinen Zirkel gleichartiger, sondern greift auf Menschen verschiedenster Hintergründe über. Auch wenn ich kein Freund der oben beschriebenen Ängste bin, kann ich sie doch bestens verstehen.


Wieviel bringt das Bitten auswärtiger Politiker?
Ja, wieviel? Schon an ganz anderen Beispielen in der Vergangenheit lässt sich die Aussichtslosigkeit der Bemühungen um Freilassungen inhaftierter chinesischer Dissidenten erkennen. Die VR China regelt ihre Angelegenheiten intern und abgeschlossen und betrachtet ausländische Bitten in diesem Zusammenhang als Einmischung in innerpolitische Regelungen. Unrecht haben sie nicht. Aber in unserer heutigen Welt geht es eben auch nicht Augen und Ohren zu verschließen. Man fühlt sich gezwungen kommentierend einzugreifen. Teilweise aber scheint es, als sei der Fall Ai Weiwei lediglich etwas wie ein Tagespunkt auf der Agenda internationaler Politiker. Andere Dinge haben klaren Vorrang. Die Kunst nährt unsere kreative Basis, aber der gesellschaftliche Durst nach Wohlstand wird anders gestillt. 


Was war denn nun der eigentliche Auslöser für die Festnahme zu eben diesem Zeitpunkt?
„Wirtschaftsverbrechen“ sei der offizielle Vorwurf an Ai Weiwei seitens der Regierung, so schreibt es die Presse. Laptops und Unterlagen wurden beschlagnahmt, und Mitarbeiter und Verwandte verhört. Ai Weiwei wurde in China für lange Zeit toleriert und man fand sogar gelegentliche Berichte über seine im Ausland stattfindenden Ausstellungen, zwar oft verspätet und ohne viel Inhalt, aber er war Thema. Seit seinen Recherchen um die Opfer des Sichuan Erdbebens hat sich sein Bild vom chinesischen Noch-Vorzeigekünstler und Mitgestalter des Beijinger Vogelnests langsam gewandelt. Sein Sina-Blog wurde vom Betreiber in Selbstzensur geschlossen, da zu viele staatskritische Inhalte die Netizens der Volkrepublik erreichten. Wir alle wissen von dem brutalen Verhör der Polizei in Chengdu 2009 und von Ai Weiweis Notoperation in München. Dennoch kehrte Ai Weiwei wieder in die VR China zurück und versuchte den Übergriff der Polizei anzuzeigen und mit rechtlichen Mitteln dagegen vorzugehen. Es mangelte ihm nicht mehr an Austellungsprojekten im internationalen Bereich. Nach München und Duisburg folgten u.a. New York und São Paulo. Aber innerhalb Chinas nahmen Galeristen und Veranstalter immer mehr Abstand, als ob man das Unvermeidliche hatte kommen sehen.
Wirtschaftsverbrechen. Kann man ihm das nachweisen? Was wäre das? Falsche Angaben auf Werte von Kunstobjekten beim Zoll? Eigentlich international gängige Praxis. Eventuell zurückgehaltene Steuern? Irgendwo ließe sich immer was entdecken. Fehlende oder schlampige Verträge, etc.? Man findet, was man sucht. Was auch immer es ist, es ist kaum möglich da raus zu kommen. 


Ai Weiwei war bei seiner Festnahme gerade dabei nach Taiwan zu reisen, um dort seine Ausstellung vorzubereiten. Eine Woche zuvor verkündete er außerdem die Planung der Eröffnung eines zweiten Studios in Berlin, um dort freier arbeiten zu können. Sein Shanghaier Studio wurde ja schließlich dem Boden gleich gemacht.
Zeitgleich mit seiner Festnahme war nun auch die Eröffnung der Aufklärungs-Ausstellung in Beijing. Ai Weiwei war dazu lediglich als Gast, nicht aber als Sprecher eingeladen gewesen. Könnte Ai Weiwei unter all diesen Umständen von der chinesischen Regierung einfach als ein zu einflußreiches Sprachrohr für vor allem die Menschen in westlichen Ländern betrachtet worden sein? Er präsentierte nicht das Chinabild, dass man der Welt gerne zeigte. War es also ein Eingreifen vor einer befürchteten Eskalation zu großer künstlerischer Freiheitspropaganda?
Und zum Ende frage ich mich nur eines: Wann sehen wir Ai Weiwei wieder?

 

Kristina Bodrožić-Brnić

 

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China im April - vor 35 Jahren

Anmerkung: Der folgende Text enthält Auszüge aus einem Interview, das Kader des Jugendverbands mit Lü Pu (und anderen Aktivisten) der Demokratiebewegung im Sommer 1979 durchführten. Der entscheidende Tag für den Beginn der Demokratiebewegung war der 14. November 1978 als das Parteikomitee der Stadt Beijing die Volksbewegung vom 5. April 1976 (Tiananmen-Zwischenfall) „rehabilitierte“ – dies war im Interesse von Deng Xiaoping, der im April 1976 gestürzt worden war. Die Entscheidung stand in direktem Zusammenhang mit dem jahrzehntelang immer wieder gepriesenen „Dritten Plenum“ vom Dezember 1978. Die Rehabilitierung weckte bei vielen Jugendlichen und Intellektuellen die Hoffnung auf eine allgemeine Liberalisierung in China. In dieser Zeit veröffentlichten verschiedene Gruppen inoffizielle Zeitschriften wie  5. April Forum (Siwu luntan), Pekinger Frühling (Beijing zhi chun), Aufklärung (Qimeng), Heute (Jintian) usw. Da die VR China und die USA am 1. Januar 1979 offiziell diplomatische Beziehungen aufnahmen und Deng Xiaoping im gleichen Monat nach Amerika reiste, war das chinesische Interesse an Präsident Carter besonders groß.

Quelle: Qingnian Yanjiu, 1979, Heft 2.

Zunächst will ich einmal erzählen, wie ich zu der Organisation 5. April Forum gekommen bin. Im Januar dieses Jahres – kurz bevor der stellvertretende Ministerpräsident Deng zu einem Besuch nach Amerika fuhr – erschienen an der Demokratiemauer [Xidan] einige Artikel, die Amerika lobten. Manche priesen das demokratische System der Vereinigten Staaten, andere diskutierten die Menschenrechtsbewegung, und es gab auch einige Briefe an Carter. Ich meine, daß es vollkommen falsch ist, alle Hoffnungen auf Reform in unserem Land in Carter zu setzen. Daß solche Dinge an der Demokratiemauer erscheinen, ist schädlich für sie. Um gesunde Kräfte an der Demokratiemauer zu mobilisieren, schrieb ich damals drei Wandzeitungen; die erste hieß: „Menschenrechte – Demokratie des Volkes“, die zweite: „Ist Amerika das Paradies der Demokratie?“, und die dritte: „Kurze Diskussion über die Macht des Volkes“. In diesen drei Artikeln verurteilte ich die falschen Standpunkte in den Briefen an Carter und in einigen Wandzeitungen, in denen Menschenrechte gefordert wurden. Einige Tage später entdeckte ich, daß viele Kommentare auf meiner Wandzeitung standen; einer davon war mit Xu Shu unterzeichnet: „Diese Wandzeitung ist sehr gut!“ Ein paar Leute, die neben mir standen und die Wandzeitung lasen, erzählten mir, daß Xu Shu der Chefredakteur vom 5. April Forum  sei; daher war ich sehr daran interessiert, mich mit ihm zu unterhalten. Über Liu Qing (Liu Jianwei) dessen Adresse in der Zeitschrift  5. April Forum angegeben war, fand ich schließlich Xu Shu (Xu Wenli). Xu Wenli ist ein hervorragender Organisator, der vollkommen selbstlos für die Zeitschrift  5. April Forum arbeitet. Die Zeitschrift wird in seiner Wohnung ediert, gesetzt und gedruckt. Er hat praktisch überhaupt kein Privatleben.  Die Arbeitsbedingungen waren sehr schlecht, aber der hartnäckige Kampfgeist der Mitarbeiter hat mich tief beeindruckt. Nachdem mich Xu Wenli mehrere Male gebeten hatte, begann ich schließlich ab Mitte März bei der Redaktion vom  5. April Forum  mitzuarbeiten.  

Die Zusammensetzung der Mitglieder ist ziemlich gemischt, die Ansichten sind vielfältig und lassen sich in drei Gruppen einteilen: einige sehen sich als orthodoxe Marxisten-Leninisten, andere sind Demokraten, die die bürgerliche Demokratie verehren, und die übrigen sind Jugendliche, die noch keinen festen Standpunkt haben. Alle Mitglieder treffen sich regelmäßig Sonntag abends. Die Redaktion besteht aus sechs Personen. Ich bin der einzige, der aus einer Kaderfamilie kommt; Xu Wenli ist Sohn eines Märtyrers, Liu Jianwei stammt aus einer Intellektuellenfamilie; Xu Jinduo ist selbst Arbeiter, seine Mutter jedoch Ärztin; Yang Jing ist auch Arbeiter und ein anderer Genosse ist schon seit längerem von der Arbeit freigestellt. Von Anfang an war ich der Ansicht, daß die Organisation reformiert werden müsse, und habe daher einen Plan für die Ziele und Methoden zur Herausgabe der Zeitschrift vorgelegt und dann ein Treffen zur Diskussion dieses Planes einberufen. Das Treffen war nicht sehr erfolgreich, die verschiedenen Ansichten sind dabei jedoch sehr deutlich geworden. Unsere Organisation sollte nicht feudalistisch, sondern demokratisch arbeiten. Bei der Gründung war beschlossen worden, halbjährlich eine Wahl durchzuführen, damit wirklich genau diejenigen, die das Vertrauen aller Mitglieder besitzen, die Leitung und Redaktionsarbeit übernehmen.

Soweit ich die Situation beim Pekinger Frühling beurteilen kann, ist es sehr schwierig, in deren Organisation aufgenommen zu werden, da sie Leute mit abweichenden Meinungen nicht aufnehmen. Ich habe sie deswegen einmal kritisiert. Die Mitglieder des  5. April Forum haben sehr unterschiedliche Ansichten und das ist die Grundlage für eine gemeinsame Diskussion.

Warum arbeiten wir jungen Leute zusammen? Weil China von einer Krankheit geheilt und reformiert werden muß – dazu ist Meinungsfreiheit nötig. Sehr viele alte Kader kommen mit der heutigen Situation nicht mehr mit, eigentlich kommt die ganze Partei nicht mehr mit. Die heute existierende sozialistische Theorie kommt mit der Entwicklung der Welt nicht mehr mit und kann die Anforderungen der Gegenwart nicht mehr erfüllen. Im theoretischen Bereich hat diese Krise schon ein ernstes Ausmaß erreicht. Die Theorien der Viererbande haben die Jugendlichen betrogen, aber nach ihrem Sturz gab es kein neues Gedankensystem, welches den Anforderungen der Jugendlichen entsprach, und deswegen empfinden wir eine innere Leere. Wir suchen nach einer wissenschaftlichen sozialistischen Theorie, aber niemand gibt sie uns. Wer hat uns zum Beispiel mit wissenschaftlicher sozialistischer Theorie erläutert, welchen Schritt man heute in der revolutionären Entwicklung vom Sozialismus zum Kommunismus gehen muß? Es gibt heute nur den Slogan von den „Vier Modernisierungen“, aber niemand ist in der Lage, eine theoretische Grundlage für diesen Slogan zu finden. Genau deshalb haben wir jungen Leute begonnen, die Theorie zu erforschen und die Wahrheit zu suchen. Dieser aufrichtige revolutionäre Enthusiasmus hat uns zusammengebracht. Einige Gruppen und unabhängig herausgegebene Zeitschriften sind unter diesen Umständen entstanden.  […]

Sowohl Kader als auch Jugendliche können sich ändern, beide Gruppen brauchen Anleitung. Ich bin der Ansicht, daß die momentane Haltung der Führung zur Demokratiebewegung falsch ist.

Die Mitglieder der Qimengshe (Aufklärungsgruppe) Li Jiahua und Huang Xiang sind vor kurzem verhaftet worden, weil sie angeblich reaktionäre Ideen haben. Ich habe die beiden getroffen und glaube, daß sie wirklich falsche Ansichten haben, ihre Theorien sind jedoch widerlegbar. Ich habe mit ihnen diskutiert und sie überzeugt, sodaß sie schließlich diese Fehler korrigieren wollten. Aber einige in der Führung helfen den jungen Leuten nicht, in der Diskussion Fehler zu beseitigen, sondern ergreifen stattdessen administrative Maßnahmen und verhaften sie einfach. Das ist eine sehr dumme Methode, mit der man niemanden überzeugen oder erziehen kann; stattdessen werden dadurch die jungen Menschen verletzt, man jagt ihnen Angst ein und nimmt ihnen das Vertrauen, was zu Resignation führt. […]

Ich hoffe, daß die Führung ihre Haltung ändern wird, und daß auch einige junge Leute ihre extreme Haltung ändern werden, damit sich die Demokratiebewegung in eine positive Richtung entwickeln kann. Das wichtigste Problem dabei ist, daß viele leitende Kader die Möglichkeit und Notwendigkeit einer solchen Wandlung und Entwicklung nicht begreifen. […]

Aufstieg und Sturz der Viererbande waren keinesfalls historische Zufälle. Genauso wenig kann man Schicksal und Hoffnung des Landes von dem Wirken eines Individuums abhängig machen. Unser System ist nicht perfekt, es gibt noch viele Mängel. Diese Mängel müssen untersucht und enthüllt werden. Das heutige Eigentumssystem ist nicht das von Marx beabsichtigte Eigentum des ganzen Volkes, sondern -abgesehen von kollektivem Eigentum – tatsächlich das Eigentum des Staates.

Die Wahrscheinlichkeit, daß die demokratische Revolution des Proletariats mit friedlichen Mitteln erreicht werden kann, ist sehr groß. Momentan teilen die meisten jungen Leute vom 5. April Forum  diesen Standpunkt, daher meine ich, daß die leitende Ideologie des  5. April Forum  der Marxismus-Leninismus und die Mao Zedong-Ideen sind.

 

Dr. Thomas Kampen

 

PS: Xu Wenli konnte 2002 (nach mehr als zehnjähriger Haftstrafe) China verlassen. Auch Liu Qing verbrachte etwa zehn Jahre im Gefängnis und ging später ins Ausland. Bei der Zeitschrift Heute (Jintian) arbeitete der Dichter Bei Dao, der heute in Hongkong lebt. 

 

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Konfuzius: Ein Bild, das nicht zur Ruhe kommt

Am Mittwoch, den 6. April, hatte das Konfuzius-Institut Heidelberg zu einem Vortrags-Highlight eingeladen: Prof. Dr. Rudolf Wagner  sollte zu „Konfuzius: Ein Bild, das nicht zur Ruhe kommt“ sprechen. Während draußen noch mildes Frühlingswetter lockte, wurden im Veranstaltungsraum die Stühle knapp. Mit Studenten, Mitarbeitern des Instituts für Sinologie und interessierten Vereinsmitglieder waren es insgesamt wohl 50 aufmerksame Zuhörer.

Herr Wagner beschrieb bereits mit einigen einleitenden Worten auf seine gewohnt ironische Art die eigentliche Kontroverse des Vortragsthemas: nach 2500 Jahre könnte man doch meinen, „dass man diesen Konfuzius doch auch mal zur Ruhe kommen lassen sollte“. Doch das Gegenteil ist der Fall: von den Vordenkern eines neuen Chinas zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Person wie Philosophie des Konfuzius diskreditiert und in der Volksrepublik jahrzehntelang als Personifizierung alles Bösen geschmäht worden. Doch nach einer relativ langen Phase der konstant ablehnenden Haltung ist wieder Bewegung in die Diskussion gekommen. In einer sehr pragmatischen Denkweise gewinnt der utilitaristische Gedanke für die chinesische Führung an Bedeutung: könnte eine klar definierte kulturelle Identität über „das Urgestein der chinesischen Philosophie“ in Zeiten des massiven sozialen Umbruchs nicht vielleicht doch von Nutzen sein?

Bevor er jedoch die aktuelle Situation weiter erläutern wollte, ging Prof. Wagner auf die Zeitsprünge in der Entstehung der konfuzianischen Philosophie ein. Seine Ausführungen möchte ich im Folgenden nur gekürzt wiedergeben und mich auf die durch Prof. Wagner geschilderten, aktuellen Konsequenzen konzentrieren.

Heute ist Konfuzius in den Augen der chinesischen Führung - trotz allen Provokationspotentials - als Identifikationsfigur in kultureller wie moralischer Hinsicht zu einem „Wahrer der chinesischen Staatsharmonie“ aufgestiegen. Denn viele sind der Ansicht, dass das Bewußtsein des größten Teil der Bevölkerung hinter der tatsächlichen Entwicklung des Landes zurück hinke. Die massiven Umbrüche der letzten Jahr(zehnt)e könnten die Gefahr wachsender Unsicherheiten erhöhen; gleichzeit wächst der Unmut über die unausgeglichene Entwicklung und die wachsende Schere zwischen Arm und Reich. Daher sieht sich die KP in der Verantwortung die öffentliche Ruhe zu bewahren; diesem Ziel eines hoffentlich nachhaltigeren wirtschaftlichen Aufstiegs werden inzwischen auch die ehrgeizigsten Entwicklungsziele hintenan gestellt. Nach Meinung der KP gilt es gegen jegliche Organisation, die sich nicht durch die Partei kontrollieren lässt, vorzugehen. Dabei ist dieses Vorgehen ihrer Ansicht nach im Sinne aller: denn  „Chaos“, d.h. Kontrollverlust, gilt es mit allen Mittel zu vermeiden. So werden Ordnung und Harmonie zu Kernbegriffen, die in der Innenpolitik, aber ebenso auch außenpolitisch, als Maxime allen politischen Handelns gelten sollen.

Denn der Aufstieg Chinas, international kritisch beäugt, soll mittels dieser Strategie akzeptiert werden. Darin werden die USA als eine Art Beispiel gesehen: sie waren demnach durch eine Politik des „lay low“ und der „soft power“ zur anerkannten und unangefochtenen Großmacht aufgestiegen.

Zusammenfassen lässt sich diese Maxime mit he er bu tu: „Mit ihnen in Harmonie, aber nicht gleich sein“. Durch vertrauensbildende Maßnahmen in internationalen Organisationen, u.a. bei den Vereinten Nationen, hofft man auf die langfristige Anerkennung als global player. Herr Prof. Wagner zog aus diesen Schilderungen den Schluss, dass es für die  anderen Nationen gilt die Logik hinter dem Vorgehen der chinesischen Führung zu verstehen, um sich dann ein differenziertes Urteil bilden zu können.

 

Helen Hübner

 

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Ein Jahr Konfuzius-Institut Heidelberg

Die feierliche Eröffnung des Konfuzius-Instituts Heidelberg, über die wir im SHAN-Newsletter berichtete, liegt nun schon ein Jahr zurück. SHAN nutzt diesen Zeitpunkt für einen kurzen Rückblick und einen Ausblick über kommende Veranstaltungen im Konfuzius-Institut. Der Verein Konfuzius-Institut Heidelberg e.V. hat derzeit circa 70 Mitglieder, im Institut arbeiten sieben feste Mitarbeiter sowie sieben Sprachlehrer, die Teams werden derzeit noch verstärkt. Das Institut hat drei programmatische Schwerpunkte. Neben Sprache und Kultur zählt auch der Bereich Wirtschaft und Gesellschaft dazu.

Das Sprachprogramm des Instituts leitet Liying Scheinhardt-Zhu. Seit der Aufnahme der Chinesisch-Sprachkurse im November 2009 wurde das Angebot im Sprachbereich kontinuierlich ausgebaut. Im neuen Kursprogramm finden sich auch für Studierende interessante Kurse wie Wirtschaftschinesisch. Eine mögliche Ermäßigung für Sprachkurse kann im Sekretariat des Instituts für Sinologie erfragt werden.

Im Jahr 2010 erhielt das Konfuzius-Institut Heidelberg die Lizenz HSK-Prüfungen abzunehmen. Die ersten Teilnehmer haben im vergangen Oktober ihre HSK-Prüfung bereits erfolgreich bestanden, darunter auch Heidelberger Kommilitonen und SHAN-Mitglieder. Die nächsten HSK-Prüfungen werden für alle Niveaustufen im Juni und Oktober 2011 durchgeführt. Außerdem gehören inzwischen auch Summer-School- Programme zum Angebot im Sprachbereich. Im Sommer 2010 besuchten die Teilnehmer unter anderem die EXPO in Shanghai und auch dieses Jahr wird es wieder Summer-School-Reisen geben.

Das größte Ereignis im Sprachbereich steht allerdings kurz bevor. Am 07. und 08. Mai wird der deutsche Vorentscheid zum offiziellen Sprachwettbewerb Chinese Bridge in Heidelberg ausgerichtet. Natürlich sind alle Studierenden herzlich eingeladen sich den Wettbewerb anzusehen und sich vom Können der Kandidaten ein Bild zu machen. Die Kandidaten werden neben mündlichen Prüfungen in den Bereichen Sprache, Kultur und Landeskunde auch kulturelle Darbietungen, wie Wushu, chinesisches Kabarett, Theater oder Gesang aufführen. Unter den Teilnehmern sind auch Studierende aus Heidelberg, die sich sicher über Unterstützung freuen. Außerdem wird auch für das leibliche Wohl der Kandidaten und Gäste mit chinesischem Essen bestens gesorgt sein. Die Veranstaltung findet ab 9.00 Uhr in der Neuen Uni, Grabengasse 3-5 statt.

Über die Veranstaltungen des Konfuzius-Instituts im Kulturbereich, geleitet von Heidi Marweg, konnten wir im SHAN-Newsletter schon des Öfteren berichten und viele SHAN-Mitglieder finden immer wieder bei Veranstaltungen den Weg in die Speyerer Straße. Zu den beliebtesten Veranstaltungen gehört die Vortrags-Reihe zur Person des Konfuzius und der Bedeutung und Wahrnehmung des Konfuzianismus in Vergangenheit und Gegenwart. Zu den Referenten zählten Prof. Hans van Ess, Prof. Barbara Mittler, Prof. Thomas Fröhlich und in diesem Monat auch Prof. Rudolf Wagner, über dessen Vortrag in dieser Ausgabe Helen Hübner berichtet. Die Vorträge in dieser Reihe werden weiter fortgesetzt und auch einen Tag der Offenen Tür am Mondfest wird es in diesem Jahr wieder geben.

Inzwischen waren auch schon zahlreiche Autoren zu Gast im Konfuzius-Institut. Eine besondere Veranstaltung wird sicher in der nächsten Woche die Lesung von Christian Y. Schmidt, der aus Bliefe von dlüben und seinem gerade erschienen Buch Im Jahr des Tigerochsen liest. Eine Rezension zu Bliefe von dlüben von SHAN-Gründungsmitglied Oliver Lutz Radtke finden Sie hier. Ein Highlight des vergangenen Jahres, über das wir bisher noch nicht berichtet haben, war sicher der Besuch von Chen Jianghong im November in Heidelberg. Der in Paris lebende Bilderbuchautor und Künstler las aus seinen Werken An Großvaters Hand und Der Tigerprinz. An Großvaters Hand erzählt von Chens Kindheit und Jugend im Tianjin der Kulturrevolution. Es ist sein bisher persönlichstes Buch, das zu schreiben ihn viel Zeit, Mut und Überwindung kostete. Dabei stehen die politischen Ereignisse gar nicht so sehr im Vordergrund, wie die Auswirkungen und Wahrnehmung der Ereignisse, so z.B. die Verschickung des Vaters und der netten Nachbarin, Veränderungen in der Schule und natürlich die Beziehung zwischen Großvater und dem Kind Chen Jianghong. In seiner eigenen, zugleich lustigen und melancholischen Art erzählte Chen Jianghong, übersetzt und moderiert von Joachim Ziebe vom Konfuzius-Institut Frankfurt, aus seinem Leben und beantwortete Fragen des Publikums mit viel Witz und Ernsthaftigkeit. Im Februar diesen Jahres führte dann Anne-Kathrin Klatt ihr Theaterstück Der Tigerprinz, nach dem gleichnamigen Bilderbuch von Chen Jianghong im TiKK in Heidelberg auf.

Im Bereich der wirtschaftsnahen Aktivitäten liegen die Schwerpunkte des Instituts in den Jahren 2011/12 auf den Gebieten der interkulturellen Kompetenz und interkulturellen Kommunikation, im Bereich der beruflichen Aus- und Weiterbildung, der Energieeffizienz, des Umweltschutzes und der alternativen Energien, speziell auch im Bausektor, jeweils in Kooperationen mit chinesischen und deutschen Partnern. Angeboten werden Trainings und Vorträge für Firmen oder Gruppen. Außerdem unterstützt das Konfuzius-Institut Heidelberg die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Metropolregion und China.

Im Sinne der Förderung dieser Zusammenarbeit fand am 23. März 2011 eine besondere Veranstaltung im Hotel Europäischer Hof in Heidelberg statt. Geladen waren Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft aus Deutschland und China zu einem chinesischen Festbankett, das vom Konfuzius-Institut Heidelberg in Zusammenarbeit mit dem Düsseldorf China Center ausgerichtet wurde. Die Veranstaltung war sehr erfolgreich und fand großen Anklang bei allen Gästen. Auch in Zukunft wird das Konfuzius-Institut Heidelberg noch viele Veranstaltungen durchführen und freut sich immer über einen regen Besuch von Studierenden aus Heidelberg.

 

Sylvia Schneider

 

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Das ist die Schatzinsel.

Wer meine letzten Texte gelesen hat, der könnte meinen, mein Gemütszustand in Taiwan sei allgemein grummelig einzuordnen und ich würde hier alles etwas negativ sehen. Weit gefehlt. Dies entspricht, so viel ist gewiss, ganz und gar nicht meinem Eindruck von diesem Land.

Taiwan ist eine Schatzinsel. Sie ist fabelhaft. Sie ist zu einem Zuhause geworden. In drei Monaten werde ich zurückfliegen, nach Deutschland. Das macht drei Newsletter und drei Artikel, in denen ich erzählen möchte, was ich vermissen werde.

 

 

 

      1. Taipei 101

Nie werde ich das Kribbeln vergessen, als ich zum ersten Mal am Taipei 101 hochsah. In seinem türkisfarbenen Glasmantel brach sie die Sonne, der blaue Himmel spiegelte sich darin. 101 Stockwerke, 508 Meter, bis 2007 war er der höchste Wolkenkratzer der Welt. Für mich ist er auch einer der schönsten. Ich sehe ihn jeden Tag aus der Ferne, wenn ich während des Unterrichts aus dem Fenster schaue. Er überragt die Stadt, er ist ihr Wahrzeichen, zu Recht ihr Stolz. Sein Design ist schlicht, erinnert an eine Pagode, an einen Bambus vielleicht. Er ist gigantisch und trotzdem dezent, niemals furchteinflößend. Und steht man oben, sieht die Sonne untergehen, so bleibt einem das Herz stehen vor Freude.

 

       2. Nachtmärkte (1) - Shida

Freitag- und Samstagabend wird das Viertel um die Shida zu einem Strudel und nichts macht mehr Spaß, als sich in ihn hineinzuwerfen, sich von den Menschen treiben zu lassen. Alles zieht zu einem Punkt, zu den Straßen, wo sich der Nachtmarkt befindet. Auf dem Weg von der MRT-Station Taipower Building dorthin werden einige Köstlichkeiten verkauft, wie die frischesten Baozi der Stadt, Spring Onion Cakes, gegrillte Mais-Spieße und frische Fruchtsäfte. Je näher man dem Nachtmarkt kommt, umso mehr Händler wuseln auf den Straßen herum, bauen ihre provisorischen Stände, Klapptische und Decken, auf. Bürsten, Socken, Lockenwickler, Kleider, Handspiegel, Schals – alles, alles wird hier verkauft. Die Kleidung, die sie anbieten, ist nicht so billig wie in China, aber schöner, moderner, oft vom koreanischen und japanischen Stil beeinflusst. Die Läden im Shida-Viertel sind meistens schrill und kreativ eingerichtet, nicht selten wuselt ein freundliches Schoßhündchen mit lila Glitzer-Fliege um den Hals herum. Wer sich nicht von den Köstlichkeiten, die an den Ständen verkauft werden, verführen lässt oder an akutem Käse-Entzug leidet, muss unbedingt ins Toasteria Café gehen. Dort gibt es knusprig-krosse Panini mit unterschiedlichsten Füllungen. Dazu ein kaltes St. Miguel und die Welt ist in Ordnung.

 

      3. Die Menschen

Ich hasse sie, die Leute hier! Die sind so unfreundlich, in Peking sind alle viel netter! – Als ich diesen Satz von einem amerikanischen Bekannten zum ersten Mal hörte, dachte ich a) Ironie oder b) Vollpfosten. Letzteres, so ergab näheres Nachfragen, traf leider zu. Der junge Mann war von seiner Aussage überzeugt und ich frage mich bis heute, ob wir uns in zwei unterschiedlichen Ländern aufhalten. Nach sieben Monaten in Shanghai fand ich selbst die Menschen in der Hauptstadt auch äußerst charmant – aber es ist ja alles relativ. Hier in Taipeh jedenfalls schubst fast keiner, man spricht leise in öffentlichen Verkehrsmitteln, reiht sich, wie ja schon so oft gepriesen, ordentlichst in Schlangen ein, lächelt seinen Mitmenschen zu, rotzt nicht herum, kaut kein Kaugummi in der MRT, ist hilfsbereit, aufmerksam. Ein kleines Beispiel: Wir waren in Lugang, was auch immer uns dorthin geführt hatte. Wir hatten es, irrtümlicherweise, für ein grandioses Ausflugsziel gehalten. Als wir dort aber ankamen, fanden wir uns kaum zurecht. Und schon war da eine hilfsbereite Schülerin, etwa 15 Jahre jung, die gerade auf dem Weg war, um ihre Freundinnen zu treffen. Sie sah uns, ward neugierig und fragte, ob wir Hilfe bräuchten. Ehe wir uns versahen, brachte sie uns zum größten Tempel der Stadt. (Ohne sie hätte es Stunden gebraucht, ihn zu finden.) Dort wurden wir an eine Horde noch jüngerer Schüler weitergegeben, die wochenends kostenlose Besuchertouren geben – freiwillig. Wir erfuhren alles über diesen Tempel, die freundlichen, wenngleich etwas schüchternen Frühpubertierenden waren bestens vorbereitet. Plötzlich aber gab es einen Aufruhr und drei Damen mittleren Alters wurden zu uns gezogen. Diese Drei sprachen fließend Englisch und baten uns eine Stadttour geben zu dürfen. Am nächsten Tag käme eine große Gruppe internationaler Studenten, für die sie eine Tour organsierten. Heute sei die Generalprobe, mit echten Austauschstudenten sei das alles viel authentischer. In mir, traumatisiert durch meine Reise durch China, während der immer alle Fremden Geld wollten und noch dazu sehr viel, schrillten die Alarmglocken. Meine finnischen Freunde trabten aber schon hinterher, es war zu spät. Wir sahen alles von Lugang: Die alte Kaufmannsstraße, eine Mauer aus Krügen, einen schönen Park und vieles mehr. Unsere Reiseführerinnen durften wir nicht einmal auf ein Getränk einladen. Sie lotsten uns durch kleine, zauberhafte Gassen, verwinkelte Straßen und brachten uns zu Lugangs Hotspots, die, erst mal gefunden, doch einiges hermachten. Nach drei Stunden setzten sie uns wieder in einen Bus zum Bahnhof. Bald fährt der letzte Zug nach Taipeh, den sollt ihr nicht verpassen, rief man uns hinterher. Man winkte. Man lachte. Man wunderte sich. Letzteres taten wir – über so viel ehrliche Freundlichkeit. Dies war am Anfang meines Austauschjahres und heute weiß ich, dass diese offene und liebenswerte Art kein Einzelfall auf der Insel ist, sondern einem täglich begegnet.

 

Viktoria Dümer

 

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Ausstellung: 100 Jahre Republik China (Regierungspräsidium Karlsruhe)

 

Fotoausstellung 100 Jahre Republik China

Chinesische Holzschnitte aus Taiwan

 

Vom 25.03.2011 bis zum 17.04.2011 hatten Besucher die Möglichkeit im Regierungspräsidium Karlsruhe eine Ausstellung zu besuchen, die von der Deutsch-Chinesischen Gesellschaft e.V. - Freunde Taiwans, dem Verein der Überseechinesen in Deutschland zur Förderung der Wirtschaft-und Handelsbeziehungen e.V. sowie dem Regierungspräsidium Karlsruhe organisiert wurde.

Zu sehen waren Fotos zur 100-jährigen Geschichte der Republik Chinas unter dem Titel „Unsere Spuren zurückverfolgen - Eine fotografische Reise durch 100 Jahre Republik China“ (細數走過的腳步 - 建國一百年影像展), sowie chinesische Holzschnitte mit Motiven der chinesischen Tierkreiszeichen. Die Fotografien sollten die Entwicklung Taiwans hin zu einer wohlhabenden Demokratie aus allen Blickwinkeln der Gesellschaft zeigen und dem Besucher die Möglichkeit bieten, „sich an die Vergangenheit zu erinnern, die Gegenwart zu schätzen und sich auf die Zukunft zu freuen.“ (Ausstellungskatalog, S.7).

Aufgelockert durch Videopräsentationen kultureller Highlights Taiwans sowie die Vorführung einer traditionellen Teezeremonie, zielte die Ausstellung mit einer Mischung aus Geschichte und Information über Taiwan als Ziel für Touristen, Studenten und Berufstätige darauf ab, auch den Taiwan-Unkundigen über Land und Kultur zu informieren. Eine große Anzahl verschiedener Archive und Organisation stellten Bilder - von schwarz-weiß Aufnahmen aus dem Jahre 1912 bis hin zu aktuellen Farbfotos von 2010 – zur Ausstellung bei. Das älteste Bild stellt Sun Yat-sen bei seinem Amtsantritt als provisorischer Staatspräsident in Nanjing dar. Das jüngste dagegen die Gemüsehändlerin Chen Shu-chu (陳樹菊) aus dem Landkreis Taitung, die im Jahre 2010 aufgrund einer Geldspende von 10 Millionen angesparter Taiwandollar in die Liste der „Time 100“-Ausgabe des time magazine gewählt wurde.

Am 09. April hatte SHAN die Möglichkeit am offiziellen Rahmenprogramm der Ausstellung teilzunehmen, bei dem drei Vorträge über verschiedene Aspekte der Republik China, sowie eine abschließende Podiumsdiskussion im Vordergrund standen. Zu hören waren neben einem Vortrag von Dr. Thomas Weyrauch „Die geschichtliche Entwicklung der Republik China 1911-2011“ ein Vortrag von Prof. Dr. h.c. Gottfried-Karl Kindermann: „Sun Yat-sen – Führer und Begründer der demokratischen Revolution in China“ und Dr. Rolf Geffkens Vortrag zu „Menschenrechte und sozialer Fortschritt in Taiwan – ein Zukunftsmodell?“ Während die beiden ersten Vorträge unterhaltsam die Geschichte der Republik China und die Rolle Sun Yat-sens als „charismatischer Führer“ der Revolution von 1911 herausstellten, bot der dritte Vortrag einen informativen wie auch interessanten Einblick ins Arbeitsrecht Taiwans, insbesondere auch im internationalen Vergleich. Herr Dr. Geffken kam dabei zu dem Schluss, dass gerade die Präsenz von Arbeitnehmerrecht (und Verstöße gegen dieses) in den Medien sowie eine aufmerksame Öffentlichkeit zur einer sich fortlaufend verbessernden Stellung der Arbeitnehmer auf Taiwan führe. Außerdem würden sich alle wichtigen politischen Parteien für das Arbeitnehmerrecht einsetzen und somit sei die Durchlässigkeit der sozialen Schichten in der Republik China auf Taiwan besonders groß. Für Lacher sorgte außerdem die Bemerkung, dass wer eine Ehe schließt automatisch Anrecht auf acht freie (allerdings unbezahlte) Tage erhält.

Im Anschluss an die Podiumsdiskussion fand außerdem noch ein Zwischenstopp des weltweiten Fackellaufs der Overseas Compatriot Affairs Commission (OCAC) zur Feier des 100-jährigen Bestehens der Republik China statt.

 

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Zuletzt bearbeitet von: AF
Letzte Änderung: 04.12.2014
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