Newsletter August 2010 Nr. 45

INHALT

Von Asien inspiriert - Ein Besuch bei Dagmar Roederer

Farbenprächtige Paravents, bunte, leuchtende Kugeln und große und kleine Drachen soweit  das Auge reicht. Das ist der erste Eindruck, den ein Besucher bekommt, wenn er das Atelier von Dagmar Roederer betritt. Wie für die Mannheimer Künstlerin ostasiatische Motive zum Motiv ihres künstlerischen Lebens wurden, hat sie SHAN bei einem Besuch berichtet. 

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Studenten aus aller Welt in Heidelberg

Xu Miao (26 Jahre) studiert seit drei Jahren Sinologie in Heidelberg. Die Idee, dass eine Chinesin in Deutschland Sinologie studiert, löste oft Erstaunen aus und traf zum Teil auf Unverständnis. Warum sie trotzdem an ihrem Plan festhielt, welche Eindrücke und Erfahrungen sie in Heidelberg sammelte, lesen Sie in diesem sehr persönlichen Artikel

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Chinesische Untergrundbewegung: Die erste U-Bahn in der Hauptstadt der Volksrepublik

Wer in den siebziger oder achtziger Jahren Beijing besuchte, hat oft nicht bemerkt, daß die Stadt eine Untergrundbahn besaß. Auf den frühen Stadtplänen war sie nicht zu finden, im Straßenbild fielen die Bahnhöfe kaum auf, die erste U-Bahn der Volksrepublik wurde selten erwähnt. In unserem Artikel lösen sich einige Rätsel um die erste Untergrundbahn Chinas.

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Sommerschule Chinesisches Recht in Göttingen

An der Universität Göttingen findet jedes Jahr im Juli die Göttinger Sommerschule zum chinesischen Recht statt. Die Sommerschule wird nun bereits zum fünften Mal vom Deutsch-Chinesischen Institut für Rechtswissenschaft veranstaltet. Letztes Jahr nahm Nils Pelzer an diesem einwöchigen Kurs teil. Für SHAN lies er seine Erlebnisse und Erkenntnisse in Göttingen  revue passieren.

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Der erste Professor für Ostasiatische Kunstgeschichte: Dietrich Seckel (1910-2007)

Vor hundert Jahren - am 6. August 1910 - wurde Dietrich Seckel, der erste Professor der Ostasiatischen Kunstgeschichte, in Berlin geboren. In diesem Herbst wird er mit einer Ausstellung in der Universitätsbibliothek geehrt. Zur gleichen Zeit geht nun sein Schüler und Nachfolger - Prof. Lothar Ledderose - in den Ruhestand.  Einblick in Leben und Wirken gibt unser Artikel.

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Junges Blut(h) bei Lehraufträgen - Ein Kurs bei Cora Jungbluth

Für jeden Studenten ist es interessante etwas über Kurse zu erfahren, die man selbst nicht oder noch nicht gemacht hat. Diesen Sommer gab es ein besonderes Proseminar, das von Cora Jungbluth unterrichtet wurde, die selbst noch vor kurzem Studentin war und momentan an ihrer Promotion arbeitet. Das zweiteilige Blockseminar behandelte die chinesische Wirtschaftsentwicklung seit 1978 und analysierte, anhand von wichtigen politischen und wirtschaftlichen Ereignissen seit der Öffnung, den wirtschaftlichen Entwicklungsprozess Chinas.

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Von Asien inspiriert - Ein Besuch bei Dagmar Roederer

Schon beim Betreten der Eingangshalle taucht man ein in eine andere Welt. Große farbenprächtige Paravents ziehen sofort die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich. Beim genaueren Hinsehen, entdeckt man bereits überall die Handschrift Künstlerin. Aber erst im hellen Atelier entfaltet sich die ganze Pracht und man wird mitgerissen von Farben und Fomen auf zahlreichen Leinwänden und vor allem von der Beigesterung und Freude von Dagmar Roederer. 1951 in Mannheim geboren, arbeitete Dagmar Roederer nach ihrem Abitur erst als Werkstudentin am Nationaltheater in Mannheim. Seit 1975 ist sie als freischaffende Künstlerin tätig.

Die ornamentalen Ölgemälde, die heute das Bild des Ateliers prägen, gehören in ihre jüngere Schaffensphase. Zu Anfang ihrer Laufbahn arbeitete Frau Roederer hauptsächlich an Bleistiftzeichnungen und Stillleben. Doch irgendwann wurde ihr dies zu eintönig und langweilig. Es war der Zufall , der Dagmar Roederer zu dem Motiv führte, das zum  Thema ihres künstlerischen Lebens geworden ist. Während der Arbeiten an einer Zeichnung, fiel ein Lichtstrahl auf eine kleine chinesische Vase. Dieses Bild war so bewegt, so bunt, dass es den Blick der Künstlerin gefangen hielt. Sie begann die Vase abzuzeichnen, dies markierte den Beginn einer Leidenschaft. Es blieb nicht beim bloßen Abzeichnen des Objekts, die Figuren auf der Vase begannen durch ihre Pinselstriche zu leben.

Dagmar Roederer variierte dieses Bild immer wieder. Die Figuren wurden größer, traten aus dem Bild heraus, erzählten immer wieder ganz neue Geschichten. "Es ist wie eine Variation im Jazz", so die Künstlerin, "das Thema bleibt, aber es wird einmal mehr einmal weniger variiert." Die Motive scheinen sich zu verselbständigen, wachsen über den ursprünglichen Rahmen hinaus, aber bleiben doch immer noch eine Variation des Ursprungsthemas. Ein Motiv, das immer wieder ins Auge sticht, ist das Motiv des Drachen. "Meine Drachen sind Glücksdrachen", sagt Dagmar Roederer. Sie sind mächtig, sie strahlen Kraft und Energie aus, aber Augen und Gesicht sind immer freundlich, fast fröhlich. Das macht diese Drachen so anziehend. Die fröhlichen Drachen bleiben aber nicht auf der Leinwand. Es gibt sie auf Kacheln oder Paravents, als Zierde über der Tür laden sie zum Eintreten ein, auf lackierten Kugeln lachen sie dem Besucher von Tischen und Regalen entgegen. Auch der Fisch, ein anderes Glückssymbol aus China, findet sich häufig im Werk der Künstlerin und wie die Drachen entdeckt man sie nicht nur auf Leinwand. Ob als Motiv auf gemalten Schalen oder Vasen oder auf orange leuchtenden Kugeln, Formen und Farben sind in der Fantasie der Künstlerin keine Grenzen gesetzt. Besonders sind nicht nur der Variationsreichtum und die Farbenpracht der Werke, sondern auch ihre Entstehung. Überall im Atelier lehnen bunte Leinwände, bedeckt mit Kompositionen aus Orange, Rosa und Türkis, oder Blau, Grün und Rot, die so manch einer schon gerne in diesem Zustand gekauft hätte. Aber diese Farbfeuerwerke sind nur Rohlinge des eigentlichen Kunstwerks. Nach dem Grundieren der Leinwand mit verschiedenen Farben, werden mit schwarzen Pinselstrichen die Konturen der Motive aufgetragen. Im letzten Schritt werden dann Flächen mit Weiß übermalt, erst jetzt erhält das Bild seine letztendliche Gestalt. Ein Prozess, der viel Geduld und Leidenschaft fordert. Die Werke von Frau Roederer wurden bereits in Beijing ausgestellt und fanden auch dort großen Anklang. Dass diese kraftvollen Bilder von einer Frau gemalt wurden, gab in China allerdings immer wieder Anlass zu Erstaunen und  Bewunderung. Durch den ihr eigenen Stil ist Dagmar Roederer als Künstlerin nicht zu verwechseln, aber nie gleich. Das macht den ganz besonderen Reiz an ihrer Arbeit aus, in der man immer wieder neue Details, neue Variationen und neue Welten entdecken kann. Ihre Kunst und Technik sind europäisch, ihre Inspiration erhält sie von ostasiatischen Kunstgegenständen.

 

Sylvia Schneider

 

Mehr zur Künstlerin unter www.dagmar-roederer.de

Aktuelle Ausstellung im Konfuzius-Institut Heidelberg noch bis zum 3. Oktober 2010.

 

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Studenten aus aller Welt in Heidelberg

 

Xu Miao (徐淼) - Als chinesische Sinologin in Deutschland.

Als ich mich vor drei Jahren entschieden habe, nach Heidelberg zu kommen und hier Sinologie zu studieren, sagte eine DAAD-Dozentin zu mir: „Das ist aber eine bescheuerte Idee.“ Viele Freunde haben damals gefragt, ob es Sinn macht, als Chinesin im Ausland Sinologie zu studieren. Das habe ich mich natürlich auch selbst immer gefragt. Die Idee war am Anfang ganz einfach: Ich möchte China aus einer anderen Perspektive betrachten. Wenn keiner mir wirklich sagen kann, ob ein Sinologiestudium im Ausland sinnvoll ist, dann muss ich es selbst überprüfen.

„Ein Institut mit zugänglichen Professoren“
 Als ich zum ersten Mal das Institut für Sinologie in Heidelberg gesehen habe, habe ich mich echt gewundert, wie klein es ist. Aber die lockere Atmosphäre hat mir sehr gut gefallen. Meine erste Aktivität im Institut war beim Umzug der Insitutsbibliothek zu helfen. Ich kannte damals kaum jemanden am Institut und bin einfach hingegangen und in die Menschenkette des Umzugs eingestiegen. Die Mithelfer waren alle super nett, deswegen habe ich auch alle ganz locker geduzt. Aber in der Pause sagte eine Kommilitonin leise zu mir: „Du bist neu oder? Das ist der große Wagner*! Den lieber nicht duzen.“ Was? Der Herr, der mit uns Bücher getragen, uns Schokolade und Obst gekauft und mit uns auf dem Boden gesessen und Bananen gegessen hat? Wahrscheinlich bin ich deswegen hier geblieben: Ein Institut mit zugänglichen Professoren. Das kann nicht falsch sein.

„Kritisch sein?“
Mein erstes Semester in Heidelberg ging richtig los. Ich habe im Unterricht alles verstanden, hatte aber oft keine Ahnung, worum es ging. Ich konnte am Anfang viele Sachen nicht mit meinem vorherigen Denksystem verknüpfen und kam im Seminar kaum zu Wort. Das Problem war kein sprachliches, sondern die Art und Weise wie man eine Frage stellt und beantwortet und wie man sich an einer Diskussion teilnimmt. Das größte Problem war, dass ich in China nie trainiert habe, andere Leute mit überzeugenden Argumenten zu kritisieren. „Kritisch zu sein“ ist auf Chinesisch fast ein Schimpfwort. Hier muss man diese Fähigkeit aber gut erlernen und anwenden. Langsam habe ich mich daran gewöhnt und es macht mir Spaß mit zu reden. Ich bemerkte auch, dass man durch Kritik zu einer neuen Ebene der Erkenntnisse kommen kann. Aber bis heute habe ich immer noch ein komisches Gefühl, wenn ich im Unterricht „kritisch“ mit anderen Kommilitonen umgehe, obwohl ich mich äußerlich daran angepasst habe.
 

„Ein Wort eines Weisen“
Was ich in China selten erlebt habe und hier sehr toll finde, sind die Sprechstunden mit Professoren. In China spricht man immer von „yin cai shi jiao 因材施教 [Studenten entsprechend ihrer Begabungen lehren]. Aber unter den Bedingungen der Massenbildung in China ist eine solche individuelle Betreuung schwer durchsetzbar. Wenn man in China ins Büro eines Professors gerufen wird, bedeutet es meistens, dass man irgendwas falsch gemacht hat. Hier öffnen die Professoren und Dozenten ihre Türen und bieten Vorschläge für das Studium, wissenschaftliche Arbeit und auch allgemein für das Leben an. Diesen engen Kontakt kann ich mir in China sehr schwer vorstellen. Ein chinesisches Sprichwort lautet: „Ein Wort eines Weisen ist viel mehr wert ,als zehn Jahre Bücher lesen’ (听君一席话胜读十年书)“.  Man kann von den individuellen Gesprächen mit den Professoren wirklich sehr profitieren.

„Was studierst du?“
Man kommt am Ende immer zu der Frage zurück, die viele Sinologen schwer beantworten können - ich als chinesische Sinologin noch schwerer:  „Was studierst du eigentlich?“ Sinologie ist für mich eher ein Forschungsgebiet als ein Fach. Während dieses Studiums habe ich mich mit verschiedenen Themen beschäftigt, die eigentlich auch zu anderen Fächern gehören können: Von Buddhismus bis Geschichtsschreibung, von Wirtschaftssystemen bis zur Aktionskunst. Was ich genau studiert habe, kann ich nicht erklären. Manche Kommilitonen sagen, dass der Studienaufbaubau im Institut nicht systematisch genug ist. Aber ich habe genau von diesem vielleicht nicht so systematischen Studienaufbau, dafür aber sehr breiten Angebot des Institutes profitiert. Man lernt dabei, wie man von fast „Null-Kenntnis“ bis zu einer relativ komplette Arbeit kommt. Ich merke langsam: Es geht nicht mehr darum was ich bei Sinologie studiere, sondern um das „Studieren“ selbst. Es geht darum, dass ich über ein bestimmtes Thema mehr wissen will, mir selbst eine Frage stelle und versuche sie zu beantworten. Bis Heute kann ich immer noch nicht sagen, ob es Sinn macht als eine Chinesin in Deutschland Sinologie zu studieren. Aber während meines Studiums ist mir langsam bewusst geworden, dass diese Frage selbst sinnlos geworden ist. Wichtig ist, ob ich hier die Fähigkeit erlernt habe, selbstständig wissenschaftlich zu arbeiten und selbst den Weg zur Antwort zu finden. Und ich denke, ich kann die Frage mit „Ja“ beantworten.

 

Xu Miao

 

*Gemeint ist Prof. Rudolf Wagner, ehemaliger Leiter des Instituts. Anm. der Redaktion.

Der Umzug der Bibliothek im SHAN-Newsletterarchiv: Mehr als 1000 Meter Bücher umgeräumt – Aktionstage in der Bibliothek des Instituts für Sinologie

 

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Chinesische Untergrundbewegung: Die erste U-Bahn in der Hauptstadt der Volksrepublik

Wer in den siebziger oder achtziger Jahren Beijing besuchte, hat oft nicht bemerkt, daß die Stadt eine Untergrundbahn besaß. Auf den frühen Stadtplänen war sie nicht zu finden, im Straßenbild fielen die Bahnhöfe kaum auf, und auch sonst wurde die erste U-Bahn der Volksrepublik China selten erwähnt. Auch nach Entdeckung des modernsten Transportmittels der Hauptstadt blieben viele Rätsel: die erste Linie verband den Hauptbahnhof mit entlegenen Vororten nahe der Westberge und führte größtenteils durch dünn besiedelte Gebiete. Fachleuten fiel sofort auf, daß in einer solchen Umgebung der Bau von S-Bahnen oder Straßenbahnen weit ökonomischer gewesen wäre. Auch über die vorgesehenen Fahrgäste herrschte Unklarheit, denn der Berufsverkehr war damals in dieser Gegend nicht sehr umfangreich.

Vorgeschichte
So wurde schnell deutlich, daß es andere Gründe für den Bau der ersten unterirdischen Eisenbahn des Landes gegeben haben muß. Aufschlußreich ist das Jahr des Baubeginns: 1965. Zu dieser Zeit wuchs das amerikanische Engagement in Vietnam, gleichzeitig verschlechterten sich die sino-sowjetischen Beziehungen, sodaß die KP-Führung Angriffe auf China und die Hauptstadt befürchtete. Daher wurden in vielen Großstädten und besonders im Zentrum Pekings, wo Partei und Regierung saßen, Schutzmaßnahmen eingeleitet und - vor allem - Tunnel gegraben. Ein deutscher Diplomat erwähnte 1966 eine "Kampagne zur Vorbereitung auf einen Krieg auf chinesischem Territorium" und fuhr fort: "In den westlich vom Zentrum Pekings liegenden Gebirgszügen werden die bereits vorhandenen unterirdischen Anlagen ausgebaut und ein Verbindungsweg zwischen den jetzt im Bau befindlichen Tiefbunkern innerhalb der Stadt und den Anlagen in den Westbergen geschaffen. Beim Tunnelbau und Ausbau der unterirdischen Anlagen sind vorwiegend Armeeangehörige eingesetzt."

Die erste Linie im Krisenjahr
Im Jahr 1969 als es an der Grenze zur Sowjetunion zum "Ussuri-Zwischenfall" kam, wurde die erste Linie fertiggestellt und der Probebetrieb begonnen. Die Endpunkte der über 23km langen Strecke mit 17 Stationen bildeten der alte Hauptbahnhof im Osten und Pingguoyuan im Westen. Abgesehen von zwei, drei Kurven verlief die Strecke schnurgerade und bildete damit eine direkte Verbindung vom Eisenbahnnetz zu den gesperrten Militärbezirken am Fuße der Westberge. Entsprechend gering war die Zahl der Fahrgäste: im ersten Jahr des regulären Betriebs (1971) waren es 8,2 Millionen, also täglich nur etwa 22 000. Diese Zahl stieg dann jährlich um mehr als zwanzig Prozent auf 82 Millionen(1983), das entsprach 220 000 täglich. Aufgrund ihrer besonderen Lage konnte die U-Bahn jedoch die Buslinien kaum entlasten und war für den größten Teil der Bevölkerung nutzlos.

Historische Bauwerke
Schon 1969 wurde mit dem Bau der zweiten Linie begonnen, die in der Welt wohl einzigartig ist. Sie verläuft entlang der früheren Stadtmauer, die Bahnhöfe sind meist nach den Stadttoren (wie z.B. Xizhimen und Chaoyangmen) benannt. Darüber wurde die zweite Ringstraße, eine Art Stadtautobahn, geführt. Tatsächlich wurden nur drei Seiten des Vierecks neu gebaut und mit einem Teil der ersten Linie zu einer Ringbahn verbunden. Der Neubau wurde 1984 fertiggestellt, die Züge fuhren jedoch zunächst in einer U-Form. Erst im Winter 1987-88 wurde für die Linie 1 ein neuer Endbahnhof mit Wendemöglichkeit am Fuxingmen fertig gestellt und auf der Linie 2 mit dem durchgehenden Betrieb begonnen. Damit erreichte das Gesamtnetz eine Länge von 40 Kilometern und besaß 29 Stationen.

Viele Verkehrsmittel
Mit günstigen Tarifen und verbesserten Umsteigemöglichkeiten zu den Bussen wurde die U-Bahn nun für viele Beijinger attraktiver. Nachdem lange Jahre ein Mangel an U-Bahnwagen geherrscht hatte, stieg die Zahl bis 1990 auf 250, die Züge fuhren tagsüber im Abstand von drei bis vier Minuten. Anfang der neunziger Jahre beförderten beide Linien zusammen täglich schon über 1,2 Millionen Fahrgäste. Dennoch blieb die Bedeutung der U-Bahn für den gesamten Personenverkehr der Hauptstadt lange Zeit gering. 1981 lag der Anteil der Fahrgäste bei 1,3% (Busse 53,1%, Fahrräder: 43,3%). Allerdings ist hierbei zu beachten, daß bei der U-Bahn die zurückgelegte Entfernung, Geschwindigkeit und Pünktlichkeit am größten sind. In den letzten beiden Jahrzehnten ist die Bedeutung der U-Bahn für den Hauptstadtverkehr dramatisch gewachsen, ohne sie wären die Olympischen Spiele nicht möglich gewesen.

Durchs Stadtzentrum
Auch nach der Eröffnung der zweiten Linie fehlte eine U-Bahn im Stadtzentrum, der Kaiserpalast und die Einkaufszentren an Xidan und Wangfujin waren weiterhin schlecht erreichbar. Daher wurde die Verlängerung der Linie 1 unter der Chang'an-Allee - am Tiananmen-Platz vorbei - bis in die östlichen Vororte beschlossen. Im Herbst 1992 wurde - zum 14. Parteitag - die Verbindung vom Fuxingmen zur Xidan fertiggestellt. Zur Vermeidung von Verkehrsstaus an einer der belebtesten Kreuzungen Pekings, wurde zum ersten Mal die Tunnelbauweise gewählt und der Straßenverkehr nicht beeinträchtigt. In den folgenden Jahren wurden Stationen am Tor des Himmli-schen Friedens und in der Nähe des Peking-Hotels, sowie am Jianguomen eine Verbindung zur Ringbahn eröffnet.

Der weitere Ausbau
Die Beijinger Stadtplaner hatten weitreichende Pläne für Verbindungen in alle Himmelsrichtungen ausgearbeitet, wobei außerhalb des Stadtzentrums aus Kostengründen überirdische Bauweise attraktiver war. Die Olympiaplanungen und die Zunahme des Autoverkehrs und der damit verbundenen Luftverschmutzung boten gute Gründe für weitere Investitionen. Obwohl die Kosten natürlich hoch waren, profitierte die flache Stadt ohne großen Fluß stark von der geographischen Lage.

Andere Städte
In der Volksrepublik China existierte bis 1993 außer in Beijing nur in der Nachbarstadt Tianjin eine U-Bahn. In Shanghai wurde erst in den neunziger Jahren mit dem Bau der ersten Linie begonnen. Pläne für den Bau von Untergrundbahnen wurden in einem Dutzend weiterer Großstädte umgesetzt. Mit der Rückgabe von Hongkong hat die VR China dann am Ende des Jahrhunderts eines der spektakulärsten und effizientesten U-Bahnsyteme der Welt übernommen.

 
Dr. Thomas Kampen

 

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Sommerschule Chinesisches Recht in Göttingen

An der Universität Göttingen findet jedes Jahr im Juli die Göttinger Sommerschule zum chinesischen Recht statt. Die Sommerschule wird vom Deutsch-Chinesischen Institut für Rechtswissenschaft veranstaltet, welches aus einem Gemeinschaftsprojekt der Universität Göttingen und der Nanjing University hervorgegangen ist. Das Institut bietet verschiedene Programme an, darunter einen Masterstudiengang und ein Promotionsprogramm für chinesische Studenten, Ausbildungsstationen für deutsche Rechtsreferendare und auch nun bereits zum fünften Mal die Sommerschule an der Universität Göttingen. Außerdem können im Institut in Nanjing, wo sich die größte Bibliothek zum deutschen Recht in China befindet, auch Praktika absolviert werden.

Im Jahr 2009 nahm ich an der Sommerschule teil.  Bereits zu Beginn des einwöchigen Kurses, fiel auf, wie bunt gemischt die Gruppe der Teilnehmer war. Neben Jurastudenten, die einen Chinaaufenthalt absolviert hatten oder Chinesisch lernen, nahmen Sinologen und Wirtschaftssinologen und auch chinesische Germanistikstudenten teil. Da die Sommerschule auch als Wahlpflichtveranstaltung im Rahmen des Jurastudiums belegt werden kann, gab es auch einige Teilnehmer, die sich zum ersten Mal mit China und dem chinesischen Rechtssystem beschäftigten. Zunächst schien es daher schwierig, die unterschiedlichen Vorkenntnisse auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Den Organisatoren gelang dies aber durch eine gute Mischung aus einführenden Erklärungen und Vorträge auf hohem Niveau.

Den Hauptteil des Kurses bildete die Vorlesung zum chinesischen Wirtschaftsrecht von Dr. Knut Benjamin Pißler, der seit 2002 China-Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches Privatrecht in Hamburg ist.  Da sich Dr. Pißler schon seit mehr als fünfzehn Jahren mit chinesischen Recht beschäftigt, war es spannend, von seinem Erfahrungsschatz zu profitieren. Thema waren unter anderem Grundzüge des chinesischen Wirtschaftsrechts von den Grundlagen des Gesetzgebungsverfahrens über das Vertragsrecht bis zum Gesellschaftsrecht mit seinen verschiedenen Formen von Gesellschaftsbeteiligungen und -übernahmen.

Nachmittags wurden Vorträge von Doktoranden, Wissenschaftlern und Praktikern angeboten, die andere Rechtsgebiete abdeckten. So gab es Referate zum neuen Arbeitsvertragsgesetz und zum neuen Sachenrechtsgesetz. Beeindruckend waren die Vorträge von Professor Frank Hammel, der in Nanjing lehrt und gleichzeitig als Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz tätig ist, oder Dr. Björn Ahl von der City University of Hong Kong, der sich vor allem  mit dem öffentlichen Recht Chinas beschäftigt. Neben einer Teilnahmebestätgung an den insgesamt 32 Vorlesungsstunden der Summer School bestand zudem die Möglichkeit, ein take-home exam abzulegen und dafür ein Zeugnis zu erhalten.

Mindestens ebenso spannend wie Unterricht und Vorträge, waren aber sicherlich die Unterhaltungen mit anderen Teilnehmern. Schon aus diesem Grund kann ich allen Interessierten eine Teilnahme an der Sommerschule nur empfehlen. Neben der Gelegenheit, Guanxi zu knüpfen, ist Göttingen auch eine wunderschöne und beschauliche Studentenstadt, deren Nachtleben nicht zu vernachlässigen ist. Insgesamt war das Programm sehr ausgewogen und ließ auch diese Aspekte nicht zu kurz kommen; so organisierte man für die Teilnehmer eine Stadtführung und einen gemeinsamen Abend in einer Cocktailbar. Eine gute Gelegenheit für alle sich näher kennen zu lernen und die Themen des Tages zu vertiefen.

Nils Pelzer

Nähere Informationen finden sich auf http://www.deutschchinesischesinstitut.uni-goettingen.de.
Artikel zur Summer-School: http://www.juraforum.de/wissenschaft/summer-school-an-der-universitaet-goettingen-von-internationalen-finanzsystemen-bis-nachhaltigkeit-328079

 

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Der erste Professor für Ostasiatische Kunstgeschichte: Dietrich Seckel (1910-2007)

Vor hundert Jahren - am 6. August 1910 - wurde Dietrich Seckel, der erste Professor der Ostasiatischen Kunstgeschichte, in Berlin geboren. In diesem Herbst wird er mit einer Ausstellung in der Universitätsbibliothek geehrt. Zur gleichen Zeit geht nun sein Schüler und Nachfolger - Prof. Lothar Ledderose - in den Ruhestand. (http://www.uni-heidelberg.de/presse/news07/2702osta.html) Diese beiden Kunsthistoriker haben das Fach ein halbes Jahrhundert lang geprägt und daneben den Aufbau der Heidelberger Sinologie und Japanologie gefördert.

Seckel studierte in Berlin Germanistik und ging nach der Promotion (1936) nach Japan. Da bald darauf in Ostasien und Europa der Krieg ausbrach, blieb er bis zum Ende in Japan, wodurch ihm aktiver Militärdienst erspart blieb. Er hatte Kontakt mit deutschen Diplomaten, Offizieren und Spionen, wie z.B. Richard Sorge, der in dieser Zeit in der deutschen Botschaft verkehrte. Allerdings hatte sich Seckel einen ungewöhnlichen Ort für seine Tätigkeit als Deutschlehrer ausgesucht: Hiroshima. Er verließ den damals völlig unbekannten Ort jedoch schon nach wenigen Jahren und ging in den Norden Japans. Nach dem Krieg mußte er - wie die meisten Deutschen - das Land verlassen, kehrte aber nicht in seine zerstörte Heimatstadt zurück, sondern ließ sich in Südwestdeutschland nieder.

Seckel habilitierte sich 1948 an der Universität Heidelberg mit einer Arbeit, die er wohl größtenteils in Japan verfaßt hatte. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit als Privatdozent und wissenschaftlicher Rat übernahm er 1965 das Ordinariat für Kunstgeschichte Ostasiens. Kurz zuvor war auch die Heidelberger Sinologie wiederbelebt worden. (Vgl. SHAN-NL Nr. 17, Dezember 2007) In den achtziger Jahren kam die Japanologie dazu.(Vgl. SHAN-NL Nr. 33, Mai 2009) Seckel emeriterte zwar schon 1976 blieb aber für weitere drei Jahrzehnte als Forscher, Autor und Redner aktiv. Seine bekanntesten Werke waren Buddhistische Kunst Ostasiens (1957), Einführung in die Kunst Ostasiens (1960), Kunst des Buddhismus (1980), Tempelnamen in Japan (1985) und Porträt in Ostasien (1997-2005).


Literatur:

Zahlreiche Werke von Prof. Seckel sind in der Universitätsbibliothek und
in verschiedenen Institutsbibliotheken zu finden.

Dietrich Seckel: Schriftenverzeichnis, Frankfurt, 1981.

Lothar Ledderose: Dietrich Seckel zum Gedenken, NOAG 181-182 (2007), 7-12.


Dr. Thomas Kampen

 

Im Zugangsbereich zur Ausleihe der Universitätsbibliothek (Plöck 107 -109) beschäftigt sich derzeit eine Ausstellung mit Leben und Werk von Prof. Dr. Dietrich Seckel. Erarbeitet wurde sie von Mitarbeitern des Instituts für Kunstgeschichte Ostasiens der Univrsität Heidelbger. Zu sehen sind Exponate aus dem Universitätsarchiv Heidelberg sowie Leihgaben aus einer Privatsammlung. Die Ausstellung kann zu den Öffnungszeiten der Bibliothek besichtigt werden. Der Eintritt ist frei. Weitere Informationen finden Sie unter: http://iko.uni-hd.de und in der Ausgabe der Rhein-Neckar-Zeitung vom 7./8.8.2010: http://iko.uni-hd.de/md/zo/iko/medien/presse/rnz_2010-08-07-08_seckel.pdf

 

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Junges Blut(h) bei Lehraufträgen - Ein Kurs bei Cora Jungbluth

Das Semester ist vorbei, und man hat hoffentlich zahlreiche Feedbackbögen ausgefüllt, damit Dozenten die Möglichkeit bekommen, die Stärken und Schwächen ihres Kurses realistisch einzuschätzen. Doch ist es  auch für Studenten interessant, etwas über Kurse zu erfahren, die sie selbst nicht oder noch nicht gemacht haben. Ein besonderes Proseminar, das dieses Semester angeboten wurde, war "Die chinesische Wirtschaft im Wandel: 30 Jahre Reform und Öffnung 1978-2008", denn dieser Kurs wurde von Cora Jungbluth unterrichtet, die selbst noch vor kurzem Studentin war und momentan  an ihrer Promotion arbeitet. Den Lehrauftrag erhielt sie im Rahmen des von Studiengebühren finanzierten Projektes, das  in Heidelberg magistrierten Absolventen ermöglicht ein Proseminar oder eine Übung zu halten. Momentan wird ein Lehrauftrag pro Semester vergeben.

Einen solchen Kurs zu geben, ist sicher für jeden Absolventen eine spannende Erfahrung, denn man nimmt nicht nur für die kurze Zeit eines Vortrages oder Referates den Platz des Unterrichtenden ein, sondern ist für ein ganzes Semester, oder in diesem Fall für die Zeitspanne mehrerer Blockveranstaltungen, Ansprechpartner für ungeklärte Fragen. Diese Herausforderung hat Cora nicht nur wunderbar gemeistert, sie selbst hatte auch sehr viel Spaß an dem Seminar, wie sie SHAN im Interview verriet. Deswegen könnte sie sich durchaus auch vorstellen, sich wieder für Lehraufträge zu bewerben. Das wichtigste beim Unterrichten ist für Cora, sich an Kursen zu orientieren, die ihr selbst als Studentin gut gefallen haben. Dazu fiel ihr als erstes die „Einführung in die chinesische Wirtschaft“ von Michael Meyer ein. An jenem Kurs fand sie gut, dass er gut strukturiert war, die Anforderungen klar formuliert waren, und das Lesepensum war schaffbar war, und dabei eine gute Grundlagen für Diskussionen lieferte.

Coras zweiteiliges Blockseminar begann mit der Öffnung Chinas 1978 und vermittelte zunächst ein Bild davon, wie China zum damaligen Zeitpunkt wirtschaftlich aufgestellt war, zusammen mit den historischen Hintergründen der Öffnung. Im Laufe des ersten Blocks wurden davon ausgehend die Reform der Landwirtschaft und später der Industrie besprochen. Mit diesen Grundlagen beschäftigten wir uns im zweiten Block zunächst mit weiteren Reformen, nämlich im Banksektor, und schließlich mit Geschehnissen der jüngeren Vergangenheit: die Asienkrise, Chinas WTO-Beitritt, die Problematik von Ökonomie und Ökologie, und natürlich auch mit der Finanzkrise. Mit diesem breiten Themenspektrum hat Cora ihr selbstgesetztes Ziel erfüllt einen gut strukturierten Gesamtüberblick über den Öffnungsprozess von Chinas Wirtschaft zu geben. Die Themen des Kurses knüpfen teilweise an ihre eigenen Forschungen, d.h. Doktorarbeit, an, gingen aber noch weiter. In ihrer Arbeit analysiert sie die Internationalisierung chinesischer Unternehmen, was ein zentraler Bestandteil der Öffnung darstellt, auf politischer, ökonomischer und interkultureller Ebene. Die Idee für die Arbeit lieferte ihr ein Artikel über chinesische Unternehmen, die deutsche Unternehmen übernehmen und in diesem Zusammenhang die so genannte zouchuqu-Strategie. Diese Strategie beschreibt die Förderung chinesischer Investitionen im Ausland, die erst seit etwa 1999 von der Regierung betrieben wird, um chinesische Marken im Ausland bekannter zu machen und das belastete  „Made in China“-Image abzuschütteln. Nicht zuletzt spielt dabei auch die Hoffnung auf neue Technologien eine Rolle, die bei ausländischen Investitionen nach China nicht immer mitgebracht werden. Die zouchuqu-Strategie wurde auch in Coras Seminar besprochen und ist nur eines von vielen interessanten Themen, bei denen, trotz des Anspruchs, einen Überblick zu geben, nicht versäumt wurde, in die Tiefe zu gehen.

Von Coras ersten Kontakten mit China im Chinarestaurant, wo sie neben unser aller Liebe zum chinesischen Essen ihre Faszination für die chinesische Schrift entdeckte, über ihren ersten Aufenthalt in China an der Shanghai Waiguoyu Daxue im Jahr 2000, bis zu ihrer näher rückenden Promotion, hat sie alle Höhen und Tiefen eines Sinologiestudiums durchgemacht. Ein Fazit, das sie daraus zieht, ist folgendes: wenn man sein Studium als Sinologe abgeschlossen hat, hat man wirklich etwas geleistet, und man sollte sich nicht davon einschüchtern lassen, dass man kein so genanntes „hartes Fach“, wie BWL oder Jura, studiert hat. Denn Sinologie ist ein sehr individuelles Fach, und allein herauszufinden, in welche Richtung man gehen möchte, ist eine Herausforderung. Dies scheint Cora geglückt zu sein. Ich freue mich auf weitere Kurse von ihr und anderen Magistrierten.

Sophia Zasche

 

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Zuletzt bearbeitet von: AF
Letzte Änderung: 04.12.2014
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