Newsletter Dezember 2009 Nr. 38

INHALT

Most wanted: Nachfolge für Professor Wagner

Wer wird es werden? Und wer hat sich überhaupt beworben? Für alle, die die Vorträge im Rahmen der Neubesetzung von Prof. Wagners Stelle verpasst haben, hat SHAN die fünf Kandidaten interviewt.

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China's Brave New World: Nach der Buchmesse ist vor der Expo

Er ist einer der renommiertesten Sinologen weltweit und schafft etwas, was nicht immer selbstverständlich ist. Ihm gelingen Bücher, die ein breites Publikum fesseln, und Vorträge, die lebendig Chinas Entwicklung zum Ausdruck bringen. Er ist Herausgeber des Blogs China Beat und unterrichtet an der UC Irvine: Professor Jeffrey N. Wasserstrom. In Heidelberg hielt er die Vortragsreihe "China Beat - Mega-events and Recent Trends in transcultural China" und gab interessante Einblicke in seine Forschung.

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Die Sowjetunion und die Gründung der Volksrepublik China (1949)

Lange herrschte große Unklarheit über die konkreten Vorbereitungen zur Gründung der Volksrepublik, über die Festlegung des 1. Oktobers als Gründungstag und Maos Moskaureise. Neuere chinesische und russischen Publikationen - vor allem in Memoiren von früheren Diplomaten und Dolmetschern - geben jetzt Aufschluss über diese wichtigen Ereignisse.

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Erzählen Sie mal, ... Frau Labitzky-Wagner!

Jeder kennt sie, sie ist das Herz der Institutsbibliothek: Frau Labitzky-Wagner. SHAN hat mit ihr über ihr Sinologie-Studium, ihre Zeit in China und ihren beruflichen Werdegang gesprochen.

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"Ich mag das Abseitige" - Interview mit der Autorin Zhang Yueran

Zhang Yueran wurde 1982 in der Provinz Shandong geboren und studierte Informatik in Singapur. Schon mit 14 veröffentlichte sie erste Erzählungen. Im September gab sie zusammen mit Jing Yongming eine von SHAN organisierte Lesung im Karl-Jaspers Center. Im Interview erzählt sie von ihren Umwegen zur Literatur, ihrem Werk und ihren Kollegen.

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Most wanted: Nachfolge für Prof. Wagner

Wer wird es werden? Diese Frage schwebt über dem Zentrum für Ostasienwissenschaften, seitdem am 24. November der Startschuss für die Neubesetzung der W3-Professur für Sinologie fiel. In einer von der Fachschaft organisierten Fragerunde mit den einzelnen Kandidaten hatten alle Studenten die Möglichkeit, die fünf Bewerber kennen zu lernen. Am 25. November hielten sie ihre Bewerbungsvorträge – auch hier konnten Studenten und Dozenten, die nicht dem offiziellen Ausschuss angehören, teilnehmen. Für alle, die nicht die Möglichkeit hatten, sich einen persönlichen Eindruck zu machen, hat SHAN die fünf Kandidaten interviewt.

Herr Prof. Dr. Hans van Ess, Universität München
Thema des Vortrags: „China, die Mittellande und das Reich der Mitte: Bemerkungen zu einem einflussreichen Staatskonzept“

1.) Warum haben Sie sich beworben?
Weil es nur sehr wenige sinologische Institute in Deutschland gibt, die so gut ausgestattet sind, wie das Heidelberger Institut. Weil die Stelle meines Erachtens genau zu dem passt, was ich gerne tun würde, nämlich klassische Sinologie unterrichten mit einer Verbindung zu interessanten Kollegen, die sich um die neueren Phasen der chinesischen Geschichte kümmern.

2.) Ihre Lieblingsdynastie?
Die Han-Dynastie.

3.) Warum?
Ich finde die Texte dieser Periode am frischesten. Sie strotzen von Lebendigkeit. In späterer Zeit habe ich manchmal den Eindruck, dass chinesische Autoren zu gelehrt dafür waren.

Frau PD Dr. Dagmar Schäfer, MPIWG Berlin
Thema des Vortrags: „Wissen zwischen Objekt und Text: Inschriften im Vormodernen China“

1.) Warum haben Sie sich beworben?
Heidelberg hat in Deutschland eine einzigartige Kombination an Kompetenzen im Bereich Ostasien, aber im Bezug auf das Spannungsfeld philologische Tradition und Kunstgeschichte. Das ist für meinen Bereich der Technikgeschichte vormodernes China sehr gut.

2.) Ihre Lieblingsdynastie?
Naja, ist ja keine Farbe, und eigentlich eine wirklich schwere Frage, daher hoffe ich Sie verzeihen, wenn ich die Frage unbeantwortet lasse.

3.) Weshalb?
Weil mich weniger als eine Dynastie der Kontrast zwischen Veränderung und scheinbarer Kontinuität interessiert, und welche Rolle das Konzept der Dynastie darin spielt, als rhetorische Figur, als politisches Instrument, oder soziales Paradigma. Unter dieser Prämisse die Song/Liao/Jin bis Yuan Dynastie und das 17. Jhd.

Herr Prof. Dr. Yuri Pines, The Hebrew University, Jerusalem
Thema des Vortrags: „The First Emperor as a Historical Junction: The Messianic Interpretation“

1.) Why did you apply for the job?
Several reasons prompted my application. First, and most important, I admire the Institute of Sinology at Heidelberg University as one of the best Sinological Department in Europe: an excellent place with brilliant colleagues and an enviable research atmosphere. Second, the job description appeared as particularly fitting my field of research: similarly to Prof. Wagner I try to combine my interest in China’s past with that in China’s present; and from the job description I knew that the Institute does not follow the erroneous practice of artificially breaking Chinese history into the supposedly unrelated “pre-modern” and “modern” entities. Third, Heidelberg is also one of the nicest towns in Europe, staying in which is a great pleasure. Finally, while I am greatly satisfied with my position at my home university, I am not at all happy with staying in the state Israel. Thus, although generally I am not seeking relocation, the job opening at Heidelberg was so attractive as to entice me to try my chance.

2.) What’s your favourite dynasty?
Warring States period and the Qin dynasty.

3.) Why?
The Warring States period was exceptionally vibrant and dynamic. It was an age of an “open-end” situation without solid orthodoxy and without fixed rules of the game. Ideas and values were freely aired, debated and rejected, and the position of the intellectuals was particularly high. It was also a formative age of the Chinese imperial polity – the most durable political entity in human history. Hence, this period is both attractive intellectually and exceptionally important in terms of its lasting historical impact. In addition, the field of studies of early China itself is very vibrant due to “archeological revolution” which introduced a great variety of new data and allowed reconsidering many established research truths. In addition, since many aspects of the Warring States and Qin history remain highly controversial, this period is exceptionally intellectually engaging: hence my love of it.

Herr Prof. Dr. Martin Kern, Princeton University, USA
Thema des Vortrags: „Von Qu Yuan zu Sima Qian: Der inszenierte Autor in der Westlichen Han-Zeit“

1.) Warum haben Sie sich beworben?
Mit dem Cluster “Asia and Europe”, den starken Ostasienstudien (Sinologie, aber auch Japanologie und Ostasiatische Kunstgeschichte) und der geballten Kraft in den Geisteswissenschaften allgemein bietet Heidelberg die bei weitem besten Perspektiven in Europa. Dazu kommt die Attraktivität der Stadt, and so wäre Heidelberg eine echte Chance für mich und meine Familie, nach Deutschland zurückzukehren.

2.) Ihre Lieblingsdynastie?
Da kann ich mich nie entscheiden – besonders interessieren mich die frühen Dynastien (Zhou bis Song), doch jede aus anderen Gründen.

3.) Weshalb?
Ganz knapp und holzschnittartig: Die Zhou als die prägende Periode in der frühen Entwicklung der chinesischen Geistesgeschichte; die Han für die vielschichtige weitere Entwicklung von der performativen Ritual- zur Schriftkultur; die Sechs Dynastien, Tang und Song für Dichtung und Kalligraphie. Die stetig anwachsenden Manuskriptfunde aus dem 4. bis 1. Jh. v.Chr. eröffnen faszinierende neue Pespektiven auf das frühe China, aber ebenso inspirierend ist Du Fus unendlich auslegbare Lyrik im 8. Jh.

Herr PD Dr. Thomas Zimmer, Universität Bonn
Thema des Vortrags: „Die Kulturrevolution als literarischer Stoff in der chinesischen Gegenwartsliteratur des  vergangenen Jahrzehnts“

1.) Warum haben Sie sich beworben?
Ich habe mich beworben, weil die Sinologie in Heidelberg eine der besten und wichtigsten in Deutschland ist und dort hervorragende Lehr- und Forschungsmöglichkeiten bestehen.

2.) Ihre Lieblingsdynastie?
Meine “Lieblingsdynastie” ist die späte Ming-Zeit.

3.) Weshalb?
Der Grund: Man spürt einen Aufbruch, Veränderungen in Geist und Gesellschaft, die Tradition wird hinterfragt.

 

Die Interviews führte Viktoria Dümer.

 

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China's Brave New World: Nach der Buchmesse ist vor der Expo

Jeffrey Wasserstrom in Heidelberg

Olympia 2008, die Frankfurter Buchmesse 2009 und bald die Expo 2010 – ein Großereignis nach dem anderen gibt der sinologischen Gemeinschaft neuen Gesprächsstoff. Auch der amerikanische Sinologe Jeffrey Wasserstrom beschäftigt sich seit einiger Zeit mit solchen Großereignissen und aktuellen transkulturellen Trends in China. Mitte Oktober kam er nach Heidelberg und gab mit drei Vorträgen persönlich Einblick in seine Überlegungen.

Aus aktuellem Anlass fand der erste Vortrag im Rahmen einer Diskussion mit dem Dichter Bei Ling statt. Bei Ling ist Gründer des chinesische PEN-Clubs sowie des Verlags “Qing Xiang” auf Taiwan und lebt im Exil in den USA. Kurz zuvor war er bei einer Vorveranstaltung zur Frankfurter Buchmesse ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Bei dem von der Buchmesseleitung abgehaltenen Diskussionsforum kam es zum Eklat, als Bei Ling und die ebenfalls geladene Schriftstellerin Dai Qing eine Stellungnahme abgeben wollten und die chinesische Delegation daraufhin den Saal verließ.

Die Veranstaltung in Heidelberg am 15. Oktober beleuchtete das chinesische Verlagswesen und die Situation der Intellektuellen, kam dabei aber immer wieder auf Ereignisse der noch laufenden Buchmesse zurück. Jeffrey Wasserstrom begann mit persönlichen Eindrücken vom chinesischen Buchmarkt: Es werde so viel und so frei publiziert wie nie zuvor. In Anlehnung an sein 2001 erschienenes Buch “China’s Brave New World” ging er daher der Frage nach, wie die chinesische Regierung in Zukunft die Kontrolle über Land und Bevölkerung sichern werde.

Ist ein Szenario wie in Orwell’s “1984″ zu befürchten? Oder wird der chinesische Staat in Zukunft Huxley’s “Brave New World” ähneln? Wasserstrom ist der Auffassung, dass sich in China bisher Momente beider Utopien abwechseln. Im Hinblick auf die gegenwärtige Situation unterstrich er, wie unterschiedlich die Zugänglichkeit von Publikationen für verschiedene Personengruppen in China sein kann: Zensurkonventionen ändern sich mit der Publikationssprache; Auslands- oder Hong-Kong-Reisen, Literaturschmuggel und der Schwarzmarkt ermöglichen sogar, die Zensur zu umgehen – allerdings nur Wohlhabenden und Eingeweihten. Die durch das Internet neu entstandene öffentliche Sphäre in China sei zwar vielen zugänglich, werde aber nur von relativ wenigen genutzt.

Im Anschluss erläuterte Bei Ling aus der Perspektive des Herausgebers und Autors die Funktionsweise des chinesischen Verlagswesens im Detail. Er berichtete außerdem, wie ihm die Publikationsbeschränkungen bei der Herausgabe seiner Literaturzeitschrift “Tendenz” zum Verhängnis wurden. Sein Konflikt mit den Behörden endete mit seiner Inhaftierung und Abschiebung ins Exil. Zuletzt kam Bei Ling auf die chinesische Autorenwelt zurück, wie sie sich auf der Buchmesse gezeigt hatte. Er warnte in diesem Zusammenhang davor, die chinesischen Intellektuellen einseitig in “gute Dissidenten” und “böse Kollaborateure” einzuteilen.

Der Vortrag “Mega-Events and the Rise of Global Cities: The Shanghai World Expo in Historical and Comparative Perspective” fand am 16. Oktober statt. Auch hier ging es darum, wie einzelne Großereignisse unseren Blick auf China und seine soziale und politische Entwicklung dominieren können. Wasserstrom wies auf die Fehlbarkeit von Zukunftsprognosen hin, die in diesem Kontext entstehen.

Bei der Expo und anderen Großereignissen zeige sich nicht nur China der Welt, sondern es offenbare sich auch, wie die Welt China begegne, so Wasserstrom. Während Großereignisse eine temporäre Plattform für die gegenseitige Wahrnehmung bieten, stellen Städte wie Shanghai dauerhafte Begegnungsstätten zwischen den Kulturen dar. Die Bilder, die in diesem Zusammenhang entstehen, seien oft einseitig und vereinfacht. So zeigte Wasserstrom in einem historischen Rückblick, dass Großereignisse wie Weltausstellungen seit jeher von den Gastgeberländern gern zur Selbstinszenierung genutzt werden.

In seinem dritten Vortrag am 19. Oktober weitete Wasserstrom die Perspektive auf längerfristige Meinungstrends unter der Überschrift “Chatter about China in the Global Public Sphere”. Dabei gab er einen umfassenden Überblick zum Wechsel der China-Bilder vom Boxeraufstand bis zu den Olympischen Spielen. Diese zeigten ein periodisches Auf und Ab der Chinafurcht und –begeisterung; komplementär dazu schilderte Wasserstrom die wechselnde Haltung der chinesischen Bevölkerung gegenüber dem Westen. Zugleich hob er hervor, wie ambivalent sich Ablehnung westlicher Politik und Annahme westlicher kultureller Trends vermischen.

Aus dem Publikum erfolgte der Hinweis, dass es Widersprüche auch auf westlicher Seite gebe, Trends und Gegentrends parallel existierten. Abschließend wurde damit nochmals unterstrichen, was bei allen drei Veranstaltungen anklang: Die Chinabilder entziehen sich ebenso einer einheitlichen Einordnung wie die Verhältnisse in China selbst.

Lena Hessel

 

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Die Sowjetunion und die Gründung der Volksrepublik China (1949)

Die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Volksrepublik China sind insgesamt ganz gut erforscht, allerdings herrschte lange Zeit ausgerechnet über die konkreten Vorbereitungen der Gründung der Volksrepublik in den ersten Monaten des Jahres 1949, die Festlegung des 1. Oktobers als Gründungstag, sowie über Mao Zedongs Moskaureise am Ende des Jahres große Unklarheit. Wichtige Ereignisse wie die Reise eines sowjetischen Politbüromitglieds nach China und die Verhandlungen einer hochrangigen chinesischen Delegation in Moskau sind in beiden Staaten jahrzehntelang geheim gehalten und in der westlichen Literatur kaum behandelt worden. Erst in neueren chinesischen und russischen Publikationen – vor allem in Memoiren von früheren Diplomaten und Dolmetschern – wurden diese wichtigen Ereignisse beschrieben.

Ein sowjetischer Gast in China
Im Frühjahr 1947 wurde die KP-Führung durch die Armee der Kuomintang (KMT) – nach zehn Jahren – aus ihrer Hauptstadt Yan’an vertrieben. Nach getrennten Märschen durch Nordchina erreichten die Mitglieder des ZK-Sekretariats im Frühjahr 1948 die Provinz Hebei. Für ein Jahr ließen sie sich in dem knapp 300 km südwestlich von Peking gelegenen Ort Xibaipo nieder. Zu dieser Zeit plante Mao Zedong eine Reise in die Sowjetunion, um mit Stalin das künftige politische und militärische Vorgehen zu beraten. Die Reaktion Stalins auf eine telegraphische Anfrage war jedoch negativ. Nach einer Wiederholung dieses Vorschlags im Herbst schickte Stalin schließlich im Januar 1949 Anastas Mikojan – damals Politbüromitglied und Außenhandelsminister – nach China. Kurz zuvor hatte die Kuomintang-Regierung – in der Hoffnung auf eine Abwendung der endgültigen Niederlage – Großbritannien, Frankreich, die USA und die Sowjetunion um Unterstützung gebeten. Zur Vermeidung einer eventuellen amerikanischen Intervention zugunsten der Kuomintang war auch Stalin daran interessiert, den kommunistischen Vormarsch zu bremsen. Die Volksbefreiungsarmee (VBA) hatte zu diesem Zeitpunkt schon große Teile Nordchinas erobert und plante die Überquerung des Yangzi, um weiter nach Süden vorzudringen. Die chinesische KP-Führung hatte bereits Anfang Januar die Eroberung Gesamtchinas in den beiden Jahren 1949 und 1950 beschlossen. Noch im gleichen Monat wurden Tianjin und die alte Hauptstadt Peking besetzt. Mikojan traf am 31. Januar mit dem Flugzeug in Shijiazhuang ein und wurde nach Xibaipo gefahren. Er diskutierte eine Woche lang mit den Mitgliedern des ZK-Sekretariats. Hierbei ging es um die Lage im Bürgerkrieg, die Bildung einer neuen Regierung, den Wirtschaftsaufbau, sowie um Handel und Verkehr. Die chinesischen Kommunisten waren aufgrund ihrer militärischen Erfolge siegessicher und ließen sich von ihren Eroberungsplänen nicht abbringen. Der Besuch Mikojans diente somit hauptsächlich der Information Stalins über die Lage in China und die Strategie der KP-Spitze. Ein besonderer sowjetischer Einfluß auf das Verhalten der chinesischen Kommunisten ist zu dieser Zeit schwer nachweisbar. Aus chinesischen Quellen ist auch nicht ersichtlich, ob Stalin eher eine Konfrontation der Kommunisten mit den Amerikanern oder einen zu triumphalen Sieg der chinesischen KP befürchtete.

China im Frühling
Kurz nach Mikojans Besuch fand vom 5. bis 13. März in Xibaipo die Zweite Plenartagung des Siebten Zentralkomitees statt. Dies war die erste große Tagung seit dem Siebten Parteitag und der japanischen Kapitulation von 1945 und gleichzeitig die letzte bedeutende Versammlung vor der Eroberung des Südens und der Proklamation der Volksrepublik China. Zu den konkret anstehenden Fragen gehörte die Verlegung der Parteizentrale nach Peking, die Überquerung des Yangzi und die Eroberung Ost- und Südchinas. Neben zahlreichen anderen politischen, militärischen und wirtschaftlichen Problemen wurde auch der Aufbau des Regierungsapparats diskutiert. In diesem Zusammenhang wurde Zhou Enlai als Ministerpräsident vorgeschlagen und trug die Hauptverantwortung für die weiteren Vorbereitungen. Der “Außenminister” der ehemaligen “Chinesischen Sowjetrepublik” (1931-34) und frühere chinesische Vertreter bei der Komintern, Wang Jiaxiang, sollte erster Botschafter in Moskau werden und war von nun an für die Beziehungen zur Sowjetunion zuständig.

Ende März traf die Parteiführung in Peking ein. Am 21. April begann schließlich die Überquerung des Yangzi. Schon am übernächsten Tag wurde die Kuomintang-Hauptstadt Nanjing und im Mai dann Shanghai erobert. Am 15. Juni eröffnete die KP in Peking die erste Sitzung des Vorbereitungskomitees für die Neue Politische Konsultativkonferenz zu der 134 Vertreter kleinerer Parteien und anderer Organisationen eingeladen wurden. Der hierbei zum Vorsitzenden des Ständigen Ausschusses gewählte Mao Zedong veröffentlichte kurz darauf  den Artikel “Über die demokratische Diktatur des Volkes”, in dem die Anlehnung an die Sowjetunion propagiert wurde.

Eine Sommerreise
Zur gleichen Zeit verabschiedete Mao eine Parteidelegation, die sich auf den Weg nach Moskau machte. Interessant sind hierbei vor allem Zeitpunkt und Teilnehmer dieser jahrzehntelang geheimgehaltenen Reise. Im Frühjahr 1949 hatten Mao Zedong und Zhou Enlai, die einer engen Anlehnung an die Sowjetunion eher skeptisch gegenüberstanden, zur Stärkung der politischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit versucht, über den Botschafter John Leighton Stuart Kontakt mit der amerikanischen Regierung aufzunehmen. Im Juni zeigte sich dann, daß die USA daran kein Interesse hatten, Stuart ging auf die Einladung zu einem Besuch in Peking nicht ein. Damit wurde nicht nur die letzte Gelegenheit zur Verbesserung der Beziehungen verpaßt und die Abhängigkeit von der Sowjetunion verstärkt, sondern auch die Position Zhou Enlais geschwächt. Erst nach diesen Bemühungen reiste die Delegation nach Moskau, um sowjetische Unterstützung zu erbitten. Delegationsleiter war Liu Shaoqi, der klar für eine Anlehnung an die Sowjetunion eintrat. Er wurde vom zukünftigen Botschafter Wang Jiaxiang, dem Vorsitzenden der Nordostchinesischen Regierung Gao Gang und anderen begleitet. Schon damals war zur Begründung der Ankunft einer chinesischen Delegation in Moskau offiziell die Unterzeichnung eines Handelsabkommens mit Gao Gang als Vertreter Nordostchinas bekannt gegeben worden. Dies wurde im Westen oft als eine von der Pekinger Zentrale unabhängige Einzelaktion bewertet, die dann im Zusammenhang mit Gao Gangs Selbstmord kurz nach Stalins Tod große Bedeutung gewann. Erst vor wenigen Jahren wurde bekannt, daß Gao nur Mitglied einer größeren Delegation war, die von Liu geleitet wurde.

Der chinesischen Delegation wurde von der sowjetischen Führung große Bedeutung beigemessen. Liu Shaoqi führte während des mehr als einmonatigen Aufenthalts fünf längere Gespräche mit Stalin. Teilweise nahmen die anderen Delegationsmitglieder und die Politbüromitglieder der KPdSU daran teil. Die Gespräche werden in chinesischen Quellen als konstruktiv und freundschaftlich beschrieben. Als Liu Shaoqi auf die Frage Stalins zum geplanten Zeitpunkt der offiziellen Machtübernahme den Januar 1950 nannte, soll Stalin den 1. Oktober 1949 vorgeschlagen haben, um eine frühzeitige Stabilisierung der Verhältnisse zu erreichen. Dies wurde sofort nach Peking telegraphiert und fand dort Zustimmung. Stalin empfahl zur Vermeidung amerikanischer Einmischung außerdem eine schnelle Machtübernahme in Nordwestchina, die die Chinesen erst für 1950 vorgesehen hatten. Von Moskau wurde dann sofort eine chinesische Arbeitsgruppe nach Xinjiang entsandt. Als Liu Shaoqi Mitte August die Rückreise antrat, begleitete ihn schon eine erste Gruppe von etwa hundert sowjetische Experten.

China im Herbst
Bei Liu Shaoqis Rückkehr nach Peking waren die Vorbereitungen für die Gründung der Volksrepublik voll im Gange. Die Armee hatte bereits große Teile Südchinas besetzt und eroberte bis Jahresende fast das ganze Festland. Vom 21. bis 30. September fand in Peking nach mehrmonatigen Vorbereitungen die erste offizielle Sitzung der Politischen Konsultativkonferenz mit 662 Teilnehmern statt. Am 1. Oktober wurde die Gründung der Volksrepublik proklamiert, Mao Zedong zum Staatsoberhaupt und Zhou Enlai zum Regierungschef ernannt. In den folgenden Tagen erfolgte die Anerkennung durch die Sowjetunion und die meisten sozialistischen Staaten, darunter auch die im gleichen Monat gegründete DDR. Am 6. Oktober wurde Wang Jiaxiang zum Botschafter in der Sowjetunion ernannt und in einem Brief Maos an Stalin als Repräsentant der KP Chinas für alle sozialistischen Staaten bezeichnet. Nachdem Wang am Ende des Monats in Moskau angekommen war, erreichte ihn die Aufforderung aus Peking mit Stalin den Termin für einen Besuch Mao Zedongs in der Sowjetunion festzulegen. Am 6. Dezember verließ Mao die chinesische Hauptstadt und kam  nach einer langen Zugfahrt durch Nordostchina und Sibirien am 16. in Moskau an. Am 21. Dezember nahm Mao mit anderen Staats- und Parteichefs an den Feierlichkeiten zu Stalins 70. Geburtstag teil.

Staatsbesuch im Winter
Maos Reise nach Moskau war in vieler Hinsicht äußerst ungewöhnlich. Es war Maos erste Auslandsreise überhaupt und die erste Begegnung mit Stalin, den Liu Shaoqi, Wang Jiaxiang, Zhou Enlai und Zhu De schon seit den zwanziger Jahren kannten. Gleichzeitig handelte es sich um den ersten Auslandsaufenthalt des Staatsoberhaupts der neuen Volksrepublik, der mit zwei Monaten auch außergewöhnlich lang war. Der offizielle Anlaß dieser Reise war Stalins Geburtstag und damit war auch der ungünstige Termin im Dezember vorgegeben. Der Südchinese Mao Zedong war schon während der Zugfahrt durch Sibirien stark erkältet und hatte Mühe, sich an das frostige Moskauer Klima zu gewöhnen. Auch in anderer Hinsicht war Mao in einer schwierigen Lage. Einerseits hatte die chinesische KP im bevölkerungsreichsten Land der Welt praktisch ohne äußere Hilfe die Herrschaft errungen, andererseits repräsentierte Mao ein armes und nach jahrzehntelangen Kriegen und Bürgerkriegen weitgehend zerstörtes Land, das von der Unterstützung durch die Sowjetunion vollkommen abhängig war. Dem diplomatisch unerfahrenen Staatspräsidenten ohne Fremdsprachenkenntnisse fiel die neue Rolle wohl auch wegen seiner hohen Erwartungen an Stalin sehr schwer. Stalin hatte wenig Vertrauen zu Mao, der im Gegensatz zu den meisten osteuropäischen Parteichefs aus eigener Kraft an die Macht gekommen war und als ebenso selbstständig wie der jugoslawische Tito galt. Wegen der großen Interessensgegensätze wie zum Beispiel dem riesigen chinesischen Bedarf an Wirtschaftshilfe und dem Wunsch nach der Wiedereingliederung der 1911 abgespaltenen Mongolei, sowie sowjetischen Forderungen nach langfristigen Privilegien in Nordostchina und Xinjiang kamen die Verhandlungen nicht voran. Erst nachdem Zhou Enlai im Januar auch noch in Moskau eintraf und die Verhandlungen übernahm, gab es Fortschritte, die schließlich zur Unterzeichnung des sino-sowjetischen Freundschaftsvertrags am 14. Februar 1950 führten. Zwischen Maos Abreise von Peking und seiner Rückkehr in die chinesische Hauptstadt vergingen fast drei – für ihn größtenteils unerfreuliche – Monate.

Probleme und Konflikte
Die Ereignisse und Entscheidungen des Jahres 1949 hatten langfristige und weitreichende Folgen für die Entwicklung der Volksrepublik China. Vor allem Stalins Verhandlungen mit Liu Shaoqi und dessen Rückreise mit den ersten sowjetischen Beratern haben die politische und wirtschaftliche Entwicklung Chinas stark geprägt. Vieles wurde zwar erst im Freundschaftsvertrag von 1950 oder in den späteren Kooperationsabkommen festgeschrieben und konkretisiert, die Richtung wurde aber schon bei dem Treffen im Juli und August 1949 festgelegt. Noch wichtiger war jedoch die Herausbildung der neuen Parteispitze, der nun Mao Zedong, Zhou Enlai und Liu Shaoqi angehörten, und ihr Verhältnis zueinander. Während der Kriege und Bürgerkriege hatte der Zivilist Liu eine eher untergeordnete Rolle, während Mao, Zhou und die Militärs die meisten Entscheidungen fällten. Mit dem Ende der Kämpfe trat Liu als Chef des Parteiapparats und überzeugter Anhänger der Sowjetunion in den Vordergrund. Zhou hatte als Ministerpräsident und Außenminister zu einer Zeit, in der die diplomatischen Beziehungen fast ausschließlich auf die sozialistischen Staaten begrenzt waren, weniger Einfluß. Dies gilt zum Teil auch für Mao, dessen militärisches Talent kaum noch gebraucht wurde, der zur Wirtschaftspolitik wenig beitragen konnte und dessen politischer und ideologischer Spielraum gerade zu Stalins Lebzeiten stark eingeschränkt war. In der Auseinandersetzung zwischen dem Moskau-orientierten Liu Shaoqi und dem weltoffenen – oft von Mao unterstützten – Zhou Enlai war Liu in den fünfziger Jahren meist der stärkere. Erst der sino-sowjetische Konflikt und der Ausbruch der Kulturrevolution führten in den sechziger Jahren zum Sturz Liu Shaoqis.

Literatur:
Dieter Heinzig: Die Sowjetunion und das kommunistische China 1945-1950, Baden-Baden, 1998.
Thomas Kampen: Wang Jiaxiang und der Aufstieg Mao Zedongs, Asien Nr.25, Oktober 1987.
Pang Xianzhi, Mao Zedong zhuan, Beijing, 1996, 2003.
Shi Zhe: Wo de yi sheng, Beijing, 2001.

Dr. Thomas Kampen

 

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Erzählen Sie mal, ... Frau Labitzky-Wagner

 

In unserem zweiten Interview aus der SHAN-Reihe „Erzählen Sie mal…“ stellen wir die Bibliothekarin Anne Labitzky-Wagner vor, die seit 2003 unerlässlich für unsere Bibliothek geworden ist. SHAN hat mit ihr über ihren Werdegang und über ihre Zeit in China gesprochen.

SHAN: Frau Labitzky-Wagner, wie sind Sie zur Sinologie gekommen und wo haben Sie studiert?

Labitzky-Wagner: Ich war damals im sprachlichen Zweig meiner Schule, zu der Zeit gab es noch kein Kurssystem. Man konnte sich nur für einen mathematischen, sprachlichen, oder sozialwissenschaftlichen Zweig entscheiden. Ich selbst hatte Englisch, Französisch und Latein in der Schule bis zum Abitur. Bei der Suche nach einem passenden Studienfach bin ich dann schließlich bei Chinesisch gelandet.

Studiert habe ich hier in Heidelberg, angefangen im Wintersemester 1973. Meinen Magister habe ich im November 1981 gemacht.

Wann hatten Sie Ihren ersten China-Aufenthalt, und was war Ihre Motivation dazu?

Zum ersten Mal war ich 1974 mit einer Reisegruppe der Gesellschaft für deutsch-chinesische Freundschaft (GDCF) in China, ich war eines ihrer Gründungsmitglieder. Wir haben eine Gruppenreise gemacht und sind dann von Peking nach Xi’an, Wuhan, Shanghai, Hangzhou und wieder nach Peking gereist. Studiert habe ich später in Peking von September 1977 bis März 1979.

Damals gab es noch nicht die Möglichkeit, sich seinen Studienort auszusuchen, und da ich aus der Wenyan wen kam, beziehungsweise mit klassischem Chinesisch angefangen hatte, gab es nur die Wahl zwischen Shenyang und dem Bejing Yuyan Xueyuan. Gerne hätte ich an der Beida Kurse zur Wenyan wen gemacht, aber sehr ungern in Shenyang, weil es dort im Winter leicht unter minus 30 Grad kalt wird, das war mir viel zu viel. (lacht)

Gab es bestimmte Erlebnisse, die Sie geprägt haben, bestimmte Umstände oder Begegnungen, an die Sie sich jetzt noch konkret erinnern können?

Es war ja praktisch noch während der Kulturrevolution. Für Ausländer gab es damals noch Zuteilungsmarken, also “piao” – nicht mehr für alles, aber zum Beispiel für Baumwollstoffe oder Lebensmittel. Alles war ziemlich rationiert, auch Papier. Ich denke schon, dass mich unter anderem der sparsame Umgang mit Ressourcen sehr geprägt hat. Ich habe auch sehr viele Leute kennengelernt, die heute nicht mehr leben, unter anderem Gladys Yang, oder den Sohn eines Mitglieds der Viererbande. Desweiteren habe ich mit Ying Ruocheng auch eine Tourneebegleitung gemacht. Ich fand es unheimlich spannend, mit diesen Leuten zu sprechen. Es war ein wunderbares Erlebnis, weil sie alle sehr bescheidene Menschen waren, die nicht groß herausgestellt haben, dass sie eigentlich Berühmtheiten sind. Das hat mich sehr beeindruckt!


Wie haben Sie dort Ihre Freizeit gestaltet?

Freizeitgestaltung hieß damals Hausaufgaben machen. Es ging nicht mehr darum, an irgendwelchen Bewegungen teilzunehmen, sondern darum, den Schulalltag wieder in den Griff zu bekommen. Wir mussten zum Beispiel abends Nachrichten hören, diese mitschreiben, und das wurde dann am nächsten Tag abgegeben.

Wir sind abends viel mit unseren Kommilitonen spazieren gegangen, ab und zu auch mal essen, aber wie gesagt mit Einschränkungen. Zu meiner Zeit war es nicht möglich, Chinesen zu Hause zu besuchen, es sei denn der Lehrer war dazu vom Revolutionskomitee aufgefordert worden.

Ich habe versucht, möglichst viel zu lesen, und habe mich mit Freunden außerhalb des Instituts getroffen. Wenn man ins Kino gehen wollte musste man dafür Karten bestellen, die man dann zugeteilt bekam, aber spontan zu sagen „ich gehe heute Abend ins Kino“, das ging nicht. Wir hatten zwar einen Fernseher, aber das Programm war ebenfalls sehr eingeschränkt.

Wie war das Verhältnis zum Westen?

Alles lief sehr offiziell über die Regierungsebene. Deutschland hatte die VR China erst  drei bis vier Jahre zuvor anerkannt. Es waren also ganz vorsichtig geführte Beziehungen. Zeitungen bestellen war auch schwierig. Einige von uns hatten den Spiegel bestellt und wenn darin ein Artikel war, der nicht  hundertprozentig gefiel, kam diese Ausgabe nicht an. Über die Botschaft hatten wir jedoch die Möglichkeit, private Sachen rauszuschicken, in denen wir uns etwas deutlicher äußern konnten. Das haben wir zum Teil gemacht, waren sonst aber eher zurückhaltend.

 

Haben Sie auch Besuch von Verwandten bekommen?

Leider nicht. Das wäre gegangen, aber mein Vater lebte nicht mehr und meine Mutter war damals berufstätig. Und es wäre sehr aufwendig gewesen. Telefonate waren auch schwierig, nicht von Peking nach Deutschland, sondern von Deutschland nach Peking. Meine Mutter hat mir immer Briefe geschrieben und mit mir ausgemacht, wann sie mich anrufen kann. Dann habe ich das Telefonat von Peking aus angemeldet. Spontan einmal anrufen, das ging nicht.

Wann sind Sie wieder nach China gereist?

Gar nicht. Ich war 2005 für fünf Wochen in Taibei, das ich vorher nicht kennengelernt hatte. Es war eine wunderbare Erfahrung, die ich sehr genossen habe. Es war schön zu sehen, wie die Taiwanesen ihr öffentliches Leben geregelt haben, das hat mich sehr beeindruckt. Bei Peking habe ich ein bisschen Angst, nicht mehr das Peking anzutreffen, das ich kennengelernt habe.

Seit wann Sind Sie hier am Institut?

Ich bin jetzt seit 2003 hier mit einer vollen Stelle als Bibliothekarin.

Was haben Sie davor gemacht?

Davor war ich Bibliothekarin mit einer halben Stelle am Sinicum in Bochum. Das Sinicum ist eines der vier Institute im Landesspracheninstitut Nordrhein-Westfalen. Es werden dort unter anderem Intensivkurse für Chinesisch angeboten. Dann gibt es dort noch das Arabicum für Arabisch, das Japonicum für Japanisch und das Russicum für Russisch. I

m Sinicum gibt es Intensivkurse für Koreanisch, und das Arabicum bietet auch noch Kurse für Persisch an. Außerdem gibt es auch noch Kurse für das moderne Hebräisch.

Haben Sie davon auch noch eine weitere Sprache erlernt?

Ja, allerdings nicht in Bochum. Ich habe damals in Hamburg zwei Intensivkurse für Japanisch. Da gab es das Japonicum noch nicht. Darüber hinaus habe ich auch mal in das Koreanische reingeschnuppert, weil ich damals auch für die Koreanische Bibliothek, die nur aus zwei laufenden Metern bestand, zuständig war. Aber ich kann kein Koreanisch, im Japanischen beherrsche ich auch nur die Grundlagen, mehr nicht. Titelaufnahmen kann ich machen, aber richtig sprechen ist dann was anderes.

Frau Labitzky-Wagner, vielen Dank für das Gespräch.

Das SHAN-Interview führte Christel Kemnitz.

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Weiterführende Links

Beijing Yuyan Xueyuan (BLCU): http://www.blcu.edu.cn/lzb/lx/english/index.htm

Zuteilungsmarken während der Kulturrevolution: He Weimin und seine Stoffmarken (http://german.cri.cn/401/2008/06/05/1@94618.htm)

Gladys Yang, Übersetzerin, stirbt mit 80: http://www.nytimes.com/1999/11/24/world/gladys-yang-is-dead-at-80-translated-chinese-classics.html

Yang Xianyi, Mann von Gladys Yang, ebenfalls Übersetzer, verstarb vor Kurzem mit 94 Jahren: http://www.nytimes.com/2009/11/28/world/asia/28yang.html

Ying Ruocheng, Schauspieler und Politiker: http://www.guardian.co.uk/news/2004/jan/12/guardianobituaries.china

GDCF: http://www.gdcf-duesseldorf.de/verein/gdcf/index.html

LSI – Das Landesspracheninstitut in der Ruhr-Universität Bochum: http://www.lsi-bochum.de/

 

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“Ich mag das Abseitige” – Interview mit der Autorin Zhang Yueran

Die Autorin Zhang Yueran wurde 1982 in der Provinz Shandong geboren und studierte Informatik in Singapur. Schon mit 14  veröffentlichte sie erste Erzählungen. Im September gab  sie zusammen mit Jing Yongming eine von SHAN organisierte Lesung im Karl-Jaspers Center. Im Interview erzählt sie von ihren Umwegen zur Literatur, ihrem Werk und ihren Kollegen.

SHAN: Frau Zhang, Sie haben eben bei der Lesung erwähnt, dass Sie schon seit zwei Tagen in Deutschland sind. Zuerst waren Sie in Bonn, heute sind Sie in Heidelberg angekommen. Haben Sie sich schon ein wenig umsehen können? Wie gefällt Ihnen die Stadt?

ZHANG: Sie hat mir sehr gut gefallen. Ich mochte das Gefühl, dass mir die Stadt vermittelt hat. Sie ist zwar geradezu winzig, macht dafür aber einen sehr exquisiten Eindruck.

Würden Sie uns etwas von Ihrer Familie erzählen? Da sie mit 14 mit dem Schreiben begonnen haben nehme ich an, dass Sie bestimmt viel Unterstützung von Ihren Eltern erfahren haben?

Absolut nicht, bei mir war genau das Gegenteil der Fall. Mein Vater unterrichtete zu dieser Zeit am Institut für Literatur an der Universität. Damals in den 90ern wollte jeder in der Wirtschaft reich werden, und die Intellektuellen waren mit der Wissenschaft sehr unzufrieden. In den Universitäten wurden zu jener Zeit vor allem die Buchgelehrten als nutzlos betrachtet, und somit auch das Institut für Literatur.

So dachte mein Vater, dass eine Beschäftigung mit chinesischer Literatur völlig überflüssig sei. Außerdem war er der Meinung, dass ein Studium der chinesischen Literatur keinen Nutzen für die Kreativität habe. Ich konnte seine Entscheidung damals zwar nicht ganz verstehen, vertraute aber darauf, dass meine Eltern nur das Beste für mich wollten. Sie hofften, dass ich in der Zukunft ein besseres Leben haben würde. Damals war gerade die Computerindustrie im Kommen, also fing ich in Singapur ein Informatikstudium an.

Ich muss sagen, dass ich während meiner Pubertät nicht besonders rebellisch war. Und ich war auch durchaus niemand, der aus Gründen der Selbstverwirklichung einen Weg jenseits aller Regeln eingeschlagen hätte. Ich glaube, dass man langsam zu sich selbst finden sollte, erkennen, was man selber mag. Dieser Prozess fing bei mir erst an, nachdem ich nach Singapur gegangen war.

Also kann man sagen, dass Sie in Singapur schließlich erwachsen wurden und anfingen, sich selbst kreativ zu verwirklichen?

Ja, das kann man so sagen.

Inzwischen sind Sie sehr erfolgreich und verfügen nicht nur in China über eine breite Leserschaft, auch Ihre Leser außerhalb Chinas werden immer mehr. Ihre Werke wurden bereits in die englische Sprache übersetzt und einige Werke nun auch ins Deutsche. Was ist Ihr nächstes Ziel? Was hoffen Sie, als nächstes für sich selbst zu erreichen?

Ich hoffe von mir selbst, dass ich eine fleißige Autorin werde. Denn fleißig sein ist nicht immer leicht für einen Autor. Andere verweisen immer mit übertriebenem Nachdruck auf das Talent eines Schriftstellers, aber in Wahrheit ist der Fleiß das Wichtigste.

Fleiß schließt beispielsweise auch mein Hiersein ein. Diese Veranstaltung ist ein wichtiger internationaler Austausch, das finde ich gut. Aber solche Veranstaltungen kosten uns Schriftsteller immer sehr viel Zeit. Viele Autoren beteiligen sich an solchen internationalen Austauschveranstaltungen, dann kommen noch inländische und viele weitere Veranstaltungen hinzu. Deshalb ist es sehr schwer sicherzustellen, dass man Zeit zum Schreiben findet. Aus diesem Grund wünsche ich mir für mich selbst, dass ich es schaffe, eine fleißige Autorin zu werden.

Als die Moderatorin vorhin Ihren Lebenslauf vorgestellt hat ist mir aufgefallen, dass jedes Buch aus der Reihe „Karpfen“, an der Sie in letzter Zeit arbeiten, den Aspekt Geist oder Herz im Titel trägt, und dass alle mit den Gefühlen der Menschen zu tun haben. Es ist etwas Neues, ein Buch so zu gestalten, weil es solche Buchreihen, sogenannte Serienpublikationen, in China eigentlich nicht gibt, oder?

Es stimmt, diese Form war früher kaum verbreitet, weil sie besonders die Thematik betont. Deshalb bereitet sie den Editoren große Probleme, sie müssen ein Thema vorgeben und anschließend dafür sorgen, dass alle Autoren abliefern. Ein weiterer Aspekt ist, dass alle diese Themen aus dem Bereich der Literatur stammen. Ich bin davon überzeugt, dass der Großteil unserer Leser solche Gefühle von Einsamkeit oder Neid selbst kennt. Es gibt unzählige Werke, die diese Gefühle zum Ausdruck bringen, deshalb denke ich, dass sie ein Teil unseres Lebens sind. Ein jeder von uns kann über derartige Dinge berichten, denn sie sind ein Gefühl aus den Tiefen unseres Herzens. Es sind wichtige Aussagen, die sich in der gesamten Literaturgeschichte und ihren Klassikern wiederfinden lassen, deshalb denke ich, dass sie die Literatur mit unserem Leben verbinden. Man findet für diese und die eigenen Gefühle sehr leicht die entsprechenden Ausdrücke in der Literatur.

Wer ist Ihr Vorbild unter den zeitgenössischen chinesischen Schriftstellern?

Am meisten mag ich tatsächlich Autoren wie Mo Yan und Yu Hua, die besten Schriftsteller Chinas. Sie sind jeweils für sich herausragend und haben eine einzigartige Stellung. Was ihre Werke angeht ist keiner von beiden ein Vorbild für mich, da der Unterschied zwischen dem, was sie und ich in unseren Werken behandeln, viel zu groß ist. Außerdem sind sie Männer und sprechen mich deshalb nicht so direkt an. Aber was ihre Werke angeht besitzt jeder von ihnen etwas Besonderes.

Und wie ist es mit ausländischen Schriftstellern?

Unter den ausländischen Schriftstellern mag ich beispielsweise die britische Schriftstellerin Angela Carter sehr, außerdem Nabokov und Marguerite Yourcenar, die historische Romane geschrieben hat.

In China gab es früher nur sehr wenig Frauenliteratur, dieser Trend kam erst in den letzten Jahren auf. Auch wenn es jetzt immer mehr werden, so gibt es doch nur wenige weibliche Autoren, die auch Frauenliteratur schreiben. Was ist Ihrer Meinung nach Frauenliteratur, und was ist ihre Funktion?

Ich bin der Meinung, dass Frauenliteratur in China damals wie heute kein gutes Wort ist, da es die Leute dazu verleitet, diese Form der Literatur zu unterschätzen. Unterschätzt wird sie, weil sie keinen Ursprung hat und scheinbar nur entsteht, damit Literaturstudenten Forschung betreiben können.

Im Westen können sie Virginia Wolf, Jane Austin, George Sand und viele weitere Quellen für Frauenliteratur entdecken. Auch die chinesischen Schriftstellerinnen können Wolf und Austin lesen, aber das Problem hier ist, dass die kulturellen Hintergründe unvereinbar sind. Es ist anzunehmen, dass chinesische Autorinnen diese Klassiker nicht vollständig zu verwenden wissen. Die Frauen des alten China waren still, sie hatten keine Stimme. Diese sehr lange Geschichte hat zur Folge, dass die chinesischen Frauen von Heute sich nicht plötzlich in eine östliche Virginia Wolf verwandeln können.

Sind Sie der Ansicht, dass die meisten zeitgenössischen chinesischen Autoren autobiographisch schreiben?

Nicht alle, lediglich zu Zeiten von Wei Hui und Mian Mian wurden den Menschen autobiographische Eindrücke vermittelt. Heute ist das nicht mehr so, aber nach wie vor wird die eigene Person verhältnismäßig stark wiedergespiegelt. Das hat mit der Persönlichkeit der Autorinnen zu tun. Sie nutzen für ihre Geschichten einen emotionalen Rahmen und mögen es deshalb natürlich, mit selbst erlebten Ereignissen Emotionen zu wecken. Ihre eigene Geschichte ist das Hauptthema ihres Schaffens. Das ist nicht gut, wirklich simpel und kleingeistig. Deshalb haben diejenigen die sagen, dass Autorinnen grundsätzlich autobiographisch schreiben, auch ein bisschen Recht. An erster Stelle bringen sie ihre eigenen Gefühle zum Ausdruck.

Also entstammt ihre kreative Quelle persönlichen Erfahrungen?

Das denke ich nicht, ich mag das ein wenig Abseitige. Durch Phantasie kann man eine zweite Realität mit bizarren Dingen erschaffen. Auf der Basis von Gefühlen ist es schwierig sein Frausein abzulegen, anscheinend ist das natürlich.

Frau Zhang, vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Wan Li.
Aus dem Chinesischen ins Deutsche übersetzte Katja Modis.

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Weiterführende Links:

Zhang Yueran und die Zehn Lieben (Engl.) http://en.invest.china.cn/english/NM-e/110114.htm

 

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Zuletzt bearbeitet von: AF
Letzte Änderung: 04.12.2014
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