Newsletter Juli 2006 Nr. 2

INHALT

Veranstaltungen

10-jährige Jubiläumsfeier des Heidelberg Alumni International, Samstag, 22. Juli - Donnerstag, 27.Juli 2006

Wir laden Sie herzlich zum Sommertreffen der internationalen Ehemaligen in Heidelberg ein.

SHAN wird an allen Tagen des Events präsent sein. Es erwarten Sie zwei Vorträge von Professor Barbara Mittler und Dr. Martin Gieselmann, dazu engagierte Studierende und jede Menge Glückskekse.
Wir freuen uns auf Sie!

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Ausstellung

SHAN fährt am Samstag, den 29. Juli, zur MMK-Ausstellung "Humanism in China" nach Frankfurt!

Der Besuch ist kostenlos, die Bahnfahrt mit dem Wochenendticket kostet für fünf Leute 30€ unter www.bahn.de.

Alle Interessierten sind herzlich willkommen. Einfach eine Mail an uns.

Im Jahr 2006 entwirft die Ausstellung »Humanism in China – Ein fotografisches Portrait« ein besonderes bildnerisches Panorama: Anhand von 590 Dokumentaraufnahmen chinesischer Fotografen aus den vergangenen fünf Jahrzehnten zeigt sie die Menschen in China vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Modernisierung. Ausgerichtet vom Guangdong Museum of Art, Guangzhou, umspannt die Ausstellung vier große Themenbereiche: Existenz, Beziehung, Begehren und Zeit.

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"Deutsche Unternehmen in China: Erfolgsfaktoren im Chinageschäft und Berufschancen für Sinologen"

Ich habe 1995 in Trier angefangen zu studieren. Damals haben mich alle für verrückt erklärt. „Sinologie“ sei doch „Sinnlosogie“.

Ich habe Sinologie allerdings nicht wegen der kulturellen Glanzlichter Chinas studiert. Ich finde China als Entwicklungs- und Schwellenland viel spannender. Ich habe immer gedacht, dass China mal ganz groß werden würde und habe mich schon in der Schule um die China-Referate geschlagen.

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Bi Feiyu - Die Mondgöttin

Xiao Yanqiu ist ein Star der Pekingoper. Nach einem Streit mit ihrer Rivalin wird sie entlassen. Zwanzig Jahre später erhält sie eine zweite Chance. Doch China hat sich stark verändert.

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Jin Xing / Catherine Texier - Shanghai Tango

Jin Xing kommt als Junge zur Welt, wird als Mann und schließlich als Frau zum Star der internationalen Tanzszene. Catherine Texier hat sie ihr ruheloses Leben erzählt.

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W-LAN und Wassergeister - Benjamin Kemmler stellt sein Taiwan vor

Taiwan – ein Land vieler Gesichter. Nach dem phänomenalen Wirtschaftsboom der achtziger Jahren gilt die Insel heute auch politisch als Vorbild für eine Demokratisierung Asiens. Bei aller Veränderung bietet das Land ein besonderes Umfeld chinesischer Religiosität.

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Praktika

Otto GmbH, Systain Consulting GmbH, Hamburg

Zeitraum: ab sofort, 2 Monate

Die Systain Consulting GmbH, eine Tochtergesellschaft der Otto Gruppe, ist eine der führenden Unternehmensberatungen im Bereich Nachhaltigkeit in Deutschland mit Büros in Hamburg und Istanbul. Zum Kundenkreis gehört neben Firmen der Otto Gruppe ein breites Spektrum von Fremdfirmen.

Berufsfeld: Consulting allgemein + IT-Consulting

Aufgaben:
- Unterstützung unserer Mitarbeiter im Hamburger Büro bei der Erstellung von Konzepten und Strategien zur Gestaltung ökonomisch-, ökologisch- und sozialverantwortlicher Wertschöpfung von Unternehmen
- Breites Einsatzspektrum von der Akquisition bis hin zur Übernahme von Teilprojekten

Anforderungen:
- Gut oder sehr gut abgeschlossenes Vordiplom der Wirtschafts-, Sozial- oder Geisteswissenschaften sowie erste qualifizierende Praktika
- Spaß am unternehmerischen Denken und Handeln
- Selbstständige Arbeitsweise und hohe Eigenmotivation
- Ausgeprägte kommunikative Fähigkeiten und hohe Flexibilität
- Sehr gute Englisch-Kenntnisse, Chinesisch-Kenntnisse vorteilhaft
- Deutsch als Muttersprache/fließend

Vergütung: 600-800 Euro

Bewerbung per Post:
Otto (GmbH & Co KG)
Kontaktperson: Frau Anita Niemeyer
Abteilung: Recruitment
Wandsbeker Str. 3 - 7
22172 Hamburg
per E-Mail: anita.niemeyer@otto.de

Tipp

Workshops, Seminare und Praktikumsprogramm: MLP Heidelberg

Der Heidelberger Finanzdienstleister MLP bietet in Zusammenarbeit mit dem Career Service der Universität Heidelberg eine Vielzahl von Workshops, Datenbanken und Seminaren zu Assessmentcentern, Soft Skills, Rhetorik, Bewerbungen oder Arbeitsverträgen an. Online stehen weitere Informationen zu den einzelnen Seminaren.

Die Seminare finden meistens wöchentlich statt, die Anmeldung kann online unter dem Link zu dem entsprechenden Seminar erfolgen.

Darüber hinaus richtet die MLP die Praktikumsinitiative „Join the best“ aus, welche Studenten im Hauptstudium die Möglichkeit internationaler Praktika bei renommierten Global Playern bietet. Näherer Informationen und Bewerbungsmodalitäten findet Ihr unter www.jointhebest.info.

Ohne Geld in Xinjiang? Von Kaja Müller

Als bargeldlos zahlender Europäer gewöhnt man sich in Chinas Großstädten schnell daran, bei einer Fililale der Bank of China oder anderen Kreditinstituten mit EC-Karte Geld abheben zu können. Nicht so in Xinjiang! In der Hauptstadt Ürümqi sind Bankautomaten Mangelware, eine Bank of China findet der Reisende hier nicht.

Abhilfe schafft Western Union.

Hierüber lassen sich in Kürze Beträge weltweit überweisen. Die Abwicklung einer Transaktion dauert wenige Minuten, wenn das Geld bei einer Filiale von Western Union in Deutschland eingezahlt wird. Nach der Einzahlung des Geldes erhält der Absender eine Bestätigungsnummer (MTCN), die er dem Empfänger mitteilen muss. Dieser kann mit einem Identifiktionsnachweis und der MTCN zur nächstgelegenen Western Union-Agentur und sich das Geld in bar aushändigen lassen.

Als Agentur für Western Union agiert in China auch die „Agricultural Bank of China“. Welche Filialen in China den Service konkret anbieten, erfährt man unter www.westernunion.com.

Und zum Schluss, damit der Reisende in Xinjiang nicht am Hungertuch nagen muss:

AGRICULTURAL BANK OF CHINA
10 Qinglian Lu
Ürümqi, Xinjiang, 830002
Montag bis Freitag 9.30 - 19.00
Samstag, Sonntag geschlossen


"Deutsche Unternehmen in China: Erfolgsfaktoren im Chinageschäft und Berufschancen für Sinologen"

SHAN: Herr Blume, wie sind Sie auf die Idee gekommen ihr Politik- und BWL-Studium mit Sinologie zu verbinden?

Andreas Blume: Ich habe 1995 in Trier angefangen zu studieren. Damals haben mich alle für verrückt erklärt. „Sinologie“ sei doch „Sinnlosogie“.

Ich habe Sinologie allerdings nicht wegen der kulturellen Glanzlichter Chinas studiert. Ich finde China als Entwicklungs- und Schwellenland viel spannender. Ich habe immer gedacht, dass China mal ganz groß werden würde und habe mich schon in der Schule um die China-Referate geschlagen.

Woher kam diese frühe Faszination?

Das kann ich gar nicht genau sagen. Vielleicht hat mein Vater mal gesagt, dass China etwas ganz Großes wird. Es war diese Dynamik, die mich fasziniert hat und heute noch fasziniert. Dort, wo sich etwas bewegt, werden immer neue Leute gebraucht.

Haben Sie diese Erfahrung auch bei Ihrer Praktikasuche gemacht?

Absolut. Ich habe nach dem ersten Semester mein erstes Praktikum bekommen, nachdem ich einfach den Abgeordneten meiner Gemeinde angeschrieben hatte. Während des laufenden Praktikums habe ich das Nächste besorgt. So bin ich beim Entwicklungsministerium und bei der Deutschen Botschaft in Bangladesh gelandet. Im 7. Semester war ich für sechs Monate bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Xi’an.

Wieviele Praktika haben Sie während des Studiums gemacht?

Neun. Fast alle während der Semesterferien. Aber so viele müssen es nicht sein. Man sollte darauf achten, dass die Praktika thematisch aufeinander aufbauen. Auch die Abschlussarbeit sollte fokussiert sein. Jemand, der in der Wirtschaft arbeiten möchte, hat mit einer Literaturarbeit eher schlechte Karten.

Welche Erfahrungen haben Sie in ihrer Zeit in Xi’an besonders geprägt?

Ich kam an und habe nichts verstanden, obwohl ich zwei Jahre lang intensiv Chinesisch gelernt hatte. In den ersten Wochen erschwerte mir der Xi’an-Dialekt jegliche Kommunikation. Gut für mich war, dass in meinem Team kaum jemand Deutsch konnte. Ich musste also Chinesisch sprechen.
In die Stadt habe ich mich nebenbei verliebt. 1998 gab es dort so gut wie keine Ausländer, entsprechend stark stach ich da heraus. Wie zum Beispiel an dem Tag, als wir aufs Land gefahren sind um 700 Schafe und 7 Böcke für ein Dorfentwicklungsprojekt zu kaufen. Danach haben wir ein Hotel angemietet und mit den chinesischen Bauern die Preise verhandelt, das war richtige Praxis!

Stichwort Praxis: Wie sieht Ihr Arbeitsalltag in der IHK konkret aus?

Das ist sehr unterschiedlich. Meine Hauptaufgabe ist es, jegliche Anfragen zum Chinageschäft zu beantworten. Die bekomme ich von den 30 Kammerbezirken der IHK. Die Fragen beziehen sich auf völlig unterschiedliche Bereiche wie Export und Import, Personal, technische Bestimmungen, Schutz geistigen Eigentums, Lizenzen, kurz: China rauf und runter. Da muss man schon fit sein. Und belastbar. An manchen Tagen geht das Telefon alle zwei Minuten. Da habe ich kaum Zeit mir eine Anfrage zu notieren.
Bei größeren Anfragen oder Problemen wird ein persönliches Gespräch entweder im Unternehmen oder in der IHK vereinbart.

Ihre Beratungsarbeit wird über die IHK-Beiträge finanziert?

Richtig. Die Schwerpunktkammern der IHK kooperieren untereinander, das heißt ein Unternehmen aus Frankfurt an der Oder, das etwas zu China wissen möchte, ruft bei mir an. Ein Unternehmen aus Kaiserslautern, das zum Beispiel etwas zum Grenzgängerrecht in Polen wissen möchte, ruft in Frankfurt an der Oder an. Wie gut diese Kooperation funktioniert, hängt größtenteils vom Engagement der jeweiligen Personen ab. Außerdem arbeiten wir seit vielen Jahren mit einem Wissensmanagementsystem, das von jeder Kammer gefüttert werden muss. Das funktioniert sehr gut.

Welches sind typische Klischees, die Ihnen in der Arbeit mit Mittelständlern begegnen?

Ich sage nur: „chronisch militante Joint Venture-Gründungen!“ Ohne Sinn und Verstand! Deutsche Unternehmer verlassen sich sehr schnell auf die Chinesen. Das liegt an deren Höflichkeit, am Lächeln. Deutsche Unternehmer missverstehen dieses Verhalten häufig. Ich habe oft erlebt, dass sie wildfremden chinesischen Unternehmern Informationen geben, die sie einem Unternehmen in Deutschland, das sie seit 20 oder 30 Jahren kennen, niemals verraten würden.

Wie kann das sein?

Das hat mit dem China-Hype und, ich sage es ganz offen, mit Geldgier zu tun. Die Leute haben Dollarzeichen in den Augen beziehungsweise Renminbi, die bekanntlich länger und breiter sind, da sieht man weniger...
Viele meinen aber auch, man müsse unbedingt nach China, um nichts zu verpassen. In vielen Bereichen ist das so. Der Spruch von Siemens-Chef Heinrich von Pierer greift allerdings zu kurz. Jeder Einzelfall muss für sich betrachtet werden. Es gibt Fälle, da würde ich sofort davon abraten nach China zu gehen.

Zum Beispiel?

Die Größe des Unternehmens ist nicht unbedingt ausschlaggebend. Entscheidender ist, ob es jemanden gibt, der gewisse Erfahrungen im Auslandgeschäft mitbringt, möglichst auch im außereuropäischen Ausland.
Wichtig ist, dass derjenige auch Zeit hat, sich mit China zu beschäftigen und dass er einen Geschäftführer hat, der ihn ein bisschen spielen lässt und flexibel ist, was die Adaption bestimmter Spielregeln in China angeht. Ein Zwei- oder Drei-Mannbetrieb kann in China sehr erfolgreich sein. Dagegen kann ein Großunternehmen, das niemanden wirklich freistellt, hoffnungslos untergehen. Entscheidend ist, wie gut sich ein Unternehmen auf China einstellt und bei der Vorbereitung bereit ist, externe Hilfe anzunehmen.

Wie sehen Sie die Bereitschaft von Unternehmen, sich diese Hilfe ins Haus zu holen?

Interkulturelle Seminare zu China sind durchaus gut besucht. Würde man ein interkulturelles Seminar zur USA anbieten, würde niemand kommen, obwohl mehr Joint Venture in den USA aufgrund interkultureller Unterschiede scheitern als in China.

Woran hakt es dann?

Die größten Schwächen liegen in der Marktanalyse, im Marketing und im Produktmanagement. Oft gehen Unternehmer davon aus, dass sich ihr Produkt in China genauso verkaufen wird wie anderswo auch. Sie bauen dann ein hochwertiges Teil in ein Endprodukt ein, weil sie von einer 30-jährigen Nutzungsdauer ausgehen. Sie berücksichtigen nicht, dass jenes Produkt in China vielleicht nur eine Lebensdauer von vier Jahren hat. Unternehmen passen ihre Produkte oft nicht an die realen chinesischen Marktverhältnisse an. Und 20 Prozent mehr Qualität in China bedeutet oft 200 Prozent mehr Preis!

Welches sind neben der Anpassung an den Markt die größten Herausforderungen für deutsche Mittelständler in China?

Die Sprache ist nach wie vor eine große Herausforderung. Oft fehlt auch das interkulturelle Verständnis. Das größte Problem dürfte aber sein, geeignete Mitarbeiter zu finden und an das Unternehmen zu binden. In China wechselt innerhalb Jahresfrist mindestens ein Drittel der Führungsebene den Job. Da wird Job-Hopping bis zum Exzess betrieben.

Produkt- und Markenpiraterie ist auch ein Problem. Aber das ist es auch für Unternehmen, die nicht nach China gehen. 77 Prozent der Unternehmen, die nicht in China tätig sind, haben mit dem weltweiten Export von gefälschten Produkten und Marken zu kämpfen, die aus China stammen.

Spionage ist ein Thema, das in Deutschland leider kaum wahrgenommen wird. Sie kommt zwar nicht häufig vor, richtet dann aber großen Schaden an. Durch einen Spionageangriff kann ein mittelständisches Unternehmen bankrott gehen, wenn es zum Beispiel als Chemieunternehmen seine chemischen Formeln verliert. Dass man auch vorsorgen kann, ist in Deutschland noch nicht angekommen.

Wie kann sich ein Unternehmen schützen?

Ein Unternehmen sollte zweigleisig fahren, also in China und in Deutschland tätig werden. Es gibt darüber hinaus auch schon sehr gute chinesische Anwälte. Da fast jede Unternehmensabteilung potentiell gefährdet sein kann, ist der effektive Schutz vor Produktpiraterie eine interdisziplinäre Angelegenheit, die möglichst direkt unter dem Vorstand angesetzt werden sollte.

Wo kommt in der momentanen Chinawahrnehmung der Sinologe ins Spiel?

Sinologen sind sehr wichtig, um ein Chinaengagement nachhaltig zu gestalten. Für mich sind Sinologen der Schlüsselfaktor schlechthin, denn sie bieten etwas, was alle anderen nicht bieten. In deutschen Unternehmen haben Sinologen den Vorteil, dass sie Deutsch und Chinesisch sprechen. Darüber hinaus haben sie China verstehen gelernt und sind meist an einem längeren Aufenthalt dort interessiert. Als Deutsche gelten sie zudem als loyal. Das ist in China ein großer Vorteil.
Es gibt dort Unternehmen, die erst im fünften Anlauf einen Geschäftsführer finden, der „nur“ 10 Prozent der Gelder veruntreut. Deutsche machen so etwas in der Regel nicht. Erstens ist ihre Bindung zum Unternehmen größer. Zweitens lässt sich ihr Lebenslauf nicht so leicht fälschen, wenn sie den Job zu oft wechseln. In China ist das anders.

Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit Sinologen gemacht?

An vielen Schaltstellen in deutschen Unternehmen sitzen bereits Sinologen mit BWL- Kenntnissen. Sie als Sinologen müssen da aggressiv an Unternehmen herantreten. Voraussetzung ist, dass sie zumindest grundlegende BWL Kenntnisse vorweisen können.

Hand aufs Herz: Kurzes Studium, was viele Praktika unmöglich macht oder längeres Studium und dafür mehr Auslandsaufenthalte und Praktika?

Auf jeden Fall letzteres. Was aber nicht heißen soll, dass ein Studium 14 oder 15 Semester gehen darf. Das ist ein K.O.-Kriterium. Aber lieber 11 oder 12 Semester mit vier oder fünf Praktika und Auslandsaufenthalten als 8 Semester ohne. Definitiv.

Herr Blume, herzlichen Dank für das Gespräch.

Das Interview führten Karin Benkelmann und Oliver Radtke.

 

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04 :: Bi Feiyu - Die Mondgöttin

Xiao Yanqiu ist Chang’e, eine Opernrolle aus der chinesischen Mythologie, eine Gestalt, die für ewige Zeiten auf den Mond verbannt wurde. Xiao Yanqiu ist auch eine Frau und Mutter, die im neuen China von Reform und Öffnung ihren Weg sucht.

Eine zweite Chance nach zwei Jahrzehnten

Weil sie ihrer Rivalin heißes Wasser ins Gesicht gespritzt hat, muss Xiao Yanqiu ihre Gesangskarriere in der Welt der Peking-Oper aufgeben. Zwanzig Jahre später erhält sie eine neue Chance – dieselbe Oper, dieselbe Rolle.

Doch die Zeit hat Spuren hinterlassen, Spuren, die den Neuanfang nicht einfach machen. Xiaos Ehe ist glanzlos, die gemeinsame Tochter eine Statistin im Gefüge ihres Alltags als Gesangslehrerin an der Opernschule.

Alles ändert sich, als ein erfolgreicher Zigarettenfabrikant, Vertreter des neuen Unternehmertums in China, den Star seiner Jugend und die dazugehörige Oper finanziell unterstützen möchte: Er will die Diva seiner Jugendträume unbedingt wieder auf der Bühne sehen. Xiao Yanqiu wächst nach Jahren der Leblosigkeit neuer Mut und stürzt sich in die Vorbereitung der Hauptrolle ihres Lebens – Chang’e.

Verborgene Wirksamkeit

Ihre Verbissenheit, die längst an die Stelle jugendlicher Frische getreten ist, droht, den Traum scheitern zu lassen. Durch eine Pillendiät – ihr Mann kann die westlichen Buchstaben des Präparates nicht entziffern – verliert Yanqiu nicht nur überflüssige Kilos, sondern auch den betörend klaren Klang ihrer Stimme.

Und so erhält Xiaos Schülerin unversehends die Gelegenheit ihr Können zu präsentieren. Chunlai, jung, schön und talentiert, hat alles, was es für diese Rolle braucht. Begeht Xiao Yanqiu denselben Fehler wie vor zwanzig Jahren?

Orientierungslosigkeit auch in der Sprache

Bi Feiyus Stil, der deutschen Lesern 2004 erstmals in dessen Erzählung „Die Fernsteuerung“ begegnet sein dürfte, ist schnörkellos. Gerade damit bringt er die innere Zerrissenheit Xiao Yanqius pointiert zum Ausdruck: eine rehabilitierte Künstlerin zwischen eigenen Ambitionen und „progressiven Gedanken“ (schön, wie der Intendant ihren Entschluss, sich ganz dem Unterricht der Schülerin zu widmen, nicht anders kommentieren kann als mit dem Rückgriff auf diese Formulierung aus der Zeit der Kulturrevolution).

Der nicht vorgebildete Leser findet im Text kurze Fußnoten des Autors zur Herkunft und Bedeutung der einzelnen Opernrollen, ohne damit aus dem Lesefluss zu geraten. Der besondere Hintergrund der Erzählung, die Welt der Pekingoper, steht zudem gar nicht im Mittelpunkt. Bi Feiyu macht die Frage nach dem Stellenwert aller Kunst zum zentralen Thema, in einer Zeit, in der die Neuausrichtung Chinas zwischen eigener Tradition und westlicher Moderne keinerlei Führungshilfe verspricht.

Seltenes Kleinod

„Die Mondgöttin“ von Bi Feiyu kann sich zu Recht einer Ausnahmestellung auf dem deutschen Büchermarkt rühmen. Die Übersetzung von Sinologe Marc Hermann ist flüssig, die Sprache prägnant, der 160 Seiten kurze Text erschafft eine bedrückende Atmosphäre der Orientierungslosigkeit vor dem Hintergrund der Peking-Oper inmitten des chinesischen Reformprozesses. Langsam lesen und genießen.

Oliver Radtke
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Bi Feiyu
Die Mondgöttin
Februar 2006
160 Seiten - Blessing
ISBN: 3-89667-298-3
EUR 14,95

 

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05 :: Jin Xing - Shanghai Tango

Eine Irritation vorneweg: Wie beginnt man die Biografie eines Menschen, der sein Geschlecht gewechselt hat? Warum überhaupt ein Wechsel des Personalpronomens, wenn sich die zu beschreibende Person nie anders gesehen hat als das, was sie schließlich auch äußerlich geworden ist: eine Frau.

1967 kommt Jin Xing, der Goldene Stern, als Sohn koreanischer Eltern in der Mandschurei zur Welt. Mit neun Jahren beginnt seine Karriere, als der Junge seine Eltern mit Hilfe eines Hungerstreiks überredet, seiner Tanzausbildung beim chinesischen Militär zuzustimmen. Das Training ist hart. Neben klassischem russischem Ballett und chinesischem Volkstanz lernt das schmächtige Kind Gewehre zu reinigen und Handgranaten zu werfen.

 

Mit 17 bereits ein Star

Bereits damals spürt Jin Xing, dass dieser Jungenkörper, dem etliche ältere Waffengefährten besonderes Interesse entgegenbringen, die falsche Hülle ist. Zu sich selbst findet er nur im Tanz, im energetisch-verspielten Ausdruck seiner Wurzellosigkeit. Mit 17 ist der Goldene Stern Oberst der Volksbefreiungsarmee und als bester Tänzer Chinas national bereits ein Star.


Die Herausforderung Amerika

Nach langen Kämpfen erhält Jin Xing ein Stipendium für Amerika und geht 1988 nach New York. Doch die Ankunft schockt ihn: Sein Tanz, seine innerste Ausdrucksweise – geschult durch russischen Drill und technische Perfektion – gilt wenig im Land des Modern Dance. Doch der Goldene Stern nimmt die Herausforderung an, fasziniert und verwirrt zugleich durch die sexuelle Toleranz und Freiheit des Andersseins in New York. 1991 wird Jin Xing auch in Amerika zum besten Tänzer gekürt.

Sein sexuelles Bewusstsein, die Gewissheit, im falschen Körper zu stecken, lassen den Startänzer nach China zurückkehren. Vier Jahre später wird der Goldene Stern wiedergeboren, als Frau.

 

Weiterkämpfen statt Selbstmord

Während ihrer letzten Operation verliert sie beinahe das linke Bein, das durch falsche Lagerung stundenlang keine Blutversorgung erhält. Sie denkt an Selbstmord. Schließlich kämpft der Goldene Stern doch weiter, vielleicht, weil er bereits sein ganzes Leben darum bemüht ist den richtigen Platz am Firmament zu finden.

Seit 2000 ist Jin Xing Direktorin der von ihr gegründeten Shanghai Dance Company, der einzigen unabhängigen Tanzgruppe Chinas.

Sie lebt mit ihren drei Adoptivkindern und ihrem deutschen Ehemann in einem traditionellen Shikumen-Steinhaus in Shanghai, ihr limonengelber Beetle schwirrt als greller Fleck durch den Straßenverkehr der Metropole.

 

Jin Xings Programm heißt Jin Xing

Shanghai Tango ist ein bewegendes Buch, das sich einzig und allein um eine Person dreht. Das ist Jin Xings Programm. Sie ist eine Frau, die den Mittelpunkt sucht, die den Mittelpunkt setzt, mitten hinein in Chinas großes Versuchslabor Nummer eins - Shanghai.

Die französische Autorin Catherine Texier hat Jin Xings Erzählungen in einen flüssigen Text verwandelt. Sie bereitet dem Leser ein wildes Szenario zwischen sexueller Suche und totaler Hingabe an den Tanz.

Dabei stehen diese beiden Hauptthemen in einem seltsamen Mißverhältnis zueinander. Der Leser erfährt vieles über den Cowboy-Geliebten in Texas, die Schwulenbars in New York, über chinesische Soldaten, die den kleinen Xing offen begehren und dabei so viel weniger über das, was Jin Xings Wesen umso offener zeigt: ihr Leben auf der Bühne, ihre innere Suche von einer rein technischen Perfektion der Bewegungen im russischen Ballett zu den freieren und intimeren Formen des Modern Dance.

Man muss den Goldenen Stern wohl tanzen sehen, um ihn wirklich verstehen zu können.

 

Oliver Radtke

 

Jin Xing mit Catherine Texier
Shanghai Tango
März 2006
224 Seiten - Blanvalet
ISBN: 3-7645-0216-9
EUR 19,95

 
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W-Lan und Wassergeister - Auslandsaufenthalt in Taiwan (2003/2004)

Taiwan – ein Land vieler Gesichter. Nach dem phänomenalen Wirtschaftsboom der achtziger Jahren gilt die Insel heute auch politisch als Vorbild für eine Demokratisierung Asiens. Bei aller Veränderung bietet das Land ein besonderes Umfeld chinesischer Religiosität.

Taiwan blieb verschont von der Großen Proletarischen Kulturrevolution des Festlandes und anderer kommunistischer Kampagnen gegen den Aberglauben. So hat sich eine einzigartige Mischung aus westlichem Einfluss, westlichen Lebensstandard und traditionellem Glauben bilden können.

„Allein in Taibei gibt es unzählbar viele Tempel und Schreine“, verkündet mein Reiseführer etwas holprig. Dennoch hat er Recht. Im Gebiet der Hauptstadt finden sich zahllose Tempel, öffentliche Altare und Schreine, dazu eine unbekannte Zahl privat gepflegter Miniaturtempel. Kaum betrete ich die Wohnung befreundeter Taiwanesen, fällt mir sofort der in der Mitte des Wohnzimmers gelegene Hausaltar auf. Regelmäßig werden dort für die Hausgeister und die Ahnen Räucherstäbchen angezündet und Obst geopfert.

Als mich die Familie von Lin Junping zum monatlichen Tempelbesuch in die Berge einlädt, überrascht mich ihre Offenherzigkeit. Sie erklärt mir, welches Papiergeld für die Gottheiten und welches für die Ahnen verbrennt wird. Lächelnd drückt sie mir anschließend Räucherstäbchen in die Hand. Dass das nicht meine Religion ist, stellt für sie kein Hindernis dar. „Schaden kann es doch nicht, oder?“, meint Lin Junping und lacht. Ich stelle mir leicht irritiert einen Katholiken vor, der einem Protestanten anbietet, während der Messe auch mal den Weihrauch zu schwenken.

Dass sich Lockerheit der Taiwanesen im Umgang mit Religion häufig finden lässt, zeigt mir eindrücklich die große Micky Mouse, die mich als Wegweiser im San Feng-Tempel im südlichen Gaoxiong anlacht und mit ihren weißen Handschuhfingern erklärt, wo es zu den Spendenboxen geht. Auf meine Frage, ob Walt Disney in taiwanesischen Tempeln normal sei, ernte ich von den Umstehenden nur eine gleichgültiges „Wieso denn nicht?“.

Daoismus, Buddhismus und Konfuzianismus haben sich in Taiwan so sehr vermischt, dass sich schwer sagen lässt, ob sie in- oder nebeneinander existieren. Nicht von ungefährt lautet daher die erste Aufgabe meiner chinesischen Lektorin, in einen Tempel meiner Wahl zu gehen und mich dort über Gottheiten, Religion und Riten zu informieren.

Die leicht scheinende Aufgabe stellt sich vor Ort als ganz schön knifflig heraus. Als ich am Taibeier Xingtian-Tempel ankomme, stehe ich vor einer lautstarken Menschenmenge. Im Tempel komme ich mir vor wie auf einem Rummelplatz. Nichts ist zu spüren von der andächtigen Stille, die ein Europäer aus seinen Kirchen kennt. Überall wird getrommelt, Kinder schreien und inmitten der Kakophonie beten kahlköpfige Mönche.

In der Mitte des Tempelhofes liegen auf langen Tischen Berge von Opfergaben. Ich sehe das obligatorische Papiergeld zu Stapeln getürmt. Neben Obst, Keksen und Colaflaschen bemerke ich Anmeldebögen für wichtige Prüfungen, dazu die entsprechenden Stifte, mit denen ein gutes Ergebnis erzielt werden soll.

Ich muss immer noch herausfinden, ob der Tempel buddhistisch ist. Auf der Suche nach Hinweisen laufe ich orientierungslos durch die Anlage. Eine alte Frau, der mein Umherirren aufgefallen ist, bringt mich zu einem der Obermönche, der in einem abseits gelegenen Raum damit beschäftigt ist, Papiergeld zu verkaufen. Er drückt mir wortlos eine englische Hochglanzbroschüre des Tempels in die Hand. Ihr entnehme ich, dass es sich tatsächlich um einen buddhistischen Tempel handelt.

Auf dem Heimweg besuche ich eine Freundin, deren Mutter ich von meinen Entdeckungen erzähle. Sie schaut mich entgeistert an: „Buddhistisch? So ein Blödsinn, das ist ein daoistischer Tempel. Ich muss es wissen, schließlich gehe ich ja selber ständig dort hin!“ Jede Kategorisierung nach westlichem Verständnis stößt da an ihre Grenzen.

Mich fasziniert die Selbstverständlichkeit, mit der althergebrachten Vorstellungen keineswegs als Gegensatz zur Modernität aufgefasst werden. „Natürlich gibt es Geister. Um sie zu besänftigen, muss man Papiergeld verbrennen“, so die Worte eines befreundeten Taiwanesen, der als Informatiker in einer deutschen Firma in der Hauptstadt arbeitet.

Ein Paradebeispiel ist auch der Besitzer eines Internetcafés in Taibei, der eben noch vor seinem LCD-Bildschirm sitzt und nun am Straßenrand einen Opfertisch aufbaut, um in einer davor stehenden Tonne bündelweise Papiergeld zu verbrennen. Als ich ihn darauf anspreche, lacht er: „Naja, eigentlich glaube ich nicht an höhere Mächte und gehe auch nicht in den Tempel, höchstens mit meinen Eltern. Gibt es aber doch Geister, will ich nicht derjenige sein, der sie verärgert...“

Benjamin Kemmler

 

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Zuletzt bearbeitet von: AF
Letzte Änderung: 04.12.2014
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