Newsletter-Archiv: September 2017

 
Filmnewsletter September

Liebe Filmfreunde,

Nach der Sommerpause geht es nun frisch mit jeder Menge Neuigkeiten aus der chinesischen Filmbranche und rund um Leinwand-Neuerscheinungen ins neue Semester. Angefangen beim chinesischen Gewinner des Locarno-Filmfestival, über die neue Welle an patriotischem Kino, bis hin zu neuen Beschränkungen, was China-Hollywood-Deals betrifft. Viel Spaß!
Eine überraschende Neuigkeit erreichte die europäische Filmcommunity Mitte August. Der Hauptpreis des Prestige-Filmfestival in Locarno, der „Goldenen Leopard“, wurde am 12. August dem chinesischen Filmemacher Wang Bing 王兵 verliehen. Das Schweizer Festival, das für die breite Selektion an Arthouse-Kino bekannt ist, ehrte sein ruhiges, trauriges, ehrliches Filmportrait „Mrs Fang“ 方绣英 (2017).
Wer (wie ich) die Möglichkeit hatte, dieses Jahr zur documenta 14 nach Kassel zu fahren, der konnte sich selbst von dem Werk überzeugen. Im Kino Gloria wurden ausschließlich Wangs Filme gezeigt, unter anderem auch seine intime Dokumentation von Frau Fang. Bekannt für seine kunstvollen Filmportraits von Menschen am Rande der Gesellschaft, verhandelt Wang Bing auch hier das einsame Schicksal der marginalisierten, alten Frau Fang. Wie ein unsichtbarer Wegbegleiter verfolgt Wang den Leidensweg der alten Frau, die an Alzheimer erkrankt nur noch im Bett liegt und mit leerem Blick gen Kamera oder Decke starrt. Unberührt und leise folgt er ihren Kindern, wie sie das Zimmer betreten und verlassen, darin schlafen und (scheinbar unbekümmert) in dem südchinesischen Dorf auf den Tod des weiblichen Haupts der Familie warten. In unheimlichen Close-ups des eingefallenen Gesichts der Kranken fordert Wang auch die Zuschauer auf, sich der Angst vor dem Tod zu stellen und aus dieser Perspektive das Leben unter die Lupe zu nehmen: Wer war Frau Fang eigentlich? Wang beantwortet diese Frage nicht.

Ein eingehender Blick in Wang Bing’s Schaffen (der Regisseur ist auch für seine überaus langen Dokumentationen bekannt) lohnt sich auf jeden Fall. Ich habe mich sehr über seinen Erfolg dieses Jahr gefreut und hoffe auf ein paar baldige Filmscreenings in unserer Nähe!
Zur Ankündigung der Preisverleihung geht es hier
Patriotisches aus der Filmwelt
Der große Kinoerfolg des Films Wolf Warriors 战狼 2 (2017), gedreht, mitgeschrieben und gespielt von Wu Jing 吳京, war wohl im August die Schlagzeile schlechthin. Der Film hat alle Boxoffice-Rekorde gebrochen und gilt als erste Film, der in China die 600 Mio. USD-Grenze überschritten hat (mittlerweile ist er bei ca. 800 Mio. USD). Er lief während der jährlichen "Sommer-Blackout-Periode" an, zu der alle ausländischen Filme zugunsten nationaler Beiträge aus den Kinos verbannt werden.
Viele Zuschauer und Kritiker standen dem Patriotismus des Helden Leng Feng – der übrigens als der "chinesische Rambo" gehandelt wird – sehr skeptisch gegenüber. In einem unbenannten afrikanischen Staat kämpft Leng für die Evakuierung von chinesischen Arbeitern während einer Rebellion gegen die Regierung, ein "einsamer Wolf", der sich gegen die Bösen allein durchschlagen muss (hier wird seine Machtstellung gegenüber den einheimischen Menschen hervorgehoben, ganz zu schweigen von dem ultimativen „Bösen“ im Film, einem amerikanischen Soldaten namens „Big Daddy“). Wie im ersten Teil von Wolf Warriors (2015) folgt Leng dem Leitsatz „whoever offends the Chinese will be wiped out no matter how far away”. Mit einem Budget von 30 Mio. USD konnte Filmemacher Wu auch einige amerikanische Berater, wie z.B. die Russo Brüder (Regisseure der letzten Captain America- und Avenger-Filme) sowie Stunt- und Soundcrew gewinnen.

Gleichzeitig machte The Founding of an Army 建军大业 (2017) sein Leinwanddebut. Für den dritten Teil der (Propaganda) Founding-Serie wurde diesmal sehr viel „kleines Frischfleisch“ (小鲜肉) - gut aussehende, junge Stars, die durch die Pop-Szene oder Werbung bekannt geworden sind – rekrutiert. Wie es hier mit dem tatsächlichen Gewinn des Films aussieht, bleibt unklar: Filme diese Genres werden bekanntlich oft von der Regierung favorisiert.

Der August brachte nach dem Erfolg der Wolf Warriors 2 noch mehr Neuigkeiten: Die Geschichte der Wolfkämpfer wird nun auch als Serie adaptiert. Außerdem fand chinesischen Medien zufolge Ende August ein Treffen zwischen Christopher Nolan (der wegen seines Films Dunkirk, 2017, in Peking war) und Wu Jing statt, leider sind dazu aber bisher keine Informationen verfügbar.
Ein Interview für die, die Wu Jing besser verstehen wollen
News ++++ Hellboy Whitewashing: Der Schauspieler Ed Skrein ist von seinem Casting als Figur Major Ben Daimio in der Produktion Hellboy: Rise of the Blood Queen zurückgetreten, da es sich in den Comics ursprünglich um einen Charakter mit japanischen Ursprüngen handelt. Viele (US-) asiatische Schauspieler ließen über Social Media ihre Anerkennung für diee Schritt verlauten. +++ Vier Filme aus dem chinesischen Sprachraum wurden für das Busan Filmfestival im Oktober ausgewählt, darunter auch Zhou Quan's 周全 End of Summer 西小河的夏天 (2017) ++++
Filmmarkt: Neue Beschränkungen

August war auch ein Monat weiterer Einschränkungen der Filmindustrie. Die chinesische Regierung gab Mitte August bekannt, dass Investitionen in die Filmlandschaft Hollywoods (außerdem auch in die Bereiche Immobilien, Entertainment und Sport) ab sofort beschränkt würden. Diese (zugegebenermaßen bereits erwarteten) Regeln verpassten den seit einer Zeit angekurbelten Hollywood-Investitionen erstmal einen Dämpfer - und der wird voraussichtlich erstmal nicht aus dem Weg zu räumen sein.
Aktuelles Opfer dieser Regelung ist nun die Produktionsfirma Millennium Films (London Has Fallen, 2016, oder The Expendables, 2014), die von Tony Xias 夏建统 Recon Holding in mehreren Schritten gekauft werden sollte. Der Deal, der sich auf ca. 200 Mio. USD belief, wurde nach fehlendem Zahlungseingang endgültig gestoppt. Ähnlich erging es anderen verpassten Abmachungen wie HuaHua und Viacom oder Wanda und Sony films.
Ein Variety-Artikel zum Thema
Vieles verbirgt sich im September bei den Sendern arte und 3sat: Von der Staatsfernsehmoderatorin Martina in China, über den allseits bekannten Ai Weiwei, bis hin zur Pazifik-Doku von diesem Jahr, die von der VR China, Neuseeland und den USA produziert wurde. Das lässt sich (Fern)sehen!
 
Wann Datum Beginn Ende Sender Titel Teil Bemerkungen
Montag 4.9. 18:00 18:30 phoenix Nordkorea: Marathon und Volkskongress 1 von 1  
Freitag 8.9. 13:15 13:35 3sat Martinas langer Marsch 1 von 1  
Sonntag 10.9. 12:05 13:00 3sat China - Anatomie einer Weltmacht 1 von 1  
Samstag 16.9. 19:30 20:15 n-tv Die Adlerjäger in der Mongolei 1 von 1  
Sonntag 17.9. 05:00 05:50 arte Ai Weiwei - Evidence 1 von 1  
Montag 25.9. 18:35 19:20 arte Big Pacific - Der gewaltsame Ozean 1 von 2
Mittwoch 27.9. 18:35 19:20 arte Big Pacific - Der leidenschaftliche Ozean 2 von 2  
Samstag 30.9. 13:45 14:25 arte Feine Stoffe, ferne Länder - Mongolei laufende Serie  
Samstag 30.9. 15:55 16:40 arte Feine Stoffe, ferne Länder - Tibet laufende Serie  
Samstag 7.10. 16:00 16:45 3sat China: Sichuan - Pandas, Bambus und Gewürze laufende Serie  
Kommt gut in den Herbst!

Bis dann - Clara
 
 
Zuletzt bearbeitet von:
Letzte Änderung: 04.09.2017
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