Journalismus, Propaganda, Zensur und die deutschsprachige Sinologie

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Nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen BRD und Volksrepublik China (1972) reisten viele deutschsprachige Diplomaten, Journalisten, Politiker und Studierende in den Fernen Osten. Diese wurden mit chinesisch-, englisch- und deutschsprachigen Medien konfrontiert und machten sich bald Gedanken über Glaubwürdigkeit, Zuverlässigkeit und Nutzen dieser Quellen. Kompliziert wurde es Ende der siebziger Jahre durch handgeschriebene Wandzeitungen (z. B. an der „Demokratiemauer“ im Westen der chinesischen Hauptstadt), die die meisten ausländischen Gäste erstmal überforderten.

Studierende

Der (in Heidelberg gegründete) Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) schickte ab Mitte der siebziger Jahre Studierende in die VR, die zunächst in Beijing, Jinan, Nanjing, Shanghai, Shenyang und später auch in anderen Städten studierten. Wegen ungenügender Vorbereitung konnten sie in der Regel im ersten Jahr des Aufenthalts nur wenige Texte lesen und blieben häufig noch ein zweites Jahr. Viele begannen dann mit der Anfertigung ihrer Magisterarbeiten und bemühten sich ernsthaft um brauchbare Quellen. (s.a. DAAD: Abenteuer China, Bonn, 2009)
 
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Publikationen

1973 war die Gesellschaft für Deutsch-Chinesische Freundschaft (GDCF) gegründet worden, die ab 1974 die Zeitschrift Das neue China (DNC) publizierte.

Im zweiten Heft des Jahres 1979 befasste sich Peter Schier (Hamburg) mit kontroversen Wandzeitungen: Der Fall Li Yi Zhe: Ein Lehrstück in sozialistischer Demokratie.

Die Nr. 5 des gleichen Jahres enthielt den Beitrag Verboten / verfolgt / rehabilitiert von Rudolf G. Wagner. Außerdem fragte Wolfgang Kubin Brauchen wir eine Dissidentenliteratur aus China? (Beide arbeiteten damals in Berlin.)

Im letzten Heft des Jahres wurde dann über den Prozess gegen einen „Dissidenten“ ausführlicher berichtet: Zum Fall Wei Jingsheng und die Reaktion deutscher Chinafreunde. (Im gleichen Jahr hatte Parteichef Hua Guofeng die Bundesrepublik Deutschland und Rudolf Wagner China besucht, Kubin hatte schon vorher in Beijing studiert.)

Theater

Anfang der achtziger Jahre wurde auch vermehrt über verbotene Theaterstücke diskutiert, von denen bald zwei auf Deutsch erschienen:
Blick westwärts nach Chang’an (Lao She), München, 1983.

„Und wenn ich es wirklich wäre“ (Sha Yexin, Li Shoucheng, Yao Mingde), in R.G. Wagner: Literatur und Politik in der Volksrepublik China, Frankfurt, 1983.

Wagner interessierte sich damals besonders für die in den fünfziger Jahre kritisierten, in den siebziger Jahren rehabilitierten Autoren Liu Binyan und Wang Meng und insgesamt für die sogenannte Reportageliteratur. Diese Themen wurden in dem obenstehenden Suhrkampband und in Moderne chinesische Literatur (Hg.v. W. Kubin), Frankfurt, 1985, behandelt. Liu und Wang besuchten später Berlin.

In einem DNC-Themenheft „Ende der Reform?“ des Jahres 1987 schrieb der „Heidelberger“ Lutz Bieg: Die Zensur wird wieder sichtbar.

1988 erschien ein Themenheft (Nr. 5) über „Massenmedien“. Darin gab es u.a. Beiträge wie Zensur: Keine eindeutigen Grenzen (Johnny Erling) und Interne Publikation! Sorgfältig aufbewahren! (Helmut Opletal). Opletal hatte schon vorher Die Informationspolitik der Volksrepublik China veröffentlicht, Propagandaforscher lasen damals besonders gern die Zeitschrift Xuanchuan dongtai 宣传动态 (Propagandatrends).

Nach seiner Berufung nach Heidelberg hat R. G. Wagner auch verschiedene Magister- und Doktorarbeiten über Presse und Medien betreut.

Im Jahr 2000 fand in Berlin eine Tagung der Deutschen Vereinigung für Chinastudien (DVCS) über „Zensur“ statt. Rudolf Wagner und einige andere (Ex-) Heidelberger(innen) bereiteten dafür Vorträge vor.

Nach der Jahrhundertwende beschäftigten sich dann immer mehr Autoren mit der Internetzensur.

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PS

Vor kurzem wurden auch noch Beiträge einer späteren DVCS-Tagung veröffentlicht:

Worüber man nicht spricht: Tabus, Schweigen und Redeverbote in China

Im SHAN Newsletter gab es auch noch:

Interne chinesische Übersetzungen umstrittener westlicher Bücher in den sechziger und siebziger Jahren

China vor 25 Jahren: Liu Binyan und die Kampagne gegen „bürgerliche Liberalisierung“

Eine wenig bekannte deutschsprachige Chinazeitschrift: Aktuelle China-Information

Dr. Thomas Kampen

Zuletzt bearbeitet von:
Letzte Änderung: 05.03.2020
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