Meine Erinnerung an Professor Wagner

Dreißig Jahre habe ich mit Prof. Wagner zusammengearbeitet und kann mich noch gut an unsere erste Begegnung erinnern. Ich saß damals vor einem jungen dynamischen Professor, der zwar deutsch sprach, aber sehr amerikanisch wirkte und der mir erklärte, wie er aus dieser „Würstchenbude“ – damit meinte er das Sinologische Seminar – ein internationales Forschungsinstitut machen wollte. Das Institut befand sich damals in der Sandgasse und bestand nur aus wenigen Räumen. Die Bibliothek war höchstens 40 Quadratmeter groß und es gab auch nur einen Professor und wenige MitarbeiterInnen.

In der ersten Aufbauphase haben alle oft zusammen Hand angelegt: Vom Bücherkisten schleppen, Regale auf- und abbauen, Briefe eintüten – der Computer und das Internet hatten noch keinen Einzug in die alltägliche Arbeit gehalten – bis hin zu Malerarbeiten in der Hauptstraße wurde alles gemeinsam in Angriff genommen, weil schon damals die Räumlichkeiten in der Sandgasse sehr schnell zu klein wurden und das Seminar teilweise ausgelagert werden musste.

Meine Erinnerungen an Prof. Wagner sind stark von den großen Veränderungen dieser Zeit geprägt. Es war eine Zeit ohne Computer – was wir uns heute oft nicht mehr vorstellen können, - eine Zeit, in der man Anträge noch in der mit der Schreibmaschine ausfüllen musste – Anträge, von denen Prof. Wagner sehr viele schrieb und die ich dann in die entsprechenden Formulare übertragen musste, - eine mühsame Kleinarbeit - , die sich aber oft lohnte, denn damit kam Prof. Wagner seinem Ziel immer ein bisschen näher.

Im Auftun von Finanzmitteln war Prof. Wagner sehr erfinderisch, aber im Ausgeben dieser noch weit mehr. In Zeiten ohne Online-Banking transferierte er Geld nach China, kaufte dort bei seinem nächsten Besuch Unmengen von Büchern, die er dann privat lagern ließ, um sie von dort entweder eigenhändig in seinen beiden großen Koffern oder durch einen Transporteur nach Heidelberg zu bringen. Somit wurde die Bibliothek in der Sandgasse sehr bald viel zu klein, sodass 1994 der Umzug in die Akademiestraße Platz schaffte. Dies war ein Umzug, der auch nur möglich wurde, weil Prof. Wagners oft unkonventionelle Methoden auf einem schnellen unbürokratischen Weg zum Ziel führten. Das chaotische System „Wagner“, das von Inspiration und Kreativität geprägt war, wieder in gelenkte Formen zu bringen, war eine Herausforderung, die das sogenannte „Bodenpersonal“ immer wieder an seine Grenzen brachte, das aber auch ein interessantes, kreatives Arbeiten ermöglichte und immer wieder zu Überraschungen führte.

Aber auch in der Akademiestraße wurde immer es enger, da es immer mehr ProfessorInnen und MitarbeiterInnen gab und auch die Bibliothek immer weiter wuchs. Prof. Wagners überbordende Energie und sein Elan schafften es, das Institut größer und größer werden zu lassen, sodass wir 2019 ins CATS-Gebäude umgezogen sind, in dem wir Prof. Wagner zu Ehren im Juni dieses Jahres unsere erste Konferenz abgehalten haben. Jetzt sind wir wirklich keine Würstchenbude mehr, - sondern wie Prof. Wagner es sich immer gewünscht und worauf er immer hingewirkt hat, ein internationales Forschungsinstitut.

Ich habe die Arbeit mit Prof. Wagner als eine ungemein interessante und spannende Zeit erfahren, in der ich sehr viel von ihm gelernt habe und werde ihm immer ein wertvolles Gedenken bewahren.

Jenja Tiede

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Letzte Änderung: 14.12.2022
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