Newsletter Juli 2016 Nr. 87

INHALT

Schreiben als Mehrstufiges Modell

Dr. Sita Schanne von der Abteilung für Schlüsselkompetenzen und Hochschuldidaktik des Dezernat 2 für Studium und Lehre leitete am 11. Mai 2016 den Workshop “Wissenschaftliches Schreiben” auf Einladung von SHAN.

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一个夏天的故事

Die Eröffnung des Video-Raums der Sinologie wurde am 4. Juni 2016 mit einem epischen Filme-Marathon begangen. Zhao Mengxue hat ihre persönlichen Impressionen zu einem der ersten aufgeführten Filme, „Summer Palace” (颐和园; VR China/ Frankreich, 2006, Regie: Lou Ye 娄烨) für den SHAN-Newsletter aufgeschrieben.

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In Shanghai geboren: Michael Hamburger, Ingrid Noll, Sonja Krips und Dieter Maier

Thomas Kampen stellt einige vor 1949 in Shanghai geborene Kinder vor, wie z.B. die Weinheimer Krimiautorin Ingrid Noll.

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Der erste Botschafter der Volksrepublik China: Wang Jiaxiang 王稼祥 (1906-1974)

Daneben gibt es eine Kurzbiographie des ersten VR-Botschafters im Ausland.

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Ein ungewöhnlicher Sinologe in Japan, Hongkong, Kanada und in den USA

Ausserdem werden die Japanabenteuer des mysteriösen Sinologen Pringsheim beschrieben.

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Alte chinesische Filme in neuer Form

Schließlich gibt es noch Informationen über alte chinesische Filme.

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Constructing Jiang Qing: Gender and the Heroic

Joost Brokke resümiert Mei Li Inouyes Vortrag vom 15.06.2016 am Institut für Sinologie Heidelberg über die wechselvolle Geschichte der Jiang Qiang-Rezeption. Besondere Gesichtspunkte sind Fragen der Geschlechterrollen und Jiang Qings eigener Personenkult in der Kulturrevolution, auf den ein dramatischer Absturz folgte.

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Filmvorführung: „Summary of Crimes“

Die Kulturrevolution hatte viele Opfer - darunter auch einfache Bauern. In seinem aufrüttelnden Dokumentarfilm „Summary of Crimes” (罪行摘要; VR China, 2014) versucht Xu Xing, ihnen eine Stimme zu geben. Nina Le und Yvonne Tang berichten von der Filmvorführung am 15. Juni 2016 im DAI Heidelberg.

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Schreiben als Mehrstufiges Modell

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Wissenschaftlich schreiben ist eine der Kernkompetenzen, die im Rahmen des Studiums erlernt wird. Aber gerade in der Sinologie, wo das Erlernen der Sprache viel Zeit einnimmt, kommen Schreibtechniken manchmal zu kurz. Dr. Sita Schanne hat sich darauf spezialisiert, Forschern und Studenten im Bereich des Schreibens fortzubilden, und ist selbst Expertin für das Schreiben von wissenschaftlichen Arbeiten. In dem Workshop ging es in erster Linie darum, einzelne Etappen des Schreibprozesses zu unterscheiden, deneigenen Text zu strukturieren, sowie leserfreundlich und wissenschaftlich zu gestalten, und auch Schreibblockaden erfolgreich zu vermeiden oder zu überwinden.

1. Das Schreibprozess-Modell

Wenn man versucht, direkt den fertigen Text zu schreiben, gelingt dies selten. Schanne stelle drei Phasen des Schreibprozesses vor, die getrennt voneinander angegangen werden. Es beginnt mit der Planung, in der man sich über die Anforderungen an den Text informiert, eine Fragestellung entwickelt, Literatur beschafft, liest, exzerpiert, ein eigenes Argument erarbeitet und einen Zeitplan erstellt. Als nächstes folgt die Phase des “Ideen-Übersetzens” - ein Rohtext entsteht. Hier ist es sehr wichtig die “inneren Korrekturstimmen” auszuschalten. Was nun geschrieben wird, kann gerne umgangssprachlich formuliert sein, “hingeschmiert”, kurzum: unfertig. Kreative Methoden wie Mind-Maps und Free-Writing können hier gut zum Einsatz kommen. Erst in der letzten Phase, dem Überarbeiten, schaltet man die “Korrekturstimme” wieder ein und überprüft ob Inhalt, Formale Vorgaben und die Sprache stimmen. In dieser Phase ist es lohnenswert, sich Feedback anderer zu holen. Erst ganz am Ende steht der fertige Text.

2. Kreative Schreibübung

Das Free-Writing ist eine Übung, um in den Schreibfluss zu kommen. Zu einem recht banalen Anfangssatz, zum Beispiel “Für mein Schreiben könnte es hilfreich sein, wenn…” wird 5 Minuten lang, ohne Pause, in ganzen Sätzen einfach drauf los geschrieben. Sollte der Gedankenfluss stoppen, so kritzelt man einfach weiter, ohne den Stift abzusetzen. Dadurch kommen die Gedanken in Fluss und danach fällt einem das Schreiben des eigenen Textes leichter. Es hilft auch bei Schreibblockaden.

3. Strukturieren

Sita Schanne stelle zwei Techniken vor, die Struktur in die Arbeit bringen. Das erste ist die altbekannte Mindmap, die viele aber noch viel zu selten für sich nutzen. Sie bietet die Möglichkeit, zunächst assoziativ und brainstormartig loszulegen, dadurch aber, dass die Stichworte überall auf dem Blatt verteilt und miteinander verbunden werden, verdeutlicht sie zum Beispiel Interdependenzen und Hierarchien im Thema. Die Baum- oder Netzstruktur, die dadurch oft entsteht, kann nun auch beim Erstellen einer Gliederung helfen. Die etwas weniger bekannte Technik, die Schanne als nächstes präsentierte, war das Schreiben nach „Prompts”. Prompts sind Satzanfänge, die eine Schreibinstruktion geben, wie zum Beispiel “Es ist bekannt, dass…”, „Es stellt sich die Frage…” oder „Zur Untersuchung dieser Frage wurde…”. Diese Sätze komplettiert man dan mit Inhalten seiner eigenen Themen. Viele der Beispiele, die genannt wurden, waren zwar eher aus den Sozialwissenschaften, in denen meist empirische Daten erhoben werden. Sie können aber leicht übertragen werden, da die Eckpfeiler des wissenschaftlichen Schreibens identisch sind: Fragestellung, Quellen (= Daten), Methoden und Ergebnisse müssen klar erkennbar sein.

4. Wissenschaftssprache

Zur angemessenen Wissenschaftssprache zitierte Schanne den Historiker Hermann Heimpel: "Wissenschaftliche Prosa ist genau, also unbequem für den Autor; und einfach, also bequem für den Benutzer gelehrter Arbeiten (…)” (Siehe dazu auch: http://folio.nzz.ch/1992/juni/akademische-oberschwanzdeckfedern). Mit der Wissenschaftssprache bindet man sich also einerseits in die „Scientific Community” ein, andererseits knüpft sie einen roten Faden, vermittelt das eigene Argument, ist präzise, eindeutig, und dabei ganz besonders auch leserfreundlich. Logische Verbindungen untermauern die eigene Argumentation, Fachbegriffe, die einheitlich verwendet werden, helfen dabei, sich knapp und genau auszudrücken. Eindeutig formulieren ist besonders wichtig, sonst liest man am Ende: „Der Patient wurde an einen Psychiater mit schweren emotionalen Problemen verwiesen.”

5. Überarbeiten

Zum Schluss empfahl Schanne, auch das Überarbeiten in mehrere Runden zu unterteilen. Zunächst redigiert man den Text entlang eines roten Fadens, damit der Text kohärent und vollständig ist. Als nächstes folgt der Aspekt des wissenschaftlichen Standards, wozu nicht nur die Begrifflichkeit und die Logik der Argumentation gehören, sondern auch das Literaturverzeichnis und die Fußnoten. Erst dann empfiehlt es sich, nach sprachlichen Gesichtspunkten als solchen, wie Satzstruktur und Ausdruck zu korrigieren. Ganz zum Schluss kann man den Text nun einer anderen Person zum Korrekturlesen vorlegen.

6. Weitere Fortbildungsmöglichkeiten

Die Uni Heidelberg bietet Kurse zum wissenschaftlichen Schreiben, Zeitmanagement, und vielem mehr, unter http://www.uni-heidelberg.de/slk/angebot/SLKFaecher.html kann man sich anmelden. Für DoktorandInnen gibt es ein spezialisiertes Angebot unter http://www.graduateacademy.uni-heidelberg.de/workshops/training_qualifikation.html.

 

Mariana Münning

 

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一个夏天的故事

6月4日汉学系办了电影马拉松。北京已经迎战30多度的高温,海德堡还在抗洪救险,凉丝丝的天气仿佛这个夏天遥遥无期。

冒雨去看的第一场是《颐和园》。看之前和看之后满脑袋都是“这部片子和颐和园有什么关系?”即使知道女主角余虹所在的“北清大学”原型(北京大学/清华大学)和颐和园相去不远,她多半也去过,但是影片可没有明确指出来。

这话或许不对。电影里有一组镜头,余虹和男主角周伟在(颐和园的)昆明湖边散步、在湖上划船,熟悉的人大概一下子就会认出这是上世纪八十年代最浪漫的恋爱方式。

我很惭愧。昆明湖我是去过的,但在观影时我并没有认出片名指涉的地方。在北大的四年,颐和园可能是吃吃喝喝的班级踏青,可能是新鲜刺激的组团夜袭,却不像未名湖那样让人第一时间联想到情侣们在那里“看星星看月亮从诗词歌赋谈到人生哲学”。

好在北大我还是认得的。《忘却的一天》第45秒出现“北京大学”的牌子,我有些坐不住,很想告诉什么人“看!那是北大南门!”或许不少人认得西门的石狮子,09年东门建了地铁站之后人流量也激增,但是南门有什么呢?

2010年的夏天,从南门往百周年纪念讲堂的路上摆开了各个院系的台子。原本南北主干道是很开阔的,那时却很有些水泄不通的意思。新生们提着大包小包,左看看,右看看,进两步,退三步。我被人潮挤晕了,怎么也找不到哲学系的报到处。

但是这些,和余虹又有什么关系呢?

八十年代末的北大生,都已经是教授。孔庆东老师给我们上“中国现代文学史”,常常讲当时的老师如何忧心忡忡地看着他们这帮年轻的学生跳上卡车,一路开往天安门。

但是六四,这个被叙述成当代中国最重要的事件之一的时刻,却好像并没有在余虹的生命里留下什么印记。她一生最美好的时候,似乎就是在颐和园,和郭伟一起在昆明湖划船,连镜头都是全片少有的温暖与饱和——据说导演娄烨就是因为这才定了片名。

颐和园的英文是Summer Palace。多么凑巧,余虹在片头独白,“有一种东西,它会在某个夏天的夜晚象风一样突然袭来,让你措不及防,无法安宁,与你形影相随,挥之不去,我不知道那是什么,只能称它为爱情。”

余虹历经四季,辗转异乡,但在她的记忆里这或许始终是一个夏天的故事,一个与北大若即若离的故事。

我在认出北大南门的那一刻,又是想笑,又是想哭。多么想念五四操场上的夜跑,夏天的风,凉凉的,很好闻。

 

Mengxue Zhao 赵梦雪

 

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In Shanghai geboren: Michael Hamburger, Ingrid Noll, Sonja Krips und Dieter Maier

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Michael Hamburger wurde als Sohn des Architekten Rudolf Hamburger und der Buchhändlerin Ursula am 12. Februar 1931 geboren. Die Eltern waren im vorangegangen Sommer mit der Transsibirischen Eisenbahn nach China gefahren. Der Architekt (aus dem unter großer Arbeitslosigkeit leidenden Berlin) hatte eine Stelle in Shanghai angeboten bekommen. Nach den ersten Jahren in Shanghai zogen Mutter und Sohn 1934 nach Shenyang, wo Ursula – wie schon in Shanghai – für den militärischen Geheimdienst der Sowjetunion arbeitete. Von Verhaftung bedroht flohen sie 1935 nach Moskau und wurden dann in Polen eingesetzt, wo 1936 Tochter Janina geboren wurde. Nach weiteren Aufenthalten in der Schweiz und in England und der Geburt eines weiteren Sohnes (von einem andern Vater) landete die Familie in den fünfziger Jahren in der DDR. Rudolf (über den der Sohn später ein Buch veröffentlichte) starb dort 1979,: die Mutter, die als Ruth Werner bekannt wurde, im Juli 2000. (http://www.zo.uni-heidelberg.de/sinologie/shan/nl-archiv/2010_NL48.html#8)

Ingrid Noll wurde am 29. September 1935 als Kind eines Arztes und seiner Frau geboren und hatte mehrere Geschwister. Die Familie lebte später in Nanjing und in der Kriegshauptstadt Chongqing. Die drei Noll-Schwestern wuchsen sehr behütet auf, wurden von ihren Eltern unterrichtet und durften nicht „mit den Chinesenkindern auf der Straße“ spielen. Allerdings erlebten sie 1940 auch die japanischen Bombenangriffe auf Chongqing. 1949 erfolgte die Ausreise aus China und Ankunft in Europa. In Deutschland ging Ingrid dann zum ersten mal in eine Schule. Später zog sie nach Weinheim, wo sie auch mit 80 Jahren noch Lesungen macht.

Krips
​Sonja Krips wurde - wie Michael Hamburger - bald nach der Ankunft der jungen Eltern in Shanghai geboren und war ebenfalls das erste Kind. Ihr Geburtstag war der 26. Oktober 1939; ihr Bruder wurde erst am Ende des Krieges geboren. (Vater Hermann war – wie Ursula Hamburger – KPD-Mitglied.)
Sonja ging auf eine englische Schule; ihre Englischkenntnisse haben auch ihre Berufswahl beeinflußt. Chinesisch lernte sie – wie die meisten ausländischen Kinder – allerdings nicht.

Dieter Maier wurde 1941 geboren, sein Vater (aus Schwenningen) und ein Onkel hatten dort eine Handelsfirma (W. Maier & Co.) aufgebaut. Wilhelm und Martha Maier waren schon 1929 nach Shanghai gereist.

 

Nachkriegszeit

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Die zuletzt Genannten reisten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach Europa. Die Kinder verließen zum ersten Mal China und besuchten zum ersten Mal Europa.

In Maiers Buch heißt es: „Am 1. Juli 1946 erhielten wir den Ausweisungsbefehl. […] Mein Vater war seit Juli 1939 NSDAP-Mitglied. […] Kurz nach Mitternacht am 7. Juli 1946 legte die „Marine Robin“ ab.“ Anfang August erreichte das Schiff Bremerhaven, dann verbrachte die Familie – wegen der NSDAP-Mitgliedschaft - noch einige Wochen im Internierungslager Ludwigsburg. Die Familie lebte dann wieder in Schwenningen, wo Dieter zur Schule ging.

Familie Krips verließ Shanghai - mit zahlreichen anderen Flüchtlingen - im Sommer 1947 und erreichte Berlin am 21. August 1947. Sie zogen in den russischen Sektor und wurden später DDR-Bürger.

 

BRD und DDR

Die vier in Shanghai geborenen hatten nach 1949 jahrzehntelang nichts mehr mit China zu tun. Vermutlich hatten sie auch untereinander kaum Kontakt. (Zwei lebten im Osten Deutschlands, zwei in Baden-Württemberg. Die Frauen heirateten und erhielten neue Familiennamen.) Über ihre Shanghaierfahrungen wurde auch in der Öffentlichkeit kaum etwas bekannt. Erst nach der Jahrhundertwende erfuhren Interessierte durch Veröffentlichungen und Interviews mehr.

Die Neuauflage von „Sonjas Rapport“ (2006) enthielt ein Gespräch mit den drei Kindern von Ruth Werner. Im gleichen Jahr erschien Sonja Mühlbergers „Geboren in Shanghai als Kind von Emigranten“. (Zu dieser Zeit waren alle „Kinder“ schon über 65.)

2013 veröffentlichte Dieter Maier „Von Schwenningen am Neckar nach Shanghai“. Die Krimiautorin Noll wurde in Interviews häufig zu dem Thema befragt.

Hier zeigt sich, daß oft viele Jahrzehnte vergehen bis Darstellungen lange vergangener Ereignisse gedruckt werden. Viele Zeitzeugen haben erst als Rentner Zeit und Lust sich damit zu beschäftigen. Wer zu früh stirbt, schreibt nicht mehr.

 

Literatur:

Sonja Mühlberger: Geboren in Shanghai als Kind von Emigranten, Teetz und Berlin, 2006.

Ruth Werner: Sonjas Rapport, Berlin, 2006. (Neuauflage)

Thomas Kampen: Chinesen in Europa - Europäer in China: Journalisten, Spione, Studenten, Gossenberg, 2010.

Dieter Maier: Von Schwenningen am Neckar nach Shanghai, Freiburg, 2013.

 

Dr. Thomas Kampen

 

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Der erste Botschafter der Volksrepublik China: Wang Jiaxiang 王稼祥 (1906-1974)

Vor 110 Jahren wurde Wang Jiaxiang in einem abgelegenen Teil der Provinz Anhui geboren. Vor 90 Jahren studierte er in Moskau. Vor 80 Jahren hatte er gerade den Langen Marsch hinter sich gebracht und traf in Bao’an den amerikanischen Journalisten Edgar Snow. Wenige Tage nach der Gründung der Volksrepublik China wurde er zum ersten Botschafter in der Sowjetunion ernannt.

Studium in Moskau

In Wang Jiaxiangs Leben gab es viele Überraschungen und einige Katastrophen. Er kam aus einer altmodischen wohlhabenden Gentry-Familie, lernte dann aber auf einer Missionarsschule Englisch. 1925 bekam er die Gelegenheit an die neu gegründete Sun Yatsen-Universität in Moskau zu gehen (Sun war im Frühjahr des Jahres gestorben). Da es wenig chinesischsprachige Lehrkräfte gab, profitierte er von seinen Englischkenntnissen und wurde bald vom Studenten zum Dolmetscher, Übersetzer und Lehrer. In dieser Zeit hörte er Vorträge der russischen Parteiführer Trotzki und Stalin. 1930 kehrte er nach China zurück und übernahm verschiedene Parteiposten in Shanghai. Im folgenden Jahr reiste er in das chinesische Sowjetgebiet in der Provinz Jiangxi, das Mao Zedong und Armeeführer Zhu De aufgebaut hatten. Dort lernte er auch den deutschen Kommunisten Otto Braun kennen, der ebenfalls Russisch sprach. ( http://www.zo.uni-heidelberg.de/sinologie/shan/nl-archiv/2010_NL41.html#4 )

Auf dem Langen Marsch

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​In den drei Jahren bis zum langen Marsch war der militärisch unerfahrene Propagandaexperte an verschiedenen Kämpfen beteiligt und wurde dabei schwer verletzt. Während des Marsches wurde er oft auf einer Bahre getragen. Trotz seiner Schwäche gehörte er damals zu den fünf wichtigsten KP-Politikern. Als er im Sommer 1936 Snow begegnete, bat er diesen Wang und seine Verletzung geheim zu halten; daher taucht Wangs Name in dem Buch „Roter Stern über China“ nicht auf. Da die ärztliche Versorgung im Nordwesten unzureichend war, begab sich Wang auf die lange Reise nach Moskau, wo er operiert wurde. In dieser Zeit war er vorübergehend Repräsentant der KP Chinas bei der Kommunistischen Internationale.

Der von leninistischen und stalinistischen Theorien geprägte Wang galt Anfang der dreißiger Jahre als Gegner Maos (der sich vor allem für die Bauernbewegung interessierte). Als sich beide dann in Jiangxi persönlich kennenlernten, kamen sie aber doch ganz gut miteinander aus. Während des Langen Marsches unterstützte Wang Maos Aufstieg und nach seiner Ankunft in Moskau vertrat er auch Maos Linie bei der Kommunistischen Internationale. ( http://www.zo.uni-heidelberg.de/sinologie/shan/nl-archiv/2010_NL40.html#3 )
Wang kehrte 1938 nach China zurück und gehörte in den folgenden drei, vier Jahren zu den wichtigsten Verbündeten Maos. Zu dieser Zeit kamen viele junge Leute aus Shanghai nach Yan’an. Darunter war auch eine junge Krankenschwester namens Zhu Zhongli, die Mao noch aus ihrer Heimatprovinz Hunan kannte. Er stellte diese Wang vor und die beiden heirateten; Mao heiratete damals Jiang Qing.

Die Gründung der VR China

In der Zeit von 1943 bis 1947 litt Wang wieder an verschiedenen Krankheiten, verlor auch politisch an Einfluß und reiste noch einmal (mit seiner Frau) in die Sowjetunion. Nach der Rückkehr war Wang an den Planungen zur Gründung der VR China beteiligt. Als es um die Frage ging, wo die Hauptstadt sein sollte, schlug Wang Beijing vor; andere Alternativen wurden nach einigen Diskussionen abgelehnt. Wang gehörte auch zu einer von Liu Shaoqi geleiteten Delegation, die im Sommer 1949 Stalin in Moskau besuchte; Stalin soll den 1. Oktober als Gründungsdatum vorgeschlagen haben – die Chinesen hatten es eigentlich nicht so eilig. ( http://www.zo.uni-heidelberg.de/sinologie/shan/nl-archiv/2009_NL38.html#3 )
Aufgrund seiner Sprachkenntnisse und wiederholter Kontakte mit Stalin war die Ernennung Wangs zum Botschafter naheliegend. (Er war damals auch für die DDR zuständig und besuchte einmal Ostberlin.)
Schon 1951 schlug er dann die Gründung einer KP Abteilung für internationale Verbindungen vor und wurde ihr erster Direktor. (Sein Nachfolger als Botschafter war Zhang Wentian, der 1925 mit Wang zum Studium nach Moskau gereist war.)

Konflikte

Wang und Zhang gehörten in den fünfziger Jahren zu den wichtigsten KP-Politikern; als sich die Beziehungen zur Sowjetunion verschlechterten, verloren sie an Einfluß. In der Kulturrevolution - als die Sowjetunion heftig kritisiert wurde - ging es auch den dort au8sgebildeten Funktionären sehr schlecht. Allerdings wurde Wang Anfang der siebziger Jahre wieder ins Zentralkomitee gewählt, starb jedoch schon 1974.
Bald darauf wurde Wang offiziell rehabilitiert und seine Witwe schrieb mehrere Bücher über ihn. (Auch über Jiang Qing, die Zhu Zhongli persönlich gut kannte, schrieb sie einiges.)
In den achtziger Jahren, als das chinesische Interesse an den USA und Westeuropa besonders groß war, wollte sich jedoch kaum noch jemand mit der Sowjetunion beschäftigen.

 

Literatur:

Wang Jiaxiang nianpu 王稼祥年谱, Beijing, 2001.

Wang Jiaxiang zhuan 王稼祥传, Hefei, 2003.

T.Kampen: "Wang Jiaxiang und der Aufstieg Mao Zedongs", Asien, Nr. 25 (Oktober 1987, S. 1-19.

T.Kampen: "Wang Jiaxiang, Mao Zedong and the 'Triumph of Mao Zedong-Thought' (1935-1945)", Modern Asian Studies, Bd. 23 Nr. 4 (1989), S.705-727.

 

Dr. Thomas Kampen

 

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Ein ungewöhnlicher Sinologe in Japan, Hongkong, Kanada und in den USA

Pringsheim hieß die Frau von Thomas Mann (1875-1955) vor ihrer Hochzeit; wer zu dessen Lebzeiten Pringsheim hiess, wurde zum Verwandten des bekannten Schriftstellers und damit selbst prominent. Der Dirigent und Komponist Klaus Pringsheim (1883-1972) war der Zwillingsbruder von Katia Mann (1883-1980).

Klaus Pringsheim jr. (1923-2001) war ein - nicht allzu bekannter – Sinologe, der kurz vor seinem Tod seine Memoiren vollendete. Das Buch erschien erst auf Englisch und wurde später ins Deutsche übersetzt.

Im Mai 1939 reiste Pringsheim jr. von Europa nach Japan (wo der Senior lebte) und hoffte, irgendwann in die USA zu gelangen, wo sich schon die Manns aufhielten.

Ein Missverständnis

In Tokyo wurde der junge Klaus einmal von einem fremden Herrn angesprochen, der als NSDAP-Mann auftrat, was Pringsheim Unbehagen bereitete. Dies war der Agent Richard Sorge (1895-1944), der zur Tarnung Parteimitglied war. Bald darauf wurde dieser verhaftet und als Spion enttarnt. Dies führte auch zur Verhaftung von Pringsheim, obwohl die beiden offenbar nicht viel Kontakt hatten; der junge Mann war weder Agent noch Kommunist.

Erst nach Sorges Hinrichtung (siehe SHAN-Newsletter vom Oktober 2014: http://www.zo.uni-heidelberg.de/sinologie/shan/nl-archiv/2014_NL77.html#4) und der japanischen Kapitulation kam er frei und begann dann für die amerikanischen Besatzer als Dolmetscher zu arbeiten. Dies ermöglichte ihm später die Einreise in die USA.

Noch ein Missverständnis

1946 in Kalifornien angekommen traf er dann das Ehepaar Mann und andere Familienmitglieder.

1955 reiste er zum ersten Mal seit 16 Jahren nach Europa und traf dort seine Mutter. Diese teilte ihm mit, daß er nicht der Sohn von Pringsheim wäre, sondern von „Onkel Hans“ (Winckelmann), einem bekannten Opernsänger (1881-1943) mit dem sie mal eine Affäre gehabt hatte. Der junge Mann war schockiert und bemühte sich jahrelang, diese Information geheim zu halten – er wollte auch weiterhin als Mann-Verwandter gelten. („Nach dreiunddreißig Jahren als Klaus Pringsheim jun. war ich nicht widerstandslos bereit, einfach jemand anderer zu werden.“)

[Anm.: Durch den Entzug des „jüdischen Vaters“ entfiel auch nachträglich der wichtigste Fluchtgrund von 1939. Wäre ihm sein wahrer Vater damals bekannt gewesen, wäre er vielleicht niemals nach Japan und Amerika gereist.]

Hongkong und Amerika

In den USA hatte Pringsheim begonnen Chinesisch zu lernen und reiste dann zu Forschungszwecken nach Hongkong. Dort fand er nicht nur Material für seine Dissertation sondern auch eine chinesische Ehefrau (Hsiuping) mit der er bis zu seinem Tod zusammenlebte. Er wurde an der Columbia University von Professor C. Martin Wilbur betreut. Später arbeitete er an verschiedenen Universitäten in den USA und Kanada und reiste auch noch einmal nach Japan.

Als in den achtziger Jahren immer mehr Publikationen von und über Thomas Mann erschienen, beschloß Pringsheim, selbst Memoiren zu schreiben und seine Identität bekannt zu machen.

 

Literatur:

Klaus Pringsheim jr.: Wer zum Teufel sind Sie? [Man of the world], Berlin 2001.

 

Dr. Thomas Kampen

 

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Alte chinesische Filme in neuer Form

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​Die alten chinesischen Schwarzweißfilme, die anfangs auch Stummfilme waren, konnte man nach 1949 jahrzehntelang kaum sehen. Im Westen wuchs das Interesse an diesen Filmen vor allem in den achtziger Jahren als – in London, Paris und Berlin – viele alte Kostbarkeiten gezeigt wurden. Da war es praktisch, dass schon vor dem DVD-Boom in China ein Video-CD-Boom begann. Diese neue Technologie ermöglichte die billige Verbreitung von hunderten von chinesischen Filmen; vorteilhaft war in der Regel auch das Fehlen von Ländercode und Kopierschutz, sodaß die aus der Volksrepublik importierten Filme auch hier problemlos gezeigt werden konnten. (Die chinesischen Hersteller brauchten sich bei so alten Filmen meist auch nicht um die Rechte an den Filmen zu kümmern.) Praktisch war auch, daß die meisten in China hergestellten DVD-Player (und Computer) nebenbei auch VideoCDs abspielen konnten.


Die wichtigste in Heidelberg vorhandene Reihe heisst ZAOQI ZHONGGUO DIANYING (EARLY CHINESE FILMS) und wurde 2002 und 2003 von der Dalian Yinxiang chubanshe zusammen mit Qiaojiaren Co. in Guangzhou. (ISBN 7-88352...) produziert. Etwa 100 Titel gab es damals.(http:/www.gzbeauty.com )

Die Filme bestanden jeweils aus 1-3 VCDs, die Preise lagen bei 10-15 Yuan pro Film. Die Qualität war oft überraschend gut. Die Serie enthielt bekannte Filme der Regisseure



Bu Wancang (Taohua qixue ji - Peach Girl)
Cheng Bugao (Chuncan - Spring silk worms)
Fei Mu (Xiao cheng zhi chun - Spring in a small town)
Sun Yu (Dalu - Great Road, Tiyu huanghou - Sports Queen) (http://www.zo.uni-heidelberg.de/sinologie/shan/nl-archiv/2014_NL76.html#3 )
Wu Yonggang (Shennü - Goddess)

mit den Schauspieler(inne)n Bai Yang, Chen Yanyan, Han Langen, Hu Die, Jin Yan, Li Lili, Ruan Lingyu, Zhao Dan und Zhou Xuan.

​Einige Filme basierten auf Romanen, Kurzgeschichten und Drehbüchern von Ba Jin (Chun - Spring), Lu Xun (Biao - Watch), Mao Dun (Chuncan - Spring silk worms), Xia Yan, Zhang Ailing (Taitai wansui - Long live my wife), etc .

In Heidelberg sind die Filme im normalen Katalog zu finden, wobei praktischerweise nicht nur nach Titeln und Regisseuren sondern auch nach nach Drehbuchautoren und den wichtigsten Schauspier(inne)n gesucht werden kann.

Eine weitere Reihe heisst ZHONGGUO ZAOQI DIANYING JINGDIAN (CHINESE EARLY FILM CLASSICS) von Zhuhai tequ yinxiang chubanshe die 300 Filme aus den Jahren 1905-1949 angekündigt hat. Es gibt Überschneidungen mit der andern Reihe, die Qualität ist ungefähr gleich.

Leider haben diese Unternehmen keine zusätzlichen Informationen über die jeweiligen Filme veröffentlicht. Da die Preise niedrig sind, ist das akzeptabel.

 

Literatur:

Jay Leyda: Dianying - Electric Shadows, Cambridge (Mass.), 1972.

 

Dr. Thomas Kampen

 

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Constructing Jiang Qing: Gender and the Heroic

Mei Li Inouye (Stanford University)

[Ein Résumé ihres Vortrags vom 15.06.2016 am Institut für Sinologie, Universität Heidelberg]

 

Als Mao Zedong 毛泽东 am 9. September 1976 starb, wäre beinahe eine Frau seine Nachfolgerin geworden. Diese mögliche Anführerin der Volksrepublik China war Jiang Qing 江青. Dabei war die Möglichkeit, dass sie das erste weibliche Staatsoberhaupt Chinas seit Wu Zetian 武则天 geworden wäre, in 1976 scheinbar so real gewesen, dass sie – neben drei anderen hohen Vertretern aus der Führungsebene (Zhang Chunqiao 张春桥,Yao Wenyuan 姚文元 und Wang Hongwen 王洪文) – nicht einmal einen Monat nach Maos Tod am 7. Oktober in einem Staatsstreich verhaftet und als Teil der Viererbande 四人帮 angeklagt wurde.

Diese Möglichkeit einer Frau an der Spitze Chinas wirft die Frage nach der Rolle Jiang Qings auf. Dazu muss gesagt werden, dass sie schon viele Rollen in der Öffentlichkeit eingenommen hatte. Dabei sind wohl am wichtigsten die der Schauspielerin im Shanghai der 1930er, der Gemahlin Maos seit der Yan'an-Zeit, der bedeutenden Person der Kulturrevolution und schließlich als Sündenbock für alle Auswüchse dieser. Mei Li Inouye (Stanford University) geht in ihrer Forschung dieser weiblichen Führungsrolle nach, wenn sie Geschlechts- und Heroische Rollen am Beispiel von Jiang Qing untersucht. Vorläufige Ergebnisse dieser Forschung hat Inouye am 15. Juni im Raum 201 der Sinologie präsentiert.

Jiang Qing biete sich als Forschungsobjekt gerade durch das relativ reichhaltige Material an, was es von ihr und über sie gibt. So lassen sich zu ihr noch Poster und Ausschnitte aus Zeitschriften aus den 1930ern genauso wie Propagandamaterial aus der Zeit der Kulturrevolution und danach finden. Dieser Reichtum an visuellem Material ermöglicht es genauer hinzuschauen, um herauszufinden, welche Rollenmodelle für weibliche Heldinnen überhaupt existierten.

Mei Li Inouyes These ist, dass Jiang Qing sich niemals vollständig von der Rolle der Schauspielerin lösen konnte, welche sie als eine Femme fatale in der Öffentlichkeit darstellte. Um diese These zu untermauern verweist Inouye zunächst auf den allgemeinen Diskurs über Filmstars in den 1920ern und 1930ern. Diese identifizierte – gemäß althergebrachter Vorstellungen – Schauspieler mit Prostituierten. Solche Vorstellung dienten in gewisser Hinsicht dazu die Rolle der Frau aber auch der Eliten gegen über dem Eindringen der Moderne zu festigen. Jiang Qings Privatleben zeichnet durch die Beziehung mit dem Journalisten und Schauspieler Tang Na 唐納 diesen Diskurs nach. Deren Beziehung, welche in aller Öffentlichkeit geführt wurde – nicht anders als bei Filmstars bis heute, umfasste zwei Selbstmordversuche von Tang Na, eine Abtreibung und eine Scheidung. Dabei ist Jiang Qing die stärkere Person und benutzt – gemäß ihrer öffentlichen Darstellung – ihre weiblichen Reize, um von Tang Na Hilfe für ihre Karriere zu bekommen, genau so wie es sich für eine Femme fatale gehört.

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Poster für das Theaterstück Nora (娜拉) mit Jiang Qing in der Haupptrolle ( Lan Ping 藍蘋war ihr Künstlername)

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Titelblatt der Lianhua Illustrierten mit Jiang Qing aus dem Jahr 1937

In dieser Rolle ist sie noch in den Köpfen präsent, als sie 1938 Mao Zedongs vierte Ehefrau wurde. Zumindest scheint das ein Grund für das Verbot zu sein, sich in der Politik zu betätigen, welches sie in dieser neuen Rolle neben Mao befolgen musste. Dabei ist interessant, dass sie in den von Inouye ausgewählten Fotografien eher als eine Ehefrau und nicht als revolutionäre Frau auftritt. Als ein Modell für diese Rolle lässt sich etwa Li Aying in New Woman (新女性) von 1935 nennen. Um der Rolle der revolutionäre Frau zu entsprechen müsste sie eigentlich die Liebe aufgeben – wofür sie die Nation bekäme. Dagegen wird Jiang Qing als eine Gefährtin von Mao dargestellt. Eine Darstellung, welche eigentlich konträr geht zu dem Bild der Femme fatale, aber durch die vielleicht auch gerade versucht wurde, sie in ein anderes Licht zu rücken.

Nl87 Artikel7 3

Jiang Qing und Mao Zedong in Yan'an – Quelle unbekannt http://news.xinhuanet.com/politics/2013-12/19/125881986_311n.jpg

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Li Aying als Modell für die starke revolutionäre Frau – Standbild aus New Woman – (min. 1:21:52)

In einem solchem anderen Licht tauchte Jiang Qing während der Kulturrevolution wieder auf. Dabei verlor sie aber fast alle weiblichen Attribute, wenn sie auf Postern dieser Zeit mit einem ungeschlechtlichen massigen Körper dargestellt wird. Dieser Körper erinnert vielleicht nicht nur zufällig an Mao Zedong, denn auch die Kleidung, in welcher sie sich in meistens zeigt, ist der Sun Zhongshan Anzug (中山服), bzw. der dazugehörige Mantel der Volksbefreiungsarme. Diese männliche oder auch geschlechtsneutrale Kleidung trug Jiang Qing aber auch schon im Yan'an der 1940er. Neu aber sind zwei Dinge in der Darstellung. Zum einen das Rote Buch, auch bekannt als die Mao-Bibel – als Referenz zu ihm – und die Brille, welche danach zu einer Art von Identifikationsmerkmal von ihr wird.

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Jiang Qing mit Brille und Rotem Buch – Poster von 1967

Genau diese Brille bleibt ihr erhalten und dient als ein Identifikationsmerkmal in der Kampagne gegen sie und die Viererbande. Interessant ist die Rolle, welche das sogenannte Jiang Qing-Kleid (江青服) während der Kampagne gegen sie und die Vierer Band spielte. Bei diesem soll es sich um ein Kleid handeln, welches zum einen von Jiang Qing entworfen wurde. Dabei sollen weibliche Kleidungsstücke aus allen Epochen Chinas ihr als Inspiration gedient haben. Leider ist diese Geschichte über das Kleid umstritten, weil Jiang Qing sich selbst niemals öffentlich dazu geäußert hat. Doch auch wenn dieses Kleidungsstück nichts mit Jiang Qing zu tun hat, wurde es durch Karikaturen gegen sie mit ihr in Verbindung gebracht. Jiang Qing wurde in diesen Bildern als eine Kleider entwerfende Frau karikiert, welche dazu noch jetzt wieder ein solches weibliches Kleidungsstück trägt. Diese Verbindung zu einem Kleid sagt für sich somit etwas über die Rolle aus, die sie in der Phase nach Maos Tod einnimmt. Jiang Qings Rolle wird – im Gegensatz zur Kulturrevolution – wieder weiblicher, und zwar genau dann, wenn sie die Macht verliert.

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Jiang Qing und das Jiang Qing Kleid – Auszüge aus Karikaturen gegen die Vierer Bande (aus Antonia Finnanes „Looking for the Jiang Qing Dress: Some Preliminary Findings”; Fashion Theory, Volume 9, Issue 1, Seiten 3– 22, Seite 17)

Mei Li Inouye präsentiert Jiang Qing aber noch in einer weiteren Rolle, nämlich als Mutter der Nation (国母). In dieser wird Jiang heute im Internet dargestellt wobei aber nicht ganz klar ist, ob dies ironisch gemeint ist oder nicht. Schließlich kann man sich eine (neo)-maoistische Quelle dafür vorstellen. Doch es ist auffällig dass sie auch hier wieder in einer weibliche Rolle auftritt und zwar als Mutter der Nation.

Allgemein lässt sich auf Mei Li Inouyes Vorlesung aufbauend fragen, ob es überhaupt eine ‚weibliche’ Führungsrolle für Jiang Qing gab. Dabei scheint man die Frage verneinen zu müssen. Sie wurde – zusammengefasst – immer un-„weiblicher“ je machtvoller sie war. Als sie ihre Macht nach ihrer Verhaftung wieder verlor wurde sie dementsprechend wieder weiblicher.


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Jiang Qing als Mutter der Nation – Grafik aus dem Internet, welche auf verschiedenen Blogs kursierte (http://s10.sinaimg.cn/mw690/005z6dPJzy6MJoTrdZDf9&690)

Darüberhinaus bitte sich Inouyes Forschung dazu an noch weiter zuschauen wo, wann und wie Jiang Qing aktive daran beteiligt ist in der Kreierung ihrer öffentlichen Person. Genau dadurch erweist sich Jiang Qing als ein gewinnbringendes Forschungsobjekt, weil sie so viele verschiedene Rollen und Positionen einnahm, welche ihr verschiedenste Einflussmöglichkeiten geben oder auch nehmen konnten. So war sie als Filmstar und Theaterschauspielerin in Shanghai massenwirksam und im Licht der Öffentlichkeit, doch hatte sie auf die Darstellung selbst keinen oder auch nur kaum Einfluss. Hingegen hatte sie während der Kulturrevolution größtmöglichen Einfluss, aber wie weit sich die Öffentlichkeit für sie interessierte, bleibt noch offen.

Schlussendlich ist die These, wonach Jiang Qings öffentliche Person sich nie ganz von dem Bild der 1930er lösen konnte, weder bewiesen noch lässt sie sich einfach so verwerfen.

 

Joost Brokke

 

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Filmvorführung: „Summary of Crimes

Am 15. Juni wurde der chinesische Dokumentarfilm „Summary of Crimes“ vom Pekinger Autor und Filmemacher Xu Xing im DAI Heidelberg gezeigt. Die Produktion des Films begann 2011, als er zufällig Strafakten aus der Kulturrevolution entdeckte und er beschloss, die darin Verurteilten in der Provinz Zhejiang aufzusuchen und sie zu ihrer Vergangenheit zu befragen. Drei Jahre dauerte es bis zur Vollendung des Filmes, in welchen Xu Xing die Bauern immer wieder aufsuchte und zu ihnen ein persönliches Verhältnis aufbaute. Dabei bleibt Xu Xing stets im Hintergrund und lässt den Menschen viel Raum, ihre Geschichte selbst zu erzählen. Mit viel Feingefühl und Geduld gelingt es Xu Xing zu den Opfern hervorzudringen, wodurch sie sich öffneten und uns einen einzigartigen Blick auf ihre traumatischen Erinnerungen ermöglichten. Oft führten die jahrelangen Inhaftierungen zu zerrütteten Familien und als die Opfer nach der Kulturrevolution entlassen wurden, enthielten sie keine Entschädigung für das Leid, das ihnen zugefügt wurde.

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Durch die Einladung des Instituts für Sinologie der Universität Heidelberg war Xu Xing bei dieser Veranstaltung selbst anwesend, sodass die zahlreichen Zuschauer die Möglichkeit hatten, nach dem Film Fragen stellen zu können. Dabei waren viele Dozenten und Studierende der Sinologie, aber auch viele Interessierte aller Altersgruppen anwesend, die, als sie mit solch schmerzhaften Erfahrungen konfrontiert wurden, große Ergriffenheit zeigten. Zwar gibt es viel Material zur Kulturrevolution, jedoch wurde mit diesem Film erstmals auch den einfachen Bauern eine Stimme gegeben. Zweifellos ist dies ein mutiger Film, der die Zuschauer zum Nachdenken anregt. Insbesondere in der Volksrepublik China, wo selten über dieses Thema gesprochen wird, werden sie dazu bewegt, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen und diese zu reflektieren.

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Nina Le und Yvonne Tang

 

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Zuletzt bearbeitet von: AF
Letzte Änderung: 21.03.2021
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