Newsletter Juni 2014 Nr. 76

INHALT

25 Jahre Tian'anmen-Massaker

Am 4. Juni jährte sich das Massaker am Tiananmen zum 25. Mal. Um diesem traurigen Jubiläum Beachtung zu schenken, organisierte Oliver Schulz einen Diskussionsabend, der die damaligen Ereignisse und Folgen von „六四“ beleuchtete.

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Erzählen sie mal ... Marina Rudyak

SHAN-Gründungsmitglied Marina Rudyak berichtet in unserem Interview von ihrer Arbeit für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Peking und bietet einen Einblick in ihr Promotionsthema: Die chinesische Entwicklungshilfe.

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Die Schauspielerin Li Lili und der Filmregisseur Sun Yu

Thomas Kampen begibt sich mit uns in die Zeit des chinesischen Stummfilms. Anhand der Biografien der Schauspielerin Li Lili und des Regisseurs Sun Yu verfolgen wir den Wandel der chinesischen Filmgeschichte vom Stumm- zum Tonfilm.

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Die Global China Connection jetzt auch in Heidelberg

Zu Beginn des Sommersemesters gründeten Heidelberger Studentinnen und Studenten eine Regionalgruppe der Global China Connection in Heidelberg. Im Interview mit SHAN stellt Vorsitzende Vera Grossegesse die neue Hochschulgruppe vor und berichtet von der Arbeit der ersten Wochen.

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25 Jahre Tian'anmen-Massaker

Am 4. Juni jährte sich das Tian’anmen-Massaker zum 25. Mal, und zur Erinnerung daran kamen genau 25 Mitglieder des Sinologischen Instituts Heidelberg, darunter zwei Dozenten, zusammen, um über die damaligen Geschehnisse und deren Folgewirkungen zu diskutieren.

Zum ersten Mal in der chinesischen Geschichte wurde 1989 eine politische Demonstration in die Welt übertragen. Durch den mit Spannung erwarteten Besuch von Michail Gorbatschow ab dem 15. Mai hatten sich viele internationale Beobachter auf den Weg nach Beijing gemacht, und konnten dabei feststellen, dass sich in China schier Unglaubliches zutrug: Der Tian’anmen-Platz von Zehntausenden von Menschen besetzt; Demonstrationen von Hunderttausenden, verbunden mit Forderungen nach Presse- und Meinungsfreiheit, einer effektiven Bekämpfung der Korruption sowie der aufkommenden Ungleichheit; die Verbündung von Studenten, Arbeitern, Journalisten und den Bewohnern Pekings; Hungerstreiks; ein innerparteilicher Richtungskampf zwischen liberalen und konservativen Kräften; sowie ein spürbar neues Maß an Freiheit und Kreativität unter den Demonstranten, die sich in einer Kombination aus zahlreichen Gedichten, Musik, theoretischen Diskussionen und bildender Kunst manifestierte, das herausragende Beispiel hierzu ist die Göttin der Demokratie, die nicht als Kopie der Freiheitsstatue gedacht war, sondern auch Anleihen an der Skulptur Arbeiter und Bauern in Moskau nahm. 

Die Demonstrationen, die sich nicht nur in Peking, sondern in zahlreichen Städten Chinas, und nicht nur am 04.06., sondern auch in den Tagen danach, abspielten, korrespondierten zeitlich und inhaltlich mit den Kundgebungen für mehr Demokratie und Freiheit in den sowjetisch kontrollierten Ländern Europas, wo die chinesischen Forderungen und Protestformen auf ein besonders gesteigertes Interesse stießen. Für die Erinnerung an die friedlichen Montagsdemonstrationen in der DDR ist diese Verbindung von besonderem Belang, erklärte sich die Volkskammer in Ost-Berlin doch solidarisch mit der KPCh und rechtfertigte das Massaker. Mit diesen Gedanken im Kopf wurde „Keine Gewalt!“ für viele Demonstranten in Leipzig zu einem zentralen Slogan. 

Während in Hongkong dieses Jahr über 100.000 Menschen an der jährlichen Gedenkveranstaltung teilnahmen und es dort nun das erste feste Museum für den 4. Juni gibt, wird in China seit langem versucht, die Erinnerung an dieses so wichtige Ereignis vor 25 Jahren auszulöschen. In den Wochen vor dem Jahrestag wurden zahlreiche Intellektuelle und potentielle „Störenfriede“ festgenommen, unter Hausarrest gestellt oder wurde ihnen gar Geld angeboten, nur dass sie Peking verließen. Zwar ist es der Führung mit ihren Maßnahmen gelungen, unter den meisten jungen Chinesen dieses Ereignis der Vergessenheit anheimfallen zu lassen, auf der anderen Seite verzeichneten die Organisatoren der Hongkonger Gedenkveranstaltung einen starken Anstieg der in Renminbi, also von Festlandchinesen getätigten Spenden.  

Und so stellte sich auch in der an unserem Institut von Chinesen, Taiwanern und Deutschen gleichermaßen lebhaft geführten Debatte die Frage, wie und wo das Tian’anmen-Massaker nun eigentlich verarbeitet wurde. Während in den letzten Jahren in Deutschland mit Liao Yiwu 廖亦武 und Ai Weiwei 艾未未 zwei Künstler vermehrt Aufmerksamkeit gefunden haben, die ein kritisches Verhältnis zur chinesischen Regierung einnehmen und dabei auch das Jahr 1989 nicht aussparen, leben viele der damaligen Aktivisten in den USA, wo sie ihre Erfahrungen thematisieren, zum Teil in Buchform wie mit Moving the Mountain von Li Lu 李錄. Die Göttin der Demokratie ist selbst zu einer Ikone und einem interessanten Symbol der transcultural flows geworden, war sie doch inspiriert von russischen und US-amerikanischen Vorbildern und findet sich nun wiederum in mehreren Städten der USA, Kanadas sowie in Hongkong. 

Doch auch in China ist liu si 六四 in der Populärkultur vertreten, der vom populären Regisseur Lou Ye 婁燁 gedrehte Film Yihe yuan 頤和園 (Sommerpalast) verbindet die damaligen Ereignisse mit einer Liebesgeschichte. Zwar wurde der 2006 erschienene Streifen verboten, erfreute sich dennoch einiger Beliebtheit in China. Mit Briefen, Petitionen und mittlerweile auch mit Videos wiederum versucht die „Bewegung der Tian’anmen-Mütter“ die Erinnerung auf dem Festland an das Tian’anmen-Massaker wachzuhalten.  Sie waren auch 2014 aktiv und berichteten über eine besonders enge Überwachung und Kontrolle. So ergibt sich ein komplexes Bild verschiedener Erinnerungskulturen, deren internationale Verwobenheit die einseitige und elliptische Darstellung der KPCh weiter vor Herausforderungen stellen dürfte. 

Während viele Teilnehmer ihr Vorwissen einbringen konnten, bestand auch Einigkeit darin, dass es gut sei, wenn an unserem Institut aktuellere politische Ereignisse unter multiethnischer Beteiligung diskutiert werden, um verschiedene Perspektiven kennenzulernen und die eigenen Kenntnisse zu vertiefen. Der Autor möchte sich an dieser Stelle für die vielen inhaltlichen Hinweise bedanken, die auf seine Mail an die ZO-Liste folgten und stellt jedem Interessenten und jeder Interessentin die zahlreichen Materialien auf Anfrage gern zur Verfügung.

Weitere Informationen zu den Spenden vom Festland und zur "Bewegung der Tian'anmen-Mütter"

 

Oliver Schulz 舒奧力 (shuaoli@googlemail.com)

 

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Erzählen sie mal ... Marina Rudyak

SHAN: Es ist schön, in diesem Rahmen ein frühes Mitglied von SHAN vorstellen zu können! Hast du in Peking weiter fleißig weiter den Newsletter gelesen?

Ja klar! Ich bin SHAN-Gründungsmitglied, damals im Wirtschafts- und Praxisteam.

Mit Oli Radtke?

Ja!

Inzwischen seid ihr ja dann alle schon in der Praxis!

Ja, oder schon wieder zurück.

Gut, lass uns das Gespräch von da aufrollen! Du bist jetzt wieder zurück nach Heidelberg gekommen, um zu promovieren?

Genau, ich habe 2009 das Studium abgeschlossen und bin fast direkt nach dem Studium zur GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) gegangen, die damals noch GTZ hieß. Davor habe ich noch drei Monate mit dem Lehrauftrag für gerade Magistrierte hier am Institut für Sinologie ein Proseminar unterrichtet.

Zu welchem Thema?

Zu Energiesicherheitspolitik, denn zu diesem Thema hatte ich auch meine Magisterarbeit geschrieben. Danach bin ich nach Peking gegangen und habe dort gearbeitet bis Ende Oktober 2013. Jetzt bin ich seit Jahresanfang zurück in Heidelberg und promoviere.

 

Wieder zu Energiesicherheit? 

Nein, zu China als Entwicklungshilfegeber, „Chinese foreign aid“. Dabei bringe ich meine sinologische Kompetenz und Praxiserfahrung in der Entwicklungszusammenarbeit zusammen.

 

Das klingt ja sehr spannend! Geht es um China als Geber von Entwicklungshelfer global oder fokussiert auf eine bestimmte Region?

Ich konzentriere mich auf die innerchinesischen Debatten, insbesondere wie China damit umgeht, dass die eigene Entwicklungshilfe von vielen Seiten kritisch gesehen wird. China ist seit 1956 kontinuierlich ein Geberland in der Entwicklungshilfe, steht aber erst seit den 2000er Jahren im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit. Denn in diesen Jahren haben sie die Gelder für Afrika massiv hochgefahren. China hat bei der 3. FOCAC-Konferenz (Forum on China-Africa Cooperation) Zusagen gemacht, die die der Weltbank übertrafen! Somit sind sie ins Licht der allgemeinen Aufmerksamkeit gerückt und stehen jetzt im Zentrum einer Debatte: Was ist eigentlich diese chinesische Entwicklungshilfe? Wie geht man um mit „no strings attached“? Ist das eine Gefahr für die westliche Entwicklungshilfe? Wie stellt sich China als sozusagen „neuer“ Geber auf, gemeinsam mit anderen neuen Gebern, Kooperation, usw.?

Was ich mir anschaue ist, wie China mit der Kritik des Westens umgeht, denn das Interessante ist, dass die offensichtliche Reaktion ist zu sagen: Wir machen das seit den fünfziger Jahren, wir machen das, was wir bei uns als erfolgreich erlebt haben, und zwar sowohl als Empfänger von Entwicklungshilfe als auch als Geberland, und genau dieses Modell exportieren wir in die Länder. Auf der anderen Seite möchte China international als ein „responsible stakeholder“ anerkannt werden, daher wird die internationale Kritik sehr wohl ernst genommen. Wir haben eine große interne Debatte, wir haben eine Neubewertung der Entwicklungshilfe, ein Aufgreifen der Kritikpunkte und einen Lernprozess in Interaktion mit westlichen Gebern, der unter dem Radar, aber nicht völlig unsichtbar stattfindet. Und genau diesen internen Prozess schaue ich mir an, insbesondere vor dem Hintergrund wie eigentlich die hybride Identität des chinesischen Staates, zum einen als Zivilisationsmacht, zum anderen als Nationalstaat in die Rollenfindung hineinspielt. 

Also, um Deine Frage nach den Regionen zu beantworten: Ich schaue mir nicht an: Was macht China eigentlich in Afrika? Oder in Südostasien? Oder in Lateinamerika? Hierzu gibt es bereits Forschungsansätze in der Entwicklungsökonomie und den Politikwissenschaften. Ich mache eigentlich das, was die genuin sinologische Forschungsleistung ist und stoße damit in die Forschungslücke schlechthin: Warum machen die Chinesen die Dinge so wie sie sie machen?

 

Und die Quellentexte sind dabei vor allem „policy papers“?

Genau, „policy paper“, Reden und Interviews, die zum Teil schon geführt und zum Teil noch zu führen sind. Dadurch, dass ich relativ nah an der chinesischen Politik gearbeitet habe, auch an den Stellen, die Entwicklungszusammenarbeit machen, habe ich auch einen relativ guten Überblick, was die relevanten Themen sind und in welche Richtung sich die Dinge entwickeln.

 

Das heißt, du hast in Peking auch noch Kontakte und erhälst weiterhin laufend aktuelle Informationen?

Genau, darüber, dass ich z.T. auch immer noch mit meinem alten Projekt zusammenarbeite, komme ich an entsprechend interessante Leute heran.

 

Über das chinesische Engagement in Afrika ist viel bekannt, aber wie ist es mit der Entwicklungshilfe für Lateinamerika?

Ja, auch dort hin fließen viele Gelder aus China. Dabei steht die Entwicklungshilfe dort nicht so sehr im Fokus wie in Afrika. Die Frage ist: Warum interessiert es den Westen? Es wird dann spannend, wenn man auf einmal mit einander konkurriert - wenn es darum geht, dass die westliche Entwicklungshilfe mit Auflagen in Richtung Rechtsstaatlichkeit oder gute Regierungsfühung verbunden ist und die chinesische ohne diese Auflagen kommt. Denn die Chinesen sind der Meinung, dass sie aus ihrer Position als „Entwicklungsland“ heraus gar kein Recht haben politische Forderungen zu stellen. Das läuft in deren Verständnis viel mehr als Zusammenarbeit unter Entwicklungsländern: Ihr kriegt das Krankenhaus oder die Straße, wir bekommen dafür von euch, z.B. Zugang zu Rohstoffen oder Häfen.

 

Aber ist es dann nicht viel mehr „other strings attached“ als „no strings attached“?

Man könnte das vielleicht eher als einen Tauschhandel betrachten, konzessionäre Kredite im Austausch für eine Direkte Gegenleistung. Es gibt keine politischen Konditionen, außer der Nichtanerkennung Taiwans. Daneben gibt es aber auch „klassische“ Entwicklungshilfe, v.a technischer Art, die ohne Gegenleistungen erfolgt. Die gilt auch für humanitäre Hilfe. Aber der Großteil in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen China und afrikanischen Staaten, die wir als Entwicklungshilfe wahrnehmen, läuft in Form von konzessionären Krediten.

 

Und abgesehen von Investitionen in den Ländern Afrikas fließt ja auch viel Geld in Stipendien.

Ja, das wird als wirtschaftliche Hilfe gezählt.

 

Auf die Idee mit deinem Promotionsthema bist du noch während der Arbeit für die GIZ gekommen?

Mir war immer klar, dass ich noch promovieren wollte, ich wollte aber zuerst für einige Jahre in der Praxis. Ich hätte direkt in Heidelberg bleiben können, hatte aber gleichzeitig das Angebot von der GIZ und habe mich dann dafür entschieden. Ich habe mich schon immer sehr für die chinesische Politik interessiert und für einen Ausländer gibt es wahrscheinlich keine Möglichkeit, näher an der chinesischen Politik zu sein, als in der unmittelbaren Reformberatung. Die GIZ berät auf höchster politischer Ebene und das war sehr spannend, ich habe unglaublich viel gelernt. Da ich ziemlich schnell viel Verantwortung übernommen habe, mit einer 60-Stunden-Woche und vielen Reisen, war ein nebenberufliches Schreiben der Dissertation nicht möglich! Deswegen habe ich mich entschieden, eine „Pause“ zu machen, wobei hier natürlich keine Rede von einer Pause sein kann, und mich ausschließlich der Dissertation zu widmen.  

 

Und danach geht es zurück zur GIZ nach Peking?

Naja, ich arbeite ja zu neuen Entwicklungshilfegebern. Und es muss nicht unbedingt Peking sein: Egal wo wir hingehen ist China präsent. In Asien, in Lateinamerika, in Afrika. Ich möchte auf jeden Fall im internationalen Bereich bleiben. Vielleicht bleibe ich auch in der Wissenschaft. Im Moment ist es eine sehr spannende Phase, auch weil ich die letzten fünf Jahre sehr praktisch gearbeitet habe. Und dann war ich irgendwann an einem Punkt, an dem ich mir gesagt habe: Jetzt muss ich mal wieder rausgehen und selber was lernen. Eigentlich wird das doch das Modell der Zukunft sein: Man arbeitet eine Zeit lang und dann geht man raus, speist das Praxiswissen in die Theorie, nimmt aber neue Theorie in die Praxis mit und bildet sich so fort. So betreibt man lebenslanges Lernen. An der Uni denkt man ja nicht den nächsten, sondern den über- und den überübernächsten Schritt. Man macht sich Gedanken darüber: Wo könnten wir in 20 oder 30 Jahren stehen? Denn eigentlich soll die Universität nicht nur für den Beruf ausbilden, sondern die Menschen darin zu schulen zu denken. Ich habe in meinem Job wirtschaftspolitische Reformberatung gemacht, dabei habe ich moderne und klassische Sinologie und öffentliches Recht studiert. Aber was man an diesem Institut hier exzellent lernt, das sind Methoden und sich in etwas Neues rein zu arbeiten. Und wenn man das wirklich drauf hat, dann kann man in jedem Bereich tätig sein.

 

Wie groß ist denn das Team der GIZ in Peking?

Insgesamt sind es circa 180 Mitarbeiter, davon 40-50 deutsche Entsandte und etwa 130 chinesische Mitarbeiter.

 

Und wie sieht es mit der Zukunft der GIZ in Peking aus?

Die klassische Entwicklungshilfe für China wurde nach den Wahlen 2009 beendet. Die Projekte laufen jetzt noch aus, das letzte bis 2015. Was noch läuft sind Projekte aus der internationalen Klimainitiative, das sind Gelder aus Rückflüssen von dem Verkauf von Emissionszertifikaten, die Entwicklungs- und Transformationsländer bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützen sollen. Da werden spannende Sachen gemacht im Bereich Umweltpolitik, Stadtentwicklung, Elektromobilität, erneuerbare Energien, Abfall. Aber auch der Rechtsstaatsdialog oder Themen, die gleichermaßen für Deutschland und China wichtig sind wie z.B. Produktsicherheit, die auch Exportprodukte, die nach Deutschland gehen betrifft. An die Stelle der Entwicklungshilfethemen sind Agenden der strategischen Partnerschaft zwischen China und Deutschland getreten. Elektromobilität finde ich besonders spannend, da ist China für deutsche Automobilhersteller und Stadtplaner ein Labor - einfach mal eine Stadt testen, die komplett auf Elektromobilität setzt, das ginge hier in Deutschland gar nicht

 

Gehen wir nochmal einen Schritt zurück. Woher kam bei dir ursprünglich das Interesse an China?

Oh, ich bin über Umwegen zur Sinologie gekommen. Eigentlich wollte ich Psychologie studieren, hatte auch schon einen Studienplatz, hatte aber immer das Problem, dass mich zu viel interessiert hat. Bei Herrn Spaar in der Studienberatung habe ich mich schließlich informiert, was das mit der Sinologie so auf sich hat und war begeistert über die Vielfalt, die das Fach beinhaltet und die Möglichkeit im Magister mehrere Fächer zu kombinieren. Und dann habe ich mir gedacht: du probierst es aus, lernst ein Jahr Chinesisch und falls nicht … Und nach dem Propädeutikum war ich ein Jahr in Shanghai - und dann hatten sie mich eingekauft!

Und eigentlich bin ich dann doch dort gelandet wo ich hinwollte. Zuerst wollte ich in Richtung Auswärtiges Amt, aber dann bin ich doch schnell auf die Schiene internationale Kooperation eingeschwenkt, über diverse Praktika - und das hat dann geklappt.

 

Das heißt, du würdest auch sagen, dass das die zentrale Kompetenz ist, die uns Sinologen auszeichnet?

Ja! Und ich glaube wir können das besser als Andere, weil es kaum ein Fach gibt, in dem es diese breite Palette gibt. In einem Semester beschäftigt man sich mit Literatur, im nächsten mit Urbanisierungspolitik und im übernächsten arbeitest du zur Taiping-Rebellion und dann über Medizin in chinesischen Enzyklopädien des 17. Jahrhunderts - und du musst alles gleichermaßen können. Alle Wissenschaften in einem Fach!

 

Was man aus dem Studium mitnimmt, ist also vor allem die Flexibilität?

Flexibilität, Belastbarkeit, Stressresistenz und eine gute methodisch Werkzeugkiste, gerade so diese ganze Ausbildung in digitalen Ressourcen, die Hilfsmittelkunde, das ist das A und O. Wie orientiere ich mich schnell in Datenbanken? Wie finde ich schnell die wichtigen Informationen in Datenbanken, wenn ich in drei Tagen ein Papier fertig geschrieben haben muss?

 

Sprachliche und methodische Kompetenzen lernt man im Studium, aber praktische Fähigkeiten dann im Job?

Inhaltlich? Ja, das lernt man im Job. Ich habe schon während dem Studium ein Praktikum gemacht zu regionaler Kooperation, allerdings nicht in China. Man ist dann da und arbeitet sich rein. Meine Kompetenz in Wirtschaftspolitik habe ich mir „on the job“ erarbeitet. Es kann Glück oder Unglück sein direkt ins kalte Wasser geworfen zu werden. Es war da niemand, der mir viel „input“ gegeben hat, aber ich konnte ein Projekt von Grund auf aufbauen. Und dann passiert das in Interaktion: man ist bei Workshops, lernt von Kollegen, Experten, arbeitet sich ein; im Prinzip ist es gar nicht so unähnlich, wie wenn man eine Hausarbeit schreibt, wenn man sich komplett allein in ein Thema einarbeitet. Die Volkswirte in meinem Team kannten zwar die Theorie, waren dann aber nicht besser dran als die Sinologen mit mehr politischem Gespür, denn die regionalen Gegebenheiten in Ostasien mussten sich alle gleich erarbeiten. Das thematische Einarbeiten ist bei beiden gleichermaßen notwendig.

 

Praktika, ist das der Schlüssel zur Jobfindung?

Ja, auf jeden Fall, für beide Seiten. Wenn man die Wahl hat stellt man jemand ein, den man kennt und von dem man weiß, dass er gut ist. Gerade im Bereich Entwicklungszusammenarbeit gibt es ein riesiges Angebot an wirklich guten Leuten, die im Ausland studiert haben, zig Sprachen sprechen, zig Praktika mitbringen und da kommt man ohne Praktika gar nicht rein. Man sollte sich das genau überlegen wo man hinwill, um die Institution und die Leute kennen zu lernen. Andererseits, wenn man das gut macht, dann hat man sozusagen den Fuß schon drin.

 

Für den Übergang vom Studium ins Berufsleben sollte man sich dann also frühzeitig Gedanken machen.

Ja genau. Frühzeitig Praktika anpeilen, sich Gedanken machen: Was interessiert mich? Was für Bereiche interessieren mich? Ist das was ich mir vorstelle, ist es in der Realität so wie ich es mir vorstelle? Manchmal stellt man sich etwas vor, schöner Glanz, aber in der Realität ist es dann doch gar nicht meins. Und dann, wenn man für sich weiß, wo will ich hin, dann auch schon strategischer zu den Institutionen oder Firmen gehen, die einen interessieren würden. Denn über die Kontakte, die man dort knüpft, entweder in der Institution selbst, oder je nachdem auch im Rahmen des eigenen Projekts aus Institution heraus, das ist das was einem dann am Ende des Studiums nutzt.

 

Aber ist die Schwelle beim Jobeinstieg für Absolventen beider Fächerbereiche gleich hoch oder gleich niedrig, wenn sie Praktikumshürde schon genommen haben?

Das ist schwer so allgemein zu sagen. Wenn ein Projekt aufgebaut wird schaut man sich nach alten Praktikanten um oder geht im weiteren Pool auf die Suche. Ansonsten hängt es sehr davon ab, wer da sitzt: Also wenn da ein Volkswirt sitzt, dann stellt er wahrscheinlich eher einen Volkswirt ein. Wenn da ein Politologe sucht, dann nach jemandem, der denkt wie er. Ich habe in meinem Team eher versucht es ausgewogen zu halten, denn ich brauche Regionalwissenschaftler ebenso wie Volkswirte, die mehr wissen in Bereichen, die ich selber nicht so gut kenne. Im Prinzip ist es nicht so relevant, was man studiert hat, sondern wie man darstellt was man kann - in Vorstellungsgesprächen und Anschreiben und das stringent aufzeigen kann: Das kann ich und das passt zu der Stelle. Was zentral ist in unserem Studium, das ist die kulturelle Kompetenz, in alles andere liest man sich ein. Aber dieses Gespür für China, das muss man vermittelt bekommen.

 

Liebe Marina Rudyak, vielen herzlichen Dank für das Gespräch und die spannenden Einblicke in die Arbeit der GIZ!

 

Das Gespräch führte Helen Hübner.

 

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Die Schauspielerin Li Lili  und der Filmregisseur Sun Yu

Li Lili wurde vor knapp einhundert Jahren geboren, Sun Yu noch fünfzehn Jahre früher. Beide begannen zur Stummfilmzeit ihre Karrieren und waren auch beim Tonfilm erfolgreich; beide lebten und starben in der Volksrepublik China. Vor achtzig Jahren bekam Li die Hauptrolle in dem Spielfilm Tiyu Huanghou (Sports Queen) von Sun Yu. 
 
Die Filmschauspielerin
 
Li Lili (1915-2005) war ein ungewöhnlicher Star aus einer ungewöhnlichen Familie. Ihr Vater, der den Familiennamen Qian trug, war ein kommunistischer Geheimagent, der Anfang der dreißiger Jahre im Sowjetgebiet von Jiangxi lebte und früh starb. Die Tochter benutzte dagegen den unauffälligen Familiennamen Li, da der Leiter der Kunst- und Tanzschule, die sie besuchte, so hieß. Ihr Vater hatte sich auch für Musik und Theater interessiert und hat vermutlich die Berufswahl der Tochter beeinflusst. Der Chef des Geheimdiensts war zu dieser Zeit Zhou Enlai (1898-1976), der in Tianjin zur Schule ging und dort wohl auch Sun Yu (1900-1990) zum ersten Mal traf.  Sun und Zhou wurden beide von Zhang Pengchun (1892-1957) unterrichtet, dessen älterer Bruder Zhang Boling (1876-1951) die Nankai Universität gegründet hatte. Beide Brüder hatten in den USA studiert und legten viel Wert auf das Englischlernen. (Ein etwas späterer Student war der Autor und Theaterregisseur Cao Yu (1910-1996), der in der Volksrepublik sehr beliebt war.) 
 
Der Regisseur
 
Sun Yu war ein moderner, politisch interessierter Regisseur, der sich besonders mit der Filmtechnik beschäftigte. Aus diesem Grunde besuchte er schon in den zwanziger Jahren Nordamerika und schaute sich die Studios in Hollywood an; er kaufte auch Geräte für chinesische Filmstudios - dies war genau die Zeit in der die Tonfilmtechnik entwickelt wurde. 1927 begann Sun für ein Filmstudio in Shanghai zu arbeiten, 1930 wechselte er zu der Firma Lianhua und drehte seinen ersten Spielfilm Gudu chunmeng (Spring dream in the old capital) mit der berühmten Schauspielerin Ruan Lingyu.
 
Stummfilm
 
Li Lili war ebenfalls sehr modern: im Gegensatz zu früheren Schauspielerinnen, die keine besondere Ausbildung bekamen, lernte sie spielen, tanzen, singen und - reiten! In vielen Filmen trug sie - kurze - Hosen, selten elegante Kleider. Außerdem sprach sie perfekt Hochchinesisch während viele Stummfilmstars kantonesisch oder andere Süddialekte sprachen. Sie war schon als Kind 1926 (mit Mutter und Bruder) an einer Filmproduktion beteiligt, 1932 übernahm sie ihre erste Spielfilmrolle. Li spielte dann in den folgenden drei Jahren in Sun Yus Filmen Huoshan qingxue (Volcano in the blood),Tianming (Day break), Xiao Wanyi (Little Toys), Tiyu Huanghou (Sports Queen) und Dalu (Big Road) wichtige Rollen. 
 
Tonfilm
 
1935 ging - nicht nur durch den Selbstmord von Ruan Lingyu - die Stummfilmzeit in China zu Ende, der Tonfilm erhöhte die Produktionskosten, die Kinos mussten investieren und die Preise erhöhen; Schauspieler, die nur Dialekt sprachen, waren kaum noch zu gebrauchen. Zu dieser Zeit war die Wirtschaftslage insgesamt schlecht, japanische Truppen rückten von Nordostchina nach Nordchina und dann nach Shanghai vor. 1937 verließen viele Filmstudios Shanghai und gingen nach Hongkong oder nach Südwestchina. 
 
Die vierziger Jahre
 
Sun Yu verbrachte einen Teil der Kriegsjahre in Chongqing und ging dann für drei Jahre in die USA. Nach seiner Rückkehr drehte er einen Film über Wu Xun (Wu Xun zhuan) für den er in den Gründungsjahren der Volksrepublik heftig kritisiert wurde. Sun erreichte zwar ein hohes Alter konnte aber keine großen Filme mehr drehen. Seine Amerikareisen und Englischkenntnisse habe ihm in der sowjetisch dominierten Phase eher geschadet.  Li Lili war in den frühen Kriegsjahren noch an einigen Filmprojekten beteiligt, verbrachte nach dem Krieg zwei Jahre in den USA und lebte ab 1949 in der neuen Hauptstadt Beijing. Sie übernahm nur noch kleinere Rollen und wurde zur Filmlehrerin. Einen letzten großen Auftritt hatte sie bei dem biographischen Film Center Stage - Ruan Lingyu (1992) mit Maggie Cheung.  
 
Literatur: 
Jay Leyda: Dianying - Electric Shadows, Cambridge (Mass.), 1972.
Sun Yu: Dalu zhi ge, Taibei, 1990. 
 
 
Dr. Thomas Kampen

 

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Die Global China Connection jetzt auch in Heidelberg


Anfang dieses Semesters haben Studierende unserer Universität eine Regionalgruppe der Global China Connection, kurz GCC, in Heidelberg gegründet, um den kulturellen Austausch zwischen China und Deutschland zu fördern. Gründungsmitglied und Vorsitzende Vera Grossegesse im Gespräch mit SHAN. 

 

Was ist GCC?

GCC steht für Global China Connection. Es ist eine weltweit agierende Organisation, die in den USA gegründet wurde und dort sehr häufig vertreten ist. Besonders an den Elite-Unis Harvard, Yale und Princeton. Diese Unis haben ein großes Netzwerk aufgebaut, mit dem Ziel den Austausch zwischen China und den Nationen der Welt zu fördern. Mittlerweile hat sich dieses Netzwerk auf China ausgeweitet, auch dort gibt es bereits sogenannte Chapter, also Regionalgruppen, so wie wir in Heidelberg eine sind. Dort organisiert GCC halbjährlich Kongresse, auf die dann Repräsentanten von Unternehmen, Hochschulen und anderen Organisationen eingeladen werden. Die wichtigsten Summits finden in Peking und New York statt, wo sich alle Regionalgruppen des jeweiligen Landes treffen.  In anderen Ländern, wie auch in Deutschland, befindet sich GCC noch im Aufbau.

 

Seit wann gibt es GCC in Heidelberg und wie bist du auf die Idee gekommen, eine Regionalgruppe in Heidelberg zu gründen?     

Von einem ehemaligen Kommilitonen in Bayreuth habe ich erfahren, dass dort ein neues Chapter, als eines der ersten seiner Art in Deutschland, gegründet wird. Das fand ich sehr interessant, besonders die Idee, ein Netzwerk für Deutschland aufzubauen, hat mich gereizt. Natürlich ist es ein hoch gestecktes Ziel, hier ein gut ausgebautes Netzwerk, wie es in den USA bereits vorhanden ist, aufzubauen, deswegen wollte ich anfangs eigentlich nur einmal schauen, inwiefern Interesse bei den Heidelberger Studenten besteht. Daher habe ich am Anfang des Sommersemesters auf Facebook Werbung gemacht und versucht, andere Studenten für diese Idee der Gründung eines Chapters in Heidelberg zu gewinnen. Ich habe nicht damit gerechnet, dass die Resonanz so groß sein würde, mittlerweile besteht unser Team aus fast 20 Mitgliedern.

 

Wie seid ihr organisiert?

Ich habe während meiner Studienzeit bereits bei anderen Hochschulgruppen mitgearbeitet und mich hat immer die streng hierarchische Struktur gestört. Für GCC Heidelberg wollte ich das nicht übernehmen und so arbeiten wir in kleinen Teams innerhalb der Gruppe zusammen. Außerdem war es von Anfang an mein Ziel, Ideen und Projekte zu realisieren hinter denen alle Gruppenmitglieder stehen. Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass wenn beispielsweise ein Vorstand ein Projekt vorgibt, an dem die ganze Gruppe arbeitet, die Motivation der Mitglieder schnell abnimmt. Das verhält sich anders, wenn ein Projekt realisiert wird, bei dem alle ihren vollen Einsatz zeigen, weil sie selbst dahinterstehen. Deswegen konnte gerade am Anfang jeder seiner Ideen für Veranstaltungen und Projekte einbringen. Nach gemeinsamer Abstimmung beschlossen wir, dass unser erstes Event ein deutsch-chinesischer Abend sein wird. Wir sind in der Gestaltung unserer Events sehr frei und müssen lediglich drei Veranstaltungen organisieren, um von GCC Global offiziell als Regionalgruppe anerkannt zu werden.  

 

Wie kann man bei GCC mitmachen?

Bei GCC kann jeder mitmachen, der  am kulturellen Austausch mit China interessiert ist, unabhängig von Fachrichtung oder Vorwissen zu China. Unser Team ist bunt gemischt und besteht aus Ethnologen, Sinologen, Biologen, Physikern, Economics-Studenten und chinesischen Austauschstudenten. Der kulturelle Austausch beginnt also schon bei der Arbeit im Team. Ende des Semesters wird es ein Recruiting-Event geben, bei dem wir Verstärkung für unser Team im nächsten Semester suchen werden.

 

Was habt ihr bislang schon erreicht?

Gerade stecken wir in den Vorbereitungen für unsere erste Veranstaltung. Am 12. Juni veranstalten wir einen deutsch-chinesischen Abend, die GCC-Lounge. Es wird einen Vortrag unserer Teammitglieder zum Thema kulturelle und sprachliche Missverständnisse zwischen Deutschen und Chinesen geben. Eben alles rund um den Kulturschock. Im Anschluss wird es deutsche und chinesische Snacks geben und das Publikum hat die Möglichkeit, miteinander in Kontakt zu kommen und sich auszutauschen.

 

Das Interview führte Anna Schiller.

Mehr Informationen zur GCC finden sie hier.
 

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Zuletzt bearbeitet von:
Letzte Änderung: 04.12.2014
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