Newsletter November 2010 Nr. 47

INHALT

EXPO 2010 in Shanghai

Vor noch nich allzu langer Zeit wurde die EXPO 2010 in Shanghai beendet. Zum Abschluss der EXPO berichtet SHAN über das Großereignis aus unterschiedlichen Perspektiven.  Eine Sinologie-Studentin berichtet über ihre Tätigkeit als Messehostess, eine Besucherin lässt Sie an ihrem persönlichen Eindruck teilhaben, außerdem haben wir  weitere wissenswerte Daten und Fakten für Sie aufbereitet.


Kristina Bodrozic-Brnic: Ai Weiwei: Ein selbstgeschaffenes Ready-Made

Im Newsletter September startete SHAN die Reihe die Artikel-Serie der Sinologie Abschlussarbeiten mit einem Artikel aus dem wirtschaftlich-rechtlichen Bereich. In diesem Newsletter erfaren wir im Artikel von SHAN-Mitglied Kristina Bodrozic-Brnic mehr über den chinesischen Künstler Ai Weiwei und sein Werk, das die ehemalige Leiterin des SHAN-PR Teams für ihre Magisterarbeit untersucht hat.

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China Underground:Chinesisches Filmfestival in Heidelberg

Chinesische Independentproduktionen gab es Ende September im Karlstorkino in Heidelberg zu sehen. SHAN hat diese Gelegenheit genutzt Alumni und Mitglieder zu einem gemeinsamen Abend einzuladen und hatte Gelegenheit die anwesenden Regisseure zu einem Interviewtermin zu treffen.

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Walter" Woidt - ein ungewöhnlicher Geschäftsmann in China

Wer war "Walter" Woid? Zum Beispiel Mitglied im shanghaier Spionagering von Ruth Werner oder deutscher Geschäftsmann mit Kontakten zur Regierung in Nanking. Doch trotz zahreicher Hinweise, blieb seine Identität doch immer ein Rätsel. Lesen Sie mehr über diesen mysteriösen Geschäftsmann. 

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English Caidan: SHAN-Redakteurin Viktoria Dümer berichtet aus Taipeh

Viktoria Dümer, SHAN-Redakteurin, ist in Taipeh und seit kurzem ungern Europäerin. In ihrer Glosse schreibt sie über Hunde, Ausländer, einen Kulturschock der ganz anderen Art und – unvorstellbar für die Redaktion - den ersten sprachlosen Moment ihres Lebens. Wie es dazu kam, erfahren Sie in ihrem Beitrag. 

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Mondkuchen, Becks und Beckenbauer - Ein Jahr Konfuzius-Institut Heidelberg e.V.

Am 22. September gab es im Konfuzius-Institut Heidelberg gleich zwei Gründe zum Feiern: Das einjährige Bestehen des Vereins Konfuzius-Institut Heidelberg e.V. und das chinesische Mondfest. Gefeiert wurde mit vielen Gästen, einem bunt gemischten Programm und natürlich mit Mondkuchen. SHAN hat für Sie einige Eindrücke gesammelt.

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Chinesische Filme vor siebzig Jahren - aus österreichischer Sicht

Von brandaktuellen Filmen in Heidelberg machen wir einen Zeitsprung und betrachten die chinesische Filmlandschaft und ihre Rezeption in Österreich vor 70 Jahren. Viele dieser Filme sind heute Klassiker der chinesischen Filmgeschichte. Begleiten Sie Dr. Thomas Kampen auf eine spannende Reise in die Geschichte des chinesischen Films. 

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Filmrezension

Zum Start der Filmrezensionen gab es einen absoluten Klassiker, dieses Mal hat Johann Platt das Debüt-Drama der Jungregisseurin Wang Bang für SHAN rezensiert. Mehr zu diesem ungewöhnlichen und auf eigene Art bemerkenswerten Debüt lesen Sie im Artikel.

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Als Messehostess auf der Expo 2010

Die Expo 2010 in Shanghai war zweifelsfrei eines der Großereignisse dieses Jahres und eine Weltausstellung der Superlative. Melanie Adamietz hatte, wie einige andere Stundenten der Sinologie in Heidelberg, die Chance ein halbes Jahr in Shanghai zu leben und auf der Expo zu arbeiten. Eine Lebenserfahrung über die sie für SHAN berichtet.

 

Die Expo 2010 ist in vielerlei Hinsicht die größte Weltausstellung, die es je gab. Angefangen bei der Grundfläche von 5,28 Quadratkilometern auf beiden Seiten des Huangpu Flusses auf der die Messe platziert wurde, bis hin zu der Teilnehmerzahl an Nationen und internationalen Organisationen sprengt die Expo in China jeden bisher vorhandenen Maßstab. Es wird mit einer Gesamtbesucherzahl von ca. 70 Millionen Menschen gerechnet, wobei die tägliche Gesamtbesucherzahl sich auf durchschnittlich 400.000 beläuft. Der Deutsche Pavillon, der sich im Europäischen Distrikt auf der Pudong Seite des Expogeländes befand und mit seinen 6000 Quadratmeter nach Australien der zweitgrößte nationale Pavillon ist (der Chinesische Pavillon natürlich ausgeschlossen), knüpft mit seinem Konzept „balancity - Eine Stadt in Balance“ direkt an das Expomotto „Better City, Better Life“ an.

Die Ausschreibungen für die zahlreichen Stellen, die im Deutschen Pavillon zu haben waren, begannen bereits im Frühjahr 2009 und richtete sich vorwiegend an Bewerber mit Deutschen, Chinesischen und Englischen Sprachkenntnissen. Auf die Stelle aufmerksam wurde ich durch eine Rekrutierungswerbung der Koelnmesse International GmbH, welche durch die institutsinterne Sino-Info Mailingliste verschickt wurde. Nach einem kurzen Online-Bewerbungsverfahren und einem Bewerbungsgespräch verbunden mit einem 15-minütigen Sprachtest wurde mir die Stelle als Messehostess letztendlich zugesichert. Um die Stelle antreten zu können nahm ich ein Urlaubssemester im Sommer 2010 in Anspruch.

Meine Aufgabe als Hostess ist es, zusammen mit meinen 200 Kollegen, alle sich im Pavillon befindlichen Stationen und Exponate in allen drei erforderlichen Sprachen, also Deutsch, Chinesisch und Englisch bedienen und erklären zu können und die Einlasskontrolle und das Besuchermanagement zu regeln. Außerdem stehen jeden Tag viele Führungen durch den Pavillon und nach Bedarf Betreuung von Delegationen aus verschiedenen Bereichen der Politik und Wirtschaft an. Das Pavillonkonzept ist, wie bereits erwähnt stark an das EXPO Motto „Better City, Better Live“ oder „城市让生活更美好“ angelehnt und hatt neben der Darstellung einer Stadt in Balance den Anspruch eine Vielzahl von neuartigen Methoden aufzuzeigen, die das Leben in Städten nachhaltig verbessern soll. Der Fokus liegt dabei vorwiegend auf den verschiedenartigsten Formen von erneuerbaren Energien, nachhaltigen Gebäudetechnologien oder Schlüsseltechnologien zum Umweltschutz. Der Pavillon fasst pro Tag zwischen 20.000 und 25.000 Besuchern von denen über 95% aus den verschiedensten Provinzen Chinas anreisen. Auf Grund der gewaltigen Besuchermengen, die tagtäglich in das Expogelände hinein geschleust werden belaufen sich die Wartezeiten für die beliebtesten Pavillons (Japan, Deutschland, China und Saudi Arabien) auf 3 - 7 Stunden. Vor dem Deutschen Pavillon warten die Menschen in der Regel 3 - 4 Stunden.

Es ist schwer die Erfahrung hier auf der Expo in Worte zu fassen. Die Massen, die sich tagtäglich zwischen den Pavillons hindurch schlagen, die Weite des Terrains und der oft auch sehr schwierige Umgang mit den Besuchern lässt sich mit nichts vergleichen was man zuvor in China erlebt hat. Man macht zwar viele schöne Bekanntschaften und hat schöne Erlebnisse, doch gibt es auch leider eine Kehrseite des Ganzen, welche bei einem Zusammentreffen so vieler Menschen mit Sicherheit unvermeidlich ist. Bei den Shanghainesen, welche ein Expo Ticket geschenkt bekommen, gilt: „Gehst du nicht hin, wirst du es ein Leben lang bereuen, gehst du hin, bereust du es auch!“ Dieser Satz beschreibt das zwiespältige Gefühl sehr gut, welches man nach einem gewissen Aufenthalt hier empfindet. Einerseits ist es eine großartige Chance, die Kultur und die Denkart anderer Nationen und Kulturkreise zu erkunden, woraus sich interessante Bekanntschaften und auch Freundschaften ergeben. Auf der anderen Seite ist es sehr anstrengend mit der gewaltigen Menschendichte ( bis zu 623000 Besucher täglich ), der Lautstärke und auch dem äußerst rüpelhaften Verhalten vieler Besucher umzugehen. Alles in allem würde ich jedoch die Erfahrungen, die ich auf der EXPO gewonnen habe nicht missen wollen.

 

Melanie Adamietz

 

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Byebye Haibao! - Ein Besuch der EXPO

Wie lebt es sich in der Stadt, die sich sechs Monate lang im Dauer-Ausnahmezustand befindet? Anfang Oktober fallen nur noch gleichgültige Blicke auf die Bildschirme in der U-Bahn. Die Dauerschleife aus Besucherstatistiken, die sich inzwischen konstant bei rund 400 000 eingependelt hat, und „News from the Expo site“ mit den Zusammenfassungen der Höhepunkte des Tagesprogramms scheint bei den meisten Pendlern nur noch wenig Begeisterung zu wecken. Denn abgesehen von den Klagen über die allgemeine Teuerungsrate wird es sogar den Menschenmassen-erprobten Shanghaiern inzwischen zu bunt. Viele sehnen das Ende der Veranstaltung und ein Quäntchen mehr Ruhe entgegen. Sie sind stolz auf ihre Stadt und deren repräsentative Darstellung, doch nicht wenige sehen sich das baldige Ende der Großveranstaltung mit Erleichterung. Ist das Großveranstaltungs-Fieber für bereits am Abklingen?

Unterwegs durch die Stadt, auf der Suche nach dem „EXPO-Spirit“ sind die luxuriös großen EXPO-Taxis rar und heißbegehrt. Die zahlreichen Busverbindungen ergänzen die letzten Neuzugänge zu den insgesamt 11 Metro-Linien: eben pünktlich fertig geworden, sind sie bereits jetzt zur Rush Hour an der Kapazitätsgrenze. Linien und Pfeile an den Eingängen sollen die Menschenmengen kanalisieren. Doch es wiederholt sich stetig dasselbe Spiel: noch während es aus den Lautsprechern plärrt: „Xian xia, hou shang!“ drückt es schon von allen Seiten in den U-Bahn-Wagen. Die Menge wogt, schiebt und man kann sich dem Sog nicht entziehen: die Flut schwemmt alle und alles mit in den Waggon. Manche Idealisten knurren über die „unzivilisierten Bauern“, doch die allgemeine Reaktion ist Resignation. Zu den Stoßzeiten gibt es hier kein Erbarmen. Die Bildschirme an jeder Seite zeigen eine der zahlreichen Erziehungskampagnen zu richtigem Verhalten in der Metro: die kleinen grünen Männchen im Cartoon haben allen Umstehenden, die an den Haltegriffen baumeln, sich an den Haltestangen lümmeln oder auf ihrem stolzen Sitzplatz dösen (daddeln/tratschen/Fingernägel pflegen) neben ihrer offenbar als ziviler angesehenem Verhalten eine selige Gelassenheit voraus.

Doch Gelassenheit und eine gute Kondition sind Grundvoraussetzungen für einen Tag auf der EXPO. Noch strömen täglich hunderttausende Besucher aus dem In- und Ausland auf das Austellungsgelände. Die letzten Shanghaier lösen die kostenlos an alle Haushalte verteilten Tickets ein. Eine bewunderswerte Geduld eint viele in den endlosen Schlangen vor den beliebten Pavillons; selbst Frühaufsteher mit langem Atem und Durchhaltevermögen bis in den späten Abend schaffen bei stundenlangem Anstehen oftmals nicht mehr als drei Pavillons an einem Tag. Nach den tropischen Temperaturen, bei denen auch die überall verteilten Wasserspender und Sprühnebel entlang der längsten Schlangen kaum Linderung boten, lockt das milde Oktoberwetter mit strahlendem Sonnenschein.

Allein ein Wassertropfen auf Beinen stört die Harmonie und spaltet die Besucher: es kann nur Liebe oder Hass sein. Die positiven Reaktionen überwiegen, viele finden ihren persönlichen Schatz der Meere in Plüschform und entdecken in der Hawaii à la Strohrock oder auch der Cowboy-Variante die weniger softe Seite des kleinen Blauen. Die Skeptiker dagegen lassen sich auch von dem Hinweis auf den tieferen Sinn als stilisiertes Schriftzeichen von ren in der Farbe des wichtigsten aller Elemente, Wasser, nicht überzeugen. Was soll dieser dauergrinsende Tropfen mit einer Weltausstellung zu nachhaltiger Entwicklung und umweltbewusstem Leben in Stadt zu tun? Und niemand hat die Wahl: Haibao ist allgegenwärtig. Er baumelt als Anhänger von Handys und Schlüsselanhängern, tanzt auf den Bildschirmen der Taxis, wird von Kinderarmen umarmt und liebkost. Auf allen Verpackungen für Lebensmittel, auf Flaschen und Tüten, Verpackungen wie Kleidung, es besteht kein Entkommen.  Entlang der Straßen und an jeder Ecke in Form akkurat gestutzter Buchsbäume oder Blechschilder grüßt der kleine Blaue. Seinen größten Auftritt hat er im Video zum EXPO-Song, ein Ohrwurm der ganz fiesen, peinigend schlechten Sorte.

EXPO-Ticker vor vielen Wohnanlagen und an prominenten Stellen in der Innenstadt zählten Jahre, Monate, Tage, Stunden und Sekunden bis zur Eröffnung am 1. Mai; jetzt läuft der Countdown bis zur Abschlußfeier am 31. Oktober. Welches Großereignis wird folgen?Sicher ist: die EXPO wird als internationale Großveranstaltung von ungekannter Dimension in Erinnerung bleiben. Über 60 Millionen Besucher haben in den Länderpavillons, Urban Best Practice  Area, bei Präsentationen und Veranstaltungen in der ganzen Stadt Ideen zum Thema „Better City, Better Life“ gesehen. Über die architektonische und inhaltliche Gestaltung einiger Pavillons lässt sich sicher diskutieren: nicht alle Macher der Konzept schienen sich für das Motto zu interessieren oder sich weiter damit auseinandergesetzt zu haben, sondern präsentierten auf Hochglanz polierte Demonstrationen ihrer nationalen Größe, Naturschönheit oder schlicht touristischer Perlen. Doch gerade auch diese Selbstdarstellung kann für den Besucher von besonderem Interesse sein: Marokko vermittelt den dringenden Wunsch sofort das nächste Flugzeug in einen Traum aus 1001 Nacht zu nehmen, in Afghanistan lässt sich fantastisch einkaufen und die Henna-Tattoos sind ein weiteres Souvenir der besonderen Art, „gegenüber“ im „Staat Palästina“ schlendert man durch die Straßen der „Hauptstadt“ Jerusalem und Nordkorea entführt seine Besucher auf eine Zeitreise in die ebenso unwirklichen wie ewiges, allgemeines Glück versprechende Sphären des gelebten Sozialismus in der Liebe zur Heimat und den geliebten Führern. Pakistan und Iran in nächster Nähe bringen der Welt den langersehnten Frieden, Neuseeland ist ein einziges großes, grünes Spielkinder-Paradies  und die Niederlande sind im Modellmaßstab beinahe so bunt und putzig wie in der Realität. Dabei lassen sich diese Pavillons oftmals ohne Wartezeiten und abseits der großen Besuchermassen besichtigen.

Für ein Praktikum war ich die Sommermonate über in Shanghai und in dieser Zeit insgesamt auch drei Mal auf dem EXPO-Gelände. Von großer Freude war dabei jede einzelne der Begegnungen mit den chinesischen Besuchern aus fern und nah, die auch nach stundenlangem Anstehen noch fröhlich und mit ungebremster Neugierde mit dem laowai plaudern wollten. Meine Favoriten unter den Pavillons? Der UK-Pavillon in seiner Konzeption als gestalterischer Blickfang, hinter mit der „Seed Cathedral“ außerdem ein spannendes, wie nachhaltiges Konzept steht. Außerdem die Pavillons Deutschlands, insbesondere der Teil zum Umgang mit der deutschen Vergangenheit, die Urban Best Practice Area, die Joint Pavillons des Nahen Ostens und der Pavillon Nordkoreas sowie das Deutsch-Chinesische Haus in seiner filigranen Bambusstruktur. Befremdlich erschienen mir dagegen die inflationär verteilten VIP-Pässe sowie der wundersame Handhabung dieser seitens des Personals diverser Pavillons; außerdem empfand ich Verwunderung jedes Mal aufs Neue, dass auch auf dem EXPO-Gelände KFC und Family Mart das Essensangebot dominierten.

Meinen eigenen Eindrücken möchte ich außerdem noch die folgenden Kurzantworten zu Fragen an drei weitere Besucher gegenüberstellen:


Jiawen, Germanistikstudentin, hat als Freiwillige eineinhalb Monate auf der EXPO gearbeitet:

SHAN: Was hat dir an der EXPO besonders gut gefallen?

Jiawen: Die Pavillons da sind super. Sie bieten uns eine ausgezeichnete Gelegenheit an, durch welche wir die Landeskunde, die Geschichte, den Lebensstil u.s.w von einem Land kennenlernen, auch wenn wir es noch nie besucht haben.

Gab es auch negative Erlebnisse?
 

Man muss stundenlang in der Schlange stehen, bevor man einen beliebten Pavillon besuchen möchte. Ich kann es nicht ertragen, dass man vor irgendeinem Pavillon wie Saudi Arabien über 8 Stunden zu warten braucht, wenn die Temperatur über 35 Grad liegt.

Wird die EXPO einen nachhaltigen Eindruck auf die Entwicklung im Land hinterlassen? Glaubst du, dass es einen messbaren Fortschritt geben wird?


Mithilfe der EXPO haben viele Ausländische Shanghai und China besser kennengelernt, eine ganze Reihe Touristen und Investoren werden infolgedessen hier angezogen. Dann wird unsere Stadt sowie unser Land sich weiterentwickeln.



Hannes Mayer, Redakteur der Züricher Architekturzeitschrift „Archithese“, war einen Tag lang zu Besuch auf der EXPO:

SHAN: Was hat dir an der EXPO besonders gefallen?


Mayer: Die Parkanlage am Huangpo River und der Niederländische Pavillon von John Körmeling (Eindhoven).
 
Was hat dich auf der EXPO gestört, was hätte man bei der Planung beachten sollen?


Die bis auf die Ufergestaltung äusserst ideenlose und konventionelle Gestaltung des öffentlichen Raumes, also des Raumes, welcher auch über die Expo hinaus benutzt werden wird und die Grundlage für eine zukünftige Bebauung bildet.
 
Wird die EXPO einen nachhaltigen Eindruck auf die Entwicklung im Land hinterlassen? Glaubst du, dass es einen messbaren Fortschritt geben wird? 


Die Expo hat sicherlich auf Seite der chinesischen Entscheidungsträger für die Darstellung von zukunftsrelevanten Fragen sensibilisiert. Es bleibt jedoch zweifelhaft, ob die Darstellungen tatsächlich als Leitbild übernommen und zum Massstab für das Land erkoren werden. Für viele chinesische Besucher war die Expo eine Möglichkeit von fernen Ländern zu erfahren.
 
Die Ärztin Wang Huilin, hat insgesamt bereits sechs Mal mit Freunden die EXPO besucht:

SHAN: What did you like about the EXPO?

Wang Huilin: They put some of the best or famous restaurant there, but a large crowd made the dining environment worse.It is really too many people, impossible to enjoy without VIP pass. Lining feels more tiring that work.

Any downturn?

Without enough coordination, EXPO pavilions are filled with multimedia presentation, on the contrary lack of bringing the national treasures for demonstration which is a real resemble of different characteristic of each civilization. I like the EXPO in older time before better.

What do you think is going to be the long-term effect of the EXPO on Shanghai? Is there going to be any sustainable progress?

Don't exactly know except to hear so much about many expats want to find a job in Shanghai. My parents were very happy to travel along all the national pavilions and enjoyed seeing all different cultures. Of course there are always many positive prospective from PRC saying that it will make Shanghai an international city. Actually it already is, maybe after EXPO it will be more famous.
 

Interview und Artikel: Helen Hübner

 

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„Better City, Better Life“ - die größte Weltausstellung aller Zeiten

Nachdem die Weltausstellung im Laufe des vergangenen Jahrhunderts mehrmals in Japan (1970, 1975, 1985) und auch in Südkorea (1993) stattfand, reiht sich nun auch die Volksrepublik China in die ostasiatischen Gastgeberländer ein. Vom 01. Mai bis 31. Oktober findet die Weltausstellung Expo 2010 unter dem Motto Better City, Better Life in Shanghai statt, an der 242 Aussteller, davon 192 Nationen und 50 internationale Organisationen, teilnehmen. Dieser Artikel möchte einige Zahlen und Fakten dieser größten Weltausstellung aller Zeiten vorstellen.

Das 5,28 Quadratkilometer große Expogelände auf beiden Seiten des Flusses Huangpu, ist offiziell das größte in der Geschichte der Weltausstellung. Zentral für diese Expo sind fünf verschiedene Themenpavillons, die sich unterschiedlichen Aspekten städtischer Entwicklung widmen: Urban Footprints, Urban Planet, Urban Dwellers, Urban Beings und Urban Dreams. Ein Teil dieser Themenpavillons befinden sich in einem Ausstellungsgebäude mit 11,5 Hektar Grundfläche, dem größten Bau in der Geschichte der Expo.

Auch verkehrstechnisch ist die Expo 2010 ein Mammutprojekt. Das Expogelände ist über den Huangpu durch mehrere Fährverbindungen vernetzt. Auf dem Gelände selbst verkehren über 200 Elektrobusse und Elektro-Spezialfahrzeuge. Nach dem Ende der Expo sollen diese Busse im öffentlichen Verkehrsnetz von Shanghai zum Einsatz kommen. Um den großen Besucherandrang, der schon vor Beginn der Expo rasant wuchs, zu entlasten, wurde das Shanghaier Verkehrsnetz u.a. mit mehreren neuen U-Bahnstationen sowie 4000 zusätzlichen Taxis ausgebaut. Während des chinesischen Neujahrsfest 2010 konnte eine 12% Steigerung der Touristenanzahl in Shanghai zum Vorjahr vermerkt werden, sowie ein 13% plus im Umsatz in der Tourismusbranche.
 

Seit Anfang Mai haben nahezu 60 Millionen Menschen die Weltausstellung in Shanghai besucht, mit den höchsten Besucherzahlen pro Tag in den Monaten Juni und Juli. Interessierte können auf der offiziellen englischsprachigen Homepage der Expo Shanghai täglich ablesen, wie viele Besucher zu welchen Tageszeiten auf das Gelände strömen sowie die kompletten Besucherzahlen vom 01. Mai bis zum aktuellen Datum. So lässt sich beispielsweise für die Tage vom 05.10. bis 07.10. beobachten, dass es am Tag zwei Besucheranstürme gab. Der erste zwischen 9:00 und 11:00 morgens, und der zweite zwischen 16:00 und 18:00. (http://en.expo2010.cn/yqkl/index.htm)


Wir freuen uns, Ihnen in dieser Ausgabe des SHAN Newsletters interessante Beiträge von Besuchern, die Teil dieser Besucheranstürme waren, sowie beeindruckende Bilder der Expo 2010 in Shanghai präsentieren zu können.

 

Johann Platt

 

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Ai Weiwei: Ein selbstgeschaffenes Ready-Made - Kristina Bodrozic-Brnic

Ai Weiwei – das ist ein Künstler, der in den westlichen Medien gerne immer dann aufgegriffen wird, wenn es darum geht, Kritik über China zu formulieren. Er ist aber auch ein Künstler, der den Westen mit China verbindet. 1993 kehrte er nach einem zwölfjährigen USA-Aufenthalt zurück in die Volkrepublik China und brachte dabei auch einiges an Erfahrung und westlichem Kunstverständnis mit. Die Bedeutung Ai Weiweis für die Entwicklung der Beijinger Kunstszene seit Mitte der 1990er wird heute noch leider von Vielen unterschätzt. Bei meiner Magisterarbeit interessierte ich mich weniger für Ai Weiweis Kritik an seiner Heimat, oder auch am Westen, als vielmehr, für das was sein künstlerisches Schaffen ausmacht. 2009 sagte Ai Weiwei in einem Interview der FAZ gegenüber, er sei sein eigenes Ready-Made. Und da war sie: Die Idee meiner Magisterarbeit. Ai Weiwei = Mensch = Ready-Made. Wer und was ist das und wie ist es möglich?

In der modernen Kunst gibt es eine Theorie, die besagt, dass alles ein Kunstwerk sein kann, wenn es vom Künstler zu einem solchen erklärt wird. Der französisch-stämmige Künstler Marcel Duchamp (1887-1968) war der Urvater der sogenannten Ready-Mades und hatte Zeit seines Lebens und auch noch lange nach seinem Tod einen großen Einfluss auf das künstlerische Arbeiten folgender Generationen. Für Duchamp lagen bei der Kreation eines Ready-Mades alltägliche Gegenstände im Zentrum seines Schaffens. Er entriss sie aus ihrem gewohnten Zusammenhang und präsentierte sie als Kunstobjekte in privaten und öffentlichen Ausstellungen. Viele kennen sicherlich sein berühmtes Werk „Fountain“ von 1917, das lediglich aus einem von ihm mit seinem Pseudonym signierten handelsüblichen Urinal bestand. „Fountain“ ist das Symbol für eine Art Revolution in der Kunst.

Als Ai Weiwei in den USA lebte, kam er mit den Ideen Marcel Duchamps, Andy Warhols und Joseph Beuys in Kontakt, doch sein größter Einfluss ist nach eigenen Angaben Marcel Duchamp gewesen. Aber Ai Weiweis Kunstbegriff unterscheidet sich von dem Ready-Made Verständnis Duchamps. Das Ausarbeiten der Anfänge und der Weiterentwicklung der Ready-Made-Idee, in Betracht von Ai Weiweis kreativem Arbeiten, ist das Hauptthema meiner Magisterarbeit. Untersucht werden in chronologischer Folge das Werk „Profile Duchamp“ von 1985, welches den Anfang der Auseinandersetzung mit Ready-Mades setzt, seine Ausstellungsobjekte auf der von ihm kuratierten Shanghaier Ausstellung „Fuck Off“ aus dem Jahr 2000, die eine erste Veränderung seines Begriffs Ready-Made darstellen, das Phänomen des Bloggens als Präsentationsplattform des Ready-Mades „Ai Weiwei“, und abschließend die Niederschlagung seiner bis dahin erfolgten künstlerischen Entwicklung in dem Stück „Remembering“, bei dem 9000 Rucksäcke von Oktober 2009 bis Januar 2010 im Haus der Kunst (HDK) in München ausgestellt wurden, die repräsentativ an die kindlichen Opfer des Sichuan-Erdbebens von 2008 erinnern sollten.  Bei der Betrachtung dieser Werke fällt einem gleich auf, dass bei Ai Weiwei alles miteinander zu tun hat und ineinander verstrickt ist. Wenn auch ein Werk sich  dem Betrachter nicht auf den ersten Blick erschließt, so zeigt sich nach einer gewissen Recherche ein roter Faden in der Kunst Ai Weiweis. Dieser rote Faden besteht vor allem im Aufarbeiten der Bedeutungswandlung chinesischer historischer Kulturgüter und dem Hinterfragen von sozialer Realität in seiner Heimat China. Wenn es um Ready-Mades geht, so löste sich Ai Weiwei nach seiner Rückkehr nach Beijing von Duchamps Vorstellung und wurde allmählich zum Massenproduzenten seiner eigenen Kunst. Um dies zu verdeutlichen, sei kurz das Werk „Sunflower Seeds“ (2010 in der Tate Modern) erwähnt, wofür Ai Weiwei hundertmillionen von keramischen Sonnenblumenkernen in Chinas berühmtester Porzellan-Manufaktur-Stadt Jingdezhen produzieren ließ. Auch für die in der Magisterarbeit besprochene Installation „Remembering“ (2009) ließ er 9000 formgleiche Rücksäcke anfertigen. Dieser Aspekt des künstlerischen Produzenten, des Ideengebers hinter der Verwirklichung, gepaart mit der offenen Präsentation seiner Gedanken auf diversen Blogs im Internet, erschaffen das Ready-Made Ai Weiwei.

Was die Ausführung dieses Themas im Rahmen einer Magisterarbeit betrifft, muss ich sagen, dass es enorm schwierig war auf profunde Literatur zurückzugreifen. Die Aktualität seines Erfolgs lässt viele Kunsthistoriker erst jetzt aufsehen. Was den Effekt auf mein eigenes Kunstverständnis chinesischer Gegenwartskunst betrifft, kann ich aber nicht klagen. Mit diesem Thema habe ich nicht nur den Künstler Ai Weiwei aufgearbeitet, sondern auch wichtige Ereignisse der zeitgenössischen chinesischen Kunst betrachtet, und darüber hinaus die Einflüsse aus dem Westen unter die Lupe genommen. Im Anschluss an die Arbeit hatte ich nach sechs-jährigem Studium endlich das Gefühl ein wenig von Moderner Kunst und Gegenwartskunst und ihrer Interkulturalität zu verstehen.


Kristina Bodrozic-Brnic

 

Weitere SHAN-Beiträge zu diesem Thema

Ai Weiwei So Sorry

 

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China Underground - Chinesische Independent-Filme in Heidelberg

Zur jährlichen Chinaveranstaltung China Time 2010 in Hamburg wurden dieses Jahr chinesische Independent-Filmemacher nach Deutschland eingeladen. Vom 28. bis zum 30. September 2010 wurden einige von ihnen nach Heidelberg eingeladen, ihre Filme im Karlstorkino in Heidelberg zu zeigen. Die Filmveranstaltung unter dem Namen China Underground – Ein kritischer Blick von unten, zeigte spezielle Wahrnehmungen der Regisseure zur chinesischen Gesellschaft und bot Betrachtungsperspektive, die in Mainstream-Filmen über China selten zu sehen sind. SHAN interviewte während der Veranstaltung den chinesischen Organisator Herrn Ni Kun (倪昆) und beiden Regisseure, Frau Wang Bang (王梆) und Herrn Ma Zhandong (马占冬). 



Shan: Herzlich willkommen in unserer Universitätsstadt Heidelberg. Herr Ni (倪昆), Sie sind einer der Organisatoren dieser chinesischen Filmveranstaltung und kennen sich im Bereich der Independentfilme in China aus . Können Sie bitte kurz darstellen, wie sich die Independentfilme in China in der letzten Zeit  entwickelt haben?

Ni: Der erste Höhepunkt in der Entwicklung der Independentfilme in China war im Jahr 2002. Es lag an der Verbreitung der Videotechnik. Aber es ist sehr interessant zu sehen, dass dieser Trend in den Jahren 2003 und 2004 wieder zurückgegangen ist. Viele Filmmacher, die nur für eine kurze Zeit Interesse hatten, sind nicht mehr in diesem Bereich geblieben. Diejenigen die bleiben, können wir als richtige Independentfilmmacher ansehen.

Shan: Arbeiten die Independent-Filmemacher in einigen bestimmten Großstädten in China?

Ni: Nein. Die Festivals oder Austauschprogramme für Independentfilme sind normalerweise in Großstädten, aber  die Regisseure sind überall in China verteilt.

Sind die meisten Independent-Filmemacher Studenten?

Ni: Das kann man so sagen. In China haben heutzutage fast alle Künstler der bildenden Kunst eine akademische Ausbildung. Entweder waren sie, oder sind sie, Kunststudenten oder Literaturstudenten. Zum Beispiel war der berühmte Independent-Filmemacher Zhu Wen (朱文) früher ein Schriftsteller, hat aber später Filme gedreht, wie z.B. Meeresfrüchte (海鲜 Haixian), und dafür auch einen Preis bekommen (Venice International Film Festival 2001, Cinema of The Present-Special Jury Prize). Der Film ist eine andere Ausdrucksmöglichkeit für die Literaten. Die Independentfilmmacher versuchen ihre Filme auf den nicht-staatlichen Filmveranstaltungen oder bei den Austauschprogrammen im Ausland zu zeigen. So wie diesmal in Heidelberg. Das ist sehr wichtig für diese Regisseure.

In welchen Ländern findet ein Austausch mit den Independent-Filmemachern statt?

Ni: Europa ist jetzt so zu sagen der Fokus des Austausches. Im Mittelpunkt stehen Länder wie Frankreich, England und Deutschland.

Finanzieren die chinesischen Independentfilmmacher  ihre Filme immer selbst?

Ni: In der frühen Phase ihrer Filmkarriere finanzieren sie sich fast alle selbst. Danach kommt es darauf an, wie gut sie sind. Manche bekommen Sponsoren für ihre nächsten Filme.

Und warum haben die deutschen Partner diesmal diese Filme ausgewählt?

Ni: Wir glauben, dass diese Filme die individuelle Einstellung und eine individuelle politische Haltung gut zeigen. Wenn man einen der Filme für sich betrachtet, ist das noch nicht so auffällig. Betrachtet man sie aber zusammen, merkt man das sofort. Diese Filme unterscheiden sich stark von den chinesischen Mainstream-Filmen, die man in Deutschland sonst sehen kann. Wenn die deutsche Presse über China berichtet (oft negativ), sind kaum Stimmen von einzelnen Chinesen zu hören. Die Filme der aktuellen Veranstaltung zeigen, wie einzelne Chinesen in schwierigen Situationen handeln. Unsere deutschen Partner glauben, dass diese Filme das Mainstream-Image über China in Deutschland ein Stück weit verändern können.

Diese Filmveranstaltung heißt China Underground- Ein kritischer Blick von Unten (中国地下电影节 – 批判的视角). Ich weiß, dass sich die deutschen Organisatoren diesen Titel ausgedacht haben. Der Begriff Dixia (地下 Underground) klingt auf Chinesisch eher negativ. Wie finden Sie diesen Titel? Und wollten Sie beim Drehen der Filme wirklich irgendwas kritisieren? Oder wollten Sie nur dokumentieren?

Ma: Ich persönlich finde, dass es egal ist welchen Namen die Veranstaltung hat. Wichtig ist, unsere Filme von  den Mainstream-Filmen zu unterscheiden.

Shan: Herr Ma, Sie haben den Film über das Erdbeben in Sichuan gedreht. War es aus einer kritischen Perspektive?

Ma: Ich wollte nicht unbedingt irgendetwas kritisieren. Aber ich drücke natürlich meine eigene Einstellung damit aus. Es gibt sehr viele offizielle Berichte über dieses Erdbeben. Ich habe mich auf die ignorierten, einzelnen Personen konzentriert, die meistens nicht beachtet werden.  Eine Familie, eine  Person und so weiter.

Das war damals ihr Anlass, das Erdbeben zu filmen? Im Internet steht, dass Sie zuerst den Leuten dort helfen wollten und Ihnen dann die Idee kam den Film zu machen. Stimmt das?

Ma: Nicht ganz. Ich wohne in Chengdu. Als das Erdbeben kam, war ich im 13. Stock. Ich habe das Erdbeben sehr stark gespürt. Am Tag danach bin ich mit meiner Frau direkt in das Katastrophengebiet gefahren. Wir haben ein Auto gemietet und sind überall herum gefahren, wo wir mit Auto hinfahren konnten und haben immer dabei gefilmt.  Die Idee, einen Film aus diesen Video-Stücken zu machen, kam mir erst Ende Mai. Die "Hauptfiguren" haben wir auch zufällig getroffen. Der Film dreht sich hauptsächlich um eine Familie, ein junges Ehepaar. Sie haben ein Kind, das in der Stadt zur Schule geht. Die beiden arbeiten ziemlich hart, um das Kind zu finanzieren. Ihr Kind ist im Erdbeben gestorben. Als ich sie getroffen habe, wollten die beiden ihre traurige Geschichte erzählen, um ihre Trauer zu erleichtern. Deswegen haben wir ihre Geschichte dokumentiert.

Wie lange waren Sie insgesamt im Katastrophengebiet?

Ma: Von Mai bis Oktober.

Wenn man jetzt spontan fragen würde, was ihr größter Eindruck von diesem Erdbeben ist, was würden Sie sagen?

Ma: Man kann gar nicht nachvollziehen und nachspüren, welche Schmerzen die Leute dort empfunden haben, egal wie man für sie weint, egal wie man ihnen hilft.

 Frau Wang, ihre beiden Filme sind vom Thema und Stil her sehr unterschiedlich. Haben Sie die beiden Filme in einem bestimmten Kontext zusammen gedreht?

Wang: Die beiden Filme sind meine neuesten Filme, ungefähr aus dem letzten Jahr. Ich habe mehr als zehn Jahre in Guangzhou gelebt. Mit den beiden Filmen möchte ich verschiedene Seiten von Guangzhou zeigen: Ein Guangzhou mit Konflikten zwischen der Regierung und den Bauern, ein anderes Guangzhou als internationale Metropole, wo Menschen aus vielen Kulturen aufeinander treffen. Man kann in den Filmen die Spuren der Urbanisierung Guangzhous sehen. 

Frau Wang, eine Frage über den Film University City Savages: Wussten Sie am Anfang schon, dass das Thema sehr sensibel ist?

Wang: Am Anfang dachte ich gar nicht, dass das Thema sensibel ist. Als ich angefangen habe, den Aufbau der Universitätsstadt zu filmen, waren die Bauarbeiten noch nicht sehr weit fortgechritten- Das war im Jahr 2004. In China schenkte man damals dem Dingzihu (钉子户)-Problem nicht so große Beachtung. Es gibt zwar auch offizielle Berichte draüber. Aber es war (oder ist) kein so großes Thema. Ich wollte damals nur einem Freund helfen, der Anwalt für diesen Fall in Guangzhou war. Er hat mich gebeten, Fotos von den demonstrierenden Bauern zu machen. Ich dachte, dass das kein Problem wäre. Aber im Jahr 2009 wurde dieser Fall ernsthaft, weil die Regierung von Guangzhou die Stadt zu einer Art „zivilisierten Stadt" (文明城市) bauen wollte. So wie damals die Regierung Beijing für die Olympischen Spiele umgebaut hat, wollte die Regierung diesmal Gaungzhou für die Asian Games (亚运会) umbauen. Das Dingzihu-Problem, bleibt normalerweise unter der Oberfläche. Aber weil es solche Großevents, spitzt sich die Sitation immer öfter zu und es ist es zu einem ernsten Problem geworden, das man dringend lösen muss. Die Regierung hat viel Polizei eingesetzt um die Bauern wegzutreiben, die dort zelteten und demonstrierten. Nach den Großevents beruhigt sich die Situation dann wieder. Aber beim nächsten Großevent, wird das Problem wieder aufkommen. So geht es hin und her.

Zelten die Bauern jetzt immer noch da?

Wang: Nein, sie wurden weggetrieben und haben keine Zelte mehr, sie mieten jetzt Appartements. Aber das Gerichtsverfahren läuft immer noch.

Wie wird sich Ihrer Meinung nach der Independentfilme in China in der Zukunft entwickeln?

Ni: Ich denke in den nächsten zehn Jahren werden viele gute Regisseure auftauchen. Jetzt gibt es schon ziemlich gute. Wie ich gesagt habe, traten viele Jung-Regisseure erst 2000 auf die Bildfläche. Sie müssen erst einmal  „erwachsen“ werden, müssen auch ihre Technik und ihren Ausdruck verfeinern.

Wang:  Ich stimme dem zu. Ich sehe es auch optimistisch.

Ma: Ich stimme auch zu. Ich persönlich versuche mehr Filme zu drehen.

Wir freuen uns auf ihre neuen Filme. Vielen Dank für das Gespräch.

 

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"Walter" Woidt - ein ungewöhnlicher Geschäftsmann in China

Als >> Rudolf und Ursula Hamburger 1930 von Berlin nach Shanghai reisten, konnten sie vorübergehend in dem Haus von "Walter" wohnen, der zu dieser Zeit selbst verreisen wollte. "Walter" war der Name, den Ruth Werner in ihrem Buch "Sonjas Rapport" für einen Bekannten wählte, dessen Namen sie nicht verraten wollte. Trotzdem schrieb sie einige interessante Details: Die Hamburgers kannten den Herrn schon viele Jahre; dieser hatte - nachdem er selbst eine Stelle in China bekommen hatte - seinem Freund Rudolf in Shanghai eine Stelle vermittelt und lud sie ein, in ihrem Haus zu wohnen (S.31). Nachdem Ursula ihre Agententätigkeit für >> Richard Sorge begonnen hatte, versuchte sie "Walter" ebenfalls anzuwerben. Sie bezeichnete ihn als "einer der führenden europäischen Geschäftsleute in Shanghai mit Verbindung zu chinesischen Geschäftsleuten und zur Nanking-Regierung". (S.96) Eigentlich sollten diese Angaben ausreichen, um einen - von nicht allzu vielen - deutschen Geschäftsleuten in Shanghai zu identifizieren, dies ist aber bisher wohl nicht gelungen. Erst nach dem Tod der Autorin (2000) gab es entscheidende Hinweise in einem Buch eines Kollegen aus DDR-Zeiten: E. Panitz schrieb in "Treffpunkt Banbury oder Wie die Atombombe zu den Russen kam": in Shanghai "hatte Rudi Hamburger eine Anstellung als Architekt durch Vermittlung seines Freundes Helmuth Woidt gefunden, in dessen Haus er zunächst mit seiner Frau wohnte".  Dies scheint nun der richtige Name zu sein, weitere Informationen gibt es an dieser Stelle nicht. Interessant ist jedoch, daß der SPIEGEL vor mehr als einem halben Jahrhundert (34/1951) in einem Artikel eine Reihe von Mitarbeitern von Richard Sorge aufzählte - darunter: "Dr. Woidt (auch sonst unbekannt)" Die Klammer steht so im Original und deutet an, daß weitere Informationen auch hier nicht zu finden sind, auch bleibt die Quelle unklar. Bemerkenswert ist, daß sich die Liste auf Japan Ende der dreißiger Jahre bezieht; dies scheint eine Bestätigung dafür zu sein, daß der mysteriöse Herr erstens für Sorge arbeitete und zweitens sowohl in China und als auch in Japan tätig war. Da hier nicht nur der seltene Name in gleicher Schreibweise auftaucht, sondern auch der Titel, stellt sich die Frage, wann und wo Woidt studiert und promoviert hat. Da er 1930 bereits in China war, müßte er schon in den zwanziger Jahren sein Studium abgeschlossen haben. In der Universität Jena gab es 1924 von einem Helmut Woidt die folgende wirtschaftswissenschaftliche Dissertation: "Die Anwendung der Kartellverordnung gegen Missbrauch wirtschaftlicher Machtstellung." Es ist zwar nicht eindeutig der gleiche Autor, das Thema würde jedoch zu einem Geschäftsmann der dreißiger Jahre passen. Interessant wäre es auch zu wissen für wen der Dr. nun in China tätig war. Ein chinesischer Aufsatz von 1997 - in dem der Name Woidt vorkommt - erwähnt, daß dieser 1938 (im Regierungsauftrag) in China war und einige Jahre vorher in Shanghai für die deutsche PUTONG DIANLIAO GONGSI gearbeitet hatte - das ist die AEG. Ein deutscher Autor - Udo Ratenhof - bestätigt beide Angaben; im Register seines Buches steht: Woidt, Mitarbeiter der AEG, Generalbevollmächtigter des Reichswirtschaftsministers für Ostasien. (Dies würde Ruth Werners oben erwähnte Einschätzung, er wäre "einer der führenden europäischen Geschäftsleute" gewesen, durchaus bestätigen. Gleichzeitig verwundert es, daß so wenig über diesen Mann bekannt wurde.) In Ratenhofs Buch steht über die Person und die frühen Chinaaktivitäten Woidts nichts, die Darstellung beschränkt sich auf die Zeit 1938/39. In einer umfangreichen Dissertation über Shanghai erwähnt Astrid Freyeisen einen Brief des Journalisten Klaus Mehnert (1906-1984) an Woidt (1942), der beweist, daß die beiden sich kannten. (Kurioserweise findet sich in Mehnerts Shanghaier Zeitschrift "XXth Century" - 1945 - ein Beitrag von einer Hanna Woidt, über die sonst nichts bekannt ist.) Es ist auch davon auszugehen, daß der NS-Propagandamann Erwin Wickert (1915-2008), der damals in China und Japan arbeitete und Sorge kannte, Woidt gesehn oder zumindest von ihm gehört hat. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, daß der Geschäftsmann John Rabe (1882-1950),der ebenfalls NSDAP-Mitglied und ein Bekannter von Wickert war, zur gleichen Zeit in China (für Siemens) arbeitete und vermutlich in den gleichen Kreisen wie Woidt verkehrte. Ein weiterer Propagandaexperte, der sich - wie Woidt - für den deutsch-chinesischen Handel interessierte, war Wolf Schenke (1914-1989). Dieser publizierte im Winter 1937/38 ebenso wie Woidt im OAB (Ostasiatischer Beobachter) über ostasiatische Wirtschaftsprobleme. Auf diesen Zusammenhang wies Christian Taaks in einem neueren Buch hin, in dem er Woidt als Leiter der Wirtschaftsstelle der Landesgruppe China der NSDAP-AO (Auslandsorganisation) in Shanghai bezeichnet. (S.445) In diesem Buch wird auch für "Hellmut Woidt" das Geburtsjahr 1903 angegeben (Geburtsort Penzig oder Landeshut, beides Schlesien), außerdem: NSDAP Mitglied seit 1933, Autor zahlreicher OAB-Beiträge. Ein weiterer Name, der schon in Sonjas Rapport auftauchte, findet sich auch in dem neuen auch: der Lehrer Fritz Kuck. Laut Ruth Werner war dieser einer der ersten Deutschen, die sie in Shanghai kennen lernte als sie bei "Walter" wohnte (S.36); laut Taaks wurde er 1934 Leiter der Pressestelle der NSDAP-Landesgruppe China-Japan und übernahm 1937 die Schriftleitung des OAB - Woidt war zu dieser Zeit einer der Autoren. (S.546) (Das in diesem Buch angegebene Geburtsjahr von Woidt ist das gleiche wie bei dem oben erwähnten Rudolf Hamburger, auch dieser stammte aus Landeshut - möglicherweise kannten sich beide schon als Schüler.) Allerdings steht auch in dem letztgenannten Buch nichts über die Nachkriegsaktivitäten Woidts, ein Todesjahr ist auch nicht angegeben. Ruth Werner schrieb in ihrem Buch von 1977: "Er starb vor einigen Jahren." Bemerkenswert ist, daß sie davon wußte, da er sicher bis dahin nicht in der DDR - sondern vermutlich in der BRD - gelebt hatte. (Vgl. SHAN-NL Nr. 04, Oktober 2006)

Zusammenfassend kann man also festhalten, daß Woidt wohl aus Schlesien stammte, in den frühen zwanziger Jahren in Deutschland studiert hatte und - mit Unterbrechungen - mindestens zehn Jahre in China gearbeitet hat und in dieser Zeit "nebenberuflich" für Richard Sorge tätig war. Da beide in der Öffentlichkeit als Nazis auftraten und in den Botschaften verkehrten, konnten sie sich problemlos treffen. Unklar sind vor allem die tatsächliche politische Einstellung des Mannes und der Zeitpunkt des Endes der Zusammenarbeit mit Sorge. Weiterhin wäre es interessant zu wissen, ob Woidts Aufstieg vom
AEG-Geschäftsmann zum NSDAP-Funktionär von Sorge (und seinen sowjetischen Auftraggebern) inspiriert oder gefördert wurde und wie weit Sorge später von Informationen aus diesem Umfeld profitierte. Woidt war offenbar nicht von der Verhaftung der meisten Mitglieder des Spionagerings in Japan (1941) betroffen und lebte vermutlich - wie Mehnert, Rabe, Schenke und Wickert - nach Kriegsende im Westen Deutschlands und war in den fünfziger Jahren wahrscheinlich noch berufstätig. Da die heutigen Bibliothekskataloge ihn nicht als Autor weiterer Bücher aufführen, gibt es wohl keine (veröffentlichten) Memoiren, zumindest nicht unter seinem Namen. Man wüßte gern mehr.


Literatur:

Ruth Werner: Sonjas Rapport, Berlin, 1977.

Eberhard Panitz: Treffpunkt Banbury oder Wie die Atombombe zu den Russen kam, Berlin, 2003.

Udo Ratenhof: Die Chinapolitik des Deutschen Reiches 1871 bis 1945, Boppard, 1987.

Huang Cuifang: 1938 nian Deguo teshi Fode mimi fang Hua shuping, Minguodang'an, 1997/4.

Astrid Freyeisen: Shanghai und die Politik des Dritten Reiches,Würzburg, 2000.

Christian Taaks: Federführung für die Nation ohne Vorbehalt, Stuttgart,2009.


Dr. Thomas Kampen

 

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English Caidan - Eindrücke aus Taipeh

Es reicht. Ich habe die Nase voll - von Leuten, die sich in Sachen China, Wirtschaftswunder, gelber Gefahr und ähnlich schönen Stammtisch-Themen zu profilieren versuchen. Vor allem, wenn eben diese Menschen zu mir sagen: „Ich habe mal eine ganz spezielle Frage an dich, du studierst das doch… Was genau ist nun eigentlich Mandarin?“ Und nur für den Fall, dass einige vorhaben, jetzt mit dem Lesen aufzuhören, eines sollen sie gelernt haben - wobei ich keinen Zweifel hege, dass die Leser dieses Newsletters es nicht eigentlich schon wissen: In China essen sie keine Hunde. Zumindest nicht in dem bestialischen Umfang wie es gerne von sensationslüsternen Touristen und Austauschstudenten behauptet wird. Die meisten Chinesen, möchte ich behaupten, haben kein Interesse an Hunden. Und wenn, dann als Haustier, als Schoßhündchen, als Dekorationsobjekt. Die wenigsten werden sie gegessen haben. Seit knapp vier Wochen studiere ich in Taipeh und bin kurz davor abzureisen. Ich habe einen Kulturschock und zwar nicht wegen der 2,6 Mio. Taiwanesen, die hier leben, sondern wegen der geschätzten zweihundert Ausländer, die mit mir studieren. 


Zum ersten Mal sprachlos in meinem Leben war ich genau vor einer Woche. Ich saß mit einer Gruppe internationaler Studenten in einem italienischen Restaurant. Wo auch sonst? Denn, wie einer der Spanier, bemerkte: „Chinesisches Essen kann man nicht essen. Weißt du, es ist ganz anders und… die benutzen hier Holzstäbchen.“ Bedeutungsvolles Schweigen seiner-, Belustigung meinerseits. Dann sagte Rodriguez, genannt „Rollo“: „Nun, ich bin erst seit drei Wochen in Taipeh, aber eines fasziniert mich wirklich. Die Spuren der alten Kolonialmächte sind noch immer zu spüren.“ „Welche meinst du da genau?“, hakte ich vorsichtig nach und was dann folgte, möchte ich eigentlich nicht schreiben. „Nun ja, du weißt schon, Portugal, England… Und die Taiwanesen sehen ja, dass wir aus Europa kommen. Sie behandeln uns mit viel mehr Respekt als ihre eigenen Landsleute, die Klassenunterschiede sind noch deutlich zu spüren. Was sagst du als, ähem, Sino, Sino… China-Wissenschaftlerin dazu?“ Er strahlte. Mir fehlten die Worte. Als ich mich über so viel Dummheit, Ignoranz, Arroganz bei einer Freundin beschwerte, sagte sie: „Weißt du, sie sind hier, weil sie BWL studieren. Es macht sich gut in ihrem Lebenslauf, du weißt schon, wegen des Wirtschaftsaufschwungs in China und so.“ Ich war gereizt und wortklauberisch, sagte: „Wir.Sind.In.Taiwan.“ – „Ja, ja, schon klar. Nur ist es eben so, dass die meisten von uns, bevor sie hierhergekommen sind, nicht einmal wussten, dass es Taiwan gibt, geschweige denn, dass es sich von  der Volksrepublik unterscheidet.“

An dieser Stelle sollte ich sagen, wer „uns“ ist. „Uns“ ist eine unerträglich große Gruppe internationaler Studenten, die BWL und International Management studieren. Für drei bis zwölf Monate sind sie hier, belegen Kurse, die in Englisch angeboten werden. Man stelle sich vor: Als Vorbereitung müssen sie englische Texte lesen. DAS ist in Spanien und Frankreich, glaubt man dieser Horde, eher unüblich. Die Amerikaner beschweren sich hingegen, dass die Professoren keine Muttersprachler sind. Wer hätte all dies vorher ahnen können?

Ohnehin lohnt es sich nicht, so auch die Meinung vieler Master-Studenten, die hier zwei Jahre sein werden, die chinesische Sprache zu lernen. Sätze wie folgende reichen vollkommen aus, um mit den Einwohnern zu kommunizieren. Hier die Top 3 der internationalen Gruppe (ich verzichte auf die Töne (Töne? Welche Töne?):

1.    Wo yao he pijiu. (Alternativ: Pijiu, pijiu!)
2.    Ni de toufa hen piaoliang.
       (Lustige Anekdote eines anderen Spaniers: „So hat mein Kumpel seine Freundin kennen gelernt!“)
3.    English caidan!

Ich überlege einen Verein zu gründen. Dieser Verein wird Geld sammeln, um pro Semester ein Flugzeug zu chartern, das solche Menschen außer Landes bringt. Wer möchte mitmachen?

Viktoria Dümer

 

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Mondfest im Konfuzius-Institut Heidelberg

Am 22. September wurden im Konfuzius-Institut Heidelberg gleich zwei freudige Anlässe gefeiert. Die Gründung des Vereins Konfuzius-Institut Heidelberg e.V. am 22. September 2009 und das chinesische Mondfest. Für das durchaus zahlreiche und bunt gemischte Publikum gab es über den ganzen Tag verteilt verschiedene Angebote, die einen ersten Kontakt mit chinesischer Kultur ermöglichten. Nach der Begrüßung durch den Geschäftsführenden Direktor des Instituts Dr. Klaus Grimm hatten die Gäste bei Zheng Qian Gelegenheit sich zu entspannen, die Kunst der chinesischen Teezeremonie zu genießen und ein wenig zur Ruhe zu kommen. Auch über Verarbeitung, Ernte und Herkunft des Tees wusste die aus Ningbo stammende Zheng Qian einiges zu berichten.

Im nächsten Raum wartete eine ganz andere Herausforderung auf die Besucher: Tuschemalerei mit Li Haibin. Die Motive der chinesischen Tuschemalerei sind den meisten Sinologen vertraut. Berglandschaften, Kaki-Früchte, Pflaumenblüten und nicht zuletzt der Bambus begegnen uns, nicht nur im Studium, immer wieder. Aber die Bewunderung für diese Kunstform nimmt tatsächlich noch zu, wenn man einmal versucht hat selbst eine Garnele aufs Papier zu bringen. Die Technik der Pinselführung, der Umgang mit dem Reibestein und die unterschiedlichen Mischverhältnisse von Wasser und Farbe sind für viele nicht so mühelos zu erlenen, wie es die anmutigen Landschaften vielleicht vermuten lassen. Schon gar nicht an einem Nachmittag. Letztendlich verließen aber doch fast alle den Saal mit einem kleinen Kunstwerk. Egal wieviel Nerven und Mühen die Mitbringsel für zu Hause am Ende gekostet hatten, stolz und zufrieden mit ihrem Werk waren dann doch alle. Zur Tradition und Legende des Mondfestes konnten die Besucher  im Anschluss von Heidi Marweg, Leiterin des Kulturprogramms des Konfuzius-Instituts Heidelberg, einiges erfahren. Das musikalische Glanzlicht des Tages war der Auftritt von Zhang Yuanfang, die mit ihrer Darbietung auf der Guzheng und ihrer charmanten Art das Publkum bezauberte und mit zarten, nachdenklichen und fröhlichen Klängen für eine wirklich festliche Stimmung sorgte. Unter den von ihr dargebotenen Stücken befand sich auch 春江花月夜 Chunjiang Huayueye, ein klassisches Musikstück, das häufig anlässlich des chinesischen Mondfestes gesungen und gespielt wird und ein harmonisches Zusammensein bei Mondlicht muskalisch darstellt.

Höhepunkt des Abends war zweifellos der Vortrag von SHAN-Gründungsmitglied Oliver Lutz Radtke, der mit seinem Vortragstitel „Benz, Beck’s und Beckenbauer – Gedanken zur Deutschlandwahrnehmung in China“ nicht nur Sinologie-Studenten ins Konfuzius-Institut gelockt hatte. Und er enttäuschte seine Zuhörer nicht. Mit seiner lockeren Art und seinen scharfsinnigen Beobachtungen hatte er nicht nur die Lacher der Zuhörer, sondern auch ihr Interesse schnell auf seiner Seite. Ausgehend von einer typischen Konversation mit einem chinesischen Taxifahrer, zeigte er typische Deutschlandbilder – schnelle Autos, Bier, Fussball – auf und machte seinen Zuhörern kreative Vorschläge, wie ein jeder, als Botschafter deutscher Kultur, mehr aus dieser Unterhaltung machen könne. Eine Alternative zur einfache Zustimmung auf Sätze wie "Deutsche trinken sehr viel Bier" oder "Deutsche Frauen vertragen mehr Bier als chinesische Frauen" sei es zu erwähnen, dass es in Deutschland auch die meisten Biersorten oder so etwas wie ein Reinheitsgebot gäbe. Ein nützlicher Hinweis für alle, die bald wieder nach China fahren, auch wenn die meisten Reinheitsgebot wohl erst im Wörterbuch nachschlagen müssen. Nach einigen Anekdoten und anschaulichen Beispielen entspann sich dann eine lebhafte Diskussion über Deutschlandbilder, Chinabilder und unterschiedliche Wahrnehmungen. Für den stimmungsvollen Abschluss des Tages sorgte dann Zhang Yuanfang mit einem zweiten Auftritt und der Vollmond, der sich an diesem  Abend am sternenklaren Himmel zeigte, begleitete die Besucher auf ihrem Heimweg.

 

Sylvia Schneider

 

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Chinesische Filme vor siebzig Jahren - aus österreichischer Sicht


In der 1939 von A. J. Storfer (1888-1944) in Shanghai gegründeten Zeitschrift GELBE POST erschienen auch einige - von ihm selbst verfaßte - Aufsätze über Filme. Schon im ersten Heft vom Mai 1939 gab es einen Überblick über einige bekannte chinesische Werke. Bemerkenswert ist, daß nicht nur Filme und Schauspieler(innen), sondern auch politische und ökonomische Hintergründe behandelt wurden: "Wie gross der Filmbedarf in China ist, kann man daraus ersehen, daß im Jahre 1936 in Shanghai der Filmzensurstelle des Municipal Councils und der französischen Polizei neben 812 ausländischen und 21 chinesischen Kurzfilmen 415 abendfüllende Spielfilme vorgelegt worden sind, unter denen 51 chinesischer Erzeugung waren." Weiter heisst es: "Unter den ersten chinesischen Filmen überwogen Melodramen, Märchen, mythologische Geschichten; die Nationalregierung erliess aber im Filmgesetz vom 4. April 1935 ein Verbot der Filme, 'die geeignet sind, den Aberglauben zu ermuntern.' " Hier wird schon deutlich, daß es auch in den dreißiger Jahren schon vielfältige Zensurbemühungen gab; als dann japanische Truppen das Land besetzten, wurde die Filmproduktion noch schwieriger. Dieser Artikel ist jedoch auch eine Art Ratespiel; Personen und Filmtitel sind nicht immer leicht zu identifizieren: "Die revolutionäre Bewegung in China hat die Kinobesucher für den modernen Gesellschaftsfilm reif gemacht. Einen durchschlagenden Erfolg hatte der 1933 gedrehte Film 'Zwei Schwestern' in dem die begabte Butterfly Wu eine Doppelrolle spielt." Butterfly Wu hiess gar nicht Wu sondern Hu Die (1907-1989) und war damals neben Ruan Lingyu (Vgl. SHAN-NL Nr 43, Mai 2010) die bekannteste Filmschauspielerin Chinas. Bei dem Film handelt es sich um 'Zimeihua / Twin Sisters', der Regisseur war Zheng Zhengqiu (1889-1935).

In Bezug auf die Rolle ausländischer Filme ist folgender Absatz interessant: "Trotz des grossen Einflusses des amerikanischen Films auf die Millionen der chinesischen Kinobesucher, hat der chinesische Gesellschaftsfilm im allgemeinen keine Neigung zur optimistischen Schönfärberei und zum Happy End Hollywoods. Es ist bezeichnend, dass die chinesischen Filmproduzenten ihre Stoffe gerne aus der russischen Literatur und vorzugsweise aus Werken Tolstois holen. So ist z.B. in Shanghai jetzt ein neuer chinesischer Film zu sehen, der sich auf des grossen Russen bekannte Drama 'Macht der Finsternis' stützt."Der Autor geht auch auf die schwierige politische Lage Ende der dreißiger Jahre ein: "Auf der anderen Seite müssen aber die Filme, die in den Hafenstädten gespielt werden sollen, sowohl auf die Zensur der Behörden der Fremdenkonzessionen, als auf die japanische Zensur und natürlich nicht minder auch auf die Gefühle der chinesischen Zuschauer Rücksicht nehmen. So erklärt sich vermutlich, dass neuerdings eine ausgesprochene 'Flucht in die Vergangenheit' wahrnehmbar ist. Der historische Kostümfilm 'Kaiserin Wu', der vor einigen Wochen in Shanghai seine Uraufführung erlebte, hat einen beträchtlichen Erfolg zu verzeichnen, anscheinend nicht zuletzt auch wegen seiner gefälligen musikalischen Untermalung. Dem nicht chinesischen Zuschauer verhelfen unterlegte englische Titel zum Verständnis des Films. Die Titelrolle spielt die begabte Violet Koo, die sich schon vorher in 'The Sable Cicada' einen guten Namen gemacht hatte." Bei diesen Filmen handelt es sich um 'Wu Zetian' (des Regisseurs Fang Peilin) und 'Diaochan' von Bu Wancang, die Hauptdarstellerin Violet Koo war Gu Lanjun (1917-1989). Bu Wancang (1903-1974) war - Anfang der dreißiger Jahre - auch der Regisseur von >> 'Lianai yu Yiwu / Love and Duty'

Erfreulicherweise sind auch Photos von einigen Filmen abgedruckt, so ist mehrfach die heute nicht mehr so bekannte Schauspielerin Y. S. Chen zu sehen, die tatsächlich Chen Yunshang hiess; sie spielte kurz darauf in Bu Wancang's Verfilmung von Ba Jins Roman 'Jia / Familie' eine Hauptrolle. Die meisten erwähnten Filme - vor allem die mit Hu Die und Chen Yunshang - sind auf verschiedenen Festivals gezeigt worden und sind heute als VideoCD oder DVD erhältlich. 'Lianai yu Yiwu / Love and Duty' ist 2004 in Heidelberg gezeigt worden ( http://www.sino.uni-heidelberg.de/eacs2004/content/programme/film_love_and_duty/index.php).

Beeindruckend an diesem und an andern Artikeln Storfers ist nicht nur das große Interesse eines gerade erst in Shanghai eingetroffenenMitteleuropäers am ostasiatischen Film, sondern vor allem die Vielseitigkeit des Mannes; er beschäftigte sich mit Politik, Wirtschaft, Kultur, Sprache, Geschichte und besonders mit Psychoanalyse. Daher sah er diese Filme mit anderen Augen als die Filmkritiker oder Journalisten. Auch der Hinweis auf die englischen Untertitel bei vielen chinesischen Filmen ist interessant, denn er zeigt, daß Shanghai eine internationale Stadt war und auch die chinesische Filmindustrie sehr international war. Hu Die reiste nach ihren ersten Erfolgen in China in mehrere europäische Länder, Charlie Chaplin besuchte China und wurde dort begeistert empfangen. Wenige Monate nach dem Erscheinen von Storfers Artikel drehte ein nach Shanghai geflohener österreichischer Regisseur zusammen mit einem Chinesen den Film 'Children of the World'.

(Von der GELBEN POST ist vor einigen Jahren in Wien ein Reprint erschienen.)


Dr. Thomas Kampen

 

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Filmrezension:The rat trap and the rose

Anders als in der letzten Newsletterausgabe, wird diesen Monat ein brandaktueller Film rezensiert. Als letzter Film der Veranstaltung: „China Underground – Ein kritischer Blick von Unten“ wurde am 30.09.2010 im Karlstorkino der Film „The Rat Trap and the Rose“ der Regisseurin Wang Bang gezeigt. Das Debüt-Drama der Regisseurin, die bisher Dokumentarfilme drehte, besticht durch seine unvoreingenommene Herangehensweise an das Leben vierer Menschen in der südchinesischen Metropole Guangzhou. Es wird kaum Musik hinterlegt, um Stimmung zu erzeugen, und in fast allen Szenen nimmt die Kamera die Haltung eines neutralen Betrachters ein.  Es wird gezeigt was geschieht, ohne eine Wertung dessen, weder durch die Bevorzugung einer Figur, noch durch stilisierte Kamerapositionen.

In einer Art Episodenfilm, den Wang Bang selbst als trockene Komödie bezeichnet, werden die Großstadt-Schicksale eines erfolgreichen französischen Geschäftsmannes, seiner frustrierten Ehegattin, einer geschiedenen Frau aus dem Westen Chinas, sowie das eines illegalen Einwanderers aus dem Kongo verknüpft. Die Figuren ahnen nicht in welchem Zusammenhang sie zu einander stehen, nur die Zuschauer können vermuten in welche Richtung die Handlung sich bewegt, bevor in einem fulminanten Schluss alle vier Geschichten zusammengeführt werden.

Auf den ersten Blick merkt man dem Film seinen Erstlings-Charakter an. Den Figuren fehlt  an manchen Stellen die nötige Tiefe.  Einige Details im Setting des Films erscheinen auf den ersten Blick als eher unwahrscheinlich gestaltet (wie z.B. die Wohnung des reichen Ehepaars). Einige Schnitte und Kameraeinstellungen mangelt es an Finesse in Sachen Kamerafokus und Perspektive und wirken eher ungelenk. Wenn man aber herausfindet, dass die Regisseurin Wang Bang ihre Filme hauptsächlich mit eigenem Kapital finanziert, weil Förderungsmöglichkeiten für Independent-Filme in der VR China mehr als knapp sind, und darüber hinaus die „Schauspieler“ alles Laien und Freunde der Regisseurin sind, gewinnt man neuen, großartigen Respekt für diese Art des Filmemachens. Es entsteht ein Film voller Herzblut in dem Wang Bang, wie sie berichtet,  ihre eigenen Erlebnisse aus ihren 10 Jahren in Guangzhou verarbeitet und ihre Figuren zeichnet, indem sie ihnen Charaktereigenschaften verleiht, die sie selbst besitzt. Heraus kommt, trotz der erschwerten Finanzlage, ein sehr unterhaltsamer Film, der eine Seite des modernen Chinas zeigt, die man in China und auch hier nicht sehr oft in Filmen zu sehen bekommt.  Weit ab vom chinesischen Mainstream-Film zeigt sich ein düsteres China mit Figuren, die unbekannte Tiefen und Abgründe erleben und durchleben müssen.  Nicht gerade eine trockene Komödie, aber das sollte auch nicht zu erwarten sein von einer Filmemacherin, die Michael Haneke, bekannt zuletzt durch den Film „Das Weiße Band“ und als österreichischer Meister der Trostlosigkeit und des Verstörenden gilt, als ihr größtes Vorbild bezeichnet.  Dennoch ein gelungenes Debüt und ein durchaus sehenswerter Film.


Johann Platt

 

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Zuletzt bearbeitet von: AF
Letzte Änderung: 04.12.2014
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