Newsletter Dezember 2008 Nr. 28

INHALT

Interview: "Beide Seiten haben gelernt, miteinander auszukommen."

Der Politikwissenschaftler Keng Shu ist Professor an der National Chengchi University in Taiwan. Im vergangenen Sommersemester hielt er einen Gastvortrag zum Thema "Cross-Strait Relations". SHAN sprach mit ihm über die Rolle der taiwanesischen Identität und die Beziehungen zwischen Taiwan und China.

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Erobern Sinologen die Politik? - Vortrag von Bundesminister a.D. Christian Schwarz-Schilling im Rahmen von Sinologie in den Beruf

Am 24. November konnten wir hohen Besuch in den Räumen des Instituts begrüßen: Bundesminister a.D. Christian Schwarz-Schilling sprach im Rahmen einer von SHAN und der Fachschaft organisierten Veranstaltung zum Thema "Erobern Sinologen die Politik? Vom Sinologen zum Unternehmer und Politiker". Einen direkten Weg vom Sinologiestudium zum Ministerposten konnte Herr Schwarz-Schilling den zahlreichen Zuhörern zwar nicht empfehlen, dafür aber aus einem reichen Fundus von Erfahrungen und Anekdoten schöpfen.

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Vom Auslandsstudenten zum Diplomaten: Zhang Pengchun und die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948

Vor sechzig Jahren wurde - am 10. Dezember 1948 - in Paris die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von der Vollversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Einer der Autoren war der chinesische Intellektuelle und Künstler Zhang Pengchun.

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Veranstaltungskalender

Zirkus: Chinesischer Nationalcircus

28.12.08, 19 Uhr, Rosengarten Mozartsaal, Mannheim. Eintritt: je nach Platz zwischen 33,75 € und 51,85 €.


Interview mit Professor Keng Shu: "Beide Seiten haben gelernt, miteinander auszukommen."

Der Politikwissenschaftler Keng Shu ist Professor an der National Chengchi University in Taiwan. Im vergangenen Sommersemester hielt er einen Gastvortrag zum Thema „Cross-Strait Relations“. SHAN sprach mit ihm über die Rolle der taiwanesischen Identität und die Beziehungen zwischen Taiwan und China.

Shan: Professor Keng, seit März dieses Jahres gab es eine rasante Verbesserung und Annäherung in den Beziehungen zwischen China und Taiwan. War diese Entwicklung bereits vor den Wahlen absehbar?

Keng: Nun, zu allererst muss ich betonen, das man hierzu beide Seiten betrachten muss. Ich denke dass Hu Jintao in den restlichen vier Jahren seiner Amtszeit bezüglich der grenzüberschreitenden Beziehungen zu Taiwan noch einen entscheidenden Durchbruch erreichen möchte. Für Ma Yingjiu, der sich gerade im ersten Jahr seiner 8-jährigen Amtszeit befindet, kommt dieses Thema eventuell noch zu früh. Entscheidend für ihn wäre eher über die Interessen Taiwans zu verhandeln.

Die KMT und Ma Yingjiu stehen für eine freundlichere Politik gegenüber China: Verliert die taiwanische Identität an Bedeutung?

In der Politik hat sie das jedenfalls. Mir scheint, dass sowohl die KMT als auch die DPP die Beziehungen momentan nicht belasten wollen und der Identitäts-Effekt daher nicht so eine große Rolle spielt.

Erwarten Sie einen Niedergang der DPP, weil sie so lange auf die Rolle der Identität gebaut hat?

Nein, das erwarte ich nicht. Ich glaube, die DPP wird sich nach neuen Wegen umschauen, ihre Legitimität zu zeigen. Eine neue Strategie um Stimmen zu gewinnen muss nicht zwingend die Identitäts-Rolle sein, man wird versuchen sich über einen anderen Weg Attraktivität zu verschaffen.

In einem Ihrer Aufsätze erwähnen sie, dass die Hu- und Wen-Administration eine neue Taiwan-Politik verfolgt. Weshalb gab es 2005, zwei Jahre nach dem Amtsantritt von Hu, immer noch das Anti-Sezessionsgesetz?

Als das Anti-Sezessionsgesetz 2004 verfasst wurde, ahnte niemand, dass die DPP die Mehrheit im Parlament erlangen könnte. Meiner Meinung nach wurde das Anti-Sezessionsgesetz verabschiedet, um die grenzüberschreitenden asiatischen Beziehungen zu stabilisieren und um Taiwan für eine mögliche Vereinigung zu motivieren.

Bis vor kurzem standen die direkten Beziehungen vor einem gewaltigen Dilemma: Auf der einen Seite waren die politischen Beziehungen sehr schlecht, auf der anderen Seite blühten Handel und Investitionen zwischen China und Taiwan. Welche Rolle spielen die taiwanesischen Geschäftsleute (Taishang), die in China investieren, in den chinesisch-taiwanesischen Beziehungen?

Die Taishang sind nicht maßgebend in ihrer politischen Rolle. Ich denke, dass Taiwan den ökonomischen Vorteil der Taishang unbedingt nutzen sollte, ohne sich über die politische Rolle Gedanken zu machen.

Auf der einen Seite gibt es das Streben nach Annäherung, auf der anderen Seite aber auch den Wunsch nach Unabhängigkeit. Gibt es eine Entwicklung in die Richtung, dass sich China und Taiwan verschieden fühlen?

Dem würde ich durchaus zustimmen. Die Reaktionen, mit denen Taiwaner auf Kontakt zu Chinesen reagieren, sind sehr unterschiedlich. Auf der einen Seite gestehen viele ein, dass man sich im Grunde sehr ähnlich ist. Taiwanern fällt es leichter, sich mit Chinesen aus der oberen Klasse zu identifizieren. Umgekehrt gilt dasselbe. Großstadtmenschen in China kommen ebenfalls besser mit Taiwanern zurecht, weil sie den Kontakt mit unterschiedlichen Kulturen kennen, während dies für Bewohner aus kleineren Städten und Gemeinden eher schwierig ist. Auf der anderen Seite gibt es die Gruppe derjenigen, die sich als vollkommen verschieden betrachten und nicht miteinander auskommen können.

Welche Entwicklung erwarten Sie für die Zukunft der grenzüberschreitenden Beziehungen? Wie weit wird man mit der Annäherung kommen?

Da bin ich sehr optimistisch. Beide Seiten haben gelernt, miteinander auszukommen. In Zukunft wird die ökonomische Verflechtung enger werden. Kleine Fortschritte werden etappenweise gemacht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich diese beiden Parteien bekriegen wollen. Das ist eher unwahrscheinlich.

Welche Reaktion erwarten sie aus den USA, wenn die aktuelle Entwicklung der Konvergenz beider Seiten so weitergehen wird?

Es gab bereits eine Debatte in den USA darüber, wie man sich im Falle einer Vereinigung von China und Taiwan verhalten sollte. Es kommt ganz auf den US-Präsidenten an, daher kann man noch nichts sagen. Was den Abbruch des Status Quo auf friedlicher Weise anbetrifft, so hat die USA noch kein Gesetz dafür, was es ihr erschwert, eine friedliche Rolle in der Verhandlung zu spielen.

Ist das Ziel einer Vereinigung realistisch?

Keng: Ja, das ist es. Es kommt aber auch ein bisschen darauf an, wie man den Begriff „Vereinigung“ definiert. Für Taiwan wäre es sehr gut, denn dann hätte man eine Repräsentation in der UN und der internationalen Gemeinschaft. Wir könnten die Entstehung eines Krieges mit China für immer eliminieren, aber das ist nur eine Definition der Vereinigung. Eine richtige Vereinigung wie zwischen West - und Ostdeutschland wäre zu kompliziert. Ich glaube, dass weder China noch Taiwan momentan an die Möglichkeit einer derartigen Vereinigung denken, und kann nicht beurteilen, wann eine richtige Vereinigung kommen wird.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führten Benjamin Kemmler und Christel Kemnitz.


 

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Erobern Sinologen die Politik? Vortrag von Bundesminister a.D. Christian Schwarz-Schilling im Rahmen von Sinologie in den Beruf

Am 24. November konnten wir hohen Besuch in den Räumen des Instituts begrüßen: Bundesminister a.D. Christian Schwarz-Schilling sprach im Rahmen einer von SHAN und der Fachschaft organisierten Veranstaltung zum Thema „Erobern Sinologen die Politik? Vom Sinologen zum Unternehmer und Politiker“.

Einen direkten Weg vom Sinologiestudium zum Ministerposten konnte Herr Schwarz-Schilling den zahlreichen Zuhörern zwar nicht empfehlen, dafür aber aus einem reichen Fundus von Erfahrungen und Anekdoten schöpfen. Als er sich Anfang der 50er Jahre trotz des fragwürdigen späteren Nutzens eines Sinologiestudiums in München in dieses Fach einschrieb sah nicht nur das Curriculum völlig anders aus als heute; auch die Welt war eine andere.

So kam Herr Schwarz-Schilling auch erst etliche Jahre nach seiner Promotion und dem Einstieg in die Wirtschaft – eine wissenschaftliche Laufbahn schien ihm angesichts der wenigen sinologischen Lehrstühle kaum Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten – zum ersten Mal nach China. Das war 1966, kurz vor Beginn der Kulturrevolution. In diesem Klima weckte ein Westdeutscher, der im Studium zwar Chinesisch lesen, aber nicht Chinesisch sprechen gelernt hatte und dem entsprechend nur alles sehr genau beobachtete, natürlich misstrauen. Die ihm von den chinesischen Behörden zur Seite gestellten „Reisebegleiter“ waren entsprechend erleichtert, als sie diesen verdächtigen Besucher nach seiner Reise über die Grenze gen Hong Kong entlassen konnten.

Auch später, als Bundesminister für Post und Telekommunikation hatte er gelegentlich mit China zu tun, etwa bei der Festsetzung von Mobilfunkstandards. Hierbei kam Herr Schwarz-Schilling auch immer wieder mit der alten chinesischen Kultur in Kontakt, mit der er sich im Studium beschäftigt hatte.

Abgesehen davon sei es aber vor allem die Erweiterung des eigenen Horizontes durch die intensive Beschäftigung mit einer fremden Kultur gewesen, die er aus seinem Studium mitgenommen habe. Auch sein Blick auf Europa habe sich dadurch grundlegend verändert, und die Einzigartigkeiten der verschiedenen Kulturen zu erkennen sei ohne diese Vergleichsmöglichkeiten nicht möglich.

Johannes Lejeune

 

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Vom Auslandsstudenten zum Diplomaten: Zhang Pengchun und die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948

Vor sechzig Jahren wurde – am 10. Dezember 1948 – in Paris die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von der Vollversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet (Deutsch, Englisch, Chinesisch). Einer der Autoren war der chinesische Intellektuelle und Künstler Zhang Pengchun.

Zhang Pengchun wurde 1892 in der nordchinesischen Stadt Tianjin geboren; er war der jüngere Bruder von Zhang Boling (1876-1951), der als Rektor der Nankai-Universität in Tianjin berühmt wurde. Die Brüder erbten von ihrem (Pipa-spielenden) Vater das Interesse an Musik und Theater und engagierten sich vor allem im Bildungswesen.

Auslandsstudium

Zhang Boling, der zunächst in der chinesischen Hauptstadt studiert hatte, besuchte 1903 und 1904 Japan und gründete nach seiner Rückkehr in Tianjin eine Mittelschule aus der später die Nankai Universität hervorging. Bald darauf reiste er auch nach Nordamerika und Westeuropa, um sich über die dortigen Bildungssysteme zu informieren. Zhang Pengchun besuchte zunächst die Schule seines Bruders und bekam 1910 ein Stipendium für Amerika. 1915 schloss er sein Studium an der Columbia University mit einem M.A. ab und kehrte im folgenden Jahr nach Tianjin zurück. Seine Hauptinteressen waren Literatur und Theater, er betätigte sich nun als Autor und Regisseur. Im Westen wurde er unter dem Namen P. C. Chang bekannt.

Die Nankai-Mittelschule und die Universität

Als Zhang Boling 1917 zu einer weiteren Amerikareise aufbrach, übernahm Zhang Pengchun die Leitung der Schule. Im Frühjahr 1919 wurde – kurz vor dem Beginn der "Vierten Mai Bewegung" – die Nankai Universität gegründet Zu den bekanntesten Schülern und Studenten gehörten der spätere Filmregisseur Sun Yu (1900-1990) und der spätere Ministerpräsident Zhou Enlai (1898-1976), sowie der Autor und Regisseur Cao Yu (1910-1996).

In den USA

Zhang Pengchun unternahm in den folgenden Jahren mehrere Amerikareisen und liess sich schließlich dort nieder. 1922 studierte er wieder an der Columbia University und erhielt 1924 den Doktortitel. 1930 und 1935 begleitete er den Opernstar Mei Lanfang (1894-1961) erst auf einer Amerikareise und dann auf einer Reise in die Sowjetunion. Anfang der dreißiger Jahre hatte Zhang an der Universität Chicago unterrichtet, später lehrte er auch an chinesischen Universitäten. In den vierziger Jahren stieg er in die Diplomatie ein und wurde zunächst chinesischer Botschafter in der Türkei, später in Chile. 1946 begann er bei der UNO zu arbeiten.

Die UNO und die Menschenrechte

Zhang Pengchun war bei der UNO zunächst für soziale und wirtschaftliche Fragen zuständig, wurde dann aber Mitglied der von Eleanor Roosevelt (der Witwe des 1945 verstorbenen US-Präsidenten) geleiteten Gruppe für Menschenrechtsfragen; dieser gehörten noch zwei weitere Asiaten und ein Europäer an, sodass Asien besser vertreten war als die anderen Kontinente. 1948 wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte fertig gestellt und am 10. Dezember verabschiedet.

Der Tod der Zhang-Brüder

Zhang Pengchun verbrachte die letzten Jahre seines Lebens in den USA. 1951 starb der ältere Bruder Zhang Boling; zu dieser Zeit war Zhang Pengchun selbst schon herzkrank und konnte nicht mehr arbeiten, er starb im Juli 1957. Zhang Boling konnte noch 1950 seinen alten Studenten und neuen Ministerpräsidenten Zhou Enlai in der chinesischen Hauptstadt treffen und starb bald darauf in Tianjin; daher gehörte er in der Volksrepublik zu den bekanntesten Intellektuellen der damaligen Zeit. Zhang Pengchun hatte jedoch nie in der VR China oder in Taiwan gelebt und geriet schnell in Vergessenheit. Da er für die Guomindang als Diplomat gearbeitet und lange in Amerika gelebt hatte, zählte er für die Kommunisten zu den Feinden. Nur wenige Theater- und Opernkenner schrieben gelegentlich über ihn. Erst nach dem Tod Zhou Enlais (1976) beschäftigten sich Historiker wieder mit der Geschichte der Nankai-Schule und erforschten die Biographien einiger prominenter Lehrer. Zhang Pengchuns Aktivitäten im Bereich der Menschenrechte werden in der Volksrepublik allerdings nicht gewürdigt.

Literatur:

Nankai daxue xiaoshi (1919-1949). Tianjin, 1989.

HUANG DIANQI: Zhang Pengchun. Beijing, 1995.

LIANG JISHENG: Zhang Boling yu Nankai Daxue. Taiyuan, 1995.


Dr. Thomas Kampen

 

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Zuletzt bearbeitet von: AF
Letzte Änderung: 04.12.2014
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